Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit .
Der 1933 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Einen Beruf hat er nicht erlernt. Seit 1964 arbeitete er in der Bundesrepublik Deutschland als Schlepper, Bauhilfsarbeiter und Müllwerker. Anfang Dezember 1981 wurde er krank und in der Folge u.a. wegen einer septischen Endocarditis bei Aortenklappeninsuffizienz stationär behandelt. Eine Herzoperation wurde durchgeführt. 1984 wurde eine erneute Herzoperation als notwendig erachtet. Seit seiner Erkrankung Ende 1981 hat der Kläger nicht mehr gearbeitet.
Im Januar 1933 beantragte der Kläger Versichertenrente wegen Erwerbs- hilfsweise Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte ab (Bescheid vom 3. März 1933). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 1983 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. April 1935) und im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne zwar noch vollschichtig leichte Arbeiten im Sitzen verrichten. Zu Fuß könne er jedoch nur eine Wegstrecke bis zu 500 Metern zurücklegen. Einen Pkw besitze er nicht, ebensowenig eine Fahrerlaubnis. Seinen Arbeitsplatz habe er früher mit dem Bus erreicht. Bei dem Gehvermögen, das dem Kläger verblieben sei, sei ihm der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Dabei sei nicht der konkret festgestellte Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte oder zu einem öffentlichen Verkehrsmittel maßgebend, sondern allein welcher Weg unter weithin herrschenden Bedingungen als üblich angesehen werden könne. Nach Auffassung des Senats reiche ein Fußweg bis zu 500 Metern auch in industriellen Ballungsgebieten zum Aufsuchen eines Arbeitsplatzes regelmäßig nicht aus. Dies gelte, wenn der Versicherte ein öffentliches Personenbeförderungsmittel benutzen müsse.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1246 Abs. 2, 1247 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte beantragt, das angefochtenen Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. September 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente.
Nach § 1247 Abs. 1 RVO erhält der Versicherte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Das LSG hat diese Voraussetzungen geprüft und bejaht. Streitig ist unter den Beteiligten nur noch die Frage, ob der Kläger erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nichtabsehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (§ 1247 Abs. 2 RVO). Die "Fähigkeit zum Erwerb" und die Möglichkeit, "eine Erwerbstätig-keit auszuüben" sind nicht gegeben, wenn der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten verwiesen werden könnte, für die es keine oder nur wenige Arbeitsplätze gibt, der Arbeitsmarkt also praktisch verschlossen ist, so daß der Versicherte nicht damit rechnen kann, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden oder wenn ihm sonst der Arbeitsmarkt verschlossen ist (Bundessozialgericht -BSG- Großer Senat in SozR 2200 § 1246 Nr. 13). Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (vgl. BSG SozR Nr. 101 zu § 1246). Denn in der Regel ist eine entgeltliche Beschäftigung nur außerhalb der Wohnung des Arbeitnehmers möglich (BSG SozR Nrn. 21, 27, 101 zu § 1246 RVO). Dabei kommt es, wie der Senat bereits im Anschluß an die Entscheidung des BSG vom 17. Mai 1972 (SozR Nr. 101 zu § 1246 RVO) in dem Urteil vom 11. September 1979 (5 RJ 36/73) ausgesprochen hat, angesichts der Zumutbarkeit eines Wohnsitzwechsels nicht auf dem konkreten Weg von der Wohnung des Versicherten zu einer Arbeitsstelle an. Entscheidend ist vielmehr, welcher Weg zur Arbeitsstelle als üblich angesehen werden kann, wofür ein bloß noch zumutbarer Fußweg bis zu 500 Meter im allgemeinen nicht ausreicht.
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger einen Fußweg von höchstens 500 Metern zurücklegen kann und daß ein solcher auch in industriellen Ballungsgebieten regelmäßig nicht ausreicht, um von der Wohnung aus zu einem Arbeitsplatz zu gelangen. Diese Feststellun-gen entsprechen dem genannten Urteil des erkennenden Senats. Sie sind von der Beklagten nicht mit "zulässigen und begründeten Revisionsrügen" (§ 163 SGG) angefochten worden und damit für das Revisionsgericht bindend. Denn die behauptete Verletzung des § 103 SGG beschränkt sich auf die Nichtfeststellung der Entfernung der Wohnung des Klägers zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels durch das Berufungsgericht. Diese Rüge der mangelnden Sachaufklärung geht aber schon deswegen fehl, weil damit noch nicht gesagt ist, daß der Kläger von der Haltestelle aus, an der er aussteigen müßte, bis zu seinem Arbeitsplatz nur weniger als 500 Meter Fußweg zurückzulegen hätte. Insoweit hat das LSG aber - von der Revision unangegriffen - festgestellt, daß sich gerade in Ballungs-gebieten größere Werksgelände mit weiten Arbeits- und Betriebswegen befinden. Nach der bereits genannten Entscheidung des BSG vom 17. Mai 1972 (SozR Nr. 101 zu § 1246 RVO) ließe sich die Erwerbsunfähigkeit deshalb nur konkret in dem Sinne widerlegen, daß der Kläger einen Arbeitsplatz mit den ihm noch zumutbaren Wegebedingungen inne hätte oder ihm ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten würde. Beide Möglichkeiten treffen indes nach den Feststellungen des LSG hier nicht zu. Der Kläger ist deshalb jedenfalls so lange erwerbsunfähig, als nicht etwa durch geeignete Maßnahmen i.S. der §§ 1236 ff RVO eine Änderung in seinen Verhältnissen eintritt (ebenso bereits Urteil vom 17. Mai 1972 aaO).
Da somit die Entscheidung des LSG nicht zu beanstanden ist, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.Bundessozialgericht5b RJ 52/85
Verkündet am 6. Juni 1986
Fundstellen