Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache. keine Bindung an Beweisanträge
Orientierungssatz
1. Ein ausländischer Versicherter kann sich gegenüber der Verweisung auf eine sozial zumutbare Tätigkeit nicht auf die ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache berufen, sofern der vergleichbare deutsche Versicherte die erforderlichen Sprachkenntnisse typischerweise besitzt (vgl BSG 1980-04-23 4 RJ 29/79 = SozR 2200 § 1246 Nr 61). Sonst käme für ausländische Versicherte ein Risiko in der Rentenversicherung zum Tragen, das eine ungleiche Behandlung im Verhältnis zu den deutschen Versicherten bewirkte.
2. Beweisanträge nach SGG § 103 S 2 sind, abgesehen von der Vorschrift des SGG § 160 Abs 2 Nr 3 grundsätzlich nur Anregungen; entscheidend ist allein, ob das Gericht sich aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Beweiserhebung gedrängt fühlen muß.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 103 S 2 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.09.1981; Aktenzeichen L 2 J 18/81) |
SG Hannover (Entscheidung vom 20.11.1980; Aktenzeichen S 5 J 529/79) |
Tatbestand
Der im Jahr 1944 geborene Kläger, spanischer Staatsangehöriger, war von 1970 bis 1978 bei der Bundesbahn als Rangier- und später als Ladearbeiter beschäftigt. Im März 1979 beantragte er bei der Beklagten wegen der Folgen einer Kahnbeinfraktur rechts Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. August 1979 den Antrag ab.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Urteil vom 20. November 1980 den Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 23. September 1981 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Kläger, der der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen sei, könne noch mittelschwere körperliche Arbeiten ganztags verrichten.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen Rechts (§ 286 Zivilprozeßordnung -ZPO-) sowie materiellen Rechts (§§ 1246 ff RVO) und trägt vor: Das LSG habe die von ihm angebotenen Beweise nicht erhoben. Es habe zu Unrecht angenommen, daß ihm, dem Kläger, der Arbeitsmarkt offen stehe. Er beantragt sinngemäß: das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, kein Anspruch auf Rente gegen die Beklagte zu.
Der Anspruch des Klägers könnte sich nur auf § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) hinsichtlich der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und auf § 1246 RVO stützen, soweit Rente wegen Berufsunfähigkeit begehrt wird. Das LSG hat die Renten verweigert, weil der Kläger weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig sei und auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne. Die Entscheidung hält den Angriffen der Revision stand.
Im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit ist das SG an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 103 Satz 2 SGG). Die Beweisanträge sind, abgesehen von der hier nicht anwendbaren Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, grundsätzlich nur Anregungen; entscheidend ist allein, ob das Gericht sich aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Beweiserhebung gedrängt fühlen muß (Meyer-Ladewig, Rz 12 zu § 103). Unter diesen Umständen kann der Senat das Vorbringen des Klägers nur als Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Satz 1 SGG) werten. Im Hinblick darauf wäre es für den Kläger jedoch erforderlich gewesen darzulegen, warum das LSG sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen und zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen geführt hätten (BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG; Meyer- Ladewig, Rz 12 zu § 164). Das hat er jedoch nicht getan. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, warum das LSG sich nicht auf die Erklärungen der beiden ärztlichen Sachverständigen verlassen durfte, sondern zwei weitere Gutachten hätte einholen müssen. Mit der Auffassung, das von Dr. Z. erstattete Gutachten sei ein Parteigutachten, das der Entscheidung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, befindet er sich zudem im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG (vgl Meyer-Ladewig, Rz 12 zu § 118).
Bei der grundsätzlich umfassenden Prüfung des angefochtenen Urteils in materieller Hinsicht (Meyer-Ladewig, Rz 13 zu § 164) ist von den tatsächlichen Feststellungen des LSG auszugehen. Dieses hat den Kläger auf das Aufstecken von Scheiben und Muttern im Bereich der Wagenfertigmontage, auf Einlegearbeiten an Schweißvorrichtungen (Rundtischen), auf Tätigkeiten als Fahrstuhlführer oder Bediener und Kontrolleur von Halbautomaten, auf einfache Hilfstätigkeiten und auf Sortierarbeiten verwiesen. Damit hält es sich im Rahmen des Gesetzes und der Rechtsprechung des BSG. Wenn die Revision dagegen die Ansicht vertritt, der Kläger könne mit der allein voll gebrauchsfähigen linken Hand diese Arbeiten nicht ausführen, setzt sie sich in Gegensatz zu den bindenden, auf Gutachten beruhenden Feststellungen des LSG, daß der Kläger diese Tätigkeiten auch verrichten könne, wenn er die rechte Hand, wie es ihm möglich sei, nur zur Unterstützung heranziehe. Auch die Ausführungen des Klägers über seine ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache führen zu keiner anderen Beurteilung. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger einfache betriebsübliche Anweisungen verstehen kann und daß die genannten Tätigkeiten auch bei nur mangelhafter Kenntnis der deutschen Sprache verrichtet werden können. Es hat zudem zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 61) verwiesen, wonach ein ausländischer Versicherter sich gegenüber der Verweisung auf eine sozial zumutbare Tätigkeit nicht auf die ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache berufen kann, sofern der vergleichbare deutsche Versicherte die erforderlichen Sprachkenntnisse typischerweise besitzt.
Schließlich hat die Revision auch insoweit keinen Erfolg, als sie meint, dem Kläger stehe der Arbeitsmarkt nicht offen, weil die genannten Arbeitsplätze nur an leistungsgeminderte Betriebsangehörige und nicht an Außenstehende vergeben würden. Das LSG hat demgegenüber dargelegt, die von ihm eingeholte Auskunft des Volkswagenwerkes biete keinen Anhalt dafür, daß es sich bei den dort genannten Arbeitsplätzen um besonders eingerichtete und ausgestattete, nur für leistungsgeminderte Betriebsangehörige extra geschaffene Arbeitsplätze handele. Im übrigen könnte eine Reservierung für eigene Betriebsangehörige bei so häufigen und üblichen Tätigkeiten wie Bediener und Kontrolleur von Halbautomaten, bei einfachen Hilfstätigkeiten und bei Sortierarbeiten von vornherein nicht in Frage kommen.
Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen