Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Auszubildende bei Ausbildungsförderung. krankheitsbedingte Hinderung an der Ausbildung über einen Zeitraum von mehr als drei Kalendermonaten. rückwirkende Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Leistungen nach dem BAföG. Nachholung der Beantragung von Arbeitslosengeld II. Rückwirkung des Antrags. Einkommensberücksichtigung. Leistungen nach dem BAföG. Unterkunftskostenzuschuss
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Ausschluss von Grundsicherungsleistungen wegen einer förderungsfähigen Ausbildung besteht nicht mehr, wenn der Auszubildende wegen Krankheit länger als drei Kalendermonate an der Ausbildung gehindert ist.
2. Der Antrag auf Arbeitslosengeld II wirkt auf einen Zeitraum zurück, für den als andere Sozialleistung zunächst Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bezogen wurden, wenn diese nach Aufhebung der Bewilligung später zu erstatten sind.
Orientierungssatz
1. Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass die Leistungen nach dem BAföG dem Grunde nach als Einkommen iS von § 11 SGB 2 anzurechnen sind. Die spätere Aufhebung der Leistungsbewilligung hat keinen Einfluss auf die Anrechenbarkeit der BAföG-Leistungen als Einkommen.
2. Der bereits gewährte Unterkunftskostenzuschuss (§ 27 Abs 3 SGB 2 in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) wirkt sich nicht mindernd auf den Arbeitslosengeld II-Anspruch aus.
Normenkette
SGB 2 § 7 Abs. 5 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 11a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Fassung: 2011-05-13, § 22 Abs. 1, 3, § 27 Abs. 3 S. 1 Fassung: 2011-12-20, § 37 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 7; SGB X § 28 S. 1 Fassung: 2001-01-18; BAföG § 15 Abs. 2a; BGB § 362; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2021 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für April bis Juli 2016.
Der 1990 geborene Kläger, der zuvor bereits Alg II bezogen hatte, besuchte ab dem 31.8.2015 eine Berufsfachschule. Für die Zeit von August 2015 bis Juli 2016 bewilligte ihm die Landeshauptstadt K als zuständiger Träger Leistungen nach dem BAföG. Ab September 2015 bezog der Kläger zusätzlich eine Halbwaisenrente iHv zunächst 141,82 Euro und ab Juli 2016 iHv 147,49 Euro. Für den Zeitraum von August 2015 bis Dezember 2015 erhielt er darüber hinaus von dem Beklagten einen Unterkunftskostenzuschuss für Auszubildende (§ 27 Abs 3 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung; im Folgenden: aF) iHv 209,50 Euro monatlich.
Ab dem 8.12.2015 besuchte der Kläger den Unterricht krankheitsbedingt nicht mehr, übersandte dem Beklagten am 21.1.2016 aber ein ausgefülltes Antragsformular für die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ("WBA"). Dieser bewilligte daraufhin einen Unterkunftskostenzuschuss iHv 209,50 Euro monatlich auch für die Zeit vom 1.1. bis zum 30.6.2016, allerdings zunächst nur vorläufig (Bescheid vom 26.1.2016). Auf den erneuten, ebenfalls unter Verwendung des "WBA"-Formulars gestellten Antrag vom 1.7.2016 gewährte der Beklagte für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 31.12.2016 einen Unterkunftskostenzuschuss iHv 209,50 Euro endgültig und bewilligte zugleich den Zuschuss für den Zeitraum vom 1.1. bis zum 30.6.2016 ebenfalls endgültig (Bescheide vom 7.7.2016).
Mit einem am 31.8.2016 bei der Schule eingegangenen Schreiben meldete sich der Kläger vom Unterricht ab. Die Landeshauptstadt K hob daraufhin die Bewilligung der BAföG-Leistungen rückwirkend ab dem 1.4.2016 auf und forderte die erbrachten Leistungen zurück, mit der Begründung, dass Ausbildungsförderung bei krankheitsbedingter Hinderung an der Ausbildung längstens bis zum Ende des dritten Kalendermonats geleistet werde (Bescheid vom 20.10.2016). Den hiergegen erhobenen Widerspruch nahm der Kläger am 14.11.2016 zurück.
Bereits am 2.11.2016 beantragte der Kläger unter Verweis auf § 28 SGB X Alg II für die Zeit von April bis Juli 2016. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 11.11.2016; Widerspruchsbescheid vom 9.12.2016).
Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 7.2.2020), das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 11.11.2021). Der Kläger habe zwar ab April 2016 nicht mehr dem Leistungsausschluss als Auszubildender gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) unterlegen, denn seine Ausbildung sei ab diesem Zeitpunkt aufgrund der krankheitsbedingten Unterbrechung nicht mehr nach Maßgabe des BAföG förderungsfähig gewesen. Der Antrag vom 2.11.2016 beschränke auch nicht in Anwendung von § 37 SGB II den Anspruchszeitraum auf die Zeit ab November 2016, denn er wirke gemäß § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 7 SGB II iVm § 28 SGB X auf den streitigen Zeitraum zurück. Der Kläger habe mit den im Januar und Juli 2016 vorgelegten Vordrucken allein die Weitergewährung des Unterkunftskostenzuschusses für Auszubildende beantragt, von der Beantragung von Alg II dagegen wegen des Bezugs der BAföG-Leistungen zunächst abgesehen. Er sei jedoch nicht hilfebedürftig gewesen. Seinen monatlichen Gesamtbedarf von 745,50 Euro habe er durch das vorhandene Einkommen aus Halbwaisenrente, dem Unterkunftskostenzuschuss sowie den Leistungen nach dem BAföG - auch nach Abzug einer Versicherungspauschale von 30 Euro - decken können. Die Berücksichtigung der BAföG-Leistungen als Einkommen sei weder durch deren spätere Rückforderung noch aufgrund des § 28 SGB X ausgeschlossen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 28 SGB X, § 11 Abs 2 Satz 1, § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) , § 51 Abs 1 BAföG, § 103 SGG, Art 1 Abs 1, Art 20 Abs 1 GG. Folgte man der Ansicht des LSG, hätte die Erstattungsvariante von § 28 Abs 1 Satz 1 SGB X im SGB II faktisch keinen Anwendungsbereich, weil nie ein bedarfsdeckender Alg II-Anspruch zur Entstehung gelangen könnte. Die Anrechnung der BAföG-Leistungen verletze auch das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Jedenfalls seien die Feststellungen des LSG zur Höhe der BAföG-Leistungen unzutreffend. Das LSG habe diese Feststellungen verfahrensfehlerhaft unter Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht getroffen. Im Juli 2016 seien überhaupt keine BAföG-Leistungen zugeflossen, und in den Monaten April bis Juni 2016 habe der Zufluss nicht 460 Euro, sondern nur 458,34 Euro betragen. Zudem seien gemäß § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) die Leistungen nach dem BAföG um die ausbildungsbedingten Kosten zu bereinigen, die mit 20 Prozent des BAföG-Satzes zu veranschlagen seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2021, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 7. Februar 2020 sowie den Bescheid vom 11. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 31. Juli 2016 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob (und ggf in welcher Höhe) der Kläger einen Anspruch auf Alg II in dem streitbefangenen Zeitraum hat. Es fehlen ausreichende Feststellungen zum Zeitpunkt und zur Höhe des Einkommenszuflusses.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Urteilen der Ablehnungsbescheid vom 11.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.12.2016, wogegen sich der Kläger mit dem Ziel wendet, für April bis Juli 2016 Alg II zu erhalten. Zu Recht verfolgt er sein Begehren mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG).
2. a) Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Alg II sind §§ 7 ff, §§ 19 ff SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24.6.2015 ≪BGBl I 974≫) . Nach § 19 Abs 1 Satz 1, § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Alg II. Die Leistungen umfassen gemäß § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf (§ 20 SGB II), Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II).
b) Der im Jahr 1990 geborene Kläger gehörte im streitigen Zeitraum zum leistungsberechtigten Personenkreis iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet sowie die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr 1), war erwerbsfähig (Nr 2) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr 4). Er war auch nicht gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II von Alg II ausgeschlossen. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im streitbefangenen Zeitraum stand der Kläger nicht mehr in einer nach Maßgabe des hier allein in Betracht kommenden BAföG förderungsfähigen Schulausbildung.
Anknüpfungspunkt für den Leistungsausschluss ist nach dem Wortlaut allein die konkrete Ausbildung und deren abstrakte Förderungsfähigkeit (stRspr; BSG vom 27.9.2011 - B 4 AS 145/10 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 26 RdNr 12 ff; BSG vom 17.2.2015 - B 14 AS 25/14 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 40 RdNr 20 ff). Ob eine Ausbildung abstrakt förderfähig ist, bestimmt sich - unter Heranziehung der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerwG - anhand von § 2 BAföG, der den Besuch einer der dort aufgeführten Ausbildungsstätten verlangt (stRspr; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 24/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 20 RdNr 16; BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 197/11 R - juris RdNr 15, 17; zu den Voraussetzungen eines Besuchs iS von § 2 BAföG s etwa BVerwG vom 21.2.2013 - 5 C 14.12 - Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr 48 S 8 f = juris RdNr 31, 36 f mwN). Individuelle Versagensgründe bleiben bei der Beurteilung der abstrakten Förderungsfähigkeit dagegen außer Betracht (stRspr; BSG vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 15; BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 102/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 27 RdNr 14; BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 197/11 R - juris RdNr 14). Es ist auch nicht maßgeblich, inwieweit BAföG-Leistungen tatsächlich bezogen werden (vgl für den Fall, dass BAföG-Leistungen nicht gewährt werden, BSG vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 20).
Eine förderungsfähige Ausbildung lag im streitigen Zeitraum nicht mehr vor, nachdem der Kläger den Schulbesuch Anfang Dezember 2015 krankheitsbedingt eingestellt hatte. Nach § 15 Abs 2a BAföG(eingeführt durch das Siebente Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 13.7.1981 ≪BGBl I 625≫) wird Ausbildungsförderung zwar geleistet, solange die Auszubildenden infolge von Erkrankung oder Schwangerschaft gehindert sind, die Ausbildung durchzuführen, nicht jedoch über das Ende des dritten Kalendermonats hinaus. Die Zeiten des krankheitsbedingten Fernbleibens von der Schule behalten insoweit noch den Charakter förderungsfähiger Ausbildungszeiten (vgl zur zuvor geltenden inhaltsgleichen Verwaltungsvorschrift, an die § 15 Abs 2a BAföG nach der Begründung des Gesetzentwurfs ≪BT-Drucks 9/410 S 13≫ anknüpft, BVerwG vom 21.6.1979 - 5 C 15.78 - BVerwGE 58, 132, 135 f = Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr 11 S 29). Da dieser Zeitraum hier mit Ablauf des 31.3.2016 geendet hatte, lag ab dem 1.4.2016 keine abstrakt förderungsfähige Ausbildung mehr vor.
Soweit der 14./7b. Senat des BSG in zwei Urteilen vom 6.9.2007 ohne Differenzierung nach der Erkrankungsdauer ausgeführt hat, die Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung wegen einer Erkrankung könne abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls einen Härtefall iS des § 27 Abs 3 SGB II(damals: § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung) begründen (BSG vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 8 RdNr 35; BSG vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 24), was gedanklich den Fortbestand des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II auch im Fall einer über drei Monate hinausgehenden Erkrankung voraussetzt, liegt darin keine Divergenz iS von § 41 Abs 2 SGG. Denn diese Ausführungen waren jeweils nicht entscheidungstragend.
c) Mit dem Antrag vom 2.11.2016 liegt ein den Anforderungen des § 37 SGB II genügender Leistungsantrag auch bezogen auf den streitbefangenen Zeitraum vor.
aa) Leistungen nach dem SGB II werden nur auf Antrag (§ 37 Abs 1 SGB II) und nicht für Zeiten vor der Antragstellung (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB II) erbracht, wobei ein Antrag auf den ersten Tag des Monats der Antragstellung zurückwirkt (§ 37 Abs 2 Satz 2 SGB II).
bb) Alg II für den streitigen Zeitraum hat der Kläger erstmals am 2.11.2016 beantragt. Mit den Anträgen vom 21.1.2016 und 1.7.2016 hatte er dagegen allein die Weitergewährung des Unterkunftskostenzuschusses nach § 27 Abs 3 SGB II aF geltend gemacht.
Bei den Leistungen nach § 27 SGB II, zu denen der Unterkunftskostenzuschuss zählt, handelt es sich um eine gegenüber dem Alg II eigenständige Leistung. In § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II sind diese Leistungen nicht als Teil des Alg II aufgeführt, und gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 SGB II gelten sie ausdrücklich nicht als Alg II. Hierdurch sollen zB die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 2a SGB V, § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 2a SGB XI in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung) oder die Entstehung von Anrechnungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 6 SGB VI in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung) ausgeschlossen werden, die an den Alg II-Bezug anknüpfen (S. Knickrehm in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 7. Aufl 2021, Komm zum Sozialrecht, § 27 SGB II RdNr 2; Söhngen in Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 27 RdNr 22).
Dass die Anträge vom 21.1.2016 und 1.7.2016 ausschließlich auf einen Unterkunftskostenzuschuss gerichtet waren, ergibt sich aus der Auslegung der von dem LSG festgestellten Antragsschreiben in Verbindung mit den damit zusammenhängenden Umständen (vgl zur Auslegung einer Willenserklärung durch das Revisionsgericht BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 18 mwN).
Bei einem Antrag handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die - sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft - die Vorschriften des BGB, insbesondere §§ 133, 157 BGB, Anwendung finden. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist - unter Berücksichtigung aller Umstände - der nach dem objektiven Empfängerhorizont erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers. Danach ist, sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen, dass der Antragsteller die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon, welchen Antragsvordruck er hierfür benutzt oder welchen Ausdruck er gewählt hat (BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 16 mwN; BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 19; s auch BSG vom 23.2.2017 - B 4 AS 57/15 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 34 RdNr 12).
Ausgehend von den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG kamen aus Sicht des Beklagten andere Leistungen als der Unterkunftskostenzuschuss nach § 27 Abs 3 SGB II aF als Antragsgegenstand nicht ernsthaft in Betracht. Zwar wird das Formular "WBA" nach den Feststellungen des LSG eigentlich verwendet, um die Weiterbewilligung von Alg II - und nicht von Leistungen nach § 27 SGB II - zu beantragen. Hätte der Kläger anstelle oder neben dem Unterkunftskostenzuschuss Alg II beantragen wollen, wäre allerdings zu erwarten gewesen, dass er den für Erstanträge vorgesehenen Hauptvordruck für die Beantragung von Alg II verwendet, nachdem er während seiner Schulausbildung zunächst nicht mehr im Alg II-Bezug gestanden hatte. Dies gilt unabhängig davon, ob - was das LSG insoweit offengelassen hat - der Beklagte dem Kläger das "WBA"-Formular zur Verfügung gestellt oder ob der Kläger selbst entschieden hat, das Formular "WBA" zu verwenden. Es waren für den Beklagten auch im Übrigen keine Umstände erkennbar, die darauf hindeuteten, dass der Kläger einen Anspruch auf Alg II haben könnte. Der Kläger hatte die krankheitsbedingte Abwesenheit vom Schulbetrieb, die zum Wegfall des Leistungsausschlusses ab dem 1.4.2016 führte, bei der Stellung der beiden Anträge jeweils nicht offengelegt.
cc) Doch wirkt vorliegend der Antrag vom 2.11.2016 gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 28 Satz 1 SGB X(im Folgenden: aF; ab dem 1.7.2020: § 28 Abs 1 Satz 1 SGB X) und § 40 Abs 7 SGB II auf den hier streitbefangenen Zeitraum zurück. Nach § 28 Satz 1 SGB X aF, der von § 40 Abs 7 SGB II nur bezogen auf den Zeitraum der nachzuholenden Antragstellung modifiziert wird, wirkt ein nachgeholter Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrags auf eine Sozialleistung abgesehen hat, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und diese Leistung versagt wird oder zu erstatten ist und der nachgeholte Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist.
Der Kläger hat den Antrag vom 2.11.2016 fristgerecht gestellt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid über die BAföG-Leistungen noch nicht bindend. Der streitbefangene Zeitraum liegt auch innerhalb eines Jahres vor Antragstellung.
Der von § 28 Satz 1 SGB X aF geforderte Ursachenzusammenhang besteht ebenfalls. Nach dem Wortlaut ("weil") muss der Leistungsempfänger deshalb von der Stellung eines Antrags abgesehen haben, weil er sich die Gewährung einer anderen Sozialleistung versprochen hat. Dies setzt voraus, dass er bewusst von einer Antragstellung abgesehen hat und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtbeantragung der einen und der Geltendmachung der anderen Sozialleistung bestand (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3 RdNr 27). Nach den Feststellungen des LSG ging der Kläger zunächst davon aus, auch im streitigen Zeitraum weiterhin einen Anspruch auf BAföG-Leistungen zu haben. Gleichzeitig war ihm bekannt, dass diese Leistungen und das Alg II tatbestandlich in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen; derjenige, der einerseits einen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG hat, unterfällt andererseits immer dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II. Deshalb nahm der Kläger an, dass auch er im streitigen Zeitraum von Alg II ausgeschlossen war.
Nach Sinn und Zweck von § 28 SGB X genügt dies, um den Ursachenzusammenhang zu bejahen. Der Anwendungsbereich von § 28 SGB X ist nicht auf Fallgestaltungen beschränkt, in denen die zunächst geltend gemachte und die vorerst nicht beantragte Leistung in einem Vor-/Nachrangverhältnis stehen, zB weil die zuerst geltend gemachte Leistung auf die vorerst nicht beantragte als Einkommen anzurechnen wäre - wenngleich diese den häufigsten Anwendungsfall darstellen mögen (vgl die der Einfügung von § 28 SGB X vorausgegangene Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Sozialgesetzbuches ≪SGB≫ - Verwaltungsverfahren, BT-Drucks 8/2034 S 48). § 28 SGB X soll Rechtsnachteile vermeiden, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheids einen Antrag auf eine andere Leistung nicht gestellt hat (Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Entwurf eines SGB - Verwaltungsverfahren, BT-Drucks 8/4022 S 81 f). Zugleich soll die Regelung des § 28 SGB X verhindern, dass ein Betroffener zeitgleich mehrere Anträge auf verschiedene Leistungen stellen muss, um keinen Rechtsnachteil zu erleiden. Die Sozialverwaltung soll so von der Prüfung (unnötiger) Doppelanträge verschont werden (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3 RdNr 20; BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 26).
d) Nicht abschließend beurteilen lässt sich jedoch, ob und in welcher Höhe der Kläger im streitigen Zeitraum hilfebedürftig war.
aa) Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen als Einkommen zu berücksichtigen. Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ist grundsätzlich alles, was eine leistungsberechtigte Person von dem Tag an, auf den die Antragstellung zurückwirkt, wertmäßig zusätzlich erhält. Es ist vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie; stRspr; s nur BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 42 RdNr 10; BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 15/18 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 86 RdNr 14).
bb) Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass die Leistungen nach dem BAföG dem Grunde nach als Einkommen iS von § 11 SGB II anzurechnen sind. Die spätere Aufhebung der Leistungsbewilligung hat keinen Einfluss auf die Anrechenbarkeit der BAföG-Leistungen als Einkommen. Es sind zwar nur solche Einnahmen als Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II anzusehen, die dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleiben (stRspr; s etwa BSG vom 8.12.2020 - B 4 AS 30/20 R - BSGE 131, 123 = SozR 4-4200 § 11 Nr 89, RdNr 15). Jedenfalls, sofern eine Verpflichtung zur Rückzahlung der laufenden Einnahme erst nach dem Monat begründet wird, für den sie berücksichtigt werden soll (zum Monatsprinzip s etwa BSG vom 11.7.2019 - B 14 AS 44/18 R - SozR 4-4200 § 41a Nr 2 RdNr 30 mwN), steht dem Hilfebedürftigen die Leistung aber als "bereites Mittel" in dem Monat des Zuflusses zur Verfügung (BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 165/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 23 f; vgl auch BSG vom 22.8.2013 - B 14 AS 1/13 R - BSGE 114, 136 = SozR 4-4200 § 11 Nr 64, RdNr 24). So wie der Sozialleistungsträger an die Zuerkennung des Leistungsanspruchs gebunden war, solange der Bewilligungsbescheid Bestand hatte, stand auch dem Kläger in dieser Zeit ein Rechtsgrund für das Behalten der Leistung zur Seite.
Die Berücksichtigung der Leistungen nach dem BAföG als Einkommen verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (zu diesem zuletzt BVerfG vom 19.10.2022 - 1 BvL 3/21 - NJW 2023, 37 RdNr 53 ff mwN). Dieses Grundrecht greift dann ein, wenn und soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen (BVerfG vom 7.7.2010 ≪Kammer≫ - 1 BvR 2556/09 - BVerfGK 17, 375, 377 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 33, RdNr 13 f, auch zum Folgenden). Es ist nicht wegen Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG erforderlich, dass solche Einnahmen von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen sind, auf die der Hilfebedürftige zur Deckung seines Existenzminimums tatsächlich zurückgreifen kann. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass das Existenzminimum gedeckt werden kann, ohne dass es auf den Rechtsgrund der Einnahme oder die subjektive Verwendungsabsicht des Hilfebedürftigen ankäme. Dem Kläger standen in den streitigen Monaten die Leistungen nach dem BAföG zur Verfügung, um seinen tatsächlichen Lebensbedarf zu decken. Ein Anspruch, die Entstehung von Schulden zu vermeiden, die sich aus der späteren Rückforderung der BAföG-Leistungen letztlich ergaben, lässt sich aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG nicht herleiten. Ob ein Erlass der Rückforderung in Betracht kommt, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung.
§ 28 SGB X aF steht einer Berücksichtigung als Einkommen ebenfalls nicht entgegen. Die Vorschrift ersetzt nicht die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eines Leistungsanspruchs, wozu - bezogen auf das vom Kläger begehrte Alg II - auch die Hilfebedürftigkeit iS von § 9 SGB II zählt (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3 RdNr 29 unter Verweis auf BSG vom 19.3.1986 - 7 RAr 17/84 - SozR 1300 § 28 Nr 1 - juris RdNr 16; BSG vom 10.10.2002 - B 2 U 10/02 R - juris RdNr 22). Dies gilt nicht nur, wenn der Antrag auf die zuerst geltend gemachte Leistung abgelehnt worden ist (vgl dazu BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 3 RdNr 29), sondern auch, wenn - wie hier - die zuerst geltend gemachte Leistung zunächst gewährt wurde, nunmehr aber zu erstatten ist (dieses Verständnis liegt im Übrigen auch der zum 1.8.2016 nach Ende des streitigen Zeitraums in Kraft getretenen Vorschrift des § 11 Abs 5 BKGG ≪bis zum 30.6.2019 noch § 11 Abs 6 BKGG≫ zugrunde, vgl die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 18/8041 S 66).
Schon nach dem Wortlaut bestimmt § 28 SGB X als Rechtsfolge allein eine Antragsrückwirkung, verhält sich aber zur Berechnung der nachträglich beantragten Leistung nicht.
Systematische Erwägungen stützen dieses Ergebnis. § 28 SGB X enthält keine Regelung dazu, ob die zuerst beantragte Leistung als Einkommen auf den Alg II-Anspruch anzurechnen ist. Denn als Teil des SGB X, das grundsätzlich für sämtliche Besonderen Teile des SGB in gleicher Weise gilt (§ 37 Abs 1 Satz 1 SGB I, § 1 Abs 1 Satz 1 SGB X), ist die Vorschrift losgelöst von den Eigengesetzlichkeiten der einzelnen Besonderen Teile auszulegen. Es handelt sich um eine bloß verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung, die das materielle Recht unberührt lässt. Das in § 40 Abs 7 SGB II für Leistungen nach dem SGB II zusätzlich vorgeschriebene Erfordernis einer unverzüglichen Antragstellung hat allein den Zweck, dass der Zeitraum, für den gegebenenfalls rückwirkend Leistungen nach dem SGB II erbracht werden, überschaubar bleibt (vgl BT-Drucks 16/1410 S 27).
Die entstehungsgeschichtliche Auslegung ist entgegen der Auffassung des Klägers unergiebig. Die Vorgängerregelung des § 9 Abs 4 BKGG(in der vom 1.1.1964 bis zum 31.12.1980 geltenden Fassung, eingefügt durch die Bekanntmachung vom 31.1.1975 ≪BGBl 1975 I 412, 415, 420≫) erfasste nur Fälle, in denen die zunächst beantragte Leistung abgelehnt wurde. Für diejenigen Fallgestaltungen, in denen die zunächst beantragte Leistung zu erstatten ist, lassen sich aus der Entstehungsgeschichte keine Schlüsse ziehen.
Auch nach seinem Sinn und Zweck schließt § 28 SGB X die Anrechnung der zu erstattenden Leistung als Einkommen nicht aus. Die Vorschrift soll Rechtsnachteile vermeiden, die dadurch entstehen, dass die zunächst beantragte Leistung zu erstatten ist und die Leistung von einem anderen Leistungsträger, die stattdessen hätte in Anspruch genommen werden können, wegen des Verstreichens der Antragsfrist oder des fehlenden Antrags nicht für einen abgelaufenen Zeitraum gewährt werden kann. § 28 SGB X regelt insoweit zwei Spezialfälle der Wiedereinsetzung bei verspäteter Antragstellung auf eine Sozialleistung (vgl BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 25 mwN). Würden die BAföG-Leistungen nicht als Einkommen angerechnet, würde der Kläger indessen besser gestellt, als wenn er unmittelbar im April 2016 einen Antrag auf Alg II gestellt hätte. In diesem Fall wären die Leistungen, die als bereite Mittel zur Verfügung standen, ohne Weiteres als Einkommen anzurechnen gewesen (vgl Brehm, NZS 2022, 396).
cc) Es fehlt jedoch an konkreten Feststellungen, zu welchem genauen Zeitpunkt und in welcher Höhe dem Kläger die Leistungen nach dem BAföG tatsächlich zugeflossen sind. Aufgrund des im SGB II geltenden Monats- sowie Zuflussprinzips ist Einkommen grundsätzlich in dem Monat anzurechnen, in dem es tatsächlich zugeflossen ist. Allein daraus, dass das LSG von dem monatlichen Alg II-Anspruch jeweils für diesen Monat bewilligte BAföG-Leistungen in Abzug gebracht hat, kann - auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der weiteren Feststellungen - nicht gefolgert werden, dass und in welcher konkreten Höhe die BAföG-Leistungen in den einzelnen Monaten zugeflossen sind. Entsprechende Feststellungen wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben, sodass ein weiteres Eingehen auf die hierauf gerichtete Verfahrensrüge des Klägers entbehrlich ist.
3. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass Leistungen nach dem BAföG gemäß § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung iHv 20 % des Gesamtbedarfs eines Auszubildenden in entsprechender Ausbildungsform, der nicht bei seinen Eltern wohnt, wegen seiner Zweckbestimmung nicht als Einkommen anrechenbar waren (vgl zu § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung BSG vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 28 ff). Dieser Anteil der BAföG-Leistungen diente nicht der Sicherung des Lebensunterhalts, sondern der Deckung der Ausbildungskosten (zu den Zwecken des BAföG s § 1 BAföG).
Der Anwendung von § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II steht nicht entgegen, dass der Kläger im konkreten Fall den auf die Deckung der Ausbildungskosten entfallenden Anteil nicht zweckgerecht verwenden konnte, weil er die Schule nicht mehr besuchte. Nur eine pauschale Betrachtungsweise bei der Anwendung von § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II auf Leistungen nach dem BAföG wird den Anforderungen einer Massenverwaltung gerecht (vgl BSG vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 28).
4. Weiterhin wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass sich der vom Beklagten für den streitigen Zeitraum bereits gewährte Unterkunftskostenzuschuss (§ 27 Abs 3 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung) nicht mindernd auf den Alg II-Anspruch auswirkt.
a) Die Auszahlung des Zuschusses hat nicht zur teilweisen Erfüllung (§ 362 BGB) des Alg II-Anspruchs geführt, da es sich bei den Leistungen nach § 27 SGB II einerseits und dem Alg II andererseits nach dem oben Gesagten um unterschiedliche Leistungen handelt (s oben 2. c≫ bb≫).
b) Die Gewährung des Unterkunftskostenzuschusses hat zudem nicht zu einer Minderung des berücksichtigungsfähigen Kosten der Unterkunft (KdU)-Bedarfs (§ 22 Abs 1 SGB I) als solchem geführt. Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen (stRspr; s nur BSG vom 5.8.2021 - B 4 AS 82/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 119 RdNr 17). Soweit demgegenüber etwa empfangener Untermietzins unmittelbar zu einer Bedarfsminderung führt, folgt dies daraus, dass die Untervermietung in § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II ausdrücklich als Maßnahme zur Kostensenkung aufgeführt ist (s BSG vom 6.8.2014 - B 4 AS 37/13 R - juris RdNr 31 ff).
c) Auch ansonsten besteht keine Grundlage dafür, dass der empfangene Unterkunftskostenzuschuss den bei der Berechnung des Alg II zugrunde zu legenden Bedarf für Unterkunft und Heizung mindert. Die gesetzlichen Regelungen nehmen in Kauf, dass Konstellationen wie die vorliegende auftreten können, in denen ein Unterkunftskostenzuschuss gewährt wird, obwohl dessen Empfänger für diesen Zeitraum an sich Anspruch auf Alg II hätte.
Gemäß § 27 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II aF war für die Gewährung eines Unterkunftskostenzuschusses allein erforderlich, dass Auszubildende Ausbildungsförderungsleistungen nach Maßgabe des BAföG oder des SGB III "erhalten". Dieses Tatbestandsmerkmal ist jedenfalls dann erfüllt, wenn die genannten Leistungen tatsächlich gezahlt werden (Boerner in Harich, Handbuch der Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, 208 - Unterkunftskostenzuschuss für Auszubildende, RdNr 5; Herold-Tews in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 27 RdNr 8; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 27 RdNr 27, Stand Februar 2017). Dagegen erforderte die Gewährung eines Unterkunftskostenzuschusses nicht, dass ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 SGB II bestand.
Dass der Anspruch auf einen Unterkunftskostenzuschuss nicht an das Bestehen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 5 SGB II geknüpft war, diente der Verwaltungsvereinfachung. Die Jobcenter sollten von der Prüfung entlastet werden, ob die Ausbildung derjenigen Personen, die einen Unterkunftskostenzuschuss geltend machten, nach Maßgabe von § 2 BAföG abstrakt förderungsfähig war (vgl die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 17/3404 S 103; aA insoweit die in der Literatur vorherrschende Ansicht, die diese Passage auf § 27 Abs 3 Halbsatz 2 SGB II aF bezog, wonach ein Zuschuss auch dann gewährt wurde, wenn BAföG nur wegen der Anrechnung von Einkommen nicht geleistet wird: Boerner in Harich, aaO RdNr 3; Breitkreuz in BeckOK SozR, Stand April 2016, § 27 SGB II RdNr 4; Herold-Tews in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 27 RdNr 8; Knickrehm/Hahn in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 4. Aufl 2015, § 27 SGB II RdNr 5; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 27 RdNr 28, Stand Februar 2017). Soweit eine Bewilligungsentscheidung nach dem BAföG existierte, war zumindest typischerweise davon auszugehen, dass der Antragsteller eine abstrakt förderungsfähige Ausbildung absolvierte und damit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II unterfiel.
d) Als Einkommen iS von § 11 SGB II ist der Zuschuss ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Dem steht § 11a Abs 1 Nr 1 SGB II entgegen, wonach die Berücksichtigung von Leistungen nach dem SGB II - und damit auch des Unterkunftskostenzuschusses - als Einkommen ausgeschlossen ist. Anders als § 19 Abs 1 SGB II aF, der lediglich das Alg II definiert (siehe oben), erfasst § 11a Abs 1 Nr 1 SGB II unterschiedslos alle Leistungen nach dem SGB II. Eine teleologische Reduktion in der Weise, dass der Unterkunftskostenzuschuss von diesem Verbot auszunehmen ist, kommt nicht in Betracht (zu den Voraussetzungen der teleologischen Reduktion BSG vom 26.9.2019 - B 5 RS 1/19 R - SozR 4-8570 § 6 Nr 10 RdNr 20 mwN), schon weil sich den entstehungsgeschichtlichen Materialien nicht entnehmen lässt, dass der weite Wortlaut der Norm nicht von einem entsprechenden Willen des Gesetzgebers getragen wäre.
e) Schließlich kommt eine Anrechnung des Zuschusses auf den KdU-Bedarf auch nach § 22 Abs 3 SGB II - der die Behandlung von den Bedarfen für Unterkunft und Heizung zurechenbaren Rückzahlungen und Guthaben regelt - nicht in Betracht. Die Vorschrift trifft lediglich eine von § 19 Abs 3 Satz 2 SGB II abweichende Anrechnungsreihenfolge und modifiziert den Zeitpunkt des Zuflusses des Einkommens (zuletzt BSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 7/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 107 RdNr 33 ff). So soll erreicht werden, dass diese Einnahmen auf den KdU-Anspruch angerechnet werden und dadurch die Last des kommunalen Trägers mindern. Eine Anrechnung nach § 22 Abs 3 SGB II setzt aber gerade eine - hier nicht gegebene - grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit der betreffenden Einnahmen als Einkommen iS von § 11 SGB II voraus.
f) Inwieweit der Beklagte die beiden jeweils vom 2.7.2016 datierenden Bewilligungen des Unterkunftskostenzuschusses für den streitigen Zeitraum wegen Rechtswidrigkeit aufheben und Leistungen zurückfordern kann, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
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5. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. |
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Burkiczak |
B. Schmidt |
Söhngen |
Fundstellen