Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 28.03.1996; Aktenzeichen S 11/Ar-657/94) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. März 1996 – Az.: S 11/Ar-657/94 – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Das Verfahren betrifft die Gewährung von Schlechtwettergeld (SWG) für die jeweils erste Stunde der im Januar 1994 bei der Beigeladenen zu 1 ausgefallenen Arbeitstage.
Die Beigeladene zu 1 und der Kläger beantragten am 23. Februar 1994 die Bewilligung von SWG in Höhe von 38.034,64 DM für einen im Lohnabrechnungszeitraum vom 1. bis 31. Januar 1994 eingetretenen Arbeitsausfall. Das Arbeitsamt bewilligte SWG lediglich in Höhe von 32.121,12 DM, weil für die jeweils erste Stunde an einem Ausfalltag (Karenzstunde) kein Anspruch auf SWG bestehe (Bescheid vom 4. März 1994). Der Widerspruch, mit dem der Kläger – unter Bezugnahme auf ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. H. – geltend machte, die Außerachtlassung der ersten Ausfallstunde gemäß § 85 Abs 5 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) beinhalte einen verfassungswidrigen enteignungsgleichen Eingriff und die Bezieher von SWG würden gegenüber den Empfängern von Arbeitslosengeld (Alg) und Kurzarbeitergeld (Kug) ungleich behandelt, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. März 1996) und zur Begründung ausgeführt, dem geltend gemachten Anspruch stehe § 85 Abs 5 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift sei nicht verfassungswidrig, da sie weder gegen Art 14 Grundgesetz (GG) noch gegen Art 3 Abs 1 GG noch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung der Art 3, 14 und 20 GG. Er ist der Auffassung, der Anspruch auf SWG unterfalle dem Schutzbereich des Art 14 GG. Entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für die Qualifizierung als eigentumsgeschützte Rechtsposition geforderten Kriterien beruhe das SWG auf erheblichen Eigenleistungen der Versicherten und diene der Existenzsicherung. Darauf, daß die Anspruchsberechtigung nicht von der Erfüllung einer Wartezeit abhänge, komme es nicht an. Hinsichtlich des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsprinzips fehle es bereits an der Geeignetheit der in § 85 Abs 5 AFG bestimmten Karenzstunde zur Erreichung des gesetzlichen Ziels. Der Gesetzgeber habe möglicherweise in erster Linie beabsichtigt, die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes zu einem neuen Tarifabschluß mit einem „verstetigten” Monatseinkommen der Bauarbeiter zu bewegen. Der Tarifvertrag (TV), der erstmals einen Ganzjahreslohn garantiere, sei zwar im September 1995 mit Wirkung ab 1. Januar 1996 vereinbart worden; doch sei es aufgrund der erst im Dezember 1993 beschlossenen Einführung der Karenzstunde von vornherein unmöglich gewesen, die Einkommensausfälle der Monate Januar bis März 1994 tarifvertraglich auszugleichen. An der Erforderlichkeit des gesetzlichen Eingriffs mangele es ebenfalls. Nicht die Einführung der Karenzstunde, sondern die Abschaffung des SWG nach 1995 habe die Tarifvertragsparteien zum Abschluß eines neuen TV veranlaßt. Schließlich sei die Maßnahme unzumutbar, weil sie Arbeitnehmer des Baugewerbes getroffen habe, die nur über ein relativ geringes Einkommen verfügt hätten, und führe zu einer Ungleichbehandlung der SWG-Bezieher gegenüber den Empfängern von Alg und Kug. Wenn eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift nicht möglich sei, müsse eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 GG erfolgen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1994 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Beigeladene zu 1 SWG für die jeweils erste Stunde an jedem Ausfalltag des Abrechnungszeitraums Januar 1994 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Die Beigeladenen haben sich weder zur Sache geäußert noch Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Verfahrensverstöße, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten sind, liegen nicht vor. Insbesondere ist der Kläger im Hinblick auf sein Mitbestimmungsrecht als Betriebsrat befugt, das bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen materiell den Arbeitnehmern der Beigeladenen zu 1 zustehende, aber an die Arbeitgeberin auszuzahlende SWG (vgl im Ergebnis BSG SozR 4100 § 68 Nr 3) als Prozeßstandschafter einzuklagen (vgl nur BSG SozR 1500 § 144 Nr 33 mwN); jedoch war – wie geschehen – die Arbeitgeberin gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen (vgl Bieback in Gagel, AFG, Stand Januar 1996, § 88 Rz 12 iVm § 72 Rz 67). Denn wenn bei einer Klage des Arbeitgebers der Betriebsrat notwendig beizuladen ist (BSG aaO), so kann im Fall einer Klage des Betriebsrats für den Arbeitgeber nichts anderes gelten (im Ergebnis BSG SozR 4100 § 68 Nr 3). Es ist schließlich verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, daß das SG einen einzelnen betroffenen Arbeitnehmer einfach beigeladen hat (§ 75 Abs 1 SGG), selbst wenn kein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt (BSG SozR 4100 § 86 Nr 1); das Problem, an Stelle aller nur einzelne beizuladen (vgl hierzu BSGE 48, 238, 241 = SozR 2200 § 245 Nr 3), stellt sich dabei nicht.
In der Sache reichen die tatsächlichen Feststellungen des SG nicht für die Beurteilung der Frage aus, ob die Beklagte SWG für die jeweils erste Stunde der im Abrechnungszeitraum Januar 1994 ausgefallenen Arbeitstage zu gewähren hat.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt sind die Vorschriften der §§ 83 ff AFG (idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms ≪1. SKWPG≫ vom 21. Dezember 1993 – BGBl I 2353). Danach hängt die Gewährung von SWG vom Vorliegen allgemeiner, betrieblicher und persönlicher Voraussetzungen ab.
Die allgemeinen Voraussetzungen sind in § 83 AFG geregelt. Danach wird Arbeitern in Betrieben des Baugewerbes bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall in der Schlechtwetterzeit (vgl hierzu § 75 Abs 2 Nr 2 AFG idF des 1. SKWPG und des Gesetzes zur Änderung des AFG im Bereich des Baugewerbes vom 20. September 1994 – BGBl I 2456) SWG gewährt, wenn
- in dieser Zeit das Arbeitsverhältnis nicht aus Witterungsgründen gekündigt werden kann,
- bei Arbeitsausfall unbeschadet des Anspruchs auf Urlaub eine Anwartschaft auf Lohnausgleich für einen zusammenhängenden Ausgleichszeitraum, der mindestens die Zeit vom 25. Dezember bis 1. Januar umfaßt, gewährleistet ist.
Die betrieblichen Voraussetzungen ergeben sich aus § 84 Abs 1 AFG und sind erfüllt, wenn
- der Arbeitsausfall (im Betrieb) ausschließlich durch zwingende Witterungsgründe verursacht ist,
- an einem Arbeitstag mindestens zwei Stunden der Arbeitszeit iS des § 69 AFG ausfallen (Ausfalltag).
Wann zwingende Witterungsgründe vorliegen, bzw wann der Arbeitsausfall nicht ausschließlich durch zwingende Witterungsgründe verursacht ist, bestimmt § 84 Abs 2 AFG.
Die persönlichen Voraussetzungen schließlich, die für jeden einzelnen der bei der Beigeladenen zu 1 tätig gewordenen Arbeitnehmer gesondert zu prüfen sind, finden sich in § 85 AFG. Nach dessen Abs 1 hat Anspruch auf SWG (nur), wer
- bei Beginn des Arbeitsausfalles auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz als Arbeiter in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 Abs 1 AFG) steht,
- infolge des Arbeitsausfalles für die Ausfallstunden kein Arbeitsentgelt bezieht (vgl insoweit aber Nr 2 Sätze 2 und 3).
Der Anspruch auf SWG besteht nur für Tage, an denen das Arbeitsverhältnis fortbesteht (Abs 2 Satz 1; zur Situation bei gekündigtem Arbeitsverhältnis vgl § 85 Abs 2 Satz 2 AFG), und nur für Ausfallstunden, die zusammen mit Zeiten, für die Arbeitsentgelt gezahlt wird oder für die ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, in einem Abrechnungszeitraum (von mindestens vier Wochen – § 85 Abs 3 Satz 2 AFG) die Arbeitszeit iS des § 69 AFG nicht überschreiten (Abs 3 Satz 1). Der Anspruch auf SWG besteht nicht für Tage, an denen die Arbeit (für den Arbeitnehmer selbst) aus anderen als zwingenden Witterungsgründen ausfällt, insbesondere nicht für Zeiten des Urlaubs und für gesetzliche Feiertage, für Zeiten, für die ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, sowie für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer eine andere nicht nur kurzzeitige Beschäftigung ausübt (Abs 4 Satz 1). Schließlich besteht nach Abs 5, eingefügt mit Wirkung ab 1. Januar 1994, ein Anspruch auf SWG nicht für die jeweils erste Stunde an einem Ausfalltag (Karenzstunde).
Vorliegend hat das SG – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – weder zu den allgemeinen noch zu den betrieblichen und den persönlichen Voraussetzungen tatsächliche Feststellungen getroffen, sondern bei den persönlichen Voraussetzungen nur die Verfassungsmäßigkeit des § 85 Abs 5 AFG bejaht und deshalb SWG für die Karenzstunde abgelehnt. Insbesondere enthält das angefochtene Urteil keine Tatsachenfeststellungen zur Frage der sog Arbeitszeitsaldierung iS des § 85 Abs 3 Satz 1 AFG (vgl dazu BSG, Urteil vom 13. Mai 1981 – 7 RAr 12/80 –, DBlR Nr 2635a zu § 86 AFG). Danach muß beim SWG sowohl eine auf den Ausfalltag als auch eine auf den Lohnabrechnungszeitraum abgestellte Prüfung vorgenommen werden, ob die Ausfallstunden zusammen mit Entgeltstunden die Arbeitszeit iS des § 69 AFG überschreiten (BSG aaO).
Auf die Anspruchsvoraussetzungen käme es nur dann nicht an, wenn § 85 Abs 5 AFG verfassungsgemäß wäre, weil dann ohnedies SWG für die Karenzstunde nicht zu zahlen wäre. Wäre die Regelung hingegen als verfassungswidrig anzusehen, dürfte eine Vorlage an das BVerfG (Art 100 Abs 1 GG; §§ 80 ff des Gesetzes über das BVerfG ≪BVerfGG≫) erst erfolgen, wenn die Entscheidungserheblichkeit feststünde (§ 80 Abs 2 Satz 1 BVerfGG), also ua alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des SWG vorlägen.
Über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift kann der Senat indes nicht abschließend befinden. Zwar bestehen Bedenken, auf die der Senat bereits in seiner Stellungnahme an das BVerfG vom 12. Februar 1996 (7 S ≪Ar≫ 16/95) hingewiesen hat; für eine Vorlage an das BVerfG müßte er jedoch von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sein. Hierfür bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen, die der Senat dem SG überläßt (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil es sich insoweit nicht nur um (generelle) Tatsachen handelt, die der Senat selbst ermitteln dürfte, sondern auch um solche individueller Art, deren Feststellung ohnedies den Instanzgerichten vorbehalten ist.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einführung der sog Karenzstunde, die sich (wegen der weiteren Neuregelungen ab 1. Januar 1996) nur in den Jahren 1994 und 1995 auswirkt, ergeben sich aus den dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) zuzuordnenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes sowie dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG). Offenbleiben kann, ob der SWG-Anspruch selbst oder die Rechtsposition der Arbeitnehmer vor seiner Entstehung der Eigentumsgarantie des Art 14 GG unterfällt (beides bejahend: Bieback in Gagel, aaO, Vor § 74 (A) Rz 41 iVm Vor § 63 Rzn 161 ff); denn selbst wenn dies zuträfe, wären bei der Prüfung einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung die gleichen Gesichtspunkte zu beachten wie bei einem Rückgriff auf Art 20 Abs 3 GG, dessen Verletzung über Art 2 Abs 1 GG gerügt werden kann (BVerfGE 80, 137, 153 mwN).
Ob die zum 1. Januar 1994 eingeführte Karenzstunde (§ 85 Abs 5 AFG) dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Vertrauensschutzprinzip und dem Gleichheitssatz Rechnung trägt, vermag der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen gegenwärtig noch nicht zu beurteilen.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist gewahrt, wenn eine Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich ist und die Betroffenen nicht übermäßig und in für sie unzumutbarer Weise belastet (vgl nur BVerfGE 76, 220, 238 mwN).
Die Geeignetheit zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, das den Gesetzesmaterialien zum 1. SKWPG zu entnehmen ist, kann der Vorschrift des § 85 Abs 5 AFG nicht abgesprochen werden. Nach dem Entwurf der Bundesregierung (vgl BT-Drucks 12/5502 S 1, 19 ff) sollte mit dem 1. SKWPG einer veränderten Wirtschaftsentwicklung und den hiermit verbundenen Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte gegengesteuert werden, weil bei der Beklagten für das Jahr 1994 ein Defizit in Höhe des bereits 1993 gewährten Bundeszuschusses von 18 Mrd DM zu erwarten war. Darüber hinaus war nach einer Steuerschätzung vom Mai 1993 mit konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen für 1994 in Höhe von insgesamt etwa 46 Mrd DM zu rechnen. Um einem daraus resultierenden erheblichen Anstieg der Nettokreditaufnahme des Bundes entgegenzuwirken und die Haushalte des Bundes sowie der Beklagten zu entlasten, sah sich der Gesetzgeber zu einer Vielzahl von konsolidierenden Maßnahmen veranlaßt (BSGE 76, 162, 174 f = SozR 3-4100 § 112 Nr 22).
Hierzu gehörte die zunächst vorgesehene – völlige – Streichung des SWG ab 1. April 1994. Daß der Gesetzgeber die Tarifvertragsparteien in diesem Zusammenhang zu einem neuen Tarifabschluß bewegen wollte, ändert nichts an der Zielsetzung: Neue tarifliche Rahmenbedingungen sollten vielmehr gerade zu einer dauerhaften Konsolidierung beitragen. Diesem Sparkonzept folgt auch die Karenzstunde. In die Diskussion ist eine Kürzung des SWG zwar erst im Ausschußverfahren im Oktober 1993 gekommen (vgl BT-Drucks 12/5929). Mit einem Kompromiß, der den Wegfall des SWG erst zum 1. März 1996, dafür aber die Verkürzung der Schlechtwetterzeit auf die Zeit vom 1. Dezember bis Ende Februar, das Erfordernis eines Mindestausfalls von zwei Arbeitsstunden an einem Arbeitstag und die Einführung einer Karenzstunde beinhaltete, sollte jedoch die notwendige Einsparsumme erhalten und den Tarifpartnern nunmehr genug Zeit gegeben werden, die Probleme einer ganzjährigen Beschäftigung und Entlohnung in einem neu abzuschließenden Rahmenvertrag zu regeln (vgl BT-Drucks 12/5929 S 11 zu Art 1 Nr 25).
Ob sich die Annahme des Gesetzgebers, die gefundene Kompromißlösung werde zu den prognostizierten Einsparungen führen, realisiert hat, mag angesichts der aktuellen Entwicklung in der Baubranche bezweifelt werden. Darauf kommt es indes nicht an. Denn dem Gesetzgeber ist nach der Rechtsprechung des BVerfG insoweit ein erheblicher Prognosespielraum zu belassen (BVerfGE 50, 290, 332; 57, 139, 159); bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Geeignetheit ist deshalb Zurückhaltung zu wahren (BVerfGE 47, 109, 117 mwN). Letztlich ist nur zu beurteilen, ob die gesetzgeberische Maßnahme objektiv untauglich oder schlechthin ungeeignet war (BVerfGE 47, 109, 117; 65, 116, 126). Dies kann vorliegend jedenfalls nicht angenommen werden; der Gesetzgeber durfte vielmehr darauf bauen, daß ein neues tarifvertragliches Konzept eine tragfähige Lösung bieten werde.
Die Einführung der Karenzstunde war auch erforderlich; denn es war nicht evident, daß zur Erreichung des angestrebten Ziels ein gleich wirksames, die Betroffenen aber weniger belastendes Mittel hätte eingesetzt werden können (vgl zu dieser Voraussetzung: BVerfGE 75, 78, 100 f; 81, 70, 90 f). Dies verdeutlicht gerade der Umstand, daß die gewählte Lösung einen Kompromiß darstellt; der Gesetzgeber hat also eine möglichst wenig einschneidende Maßnahme angestrebt. Dabei kann offenbleiben, ob die Einführung der Karenzstunde zusammen mit den weiteren Kompensationsmaßnahmen in etwa den gleichen Spareffekt hatte, wie dies bei einer Streichung des SWG zum 1. April 1994 der Fall gewesen wäre, oder ob der Gesetzgeber zumindest von einer Vergleichbarkeit der Einsparsummen ausgehen durfte. Jedenfalls war der vorgesehene Einspareffekt nicht so unwesentlich, daß sich der Schluß aufdrängen müßte, die Maßnahme sei nicht mit dem Ziel der Haushaltsentlastung getroffen worden (vgl BVerfGE 76, 220, 241 mwN). Dabei ist die Erforderlichkeit nicht retrospektiv, sondern nach dem Erkenntnisstand des Gesetzgebers bei Erlaß des Gesetzes zu beurteilen (BVerfGE 76, 220, 242 mwN). Daß die Einsparungen durch Kürzungen in anderen Bereichen hätten bewirkt werden können, darf dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht vorgehalten werden; denn derartige Entscheidungen liegen in dessen Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 76, 220, 240 f; BSGE 76, 162, 176 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22).
Zweifelhaft ist allerdings, ob die Einführung der Karenzstunde das im Verhältnismäßigkeitsprinzip enthaltene Übermaßverbot verletzt. Das ist der Fall, wenn das Maß der Belastung außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den hinzunehmenden Einbußen steht (BVerfGE 80, 297, 312 mwN) oder wenn – anders gewendet – bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt ist (BVerfGE 83, 1, 19 mwN).
Insoweit besteht unter zweierlei Gesichtspunkten Klärungsbedarf. Einerseits setzt eine endgültige Entscheidung über die Angemessenheit der gesetzlichen Neuregelung noch tatsächliche Feststellungen über das Ausmaß der Belastungen der SWG-Empfänger voraus. Andererseits mißt sich die Zumutbarkeit der Belastung daran, ob die Einführung der Karenzstunde für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1994 – der Monat März 1994 wurde durch das Gesetz zur Änderung des AFG im Bereich des Baugewerbes rückwirkend in die Schlechtwetterzeit wieder einbezogen – mit dem Gedanken der Rechtssicherheit bzw des Vertrauensschutzes vereinbar ist; hierzu sind ebenfalls weitere Ermittlungen erforderlich.
Zum Ausmaß der Belastungen hat das SG lediglich ausgeführt, die Verringerung des SWG habe sich bei einer Fünf-Tage-Woche, einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Stundenlohn von 20,00 bis 23,00 DM im ungünstigsten Falle auf 12,5 vH bzw 40,00 DM pro Woche belaufen. Diese Ausführungen machen nicht deutlich, ob das erstinstanzliche Gericht auf die Situation der bei der Beigeladenen zu 1 betroffenen Arbeitnehmer oder auf die vom SWG allgemein betroffenen Arbeitnehmer abgestellt hat. Da Zumutbarkeitsgesichtspunkte indes bei pauschalierender Betrachtung der Betroffenheit aller SWG-Empfänger (in der Zeit vom Januar bis März 1994) gewahrt sein könnten, selbst wenn einzelne Arbeitnehmer in der gesamten Zeit oder aber in Teilzeiträumen stärker belastet sein sollten, müßten die Auswirkungen des 1. SKWPG auf die SWG-Empfänger überhaupt ermittelt werden, bevor das konkrete Ausmaß der Belastungen (unter Einbeziehung aller Bezüge und Ausgleichsleistungen) der bei der Beigeladenen zu 1 betroffenen Arbeitnehmer herangezogen wird.
Dabei reicht es nicht aus, wie das SG auf eine prozentuale Verringerung der Bezüge abzustellen; denn je nach Ausgangsbetrag könnte auf diese Weise ein Grenzwert unterschritten werden, bei dem eine unzumutbare Belastung in jedem Falle anzunehmen wäre. Wo dieser Grenzwert liegt, ob er insbesondere in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Kürzung des Alg (vgl: BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 12; BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 66/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) im Existenzminimum zu sehen ist, läßt der Senat gegenwärtig noch offen; gleiches gilt für die Frage, inwieweit sich eine eventuell höhere Belastung der bei der Beigeladenen zu 1 betroffenen Arbeitnehmer gegenüber der der SWG-Empfänger allgemein auf die Frage der Unzumutbarkeit auswirken würde. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine besondere Bedeutung gewinnt; auf einen vom Belastungsausmaß abhängigen Zumutbarkeitsschwellenwert kann nämlich verzichtet werden, wenn die Einführung der Karenzstunde den Vertrauensschutzgrundsatz verletzt und die dadurch bedingten Mindereinnahmen der betroffenen Arbeitnehmer jedenfalls nicht völlig unbedeutend sind.
Der Gesetzgeber mißachtet den Vertrauensschutz, wenn der Betroffene mit dem gesetzlichen Eingriff nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage höher zu bewerten ist als das Interesse der Allgemeinheit (vgl BVerfGE 72, 175, 196 mwN); ggf ist eine angemessene Übergangsregelung zu treffen. Im vorliegenden Zusammenhang ist den von den Neuregelungen des SWG betroffenen Arbeitnehmern jedenfalls für die laufende Wintersaison 1993/94 ein erhöhter Vertrauensschutz zuzubilligen, weil der Gesetzgeber im Hinblick auf die lange Tradition dieser Leistung und die enge Verknüpfung arbeits-, insbesondere tarifvertraglicher, und gesetzlicher Regelungen nicht kurzfristig, ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit einer Anpassung von Tarifverträgen und ohne Abstimmung mit den Tarifpartnern des Baugewerbes die bestehende Rechtslage ändern durfte. Ob es sich dabei um ein Problem der unechten Rückwirkung handelt (vgl: BVerfGE 68, 287, 307; 72, 141, 154 mwN), kann dahinstehen.
Vor Einführung des SWG durch das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG (2. AVAVGÄndG) vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705) konnte das Arbeitsverhältnis im Baugewerbe regelmäßig mit Rücksicht darauf, daß der Lohn aufgrund einer entsprechenden tariflichen Regelung nicht weitergezahlt werden mußte, beiderseitig ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gelöst werden, wenn die Fortsetzung der Arbeit infolge ungünstiger Witterung in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. März (vgl nur § 2 Nr 5 des Rahmentarifvertrags für das Baugewerbe vom 17. April 1950 idF vom 8. Februar und 10. Dezember 1952 oder § 2 Nr 5 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 6. Juli 1956 ≪BRTV-Bau 1956≫) bzw vom 15. Oktober bis 15. März (Abschn II Nr 2 des TV vom 28. Oktober 1957 zur Änderung des BRTV-Bau 1956) unmöglich war. Die auf diese Weise zur Entlassung der Bauarbeiter berechtigenden tarifvertraglichen Regelungen hatten jedoch zu einer hohen Arbeitslosigkeit in den Wintermonaten geführt, der mit dem 2. AVAVGÄndG entgegengewirkt werden sollte (BT-Drucks III/1240, S 9 ff; Bieback in Gagel, aaO, Vor § 74 (A) Rzn 14 f). Aus diesem Grund wurde die Gewährung des SWG nach dem durch das 2. AVAVGÄndG eingeführten § 143d Abs 1 AVAVG davon abhängig gemacht, daß in der Schlechtwetterzeit aus Witterungsgründen ohne Einhaltung einer Frist nicht gekündigt werden konnte und bei Arbeitsausfall unbeschadet des Anspruchs auf Urlaub eine Anwartschaft auf Lohnausgleich für einen zusammenhängenden Ausgleichszeitraum von mindestens acht Kalendertagen gewährleistet war, in denen die Weihnachtsfeiertage und der Neujahrstag fielen. Im Vorgriff auf diese Regelung waren bereits die tariflichen Regelungen geändert worden (Bieback in Gagel, aaO, Vor § 74 (A) Rz 12); den allgemeinen Voraussetzungen für das SWG wurde in § 2 Nr 5 BRTV-Bau 1956 idF vom 20. August 1959 (BRTV-Bau 1959) Rechnung getragen, wonach eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses infolge ungünstiger Witterung ausgeschlossen war, soweit in die Zeit vom 15. Oktober bis 31. März Schlechtwetterzeiten iS des AVAVG fielen. Darüber hinaus war in § 4 Abschn II des für allgemeinverbindlich erklärten BRTV-Bau 1959 (vgl BAnz 1959 Nr 189 S 2) weiterhin ausdrücklich geregelt, daß der Lohnanspruch entfiel, wenn die Arbeitsleistung infolge ungünstiger Witterung unmöglich wurde. Mit dieser Regelung blieb die aus der Betriebsrisikolehre resultierende gesetzliche Vergütungspflicht für ausgefallene Arbeitsstunden zulässigerweise abbedungen (vgl: BAG AP Nr 31 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; vgl BAG AP Nrn 15 und 33 zu § 615 BGB Betriebsrisiko).
Insgesamt belegt die Entstehungsgeschichte eine Verzahnung der SWG-Regelungen mit den tarifvertraglichen Bestimmungen. Während die Kündigungsmöglichkeit aus witterungsbedingten Gründen wegfiel und der gesetzliche Lohnanspruch bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall tarifvertraglich abbedungen wurde, übernahm die Beklagte korrespondierend dazu das Risiko der Lohnfortzahlung, um auf diese Weise eine einvernehmliche und sozialverträgliche Lösung zu ermöglichen. Dieser enge Verbund zwischen sozialrechtlicher Leistung und arbeitsrechtlichen sowie tarifvertraglichen Regelungen, der sich auch darin dokumentierte, daß die Tarifverträge meist für allgemeinverbindlich erklärt worden sind (vgl Bieback in Gagel, aaO, Vor § 74 (A) Rz 44 und § 83 Rz 9), bestand nach Inkrafttreten des AFG fort (vgl hierzu Bieback in Gagel, aaO, Vor § 74 (A) Rzn 18 ff). Die gesetzlichen Bestimmungen über das SWG bildeten auf diese Weise mit tarifvertraglichen Regelungen ein abgerundetes System zur finanziellen Absicherung der Bauarbeiter in der Schlechtwetterzeit. Dies hat der Gesetzgeber schon in den Motiven zum 2. AVAVGÄndG zum Ausdruck gebracht. Das SWG sollte zur Aufrechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse gewährt werden, um die Tage, an denen aus zwingenden Witterungsgründen nicht gearbeitet werden könne, zu überbrücken, wobei diese Leistung erst im Zusammenhang mit den Vereinbarungen der Tarifpartner ihren Sinn erhalten und wirksam werden sollte (BT-Drucks III/1240 S 11). Selbst der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 1. SKWPG (BT-Drucks 12/5502 S 24) geht noch von dieser Vorstellung aus, wenn auf die Bemühungen der Tarifvertragsparteien um ein Konzept für eine ganzjährige Bautätigkeit verwiesen und in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates betont wird, die Bundesregierung unterstütze die Bemühungen der Tarifvertragsparteien in der Bauwirtschaft zum Abschluß von neuen Tarifverträgen dadurch, daß der vorgesehene Wegfall des SWG im Gegensatz zu anderen, bereits zum 1. Januar 1994 in Kraft tretenden Leistungsänderungen erst nach Ablauf der Schlechtwetterzeit 1993/94 vorgesehen sei (BT-Drucks 12/5871 S 14).
Vor diesem Hintergrund dürfte die Einführung der Karenzstunde mitten in der laufenden Wintersaison 1993/94 die Arbeitnehmer des Baugewerbes unvorbereitet getroffen haben. Denn im Zusammenhang mit dem Entwurf des 1. SKWPG vom 4. September 1993 war von der Einführung der Karenzstunde noch nicht die Rede (BT-Drucks 12/5502 S 8). Vielmehr konnten sich die Betroffenen und die sie vertretenden Tarifvertragsparteien damit wohl frühestens im Oktober 1993 vertraut machen (BT-Drucks 12/5902 S 15 zu Art 1 Nr 25c und BT-Drucks 12/5929). Darüber hinaus trat die neue Regelung vom 29. Dezember 1993 schon zum 1. Januar 1994 ohne Übergangsvorschrift in Kraft (vgl Art 14 Abs 1 des 1. SKWPG; § 242q AFG). Ein abschließendes Urteil darüber, ob der Vertrauensschutz verletzt ist, ist indes erst möglich, wenn das SG geprüft hat, ob, wann und in welcher Form die Tarifpartner als die die Arbeitnehmer iS des Repräsentationsgedankens vertretenden Koalitionen (Art 9 Abs 3 GG) des Baugewerbes in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen waren und ob insbesondere noch tarifvertragliche Reaktionsmöglichkeiten auf die gesetzliche Karenzstundenregelung möglich waren. Wenn der Gesetzgeber selbst in der Vergangenheit aktiv für eine Abstimmung der Regelungen des SWG mit denen der Tarifverträge eingetreten ist und eine gesetzliche Regelung nur unter dieser Voraussetzung als wirksam und sinnvoll bezeichnet hat, dann mußte er dem nicht nur bei der Ersetzung dieses Systems durch ein neues System Rechnung tragen, sondern in gleicher Weise bei einem Eingriff in dieses System, wie es die Einführung einer Karenzstunde mit dem 1. SKWPG bedeutete.
Die betroffenen Arbeitnehmer könnten sich allerdings dann nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn der nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 1. April 1994 vorgesehene Wegfall des SWG während der Ausschußberatungen auf Initiative der Tarifvertragsparteien oder im Einvernehmen mit ihnen auf den 1. März 1996 verschoben und die bereits zum 1. Januar 1994 eingeführten Kürzungen im SWG-Bereich – einschließlich der Karenzstunde – als Ausgleich für die Verschiebung akzeptiert worden wären. Wegen der traditionell kollektivrechtlichen Absicherung der Bauarbeiter im oben bezeichneten Sinne müßten sich diese dann das Verhalten der Tarifvertragsparteien zurechnen lassen (vgl zum Repräsentationsgedanken in anderem Zusammenhang: BSGE 75, 97, 138 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2), und zwar unabhängig davon, ob und welchem TV die Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1 unterfielen. Der tatsächliche Hintergrund des im Ausschußbericht vom 20. Oktober 1993 erwähnten „tragfähigen Kompromisses” bedarf mithin der Aufklärung durch das SG.
Sollte die Einführung der Karenzstunde mit dem Gedanken der Zumutbarkeit und des Vertrauensschutzes nicht in Übereinstimmung zu bringen sein, hat das SG gleichwohl weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen. Denn eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG setzt voraus, daß es auf die Gültigkeit des vom (Fach-)Gericht für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes bei der Entscheidung ankommt. Das ist aber nicht zwangsläufig bei einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift der Fall, sondern nur, wenn die umstrittene Vorschrift in ihrer Anwendung auf den Betroffenen selbst verfassungswidrig ist.
Vorliegend könnte es individuell an einer unzumutbaren Belastung fehlen; es wäre dann allenfalls denkbar, daß die bei der Beigeladenen zu 1 beschäftigten Arbeitnehmer durch eine künftige Änderung der Vorschrift mit begünstigt werden, die wegen der Verfassungswidrigkeit für andere Betroffene erforderlich sein könnte (vgl hierzu: BVerfGE 66, 100 ff; 67, 239 ff). Nur dann, wenn mindestens einer der betroffenen Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1 aus verfassungsrechtlichen Gründen selbst Anspruch auf höheres als das ihm bereits gewährte SWG hätte, käme demnach eine Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits zur Vorlage an das BVerfG in Betracht (vgl BSG SozR 3-5870 § 10 Nr 6).
Zur Beurteilung dieser individuellen Betroffenheit reichen die Ausführungen des SG nicht aus; denn im erstinstanzlichen Urteil ist über die finanzielle Einbuße des einzelnen Arbeitnehmers nichts ausgesagt. Diese kann im Einzelfall minimal und damit verfassungsrechtlich unerheblich sein. Überdies enthält die Leistungsakte der Beklagten Hinweise darauf, daß die Beigeladene zu 1 für die Karenzstunde einen „Ausgleich” bereits ausgezahlt hat. Das SG wird hierzu Feststellungen zu treffen und in diesem Zusammenhang zu klären haben, welcher Art diese Zahlungen waren und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen sie erfolgt sind. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß zwischen der Beigeladenen zu 1 und ihren Arbeitnehmern eine Ausgleichszahlung auch für die Karenzstunde vereinbart worden war, so daß sich eine eventuell fehlende Einbindung der Tarifvertragsparteien in das Gesetzgebungsverfahren schon deshalb nicht ausgewirkt hat; in diesem Zusammenhang wird auch auf § 85 Abs 1 Nr 2 Satz 3 AFG zu achten sein. Selbst wenn eine solche Vereinbarung nicht getroffen sein sollte, die Beigeladene zu 1 jedoch gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern keinen Anspruch auf Rückzahlung der ausgezahlten Beträge hätte, entfiele die verfassungsrechtlich bedeutsame individuelle Betroffenheit dieser Arbeitnehmer.
Da sich die fehlenden Tatsachenfeststellungen auch auf die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 85 Abs 5 AFG unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) auswirken, ist hierüber ebensowenig eine abschließende Entscheidung möglich.
Art 3 Abs 1 GG zieht je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. So unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen einer besonders strengen Bindung (BVerfGE 55, 72, 88; 89, 365, 375; BVerfG, Beschluß vom 11. Januar 1995 – 1 BvR 892/88 –, DB 1995, 1084); sie ist nicht auf unmittelbar personenbezogene Differenzierungen beschränkt, sondern gilt auch dann, wenn – wie hier – eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl nur BSGE 76, 156, 160 f mwN = SozR 3-4100 § 249e Nr 7). Auf diese Weise begrenzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Zulässigkeit generell begründbarer Differenzierungen.
Dies ist auch beim SWG als einer zusätzlichen Sonderleistung für die Bauwirtschaft zu beachten, die nicht nur von Arbeitnehmern und Arbeitgebern der Bauwirtschaft selbst, sondern durch Beiträge aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert wird (§ 167 AFG); hieraus können sich grundsätzlich – insbesondere angesichts der Entstehungsgeschichte und Entwicklung des SWG – unterschiedliche Leistungskürzungen gegenüber dem Alg und dem Kug sowie anderen Leistungen des AFG rechtfertigen. Gleichwohl dürfen diese die SWG-Bezieher nicht unangemessen belasten. Die Frage, ob die im Vergleich zu den Kug-Regelungen (sowie im Vergleich zu den ebenfalls zum 1. Januar 1994 in Kraft getretenen Absenkungen beim Unterhaltsgeld, dem Alg und der Arbeitslosenhilfe) besonders ins Gewicht fallende Karenzstundenregelung (trotz aller sachlichen Unterschiede zu den anderen Leistungsbereichen) zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer führt, wird sich deshalb endgültig erst beantworten lassen, wenn die noch fehlenden Feststellungen zur Zumutbarkeit dieser gesetzlichen Regelung durch das SG ermittelt worden sind.
Schließlich wird das SG bei einer Verfassungswidrigkeit des § 85 Abs 5 AFG und entsprechender individueller Betroffenheit die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen eines SWG-Anpruchs zu treffen haben; außerdem wird es über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen