Leitsatz (redaktionell)
Ein Bescheid, der nach SGG § 154 Abs 2 in Ausführung des noch nicht rechtskräftigen Urteils des SG ergangen ist, trifft nur eine vorläufige Regelung; er stellt den Kläger nicht "klaglos".
Daran ändert sich auch nichts, wenn die Verwaltungsbehörde mit diesem Bescheid dem Kläger nicht nur eine Rente bewilligt, sondern auch entsprechend dem Urteil des SG weitere Schädigungsfolgen anerkennt; auch insoweit handelt es sich um eine vorläufige Regelung.
Der Bescheid ist auch nicht deshalb als ein "endgültiger" Bescheid anzusehen, weil die Verwaltungsbehörde darin "in Ausführung des Urteils" auch für die Zeit vor dem Erlaß des Urteils Leistungen bewilligt hat; auch insoweit liegt nur eine vorläufige Regelung vor, die von dem Bestand des Urteils abhängt (vergleiche BSG 1959-02-21 11 RV 724/58 = BSGE 9, 170).
Normenkette
SGG § 154 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 1961 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Mit Bescheid vom 5. August 1953 stellte der Beklagte bei dem Kläger "reizlose Narben nach Granatsplitterverletzung mit Knochenbeteiligung in der Schläfengegend und Innenohrschädigung links" als Schädigungsfolgen fest; die Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen sowie die Bewilligung einer Rente lehnte der Beklagte ab, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen der Schädigungsfolgen nicht um mindestens 25 v.H. gemindert sei. Mit der Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß auch seine "Verdauungsstörungen mit verminderter Salzsäurebildung" Schädigungsfolgen seien, und die Gewährung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. ab 1. Juli 1952. Das Sozialgericht (SG) München entschied durch Urteil vom 3. Oktober 1956: "In Abänderung des Bescheids vom 5. August 1953 wird der Beklagte verurteilt, Verdauungsstörungen mit verminderter Salzsäurebildung im Magen als weitere Schädigungsfolgen im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Juni 1952 Rente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren."
Der Beklagte legte am 22. Oktober 1956 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein. Er beantragte, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte erließ darauf am 6. Dezember 1956 einen Bescheid; es heißt darin: "Auf Grund des Urteils des SG München vom 3. Oktober 1956 wird zu den mit Bescheid vom 5. August 1953 anerkannten Schädigungsfolgen als weitere Schädigungsfolge Verdauungsstörungen mit verminderter Salzsäurebildung im Magen im Sinne der Verschlimmerung anerkannt und unter Anerkennung einer MdE von 30 v.H. ab 1. Juni 1952 folgender Ausführungsbescheid erteilt"; es folgt die Berechnung der Rente. Der Kläger beantragte, die Berufung des Beklagten als unzulässig zu verwerfen, weil der Beklagte mit seinem Bescheid vom 6. Dezember 1956 das Urteil des SG "ohne ausdrücklichen Vorbehalt" ausgeführt habe. Das LSG holte ein Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. P... und ein weiteres Gutachten (auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) des Facharztes für innere Krankheiten Dr. K... ein. Beide Ärzte vertraten die Auffassung, daß bei dem Kläger krankhafte Befunde am Magen oder Verdauungstrakt, die Schädigungsfolgen seien, nicht vorlägen.
Das LSG wies die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 21. März 1961 als unzulässig zurück. Es führte aus, daß das. "Rechtsschutzinteresse an der Durchführung des Berufungsverfahrens durch die in Ausführung des angefochtenen Urteils im Bescheid vom 6. Dezember 1956 abgegebenen vorbehaltlosen Anerkenntnisse des Beklagten hinsichtlich des Leistungsgrundes und der Rentengewährung entfallen" sei. Das Urteil des LSG wurde dem Beklagten am 18. April 1961 zugestellt. Der Beklagte legte am 21. April 1961 Revision ein; er beantragte,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 21. März 1961 aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 9. Juni 1961. Er rügte, das LSG habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen; es habe eine Sachentscheidung treffen müssen.
Der Kläger beantragte,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 und § 165 SGG).
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Der Beklagte rügt zu Recht, das Verfahren des LSG leide an einem wesentlichen Mangel, das LSG habe zu Unrecht die Berufung als unzulässig verworfen, es habe eine Sachentscheidung treffen müssen.
Das LSG hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei nicht beschwert, weil er nach Erlaß des Urteils des SG durch einen neuen Bescheid die Rente "vorbehaltlos" bewilligt habe. Dies trifft jedoch nicht zu. Der Beklagte hat zwar mit dem Bescheid vom 6. Dezember 1956 "Verdauungsstörungen mit verminderter Salzsäurebildung im Magen" als weitere Schädigungsfolgen im Sinne der Verschlimmerung festgestellt (anerkannt) und dem Kläger ab 1. Juni 1952 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. bewilligt; er hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Bescheid als "Ausführungsbescheid" auf Grund des Urteils des SG vom 3. Oktober 1956 erteilt werde. Dieser Bescheid ist nicht als ein "vorbehaltloses Anerkenntnis des Klagebegehrens sowohl hinsichtlich des Leistungsgrundes als auch hinsichtlich der Rentengewährung" zu werten; es ist vielmehr ein Bescheid, der nach § 154 Abs. 2 SGG in Ausführung des noch nicht rechtskräftigen Urteils des SG ergangen ist; er hat nur eine vorläufige Regelung getroffen; er hat den Kläger nicht "klaglos" gestellt. Daran hat auch nichts geändert, daß der Beklagte mit diesem Bescheid dem Kläger nicht nur eine Rente bewilligt, sondern auch entsprechend dem Urteil des SG weitere Schädigungsfolgen anerkannt hat; auch insoweit hat es sich erkennbar um eine vorläufige Regelung gehandelt. Der Bescheid vom 6. Dezember 1956 ist auch nicht deshalb als ein "endgültiger" Bescheid anzusehen, weil der Beklagte darin "in Ausführung des Urteils" auch für die Zeit vor dem Erlaß des Urteils Leistungen bewilligt hat; auch insoweit hat nur eine vorläufige Regelung vorgelegen, die von dem Bestand des Urteils abhängt (BSG 9, 170). Der Beklagte hat schon vor Erlaß des Ausführungsbescheids gegen das Urteil des SG in vollem Umfang Berufung eingelegt; er hat damit sein Recht, die Aufhebung des Urteils des SG im Prozeß zu verfolgen, um damit auch die vorläufige Regelung in dem Ausführungsbescheid, "gegenstandslos" zu machen, gewahrt. Der Kläger kann sich im vorliegenden Falle auch nicht darauf berufen, daß der Beklagte in dem Ausführungsbescheid nicht ausdrücklich erklärt habe, daß es sich nur um eine vorläufige Regelung handele und daß er das Urteil des SG anfechte. Ein solcher ausdrücklicher Vorbehalt ist hier schon deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Beklagte die Berufung eingelegt hat, bevor er den Ausführungsbescheid erlassen hat. Zwar ist die Berufungsschrift des Beklagten, die am 22. Oktober 1956 beim LSG eingegangen ist, dem Kläger - aus unerklärlichen Gründen - erst im September 1958 zugestellt worden; der Kläger hat aber jedenfalls damit gerechnet, daß der Rechtsstreit mit dem Urteil des SG nicht beendet gewesen ist; das ergibt sich eindeutig aus der Eingabe seines Prozeßbevollmächtigten vom 6. Dezember 1956, in der dieser eine Prozeßvollmacht des Klägers vom 8. November 1956 und ein ärztliches Zeugnis über den Kläger dem LSG überreicht hat. Im übrigen enthält der Bescheid vom 6. Dezember 1956 selbst ausreichende Hinweise dafür, daß die Regelung in dem Bescheid nur Bestand haben soll, wenn das Urteil des SG rechtskräftig wird.
Das LSG hat danach zu Unrecht keine Sachentscheidung getroffen. Der Beklagte hat diesen Verfahrensmangel in der nach § 164 Abs. 2 SGG gebotenen Form gerügt. Die Revision ist auch frist- und formgerecht eingelegt, sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet. Es ist möglich, daß das LSG bei einer Entscheidung in der Sache selbst zu einem anderen Ergebnis kommt. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da hierzu noch tatsächliche Feststellungen erforderlich sind.
Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen