Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsleistung durch einen Dritten
Leitsatz (amtlich)
1. § 1265 S 1 RVO, 3. Alternative, setzt Unterhaltsleistungen des Versicherten selbst voraus.
2. Der Versicherte selbst leistet Unterhalt mit Hilfe eines Dritten nur dann, wenn der Dritte als Vertreter oder Beauftragter des Versicherten zu dessen Lasten handelt.
Leitsatz (redaktionell)
Ein Versicherter kann seiner früheren Ehefrau auch mit Hilfe eines Dritten Unterhalt leisten. "Den Unterhalt leistet in diesem Falle er selbst aber nur dann, wenn der Dritte als Vertreter oder Beauftragter des Versicherten zu dessen Lasten handelt". Hat hingegen der Versicherte an den Zahlungen des Dritten nicht mitgewirkt und haben diese allein das Vermögen des Dritten vermindert, liegt eine Unterhaltsleistung iS der 3. Alternative des § 42 S 1 AVG (= § 1265 S 1 RVO) nicht vor. Da bei dieser Alternative nur das tatsächliche Geschehen, das tatsächliche Unterhaltleisten durch den Versicherten maßgebend ist, genügt es nicht, "Leistungen Dritter dem Versicherten im wirtschaftlichen Ergebnis zuzurechnen, weil sie auf einer früheren Disposition des Versicherten (hier: Übereignung einer Eigentumswohnung an die Tochter mit der Auflage, bis zum Tode des Versicherten den bisher von ihm gezahlten Betrag von 200,- DM mtl für entgangene Miete an die frühere Ehefrau weiterzuzahlen) beruhen".
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23; BGB § 328 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18; AVG § 42 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 05.07.1979; Aktenzeichen L 1 An 11/79) |
SG Osnabrück (Entscheidung vom 18.01.1979; Aktenzeichen S 3 An 19/78) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beigeladenen eine Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zusteht und deswegen die Witwenrente der Klägerin zu kürzen ist.
Die Ehe der 1906 geborenen Beigeladenen mit dem Versicherten wurde im Oktober 1955 aus Verschulden des Versicherten geschieden. Durch Vertrag vom 18. August 1955 hatten sich die Eheleute wirtschaftlich auseinandergesetzt. Nach Ziffer 2 des Vertrages verzichtete die Beigeladene auf Unterhalt auch für den Fall des Notbedarfs; der Versicherte verpflichtete sich, der Beigeladenen eine entgangene Miete in Höhe von 35,-- DM zu ersetzen, solange sie im eigenen Hause wohnte. Er erhöhte diese Zahlung später auf 50,-- DM, dann auf 100,-- DM und schließlich ab Januar 1974 auf 200,-- DM.
Im Mai 1975 vereinbarte der Versicherte mit der Tochter der früheren Eheleute, der er eine Eigentumswohnung übereignete, daß diese als Gegenleistung für den Verzicht am Nießbrauch dieser Wohnung sich verpflichte, bis zu seinem Tode den bisher von ihm gezahlten Betrag von 200,-- DM monatlich an die Beigeladene zu zahlen. Die Beigeladene nahm von der Vereinbarung Kenntnis. Seitdem sind die Zahlungen der 200,-- DM monatlich durch die Tochter erfolgt.
Am 23. Januar 1977 ist der Versicherte verstorben. Er hatte 1961 die 1914 geborene Klägerin geheiratet. Dieser bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 1977 Witwenrente in Höhe von 1.400,30 DM. Durch einen weiteren Bescheid vom 22. August 1977 gewährte sie auch der Beigeladenen Rente nach § 42 AVG (worauf deren Tochter die Zahlungen einstellte). Im Hinblick hierauf kürzte die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 1977 sodann die Witwenrente der Klägerin auf einen Betrag von 452,-- DM.
Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) steht der Beigeladenen aufgrund der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG die sogenannte Geschiedenenwitwenrente zu. Der Versicherte habe die monatlichen Zahlungen an die Beigeladene über den Betrag von 35,-- DM hinaus erhöht, um mit dem Mehrbetrag der Beigeladenen Unterhalt zu leisten. Daß die Zahlungen "zur Zeit seines Todes" durch die Tochter erfolgt seien, stehe der Annahme einer Unterhaltsgewährung durch den Versicherten nicht entgegen. Der Versicherte habe zwar mit der Tochter zuvor einen entgeltlichen Vertrag zu Gunsten der Beigeladenen (§ 328 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) geschlossen und diese habe danach gegen die Tochter einen eigenen Anspruch gehabt; der Rechtsgrund "tatsächliche Unterhaltsleistung" durch den Versicherten habe sich dadurch jedoch nicht geändert. Im Ergebnis habe vielmehr der Versicherte nach wie vor den Unterhalt geleistet. Dafür spreche auch, daß die Verpflichtung der Tochter bis zum Tode des Versicherten begrenzt gewesen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den
angefochtenen Bescheid in Gestalt des
Widerspruchsbescheides aufzuheben.
Sie rügt eine Verletzung von § 42 AVG. Mittelbare Zuwendungen der hier in Rede stehenden Art könnten nicht als Unterhaltsleistungen iS der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG angesehen werden, zumal sich nachträglich oft nicht mehr zuverlässige feststellen lassen, ob sie der Versicherte veranlaßt habe. Selbst bei anderer Meinung bliebe hier zu beachten, daß der Versicherte ähnlich wie bei einer Schuldübernahme durch den Vertrag mit der Tochter aus dem Zahlungsverhältnis zur Beigeladenen ausgeschieden sei. Die eigentliche Zuwendung des Versicherten liege in der außerhalb des zeitlichen Rahmens des § 42 AVG vollzogenen Schenkung einer Forderung im Vertrag vom 23. Mai 1975. Es widerspreche dem Sinn und Zweck des § 42 Satz 1 AVG, eine Rente als Ersatz für einen Unterhaltsanspruch zu gewähren, auf den gegen entsprechende Gegenleistungen verzichtet worden sei. Die Beigeladene verstoße schließlich gegen Treu und Glauben, wenn sie jetzt einen Rentenanspruch geltend mache und sich damit in Widerspruch zu den Vorstellungen des Versicherten in dessen Testament setze.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht im Sinne des § 166 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage nicht nur den ihr erteilten Kürzungsbescheid, sondern auch den der Beigeladenen erteilten Rentenbescheid vom 22. August 1977 angefochten (SozR Nr 3 zu § 1268 RVO und Nr 5 = BSGE 21, 125). Beide Bescheide sind nur dann rechtmäßig, wenn der Beigeladenen Rente nach § 42 AVG zusteht. Dabei kommt als Anspruchsgrundlage hier allein die dritte Alternative des § 42 Satz 1 AVG in Betracht. Nach ihr erhält die frühere Ehefrau des Versicherten dann eine Hinterbliebenenrente, "wenn er" - dh der Versicherte - "im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat".
Die Ansicht des LSG, das sei der Fall gewesen, steht im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen. Die monatlichen Zahlungen, die die Beigeladene im letzten Lebensjahr des Versicherten erhalten und die das LSG im Betrag von 165,-- DM als Unterhaltsleistungen angesehen hat, sind nicht vom Versicherten, sondern von der Tochter der früheren Eheleute geleistet worden. Allerdings kann ein Versicherter Unterhalt auch mit Hilfe eines Dritten leisten; den Unterhalt leistet in diesem Falle er selbst aber nur dann, wenn der Dritte als Vertreter oder Beauftragter des Versicherten zu dessen Lasten handelt. Das traf hier nicht zu. An den Zahlungen im letzten Lebensjahr des Versicherten hat dieser nicht mitgewirkt; sie haben allein das Vermögen der Tochter, nicht das des Versicherten vermindert; die Tochter handelte weder als Vertreterin noch als Beauftragte des Versicherten, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.
Daß die Tochter die Zahlungen aufgrund eines Vertrages mit dem Versicherten bewirkte, kann nicht dazu führen, gleichwohl den Tatbestand der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG "mittelbar" für erfüllt zu erachten. Die drei Alternativen des § 42 Satz 1 AVG unterscheiden sich dadurch, daß bei den beiden ersten nur Unterhaltspflichten, bei der letzten dagegen die tatsächliche Unterhaltsleistung auch ohne Unterhaltspflicht die Hinterbliebenenrente auszulösen vermag. Demgemäß kann bei der dritten Alternative nur das tatsächliche Geschehen, das tatsächliche Unterhaltleisten durch den Versicherten, maßgebend sein. Es genügt nicht, hier Leistungen Dritter dem Versicherten im wirtschaftlichen Ergebnis zuzurechnen, weil sie auf einer früheren Disposition des Versicherten beruhen. Deshalb hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts schon mehrfach ein Unterhaltleisten durch den Versicherten im letzten Lebensjahr verneint, wenn er vor diesem Jahr der früheren Frau zB einen Vermögensgegenstand, einen Gesellschaftsanteil oder ein Anlagekapital zur künftigen Nutzung zu Unterhaltszwecken zugewendet hatte (SozR Nrn 19 und 21 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nr 36). Der vorliegende Fall ist ein weiteres Beispiel in diesem Sinne. Die Zuwendung des Versicherten bestand hier in der der Beigeladenen durch den Vertrag vom Mai 1975 verschafften Position, die die Beigeladene von da an "nutzen" konnte; diese Position hatte eine laufende Zahlungsverpflichtung der Tochter geschaffen, der sogar ein eigener Anspruch der Beigeladenen gegenüberstand. Wie lange die frühere Frau aus solchen Zuwendungen dann Nutzen hat ziehen können, kann hierbei kein erheblicher Differenzierungsgrund sein.
Zu Recht hat im übrigen die Klägerin in die Betrachtung den Fall einbezogen, daß der Vertrag vom Mai 1975 keine tatsächliche Unterhaltsleistung, sondern eine bis dahin gegebene Unterhaltspflicht des Versicherten durch die Verpflichtung der Tochter ersetzt hätte. Dann hätten die beiden ersten Alternativen einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zur Zeit des Todes nicht bejaht werden können. Die dritte Alternative, obzwar gleichwertig, ist jedoch im Grunde als eine Erweiterung der vorangegangenen Alternativen zu verstehen (BSGE 38, 242, 243). Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn (bloß) die tatsächliche Unterhaltsleistung des Versicherten endet, ihre Anwendung ebenfalls zu verneinen; auf diese Weise wird dem anschließenden Verhalten Dritter gleichermaßen bei allen Alternativen des § 42 Satz 1 AVG keine Bedeutung beigemessen.
Nach alledem waren die im Tenor bezeichneten Urteile und Bescheide der Beklagten einschließlich des der Beigeladenen erteilten Rentenbescheides aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; dabei hielt es der Senat nicht für gerechtfertigt, neben der Beklagten auch die Beigeladene zur Erstattung der der Klägerin im Rechtsstreit entstandenen Kosten zu verpflichten.
Fundstellen