Entscheidungsstichwort (Thema)
Form und Inhalt von Beitragsbescheiden
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung der Einzugsstelle über die Beitragspflicht des Arbeitgebers (RVO § 393 Abs 1, RVO § 1396 Abs 1) setzt notwendig eine Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht bestimmter, namentlich bezeichneter Beschäftigter voraus.
Leitsatz (redaktionell)
Die Entscheidung der Einzugstelle über die Beitragspflicht eines Arbeitgebers setzt voraus, daß zuvor die Versicherungspflicht der vom Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer festgestellt worden ist und die für die Beitragsberechnung relevanten Daten bekannt sind; ein Beitragsbescheid, der eine aus Lohnsummen berechnete Beitragsforderung zum Gegenstand hat und nicht erkennen läßt, auf welche Arbeitnehmer die Beiträge im einzelnen entfallen, ist inhaltlich zu unbestimmt und unvollständig und daher rechtswidrig. 2. In einem solchen Falle kommt eine Zurückverweisung durch das Revisionsgericht (BSG) an das Berufungsgericht (LSG) zur etwaigen weiteren Aufklärung der für die Versicherungspflicht - als Voraussetzung für die Beitragspflicht - wesentlichen Merkmale nicht in Betracht.
Normenkette
RVO § 393 Abs. 1, § 1396 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1399 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; SGG § 170 Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. September 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für Arbeiter, die ihr von der Firma H, R, zur Verfügung gestellt worden waren, Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat.
Die Klägerin traf mit der Firma H am 17. Februar 1969 eine schriftliche Vereinbarung, aufgrund welcher in der Zeit vom 17. Februar bis 25. April 1969 eine unbestimmte Anzahl von - auch namentlich nicht bekannten - Arbeitern auf der Airport-Baustelle der Klägerin in F tätig wurden.
Mit Schreiben vom 8. Mai 1969 gab die Niederländische Vereeniging van Raden van Arbeid dem Bundesverband der Ortskrankenkassen die Anschrift des Inhabers der Firma H, Herrn G, in der Bundesrepublik Deutschland bekannt und teilte außerdem mit, daß Herr G in den Niederlanden nicht als Arbeitgeber eingetragen sei. Die Bemühungen der Beklagten, sich mit Herrn G in Verbindung zu setzen, blieben ohne Erfolg. Hierauf forderte die Beklagte von der Klägerin - unter Zugrundelegung der von der Firma H in Rechnung gestellten 1577,5 Arbeitsstunden - Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2.133,41 DM mit der Begründung, der Inhaber der Firma H könne nicht als Unternehmer angesehen werden, weil er als Subunternehmer lediglich Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt habe, die in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen und daher als deren Arbeitnehmer zu behandeln seien (Bescheid vom 18. Juni 1970, Widerspruchsbescheid vom 9. November 1970).
Im Klageverfahren trug die Klägerin vor, es habe sich ausschließlich um Arbeitnehmer der Firma H gehandelt. Sie seien nicht in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen und hätten auch keine Arbeitspapiere erhalten. Direktor G von der Firma H habe den leitenden Herren der Klägerin mehrfach versichert, daß diese Arbeitnehmer auch in Holland sozialversichert würden. Die Firma H sei im Handelsregister in Rotterdam als Firma für Isolierungen eingetragen. Die Beklagte trug demgegenüber vor, daß Herr G während des streitigen Zeitraums nicht als Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinn in Holland anerkannt gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 7. Dezember 1971). Das Landessozialgericht (LSG) gab der Berufung der Klägerin statt. Es nahm anhand der vertraglichen Vereinbarung vom 17. Februar 1969 an, daß Herr G nicht der Verleiher der holländischen Arbeitskräfte, sondern deren Arbeitgeber gewesen sei (Urteil vom 28. September 1972).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine unrichtige Anwendung von § 393 Abs. 1, § 1396 Abs. 1 und § 1399 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des § 176 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Sie ist der Auffassung, die Klägerin sei der Arbeitgeber der von Herrn G lediglich vermittelten Arbeiter gewesen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Hessischen LSG vom 28. September 1972 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Frankfurt (Main) vom 7. Dezember 1971 zurückzuweisen;
hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 1) - Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen - beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie stimmt im wesentlichen den Ausführungen der Beklagten in der Revisionsbegründung zu.
Die Beklagte zu 2) - Bundesanstalt für Arbeit - schließt sich - ohne ausdrückliche Antragstellung - ebenfalls den Ausführungen der Beklagten in der Revisionsbegründung an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat im Ergebnis zu Recht den von der Klägerin angefochtenen Beitragsbescheid der Beklagten aufgehoben.
Da der Inhaber der Firma H, Herr G, nach den Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum in den Niederlanden nicht als Arbeitgeber eingetragen war, ist sowohl die Beklagte als auch das LSG davon ausgegangen, daß die von ihm der Klägerin zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Sozialversicherungsrecht unterlagen. Die Beitragspflicht der Klägerin hängt danach davon ab, ob die in der Zeit vom 17. Februar bis 25. April 1969 für die Klägerin tätig gewesenen Arbeiter in der Krankenversicherung, der Arbeiterrentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung auch versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind (so die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. ua die Urteile vom 1. März 1972 - 12/3 RK 43/69 - in DAngVers 1972, 211, vom 27. September 1972 - 12 RK 11/72 - in SozR Nr. 71 zu § 165 RVO und 12/3 RK 31/71 in SozR Nr. 7 zu § 2 AVG sowie vom 17. Mai 1973 - 12 RK 9/72 - in SozR Nr. 10 zu § 2 AVG). Die Beitragspflicht ist somit zwingende Rechtsfolge der Versicherungspflicht (vgl. auch BSG vom 27.9.1961 - 3 RK 74/59 - in SozR Nr. 2 zu § 1399 RVO). Dementsprechend ist in § 393 Abs. 1, § 1396 Abs. 1 RVO, deren Verletzung von der Revision gerügt wird, bestimmt, daß die Arbeitgeber die Beiträge "für ihre Versicherungspflichtigen" bzw. "für versicherungspflichtige Beschäftigte" zu entrichten haben. Der Entscheidung über die Beitragspflicht des Arbeitgebers muß daher die für die Feststellung der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit im Einzelfall maßgebliche Subsumierung des Sachverhalts unter die gesetzlichen Tatbestände der §§ 165, 1227 RVO, § 56 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - (in der bis zum 30. Juni 1969 geltenden Fassung) oder unter die Ausnahmetatbestände der §§ 168 ff, 1228 f RVO, § 57 f AVAVG vorausgehen. Für den Bereich der Rentenversicherung bestimmt insoweit § 1399 Abs. 3 RVO ausdrücklich, daß der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung - als Einzugsstelle der vom Arbeitgeber zu entrichtenden Beiträge - über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe zu entscheiden und hierüber den erforderlichen Verwaltungsakt zu erlassen hat (vgl. zu letzterem BSG vom 17.12.1964 - 3 RK 51/60 - in SozR Nr. 7 zu § 1399 RVO).
Die somit für die Beitragspflicht der Klägerin notwendige Entscheidung der Beklagten über die Versicherungspflicht bestimmter Beschäftigter fehlt indes im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides lediglich eine aus Lohnsummen berechnete Beitragsforderung gegen die Klägerin erhoben und nicht mitgeteilt, welche versicherungspflichtige Beschäftigte im Einzelfall die Beiträge betreffen. Im angefochtenen Bescheid werden lediglich pauschal und ohne Namensnennung die von der Firma H der Klägerin in der Zeit vom 17. Februar bis 25. April 1969 für Montagearbeiten zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte erwähnt. Der Widerspruchsbescheid spricht insoweit ebenfalls nur unbestimmt - d. h. ohne Angabe von Personalien - von den holländischen Arbeitern bzw. Arbeitnehmern. Daraus ist nicht ersichtlich, wer im einzelnen gearbeitet hat, wie hoch der Arbeitsverdienst des jeweiligen Arbeitnehmers gewesen ist, auf wieviele Beschäftigte sich die allein festgestellte Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden verteilt hat und schließlich wie lange und ggf. wie oft der einzelne Arbeiter in der streitigen Zeit beschäftigt war.
Es kann deswegen nicht ausgeschlossen werden, daß die Beschäftigungen der Arbeitnehmer zumindest teilweise versicherungsfrei nach den bereits genannten Ausnahmevorschriften gewesen sind, zumal der streitige Gesamtzeitraum nicht einmal drei Monate umfaßt (vgl. insoweit insbesondere § 168 Abs. 1 und 2, § 1228 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 RVO und BSG vom 29.4.1971 - 3 RK 84/70 in BSG 32, 268). Auch ist es denkbar, daß einzelne Arbeitnehmer eine im streitigen Zeitraum beim gleichen Arbeitgeber wiederholte unständige Beschäftigung im Sinne von § 441 RVO ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG vom 13.2.1962 - 3 RK 2/58 - in SozR Nr. 1 zu § 441 RVO) mit der Folge, daß die Klägerin insoweit schon aus diesem Grunde als Beitragsschuldner der Beklagten für die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge nicht in Betracht käme (vgl. § 453 RVO und § 1396 Abs. 2 RVO in der bis zum 31. Dezember 1969 geltenden Fassung). Nach dem im streitigen Zeitraum noch gültig gewesenen § 67 AVAVG hätte dann in der Arbeitslosenversicherung ohnehin Versicherungsfreiheit bestanden.
Da nach alledem die Entscheidung über die Versicherungspflicht der Beschäftigten als Grundlage für die Beitragsforderung an die Klägerin fehlt, der angefochtene Bescheid jedenfalls nicht erkennen läßt, auf welchen Sachverhalt er sich insoweit bezieht, ist der Bescheid inhaltlich zu unbestimmt und unvollständig. Er ist wegen dieser Mängel fehlerhaft und rechtswidrig.
Anders als im Falle der verbundenen Aufhebungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG (vgl. hierzu BSG 2, 94; 9, 285, 288; 19, 112, 113) können die Tatsachengerichte bei der hier vorliegenden Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG ihre Ermittlungen auf die im angefochtenen Bescheid als rechtserheblich angesehenen Umstände beschränken, weil anderenfalls die Gerichte entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung unangemessen in die Funktion der Verwaltung eingreifen müßten und dabei den angefochtenen Verwaltungsakt auf eine neue Grundlage stellen würden, was dem Erlaß eines neuen Bescheides gleichkäme (vgl. hierzu BSG vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 in BSG 9, 277, 280; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl., Rd. Nr. 62, 62 a zu § 113). Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur etwaigen Aufklärung der für die Versicherungspflicht - als Voraussetzung für die Beitragspflicht - wesentlichen Merkmale kommt daher nicht in Betracht. Vielmehr ist der angefochtene rechtswidrige Bescheid aufzuheben. Im übrigen ist nach den von der Revision nicht angegriffenen und somit für den erkennenden Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellung des LSG "Anzahl und Identität" der aufgrund des Vertrags vom 17. Februar 1969 für die Klägerin im streitigen Zeitraum tätig gewesenen Arbeiter ohnehin nicht mehr zu ermitteln. Damit läßt sich auch nicht mehr aufklären, ob und inwieweit eine zur Beitragspflicht der Klägerin führende Versicherungspflicht von namentlich bezeichneten Beschäftigten im streitigen Zeitraum bestanden hat.
Die Folgen dieser Ungewißheit sind nach den im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren geltenden Grundsätzen der objektiven Beweislast von der Beklagten zu tragen, weil sie nur aus den für die Frage der Versicherungspflicht notwendigen, aber nicht mehr möglichen Tatsachenfeststellungen ihr Recht auf Beitragsentrichtung durch die Klägerin herleiten könnte (vgl. hierzu BSG vom 31.10.1969 - 2 RU 40/67 in BSG 30, 121, 123 mit weiteren Nachweisen). Ob eine sog. Umkehrung der Beweislast eingetreten wäre, wenn die Klägerin im vorhergehenden Verwaltungsverfahren durch ihr Verhalten die für die Feststellung der Versicherungspflicht der Beschäftigten erforderlichen Tatsachen schuldhaft vereitelt hätte (vgl. hierzu BSG vom 29.9.1965 - 2 RU 61/60 - in BSG 24, 25 ff und BSG vom 29.1.1970 - 5 RKn 63/67 - in SozR Nr. 127 zu § 54 SGG), kann dahingestellt bleiben. Derartiges wird weder von der Revision vorgetragen noch besteht hierfür nach dem vorliegenden Inhalt der beigezogenen Beitragsakte ein Anhalt.
Der Revision der Beklagten muß nach alledem der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen