Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.09.1985) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. September 1985 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der klagende Träger der Sozialhilfe beansprucht von der Beklagten als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung die Erstattung einer Weihnachtsbeihilfe.
Der bei der Beklagten versicherte Beigeladene erhielt sei Mai 1980 vom Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Tuberkulosehilfe nach § 48 Abs. 2 Nr. 3 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in der vor dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung. Im Dezember 1980 zahlte der Kläger dem Beigeladenen zusätzlich eine einmalige Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 110,– DM. Mit Bescheid vom 18. November 1980 gewährte die Beklagte dem Beigeladenen rückwirkend ab 12. Januar 1980 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit, die mit Bescheid vom 22. April 1982 neu festgestellt wurde und danach für den Monat Dezember 1980 sich auf 885,80 DM belief. Den vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch befriedigte die Beklagte aus der zugunsten des Beigeladenen festgestellten Rentennachzahlung mit Ausnahme der Weihnachtsbeihilfe, bei der es sich nicht um eine „Unterstützung nach gesetzlicher Vorschrift” gehandelt habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Weihnachtsbeihilfe dem Kläger aus der Rentennachzahlung zu erstatten (Urteil vom 17. Februar 1984). Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) diese Entscheidung abgeändert und die Klage des Klägers abgewiesen (Urteil vom 24. September 1985). Es hat ausgeführt, der geltend gemachte Erstattungsanspruch richte sich nach § 104 des Sozialgesetzbuches –Verwaltungsverfahren– (SGB 10). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien jedoch nicht erfüllt, weil die Weihnachtsbeihilfe nicht aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung des Klägers an den Beigeladenen gezahlt worden sei, sondern lediglich pauschal ohne individuelle Bedarfsprüfung gemäß einer Empfehlung des Nordrhein-Westfälischen Landkreistages freiwillig gewährt worden sei.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er trägt vor, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gehöre der weihnachtliche Mehrbedarf zum notwendigen Lebensunterhalt iS der §§ 11, 12 und 21 BSHG. Bei der Ermittlung des Bedarfs und der Festsetzung der Weihnachtsbeihilfe für den Beigeladenen sei der Kläger von differenzierten Bedarfsmerkmalen ausgegangen, die der Landkreistag in seine Empfehlungen aufgenommen habe. Die darin genannten Sockelbeträge basierten auf ausreichenden Erfahrungswerten.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen; hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Aufgrund der vom LSG im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen, die in der Revisionsbegründung nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind und an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 163 SGG), steht dem Kläger ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der dem Beigeladenen im Dezember 1980 gewährten Weihnachtsbeihilfe nicht zu.
Für die Prüfung des streitigen Erstattungsanspruchs ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nun die seit dem 1. Juli 1983 geltende Vorschrift des § 104 SGB 10 maßgebend. Das ergibt sich aus der Überleitungsvorschrift in Art. 2 § 21 SGB 10 (vgl. BSG in SozR 1300 § 104 Nrn 3, 4 und 7 mwN). Zwar sind hier die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB 10, die eine Gleichartigkeit der Leistungen beider in Betracht kommenden Sozialleistungsträger erfordern, nicht unmittelbar erfüllt. Gemäß Satz 4 der genannten Bestimmung ist aber dessen Satz 1 für Fälle der hierzu entscheidenden Art. entsprechend anwendbar (vgl. BSG in SozR 1300 § 104 Nr. 4).
Zutreffend hat das LSG die einschlägige bisherige Rechtsprechung des BSG wiedergegeben. Dessen 4. Senat hat sich im Urteil vom 20. Februar 1975 (BSGE 39, 183 = SozR 2200 § 1531 Nr. 3) befaßt mit der Weihnachtsbeihilfe im Rahmen eines Ersatzanspruchs nach den §§ 1531, 1536 der Reichsversicherungsordnung –RVO– in der bis zum Inkrafttreten des SGB 10, 3. Kapitel (Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten, Gesetz vom 4. November 1982) am 1. Juli 1983 geltenden Fassung (RVO aF) der durch den Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff SGB 10 abgelöst worden ist. Dabei ist das BSG zu dem Ergebnis gelangt, die Zahlung von Weihnachtsbeihilfen stelle nicht eine Unterstützung „nach gesetzlicher Pflicht” iS des § 1531 RVO aF dar. In seiner weiteren Entscheidung vom 27. September 1979 (SozR 3000 § 27e Nr. 1) hatte der 4. Senat darüber zu befinden, ob der Träger der Kriegsopferfürsorge den Übergang des Rentenanspruchs aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 27e des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wegen einer Weihnachtsbeihilfe bewirken kann. Er hat die in pauschalierter Form gewährte Beihilfe nicht als Sozialhilfeleistung zur Deckung des Mindestbedarfs iS der §§ 12, 22 BSHG, sondern als eine darüber hinausgehende freiwillige Leistung angesehen.
Nunmehr hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 12. April 1984 (–5 C 95/80–, FEVS 33, 441) entschieden, das Weihnachtsfest verursache erhöhten Bedarf für den notwendigen Lebensunterhalt, der vom laufenden Lebensunterhalt nach den Regelsätzen (§§ 11, 12, 22 BSHG iVm mit der Regelsatzverordnung) nicht erfaßt werde, so daß er durch zusätzliche Hilfen zum Lebensunterhalt in Form einmaliger Leistungen abgedeckt werden müsse. Der Senat neigt dazu dieser neueren Rechtsauffassung des BVerwG zu folgen und nicht der älteren Rechtsprechung des BSG. Er läßt diese Frage jedoch hier unentschieden, denn der Kläger kann jedenfalls keine Erstattung der Weihnachtsbeihilfe verlangen, weil er damit dem individuellen Bedarf im konkreten Fall nicht Rechnung getragen hat.
Nach der Entscheidung des BSG vom 20. Februar 1975 (aaO) kommt es darauf an, ob die Leistung außerhalb der Regelsätze sich nach Art, Form und Maß an den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere an der Person des Hilfsbedürftigen, der Art. seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen orientiert. Für die Weihnachtsbeihilfe der allgemeinen Sozialhilfe wurden diese Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil es an der Berücksichtigung des individuellen Bedarfs im konkreten Einzelfall fehle und somit die pauschalierte Hilfeleistung nicht dem Grundsatz der Individualisierung entspreche. Diese grundsätzlichen Voraussetzungen des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO aF hat der 4. Senat des BSG im Urteil vom 27. September 1979 (aaO) auch im Falle des § 27e BVG als maßgebend angesehen. Das Gebot der Individualisierung erfordere zunächst, daß im Einzelfall ein bestimmter Bedarf als solcher festgestellt werde. Sei dieser bejaht worden, so möge nicht in jedem Fall eine spezielle, auf die konkrete Situation des Hilfsbedürftigen zugeschnittene, individuelle Berechnung erforderlich sein, vielmehr könne dem Grundsatz der Individualisierung auch durch die Einführung von Sockelbeträgen Genüge getan werden. Dieses Individualisierungsgebot des § 3 Abs. 1 BSHG hat das BVerwG in der bereits erwähnten Entscheidung vom 12. April 1984 (aaO S 451 ff) ebenfalls betont und hervorgehoben, es gelte für die Weihnachtsbeihilfe. In rechtlicher Hinsicht bedeute dies zunächst, daß ein Bedarf konkret ermittelt und die zu gewährende Hilfe danach bemessen werden müsse. Dies schließe allerdings eine Pauschalierung in gewissen Grenzen nicht aus. So dürfe von einem Sockelbetrag ausgegangen werden, der jeweils nach den in Betracht kommenden Bedarfsmerkmalen ermittelt und differenzierend festgelegt werde, was ausreichende Erfahrungswerte erfordere. Insoweit bestehe Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (aaO).
In dem hier zu entscheidenen Rechtsstreit hat das LSG festgestellt, der durch die Weihnachtsbeihilfe begünstigte Personenkreis sei vom Kläger ausschließlich gem Ziff 3.1 und 3.2 der Empfehlungen des Nordrhein-Westfälischen Landkreistages festgelegt worden, wonach unter anderem jeder Empfänger laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach Abschnitt 2 BSHG die Beihilfe ohne nähere Prüfung – also pauschal – erhalten habe. Es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Kläger den konkreten Mehrbedarf für das Weihnachtsfest 1980 errechnet habe. Zwar seien in den Richtlinien des Landkreistages Einzelbeträge für Nahrungs- und Genußmittel, Geschenke und Weihnachtsschmuck angegeben. Nachweisbare Erfahrungen für die Annahme dieses Bedarfs seien indes nicht erkennbar. Er werde vielmehr nach Nr. 4 der Richtlinien aus Zweckmäßigkeitsgründen durch eine Pauschale unter Berücksichtigung des dem Regelsatz zugrunde liegenden Warenkorbwertes und der „allgemeinen Lebensgewohnheiten” bestimmt. Zwar solle diese Pauschalierung nicht von der gemäß § 3 BSHG gebotenen individuellen Prüfung des Einzelfalles entbinden. Gerade dies habe aber der Kläger vor der Gewährung der Beihilfe nicht getan, sondern pauschal an jeden Sozialhilfeempfänger die Weihnachtsbeihilfe gezahlt, so daß ein konkreter Bezug zum jeweilig bedachten Empfänger fehle. An diese Feststellungen ist der erkennende Senat gemäß § 163 SGG gebunden.
Nach § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG muß die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm und soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Kläger meint, es komme auf den Beweis einer durchgeführten Bedarfsprüfung im Einzelfall des Beigeladenen nicht an. Dieser Ansicht kann, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, nicht gefolgt werden. Der Kläger trägt weiter in seiner Revisionsbegründung vor, das LSG stütze sich unter anderem auf Ausführungen des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vom 24. September 1985, wonach der Personenkreis, der durch Weihnachtsbeihilfe Begünstigten ausschließlich durch die Empfehlungen des Landkreistages festgelegt worden sei. Das sei ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht richtig. Eine solche Äußerung sei nicht erfolgt. Aus dem Protokoll sei keine Erörterung der Frage ersichtlich, wie die Weihnachtsbeihilfe im Kreis Soest oder im Einzelfall an den Beigeladenen gewährt worden sei. Das Berufungsgericht hätte einen wesentlichen Teil der Begründung seines Urteils nur auf Erklärungen des Sitzungsvertreters stützen dürfen, wenn dessen Äußerungen zumindest inhaltlich aus dem Protokoll ersichtlich seien, denn es handele sich um wesentliche Vorgänge der Verhandlung. Aus dem Tatbestand des Urteils ergebe sich nichts, was auf eine entsprechende Erklärung des Sitzungsvertreters hinweise. Ein nichtvorliegender Tatbestand könne aber nicht in den Urteilsgründen zum Beweis dafür herhalten, die Weihnachtsbeihilfe sei ohne jede Bedarfsprüfung pauschal gezahlt worden und eine nähere Prüfung habe nicht stattgefunden. Mit diesem Vorbringen Können die Feststellungen des LSG nicht angegriffen werden. Abgesehen von den die Sitzungsniederschrift betreffenden Vorschriften des § 122 SGG iVm § 160 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hat der Kläger keine, das Verfahren vor dem LSG betreffende Rechtsnorm iS des § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG bezeichnet, und keine Tatsachen angegeben, die einen Verfahrensmangel ergeben können.
Für die Sitzungsniederschrift im sozialgerichtlichen Verfahren gelten die §§ 159 bis 165 ZPO entsprechend (§ 122 SGG). Nach § 160 Abs. 2 ZPO sind zwar die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung in das Protokoll aufzunehmen, wozu auch Erklärungen der Beteiligten gerechnet werden können. Geschieht das nicht, so beurkundet jedenfalls nach § 202 SGG iVm § 314 ZPO, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, der Tatbestand des Urteils, das Vorbringen der Beteiligten. Entgegen der Ansicht des Klägers kann als Tatbestand iS des § 314 ZPO nicht nur der so überschriebene Teil des Urteils verstanden werden, vielmehr sind „Tatbestand” hier alle tatsächlichen Feststellungen ohne Rücksicht auf ihre äußere Einordnung in den Zusammenhang des Urteils. Von den Wirkungen des § 314 Satz 1 ZPO, Beweis zu liefern für das mündliche Parteivorbringen werden folglich auch diejenigen Feststellungen erfaßt, die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils getroffen worden sind (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 28. Mai 1974 –XI ZR 65/73– in VersR 74, 1021 und des Bundesarbeitsgerichts –BAG– vom 8. Dezember 1977 – 3 AZR 530/76– in VersR 79, 93, 94). Die Tatsachenfeststellungen des LSG bezüglich des vom Kläger bei der Gewährung der Weihnachtsbeihilfe an den Beigeladenen nicht eingehaltenen Individualisierungsgebot sind daher nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden. Deshalb besteht für den Senat keine Veranlassung, den Rechtsstreit wegen eines Verfahrensmangels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Da somit davon auszugehen ist, daß die nach § 3 Abs. 1 BSHG erforderliche Bedarfsprüfung im Einzelfall hier unterblieben ist, kann der Kläger die gezahlte Weihnachtsbeihilfe nicht nach § 104 Abs. 1 SGB 10 von der Beklagten erstattet bekommen. Insoweit kann auf die. Entscheidung des BVerwG vom 12. April 1984 (aaO S 456) verwiesen werden, wonach die Erstattungspflicht voraussetzt, daß die festgesetzten Sockelbeträge in voller Höhe durch ausreichende Erfahrungswerte abgedeckt sind. Dabei ist es auch rechtlich geboten, im Einzelfall zu prüfen, ob der in den Sockelbeträgen sich ausdrückende Bedarf höher oder niedriger anzunehmen und folglich eine höhere oder niedrigere Weihnachtsbeihilfe zu gewähren ist.
Übereinstimmend damit enthalten die Empfehlungen des Nordrhein-Westfälischen Landkreistages in Ziff 4 ausdrücklich den Hinweis, die Pauschalierung entbinde jedoch nicht von der gemäß § 3 BSHG gebotenen individuellen Prüfung des Einzelfalles. Der Kläger hätte zumindest durch Interne Richtlinien festlegen müssen, wann von den empfohlenen Sockelbeträgen bzw der Pauschale als angemessenen Bedarf ausgegangen werden kann, welche Umstände ein Abweichen davon rechtfertigen und wie derartige Entscheidungen in den Akten kenntlich zu machen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen