Leitsatz (amtlich)

Ein Witwenrentenbescheid darf nicht nach KOV-VfG § 41 zuungunsten der Witwe berichtigt werden, wenn die auch nur fernliegende Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das gegen den Ehemann durch ein deutsches Kriegsgericht verhängte Todesurteil nach rechtsstaatlichen Grundsätzen als offensichtliches Unrecht anzusehen ist (BVG § 1 Abs 2 Buchst d).

 

Normenkette

KOVVfG § 41 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BVG § 1 Abs. 2 Buchst. d Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin, der 1906 geborene Krankenpfleger M D (D.), ist laut Sterbeurkunde des Standesamts H bei M, in der er als ehemaliger Sanitäts-Gefreiter bezeichnet wird, am 16. Oktober 1942 in K, Ortsteil M, auf dem östlichen Kriegsschauplatz verstorben. Nach der Kriegssterbefallanzeige, die der Urkunde zugrunde liegt, wurde D. erschossen.

Die Klägerin beantragte nach dem Tod ihres Ehemannes während des Krieges keine Versorgung. Im November 1950 begehrte sie Witwenrente nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG), legte die Sterbeurkunde vor und beantwortete im Formularantrag die vorgedruckte Frage nach Todesursache und -ort (nähere Angaben über die Teilnahme an Kampfhandlungen, bei denen der Schaden eingetreten ist) mit "Kriegslazarett". Das mit anderer Tinte angefügte Wort "tätig" hat sie nicht selbst geschrieben. Neben der Frage nach früherer Kriegshinterbliebenenversorgung steht ein Strich. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1951 stellte das Versorgungsamt L (VersA) fest, D. sei an den Folgen einer Schädigung i.S. des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestorben, und gewährte der Klägerin Witwenrente nach dem BVG. Auf Anforderung des VersA reichte die Klägerin 1961 eine Gesamtaufnahme des Soldatenfriedhofs N, auf dem ihr Ehemann begraben ist, als angeblich einzige weitere Unterlage außer der Sterbeurkunde ein. Zu dieser Zeit erhielt das VersA von der Deutschen Dienststelle in B die Nachricht, daß D. am 16. Oktober 1942 am Schießstand des Ortsteils M in K erschossen wurde. Weitere Ermittlungen ergaben lediglich noch folgendes: D. wurde durch das Feldgericht der 18. Armee am 5. Oktober 1942 wegen Fledderei in zwei Fällen zum Tode, zu vier Jahren Zuchthaus und zu dauerndem Verlust der Ehrenrechte verurteilt (§§ 134, 31 Militärstrafgesetzbuch - MStGB - vom 10. Oktober 1940 - RGBl I S. 1347 -, §§ 74, 32 Reichsstrafgesetzbuch). Das Urteil wurde am 15. Oktober 1942 bestätigt.

Nach Bekundungen des als Zeugen vernommenen früheren Krankenpflegers Leonhard M, auf die das Landessozialgericht (LSG) verwies, erklärte D. vor seinem Tod gegenüber dem Zeugen, der mit ihm 1942 im selben Lazarett als Sanitäter gearbeitet hatte, er sei denunziert worden und sei unschuldig. Außerdem soll ein Oberfeldwebel der Feldgendarmerie, der nach der Verurteilung das Gespräch zwischen D. und dem Zeugen M veranlaßte und überwachte, geäußert haben, D. wäre "frei gegangen", wenn er sich verteidigt hätte. Die Klägerin berichtete der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte mit einem in Photokopie vorhandenen Schreiben vom 26. Januar 1943 - das Original ist inzwischen vernichtet worden -, ihr Ehemann habe einem toten Kameraden den Ehering abgenommen und sei deshalb zum Tode verurteilt worden.

Das VersA hob mit Bescheid vom 14. Februar 1964, den es auf § 42 Abs. 1 Nr. 3 und 9 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) stützte, die gegenüber der Klägerin erlassenen Versorgungsbescheide auf, lehnte den Versorgungsantrag ab und forderte gem. § 47 Abs. 3 VerwVG die gezahlten Rentenbeträge in Höhe von 12.028,- DM zurück. Diesen Bescheid und den Widerspruchsbescheid vom 21. April 1964 hob das Sozialgericht (SG) Landshut durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 18. November 1965 auf, weil die Frist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG nicht gewahrt war. Mit Zustimmung des Landesversorgungsamts traf das VersA am 16. Februar 1966 die gleichen Entscheidungen wie zuvor und stützte die Berichtigung nunmehr auf § 41 VerwVG, weil die Versorgungsbescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen seien; D. sei nicht an den Folgen einer Verwundung verstorben, wie bei der Rentengewährung unterstellt worden sei, und die Hinrichtung sowie die zugrunde liegende Verurteilung seien kein offensichtliches Unrecht (§ 1 Abs. 2 Buchst. d BVG) gewesen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Bescheid vom 10. November 1966). Durch Urteil vom 27. September 1968 hob das SG die angefochtenen Bescheide auf, weil nicht zweifelsfrei sei, daß das Kriegsgerichtsurteil nicht als ein offensichtliches Unrecht gewertet werden müsse. Das LSG hob diese vom Beklagten angefochtene Entscheidung durch Urteil vom 17. März 1970 auf und wies die Klage ab. Die Witwenrentenbescheide, die in der Annahme, D. sei an den Folgen einer Verwundung oder einer im Wehrdienst erlittenen Krankheit verstorben (§ 1 Abs. 1 BVG), ergangen seien, wertete das LSG als zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtig. Die Möglichkeit, daß diese Verwaltungsakte aus anderen Gründen rechtmäßig seien, könne ausgeschlossen werden. Der Tod des Ehemannes der Klägerin als Folge einer militärgerichtlichen Bestrafung stelle keinen versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG dar, weil die Strafmaßnahme den Umständen nach nicht als offensichtliches Unrecht anzusehen sei. Jede von einem für die Sache zuständigen deutschen Militärgericht in einem ordentlichen Verfahren im Rahmen des Militärstrafrechts ausgesprochene Strafmaßnahme habe den Anschein des Rechts für sich. Eine zweifelsfreie Unrichtigkeit, die eine Berichtigung nach § 41 VerwVG rechtfertige, werde mit Rücksicht darauf, daß die Strafmaßnahme ein offensichtliches Unrecht gewesen sein müsse, nicht durch jede theoretisch denkbare Möglichkeit, daß sie ein Unrecht sein könnte, ausgeschlossen. Konkrete Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit seien hier nicht gegeben. Was die Klägerin zur Entlastung ihres Ehemannes vorgebracht habe, besage nichts darüber, daß D. unschuldig gewesen sei. Weder die Strafbarkeit der Fledderei noch die Androhung der Todesstrafe in besonders schweren Fällen stellten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ein offensichtliches Unrecht dar. Die bekanntgewordenen Tatsachen - das zweimalige Begehen der Tat, die Wegnahme eines Eheringes, eines besonders wertvollen Erinnerungsstückes, und die Pflichtverletzung als Sanitäter - seien hinreichende Gründe, die den Fall als besonders schweren erscheinen ließen. Auch die Art des Verfahrens biete keine Anhaltspunkte für die Bewertung als offensichtliches Unrecht. Die Rückforderung der gezahlten Rentenbeträge ist nach der Überzeugung des LSG nicht zu beanstanden, weil die Unrichtigkeit der berichtigten Bescheide darauf beruhe, daß die Klägerin die ihr bekannte Hinrichtung ihres Ehemannes als eine für die Entscheidung wesentliche Tatsache bewußt verschwiegen habe. Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des § 47 VerwVG sei die Rückforderung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts berechtigt.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG und der §§ 41, 47 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VerwVG. Entgegen der Auffassung des LSG stehe nicht außer Zweifel, daß der Tod des D. nicht eine Schädigungsfolge sei. Vielmehr beständen konkrete Anhaltspunkte dafür, daß das Strafmaß ein offensichtliches Unrecht i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG darstelle. Der Sachverhalt sei nicht ausreichend aufgeklärt. Mit Rücksicht auf die Bekundung des Zeugen M, der Truppe sei von Verfehlungen des Ehemannes der Klägerin weder etwas bekannt gewesen noch bekannt gemacht worden, und wegen der Denunziation hätten berechtigte Zweifel an dem Rechtsgehalt des Kriegsgerichtsurteils aufkommen müssen. Außerdem sei das Strafmaß nach dem MStGB idF vom 10. Oktober 1940 für ein derartiges Vergehen mit den damaligen politischen Zielsetzungen zu erklären und nicht angemessen. Da der Berichtigungsbescheid nicht rechtmäßig sei, sei die Klägerin nicht zur Rückzahlung der empfangenen Rentenbeträge verpflichtet.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Landshut vom 27. September 1968 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, §§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch im Sinne einer Zurückverweisung begründet.

Das LSG ist zu der Überzeugung, die Rentengewährung an die Klägerin sei zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtig, infolge einer unzureichenden Sachaufklärung gelangt. Dieser Verfahrensmangel führt auf die zugelassene Revision der Klägerin auch dann, wenn er nicht formgerecht gerügt wäre (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG (BSG SozR Nr. 143, 187 zu § 162 SGG).

Rechtsverbindliche Entscheidungen kann das VersA zuungunsten des Berechtigten mit Zustimmung des Landesversorgungsamts nach § 41 VerwVG nur dann aufheben, wenn außer Zweifel steht, daß sie im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen sind. Rechtsverbindlich i.S. des § 77 SGG und des § 24 VerwVG sind die zwei in dem Bescheid vom 10. Dezember 1951 enthaltenen Verfügungssätze: 1. die Feststellung, der Ehemann der Klägerin sei an den Folgen einer Schädigung i.S. des § 1 BVG verstorben (vgl. BSG 13, 232, 234), 2. die Gewährung der Witwenrente an die Klägerin. In den späteren Versorgungsbescheiden, die der Beklagte ebenfalls aufgehoben hat, wurde lediglich über die Rentenhöhe auf der Grundlage der ersten Entscheidung befunden. Diese Berechnungsbescheide könnten ebenso wie der zweite Verfügungssatz im Bescheid vom 10. Dezember 1951 allenfalls rechtlich unrichtig sein; in ihnen wurden allein aus dem BVG sich ergebende Rechtsfolgen der Feststellung, daß der Tod des D. eine Schädigungsfolge ist, ausgesprochen. Ob die zugrunde liegende Entscheidung über die Schädigungsfolge sowohl tatsächlich als rechtlich außer Zweifel unrichtig und daher auch die Rentengewährung rechtlich unrichtig ist, kann der Senat nicht beurteilen; der bisher mit Verbindlichkeit für das Revisionsgericht (§ 163 SGG) festgestellte Sachverhalt läßt eine solche Entscheidung nach § 41 VerwVG nicht zu. Für die Berichtigung nach § 41 VerwVG genügt nicht eine tatsächliche oder rechtliche Unrichtigkeit (BSG 8, 198, 200 ff; BSG 13, 232, 234 f).

Welche Tatsachen das VersA der Anerkennung des Todes des D. als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG zugrunde gelegt hat, ist dem Bescheid vom 10. Dezember 1951 selbst nicht zu entnehmen. Was in tatsächlicher Hinsicht nicht eindeutig als Teil einer Entscheidung zu erkennen ist, läßt sich nicht als zweifelsfrei richtig oder unrichtig bestimmen. Von den Angaben der Klägerin im Antrag ist bloß ihre Behauptung, ihr Ehemann sei im Kriegslazarett verstorben, zweifelsfrei unrichtig. Da er in Wirklichkeit auf einem Schießstand standrechtlich erschossen worden ist, wird er auch dort verstorben sein, wie das LSG im Ergebnis festgestellt hat. Ob das VersA aus der Sterbeurkunde geschlossen hat, D. sei als ein "ehemaliger Sanitäts-Gefreiter" bei seinem Tod nicht mehr Soldat gewesen - er war mit dem Todesurteil infolge zwangsläufiger Wehrunwürdigkeit aus dem Wehrverhältnis ausgeschieden (§ 31 Nr. 1, § 32 Nr. 2 MStGB) - oder - was näher liegt - als Todesursache eine wehrdienstbedingte Krankheit oder Verletzung (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a, § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG) angenommen hat, ist nicht eindeutig zu erkennen. Das LSG hat hierzu nichts eindeutig festgestellt. Dann läßt sich auch nicht beurteilen, ob die Entscheidung des LSG zutrifft, daß eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG als Todesursache nicht möglich sein könne und daher die Anerkennung einer Schädigungsfolge zweifelsfrei rechtlich unrichtig sei. Dies gilt namentlich auch deshalb, weil der festgestellte Sachverhalt eine Verursachung des Todes durch eine nach § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG versorgungsrechtlich geschützte Bestrafung nicht zweifelsfrei auszuschließen vermag.

Außer Zweifel unrichtig i.S. des § 41 Abs. 1 VerwVG ist ein Verwaltungsakt nur dann, wenn jede aus dem festgestellten Sachverhalt sich konkret ergebende, wenn auch fernliegende Möglichkeit, es könne anders sein, ausgeschlossen ist (BSG 6, 106, 110; BSG 6, 113, 114). Diese enge Auslegung folgt nicht allein nach allgemeinem Sprachgebrauch aus dem Begriff "Zweifel", sondern auch aus dem Zweck und dem Ausnahmecharakter des § 41 VerwVG; die Vorschrift ermöglicht nämlich einen Eingriff in die Bestandskraft von Verwaltungsakten, die um der Rechtssicherheit willen grundsätzlich zu achten ist (BSG 6, 113, 115). Anders als bei der neuen Entscheidung auf Grund einer Rücknahme eines rechtsverbindlichen Versorgungsbescheides nach § 42 VerwVG, die im vorliegenden Fall wegen Fristversäumnis (§ 43 VerwVG) ausgeschlossen ist (vgl. auch das rechtskräftige Urteil des SG vom 18. November 1965), muß hier nicht irgendein Schädigungstatbestand i.S. des § 1 BVG erwiesen sein, wenn die Klägerin obsiegen soll; vielmehr braucht er nur möglich zu sein.

Der nach den Feststellungen des LSG erwiesene Tatbestand - Tod durch Erschießen auf Grund eines militärgerichtlichen Urteils - schließt indes nicht die Möglichkeit aus, daß dieser Vorgang rechtlich als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG zu würdigen ist. Nach § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG steht einer Schädigung durch militärische Dienstverrichtungen und militärdiensteigentümliche Verhältnisse (§ 1 Abs. 1 BVG) eine Schädigung durch eine mit dem militärischen Dienst zusammenhängende Strafmaßnahme gleich, wenn diese den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist. Wenn aber nicht jede Möglichkeit, den wirklichen Sachverhalt einem versorgungsrechtlichen Tatbestand zuzuordnen, ausgeschlossen ist, somit die rechtsverbindliche Entscheidung aus anderen als den in ihr mitgeteilten oder von ihr unterstellten Gründen zutreffend sein kann, darf ein bindend gewordener Bescheid nicht berichtigt werden (BSG 6, 288; BSG 13, 227, 230; BSG 13, 232, 235; BSG 18, 260, 261 f; Urteil des BSG vom 24.11.1970 - 8 RV 85/70 -).

Da der Hinrichtung ein bestätigtes und daher nach damaligem Recht rechtskräftiges Todesurteil eines Kriegsgerichtes zugrunde lag, könnte eine zweifelsfreie Unrichtigkeit des Bescheides vom 10. Dezember 1951 durch die Möglichkeit einer offensichtlich rechtswidrigen Verurteilung ausgeschlossen sein.

Ob die Hinrichtung des Ehemannes der Klägerin möglicherweise eine offensichtliche unrechtmäßige Strafmaßnahme im Zusammenhang mit seinem militärischen Dienst war, die einen Versorgungstatbestand nach § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG begründet, hat das LSG nicht auf Grund einer vollständigen Sachaufklärung geprüft. Insbesondere müßten die Aussagen des Zeugen M und die Angaben der Klägerin umfassender mit Verbindlichkeit für das Revisionsgericht (§ 163 SGG) festgestellt werden. Auch der rechtlichen Würdigung durch das LSG unter dem Gesichtspunkt, ob die Hinrichtung als offensichtlich unrechtmäßige Strafmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zu werten ist, vermag der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen.

Das LSG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß die Bestrafung des D. im Zusammenhang mit seinem militärischen Dienst stand; denn die Fledderei war durch besondere Umstände dieses Dienstes gekennzeichnet; sie war ein qualifizierter Diebstahl in Verbindung mit Kampfhandlungen des Krieges gegenüber den auf dem Kampfplatz Verbliebenen oder einem Kranken oder Verwundeten auf dem Kampfplatz, auf dem Marsch, auf dem Transport oder im Lazarett oder gegenüber einem dem Schutz des Täters anvertrauten Kriegsgefangenen und wurde aus militärischen Gründen in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft (§ 134 MStGB). Entgegen der Auffassung des LSG erscheint es aber bedenklich, die endgültige Entscheidung in dieser Sache darauf zu stützen, daß jedes von einem zuständigen deutschen Militärgericht im Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Strafgesetze ausgesprochene Strafurteil den Anschein des Rechts für sich habe. Das ließe sich möglicherweise dann bejahen, wenn ein Urteil noch vorliegt und die Nachprüfung zuläßt, wie es zu der Bestrafung gekommen ist. Das gegen D. verhängte Todesurteil läßt eine solche Nachprüfung nicht zu, weil die schriftliche Urteilsbegründung fehlt, die erkennen ließe, ob das Feldkriegsgericht in gesetzlich vorgeschriebener Weise (§ 65 Abs. 1-3 Kriegsstrafverfahrensordnung - KStVO - vom 17. August 1938 - RGBl 1939 I S. 1457 -) die Tatsachen, aus denen sich die Tatbestandsmerkmale der angenommenen Straftaten ergaben, bestimmt bezeichnete sowie überzeugend mitteilte, weshalb es die festgestellten Tatsachen für erwiesen erachtete und aus welchem Grunde es strafverschärfende Umstände annahm und deshalb die Todesstrafe verhängte. Das LSG, das nicht den gesamten Verlauf der Verhandlung und Beweisaufnahme im Strafverfahren kennen kann, hat zwar versucht, selbst die Todesstrafe nachträglich zu rechtfertigen. Aber es hat tatsächliche Feststellungen, die die Annahme eines "besonders schweren Falles" mit solcher Gewißheit rechtfertigen, daß ein offensichtliches Unrecht des Todesurteils unmöglich wäre, bisher nicht getroffen. Die Fledderei wurde nach Kriegsrecht im Regelfall bloß mit Zuchthaus bestraft; nur in "besonders schweren Fällen" konnte auf Todesstrafe erkannt werden (§ 134 Abs. 1 MStGB). Mangels ausreichender Tatsachen läßt sich die Entscheidung des LSG über den Versorgungstatbestand des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG nicht nachprüfen. Eine offensichtliche Unrechtmäßigkeit des Todesurteils kommt im vorliegenden Fall in erster Linie deshalb in Betracht, weil bisher nicht zweifelsfrei festgestellt ist, daß D. die ihm zur Last gelegten Straftaten überhaupt begangen hatte. Das LSG müßte insbesondere noch durch eine Vernehmung des Zeugen M und eine Anhörung der Klägerin vor dem Senat ermitteln, ob tatsächlich D. von seinen Kameraden trotz der Verurteilung für unschuldig gehalten wurde und ob sogar der Oberfeldwebel der Feldgendarmerie, der ihn nach dem Strafverfahren begleitete, sich gegenüber dem Zeugen M dahin geäußert hat, für den Fall einer ausreichenden Verteidigung des Angeklagten sei ein Freispruch zu erwarten gewesen. Wenn D. seine Verurteilung auf eine Denunziation zurückgeführt haben soll, könnte dies in Verbindung mit seiner Unschuldsbeteuerung auch so zu verstehen sein, daß er sich zu Unrecht für denunziert (angezeigt) hielt, nicht dagegen, daß er damit nur erklären wollte, auf welchem Wege von ihm tatsächlich begangene Straftaten zur Kenntnis der Anklagebehörde gelangt seien. Das Feldgericht könnte begründete Zweifel an der Schuld des D. unterdrückt oder jedenfalls unzulänglich gewürdigt haben, wenn auch der Oberfeldwebel der Feldgendarmerie - möglicherweise auf Grund seiner Teilnahme an dem Kriegsgerichtsverfahren - nicht von Ds Schuld überzeugt gewesen sein soll. Begründete Zweifel am Begehen der Straftat, an der Rechtswidrigkeit, am Verschulden und auch nur an Voraussetzungen der Strafzumessung sind aber zugunsten des Angeklagten zu werten ("in dubio pro reo"); dieser rechtsstaatliche Grundsatz (BVerfGE 9, 167, 169 f; BGHSt 18, 274, 277; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG I, 2. Aufl. 1964, Nr. 371, 366) galt selbst in der Kriegszeit in Deutschland unter der nationalsozialistischen Herrschaft (Robert von Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, 1941, S. 384 f).

Sollte ein Tatbestand, der zur Annahme "besonderer Umstände" berechtigt, eindeutig festgestellt werden, wird der Ansicht der Revision, die für diesen Fall der Fledderei angedrohte Todesstrafe sei schlechthin als typisch nationalsozialistische Abschreckungsmaßnahme unangemessen gewesen und daher stets als offensichtliches Unrecht zu werten, allerdings in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen sein. Die Umstände einer solchen im Krieg begangenen Tat können so verabscheuungswürdig und gemeinschaftsschädlich gewesen sein, daß die Todesstrafe schuldangemessen war.

Die Möglichkeit eines offensichtlichen Unrechts im Sinn des § 1 Abs. 2 Buchs. d BVG kann jedoch auch im Verfahren des Kriegsgerichts liegen. Nach Möglichkeit müßte noch aufgeklärt werden, ob D. durch das Kriegsgericht in seinem Recht auf Gehör und auf ausreichende Verteidigung beeinträchtigt wurde, was seine Verurteilung mit bedingt haben könnte. Diese Rechte waren auch nach damaligem Gesetz zu beachten (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, §§ 50 f, 59 KStVO). Wenn D. sich nach den Bekundungen des Zeugen M nicht wirksam verteidigt haben soll, könnte ihm ein Verteidiger versagt gewesen sein. Ein Verteidiger hätte aber von Amts wegen für ihn bestellt werden müssen, wenn die ihm zur Last gelegten Straftaten mit dem Tode bedroht waren (§ 49 Abs. 1 Satz 2 KStVO). Falls hingegen wegen der Taten, derentwegen er angeklagt war, nach damaligem Strafrecht nicht die Todesstrafe hätte verhängt werden dürfen, wäre das Todesurteil allein deshalb in der Sache offensichtlich unrechtmäßig. Über die allgemeine Praxis bei der Bestellung und Zulassung von Verteidigern vor dem Feldgericht der 18. Armee im Jahre 1942 können vielleicht sachkundige Personen gehört werden.

Bei der neuen Entscheidung hat das LSG davon auszugehen (§ 170 Abs. 4 SGG), daß, wie bereits dargelegt, schon die Möglichkeit eines offensichtlichen Unrechts des Todesurteils die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Berichtigungsbescheides ausschließt. Das LSG hat bisher den einschränkenden Maßstab, daß das Unrecht der Strafmaßnahme offensichtlich sein muß, nach "groben, sofort ins Auge fallenden Mängeln ... unter Zugrundelegung der Grundsätze eines Rechtsstaates" bestimmt. Dies wäre mit dem Gesetz nicht vereinbar, falls damit eine offene Einsehbarkeit i.S. einer leichten Erkennbarkeit der für die Beurteilung maßgebenden Tatsachen, also eine Anforderung an die Beweisführung gemeint wäre. "Offensichtlich" bezieht sich vielmehr auf den materiell-rechtlichen Beurteilungsmaßstab, auf das eindeutige Mißverhältnis zwischen der verhängten Strafe und Grundsätzen des rechtsstaatlichen Strafrechts (vgl. BSG 6, 195, 196 f; BSG 12, 175, 176). Da die Berichtigung nach § 41 VerwVG schon ausgeschlossen ist, falls sich aus dem konkreten Sachverhalt die Möglichkeit Rechtmäßigkeit des bindend gewordenen Bewilligungsbescheides ergibt, ist sie im vorliegenden Fall auch dann nicht berechtigt, wenn festgestellte Tatsachen die bloße (fernliegende) Möglichkeit eines offensichtlichen Unrechts in dem dargelegten Sinne begründen. Die Möglichkeit, daß ein bindender Bescheid unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt im Ergebnis richtig ist, wird sich um so eher ergeben, je schwieriger es ist, über die gesetzlichen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Versorgungstatbestandes - hier eines offensichtlichen Unrechts der Todesstrafe - objektiv zu entscheiden (BSG 6, 106, 109 ff; BSG 13, 227, 230 zu medizinischen Beurteilungen).

Schließlich hat das LSG bei seiner neuen Entscheidung auch die objektive Beweislast zu beachten. Die Beweislast liegt hier beim Beklagten, soweit es um die Voraussetzungen der Berichtigung geht. Es geht zu seinen Lasten, wenn die Unrichtigkeit der zugunsten der Klägerin getroffenen Entscheidungen nicht zweifelsfrei erwiesen werden könnte (BSG 6, 70, 72; BSG 6, 113, 114). Erweist sich dagegen eine offensichtliche Unrichtigkeit des Todesurteils nicht einmal als möglich, so hat die Klägerin die Folgen dieses Beweisergebnisses zu tragen. In diesem Falle, wenn mithin die Berichtigung nach § 41 VerwVG berechtigt wäre, müßte die Klägerin auch damit rechnen, daß das LSG auch bei der neuen Entscheidung die Rückforderung nach § 47 VerwVG für berechtigt hält.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669275

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