Leitsatz (amtlich)

Die Frist der einjährigen Arbeitslosigkeit - als Voraussetzung für den Anspruch auf das Altersruhegeld nach RVO § 1248 Abs 2 - beginnt nicht notwendig an dem Tage, an dem sich der Versicherte erstmals beim Arbeitsamt arbeitslos meldet. Am Anfang der Jahresfrist muß aber der Tatbestand der Arbeitslosigkeit in vollem Umfange erfüllt, besonders auch der Versicherte arbeitsbereit sein.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Januar 1972 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

 

Gründe

Das letzte Arbeitsverhältnis des Klägers war im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber zum 31. Januar 1970 gelöst worden. Damals war der Kläger 62 Jahre alt. Der 1. Februar 1970 fiel auf einen Sonntag. Der Kläger meldete sich am darauffolgenden Dienstag - dem 3. Februar 1970 - beim Arbeitsamt als arbeitslos und beantragte das Arbeitslosengeld. Dieses wurde ihm von diesem Tage an gezahlt. - Das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bewilligte ihm die Beklagte vom 1. März 1971 an (Bescheid vom 22. März 1971).

Mit der Klage erstrebt der Kläger die Vorverlegung der Rente um einen Monat. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf das Altersruhegeld, insbesondere die einjährige ununterbrochene Arbeitslosigkeit waren seines Erachtens vor dem 1. Februar 1971 gegeben. Da der Kläger mit Ablauf des Januar 1970 seine Arbeitsstelle verloren habe, sei er auch mit diesem Monatsende arbeitslos geworden. Infolgedessen habe seine Rente mit dem Ersten des auf den entsprechenden Monat des nächsten Jahres folgenden Monats zu beginnen (BSG 30, 38; SozR Nr. 16 zu § 1290 RVO). Für die Arbeitslosigkeit des Klägers sei belanglos, daß sich der Kläger erst am dritten Tage nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung beim Arbeitsamt gemeldet habe. Die Meldung sei kein Bestandteil des Begriffs der Arbeitslosigkeit, sondern ein Indiz für die Ernstlichkeit des Arbeitswillens. Daran bestehe aber im Falle des Klägers kein Zweifel. - Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat - mit Einwilligung des Klägers - die Revision unmittelbar beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Sie beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie meint, das von § 1248 Abs. 2 RVO geforderte eine Jahr der Arbeitslosigkeit könne nicht vor der Meldung beim Arbeitsamt beginnen. Vorher sei die Arbeitslosigkeit nicht ausreichend nachgewiesen. Dem Kläger müsse entgegengehalten werden, daß er sich erst am 3. Februar 1970 zum Arbeitsamt begeben habe. Selbst wenn man berücksichtige, daß der 1. Februar ein Sonntag gewesen sei, so hätte der Kläger spätestens am nächsten Werktag beim Arbeitsamt vorstellig werden können. Seine Entschuldigung, daß er wegen Glatteises den Weg zum Arbeitsamt nicht habe zurücklegen können, sei nicht stichhaltig.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision hat Erfolg.

Nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO ist die Rente vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen zählt für das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 RVO, daß der Versicherte mindestens ein Jahr lang ununterbrochen arbeitslos gewesen ist. Um bestimmen zu können, in welchem Monat die Jahresfrist verstrichen ist, kann es unter Umständen - wie im gegenwärtigen Streitfalle - geboten sein, den Beginn dieses Jahres auf den Tag genau zu ermitteln. Dafür kann dem Datum der ersten Meldung des Arbeitslosen beim Arbeitsamt erhöhte Bedeutung zukommen.

Allerdings ist die Meldung als solche nicht bereits Merkmal des Tatbestandes der Arbeitslosigkeit (vgl. § 101 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -; BSG 21, 21, 22; 29, 120, 123). Bei ihrem Fehlen kann sich aber die Frage stellen, ob der Versicherte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, im besonderen ob er den Willen zur Arbeit hatte. Dieser Wille ist ein Teil der sogenannten Verfügbarkeit (§ 103 Abs. 1 AFG), die ihrerseits ein Kennzeichen des Arbeitslosigkeitsbegriffes ist (BSG 25, 105, 106; ständige Respr.). An den Nachweis dieses Erfordernisses werden, wenn es um das vorzeitige Altersruhegeld wegen einjähriger Arbeitslosigkeit geht - speziell bei Ruhestandsbeamten und Hausfrauen, aber auch generell -, strenge Anforderungen gestellt (BSG 18, 287, 289 f; 20, 191, 195; SozR Nrn. 21, 33 zu § 1248 RVO). Das verstärkte Gewicht, das der Vermittelbarkeit des Versicherten und seiner Arbeitsbereitschaft beigemessen wird, leitet man aus dem Ausnahmecharakter des § 1248 Abs. 2 RVO her. Das Altersruhegeld soll vorzeitig nur derjenige Versicherte erhalten, der über 60 Jahre alt und auf unabsehbare Zeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, aber arbeitsfähig und arbeitswillig ist und dies durch einjährige vergebliche Bemühungen um eine Arbeitsstelle bewiesen hat. Nur bei diesen Fallumständen erscheint die Vermutung, von der das Gesetz in § 1248 Abs. 2 RVO ausgeht, gerechtfertigt, nämlich daß der Versicherte wegen seines Alters einen ausreichenden Arbeitserwerb nicht mehr findet (BSG SozR Nr. 43 zu § 1248 RVO). Um sicher zu gehen, daß die Spanne von einem Jahr erfolgloser Arbeitsplatzsuche voll gewahrt ist, muß der Tatbestand der Arbeitslosigkeit zu Anfang dieses Jahres - an seinem ersten Tag - uneingeschränkt verwirklicht sein (BSG 25, 105).

Dafür, daß der Versicherte das zur Erfüllung dieses Tatbestandes seinerseits Erforderliche getan hat, erscheint seine Meldung beim Arbeitsamt, und zwar noch vor oder unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der Beschäftigung, als der vorzüglichste, wenn auch nicht notwendig einzige Weg. An die Meldung als dem erkennbaren Zeichen für die innere Einstellung des Versicherten wird sich der Rentenversicherungsträger halten können, wenn ihm keine anderen Belege geliefert werden. Für die hier zu treffende Entscheidung kann dahinstehen, wie die Gegebenheiten sein müssen, welche die Anzeige an die zuständige Dienststelle der Arbeitsverwaltung ersetzen können. Für eine solche Sachlage ergeben die getroffenen Feststellungen keinen Anhalt. Hier ist hingegen zu erörtern, ob der spätere Geschehensablauf die Folgerung erlaubt, daß der Versicherte nicht erst am 3. Februar 1970, sondern zugleich mit dem Verlust der Arbeitsstelle - am 31. Januar 1970 - zur Übernahme einer anderen - ihm zumutbaren - Beschäftigung bereit war. Nur, wenn dieser Schluß gezogen werden darf, hätte die einjährige Arbeitslosigkeit mit dem Tage geendet, der nach seiner Zahl dem Tage des Ausscheidens aus dem letzten Arbeitsverhältnis, also dem 31. Januar, entspräche (§ 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - sinngemäß). Da das zuständige Arbeitsamt nicht am Sonntag, dem 1. Februar 1970, dienstbereit war, hätte es genügt, wenn der Kläger sich dort am folgenden Montag eingefunden hätte (entsprechend § 105 AFG). Die Rückbeziehung der Arbeitsbereitschaft vom 3. Februar 1970 auf das Ende des Monats Januar dieses Jahres bedarf weiterer Rechtfertigung. Eine solche Rückbeziehung könnte angebracht sein, wenn der Kläger aus Gründen, die von ihm nicht zu verantworten sind, vorher an der Arbeitslosmeldung gehindert gewesen sein sollte (vgl. BSG 20, 46, 47). Ob als ein solcher Grund auch angesehen werden könnte, daß dem Versicherten eine angemessen kurze Überlegungsfrist zuzubilligen wäre - wenn beispielsweise die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zweifelhaft wäre -, kann auf sich beruhen. Hier war das Ende des Arbeitsverhältnisses vorhergesehen und von den Beteiligten vereinbart worden. Die spätere Meldung des Klägers müßte aus anderen zwingenden Gesichtspunkten heraus vertretbar erscheinen.

In dieser Richtung fehlt es an den nötigen tatsächlichen Feststellungen. Damit diese nachgeholt werden können, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen (§ 170 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Dem LSG obliegt auch die Entscheidung über die Pflicht zur Erstattung der Kosten für die Revisionsinstanz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669336

BSGE, 85

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