Leitsatz (amtlich)
Die Krankenkasse hat nicht für Kosten aufzukommen, die dadurch entstehen, daß sich der Versicherte wegen unklarer gesundheitlicher Beschwerden intakte Zahnfüllungen aus Amalgam entfernen und gegen ein anderes Füllmaterial austauschen läßt. Die bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolges kann die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht begründen.
Stand:27. März 2000
Beteiligte
AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen – Landesdirektion – |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. September 1997 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. September 1995 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse. Von 1972 bis 1990 ließ er eine Reihe von Zähnen mit Amalgamplomben füllen. Seinen Antrag, das vorhandene Amalgam durch Glasionomerzement zu ersetzen, weil er an einer durch Quecksilberintoxikation verursachten intestinalen Mykose mit einer Vielzahl verschiedener Beschwerden ua am Kreislauf, an den Gelenken und bei der Verdauung leide, wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 21. März 1994 (Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 1994) abgelehnt, weil eine Unverträglichkeit für die in den Amalgamfüllungen enthaltenen Stoffe nicht ausreichend belegt sei.
Diese Entscheidung hat das Sozialgericht mit Urteil vom 27. September 1995 bestätigt. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klage demgegenüber stattgegeben (Urteil vom 10. September 1997). Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Im Hinblick auf die ärztlich bescheinigten vielfältigen Beschwerden des Klägers liege bei diesem eine Krankheit iS des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Zu deren Behandlung sei die Entfernung der Amalgamfüllungen notwendig, denn nach der medizinisch vertretbaren Beurteilung der behandelnden Ärzte bestehe die gute Möglichkeit eines Erfolges der in Aussicht genommenen Behandlung. Ein weitergehender Kausalitätsnachweis zwischen Behandlungsmaßnahme und Behandlungserfolg könne in der Krankenversicherung nicht gefordert werden. Der Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung schließe die Hilfe bei Krankheiten mit ein, deren Beeinflussung durch die Besonderheiten des Einzelfalles problematisch oder deren Genese unbekannt sei, so daß ein Behandlungserfolg nicht verläßlich vorhergesagt werden könne. Die Vertretbarkeit der ärztlichen Einschätzung werde durch die beigezogenen Gutachten belegt, die das LSG davon überzeugt hätten, daß Amalgam auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch geeignet sei, die Quecksilberkonzentration im Körper zu erhöhen und in einer relevanten Zahl von Fällen die für eine chronische Quecksilbervergiftung typischen Beschwerden hervorzurufen. Diese stimmten mit den beim Kläger ärztlich bestätigten Symptomen überein, ohne daß sie im konkreten Einzelfall mit den derzeit wissenschaftlich anerkannten Mitteln auf das aus Amalgamfüllungen freigesetzte Quecksilber zurückgeführt werden könnten. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe die höhere Quecksilberkonzentration im Blut und Urin von Personen mit Amalgamfüllungen bestätigt und deshalb Amalgamfüllungen nur für den Seitenzahnbereich und nur dann zugelassen, wenn andere Füllstoffe nicht in Frage kämen; wegen des Beitrags zur Quecksilberbelastung des Menschen sei eine möglichst geringe Zahl von Amalgamfüllungen beim einzelnen Patienten anzustreben. Aus diesen Stellungnahmen habe das LSG die Überzeugung gewonnen, daß mit der Entfernung des Amalgams weitere Quecksilberanreicherungen im Körper eines Versicherten vermieden würden und langfristig die gute Möglichkeit einer Besserung der für eine chronische Quecksilbervergiftung typischen Beschwerden bestehe.
Die Behandlung einer chronischen Quecksilbervergiftung durch Amalgamaustausch müsse durch einen Vertragsarzt empfohlen werden; eine Veranlassung durch den Vertragszahnarzt reiche hierfür nicht aus, weil es nicht um die Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten gehe. Die erforderliche Empfehlung liege in Form von Bescheinigungen zweier Vertragsärzte vor. Die Versorgung mit Glasionomerzement gehe nicht über den Rahmen der vertragszahnärztlichen Bestimmungen hinaus, so daß dem Kläger der geltend gemachte Sachleistungsanspruch – gegebenenfalls nach Aktualisierung des am 10. Februar 1994 aufgestellten Heil- und Kostenplans – zustehe.
Mit der Revision rügt die Beklagte in prozessualer Hinsicht insbesondere Verletzungen der Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 103 SGG sowie in materieller Hinsicht Verstöße gegen § 12 Abs 1, § 27 Abs 1, § 92 Abs 1 SGB V. Die Feststellungen des LSG zum Kausalzusammenhang zwischen Amalgamfüllungen und Quecksilbervergiftung seien widersprüchlich und von der Sachkunde des Gerichts nicht gedeckt. Eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Gegenmeinungen habe nicht stattgefunden. Die im Gesetz geforderte Notwendigkeit einer medizinischen Behandlungsmaßnahme sei bei einem nur möglichen Behandlungserfolg nicht gegeben. Das LSG habe auch die verbindlichen Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen nicht beachtet, wonach Amalgam als Füllmaterial angezeigt sei. Schließlich seien dem Versicherten unwirtschaftliche Leistungen bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zu verweigern. Der Einwand der Unwirtschaftlichkeit könne nicht dadurch ausgeräumt werden, daß der Zahnarzt den Versicherten auf eine vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse verweise, da hierüber erst nach der Leistungserbringung im Verfahren nach § 106 SGB V zu entscheiden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat mitgeteilt, daß der Amalgamaustausch im Jahre 1995 begonnen und im Jahre 1998 abgeschlossen worden sei.
II
Die Revision ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersetzung seiner intakten Amalgamfüllungen durch Füllungen aus Glasionomerzement. Nachdem die fragliche Zahnbehandlung inzwischen durchgeführt wurde, richtet sich das ursprüngliche Sachleistungsbegehren nunmehr auf Kostenerstattung, ohne daß es einer Klageumstellung oder eines erneuten Verwaltungsverfahrens bedarf (vgl BSGE 80, 181 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 68). Die durchgeführte Maßnahme war nicht zweckmäßig im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Daß das aus Amalgamfüllungen freigesetzte Quecksilber Beschwerden verursachen könnte, wie sie vom Kläger geschildert werden, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht mehr als eine ungesicherte Annahme. Die bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolges kann jedoch die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht begründen – und zwar auch dann nicht, wenn nachträglich geltend gemacht wird, die Behandlung sei in dem konkret zu beurteilenden Fall erfolgreich gewesen. Da das LSG dem Kläger den Anspruch zu Unrecht zuerkannt hat, ist sein Urteil aufzuheben und das klageabweisende Urteil erster Instanz durch Zurückweisung der Berufung des Klägers wieder herzustellen.
Versicherte haben nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 2 schließt die Krankenbehandlung die zahnärztliche Behandlung mit ein, die ihrerseits nach § 28 Abs 2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten ausreichend und zweckmäßig sein muß.
Zu Unrecht geht die Beklagte allerdings davon aus, die Sozialgerichte seien an einer sachlichen Prüfung des Anspruchs des Versicherten schon dadurch gehindert, daß § 106 SGB V die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Zeit nach der Erbringung der Leistung verschiebe. Abgesehen davon, daß nicht in erster Linie über die Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem über die Zweckmäßigkeit der begehrten Behandlung zu entscheiden ist, wäre ein derartiges Konzept mit § 13 Abs 3 SGB V und der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht zu vereinbaren. Danach muß sich der Versicherte bei der Krankenkasse um die angestrebte Sachleistung bemühen, bevor er sich die Behandlung selbst beschafft und einen Kostenerstattungsanspruch geltend macht (zusammenfassend: BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15). Erhält er eine vermeintlich rechtswidrige Ablehnung, bleibt es ihm unbenommen, sein Sachleistungsbegehren weiterzuverfolgen und auf die mögliche Behandlung auf private Rechnung zu verzichten, wie es auch der Kläger zunächst getan hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Krankenkasse die Ablehnung mit fehlender Wirtschaftlichkeit oder mit anderen Gesichtspunkten rechtfertigt.
Die Beklagte rügt jedoch zu Recht, die Feststellungen des LSG zur Krankheit des Klägers seien lückenhaft. Für das Revisionsverfahren steht infolgedessen schon nicht fest, ob beim Kläger eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne vorliegt. Das LSG erwähnt mehrmals eine „chronische Quecksilbervergiftung” und führt aus, die Ärzte hätten beim Kläger die für diese Erkrankung typischen Beschwerden bescheinigt; das angefochtene Urteil enthält aber an keiner Stelle die Aussage, der Kläger sei an chronischer Quecksilbervergiftung erkrankt. Zu den Krankheitsbeschwerden teilt das LSG mit, der Kläger habe vorgetragen, er sei zeitweilig depressiv, energielos, nervös und reizbar, er ermüde sehr schnell und leide unter Gelenkschmerzen, Haarausfall, Herzrhythmusstörungen, Merk-, Seh- und Hörstörungen, Durchfällen und Schlaflosigkeit. Auch schmecke er ständig Metall im Mund, spüre ein feines Zittern der Augenlider und habe oft Zahnfleischentzündungen. Ärztlicherseits seien ein erheblicher Leistungsnachlaß, Kopfschmerzen, Metallgeschmack, eine deutliche Hypoxie und eine quecksilberbedingte Immunstörung mit einer intestinalen Mykose bestätigt. Der Vortrag des Klägers belege die Regelwidrigkeit seines Körperzustandes und mithin eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts.
Mit diesen Ausführungen ist die in § 27 SGB V vorausgesetzte Krankheit nicht festgestellt. Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß es sich bei den beschriebenen Beschwerden um einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand handeln würde. Es hat aber keine eigene Aussage dazu getroffen, ob die geschilderten Störungen auch wirklich vorliegen, indem es sich beispielsweise den Vortrag des Klägers oder die erwähnten ärztlichen Bescheinigungen ausdrücklich zu eigen gemacht hat. Zur eigenen Würdigung in diesem Sinne mag im Regelfall kein Anlaß bestehen. Wenn die Leistungspflicht der Krankenkasse jedoch unter Berufung auf Krankheitsbeschwerden geltend gemacht wird, die sich ihrer Eigenart wegen nur schwer oder gar nicht objektivieren lassen, kommt das Gericht seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, nicht dadurch nach, daß es sich auf Atteste der behandelnden Ärzte verläßt, ohne zu überprüfen, ob diese auf eigenen Feststellungen beruhen oder sich darauf beschränken, die Schilderung des Patienten von seinem Gesundheitszustand wiederzugeben. Allein die Tatsache, daß der Versicherte sich zum Arzt oder zu mehreren Ärzten begeben hat, ist kein ausreichendes Indiz, um eine Verurteilung der Krankenkasse zu bestimmten Leistungen zu rechtfertigen. Bei der Beweiswürdigung ist vor allem auch zu berücksichtigen, daß vom behandelnden Arzt nicht ohne weiteres erwartet werden kann, er werde gegenüber der Schilderung seines Patienten kritische Vorbehalte äußern. Denn damit liefe er Gefahr, das in ihn gesetzte Vertrauen aufs Spiel zu setzen und würde seine Aufgabe, den Patienten ernst zu nehmen, um ihn auch in psychischer Hinsicht betreuen zu können, unter Umständen nicht mehr uneingeschränkt erfüllen können. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß es zu Lasten des Versicherten geht, wenn eine behandlungsbedürftige Erkrankung nicht nachzuweisen ist.
Für den Fall, daß sich die vom Kläger angegebenen Beschwerden und damit das Vorliegen einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V objektivieren lassen sollten, fehlen des weiteren hinreichende Feststellungen zur Ursache dieser Beschwerden. Denn allein daraus, daß die Krankheitserscheinungen, wie das LSG angenommen hat, für eine chronische Amalgamvergiftung typisch sind, kann wegen der noch zu erörternden schwierigen medizinischen Zusammenhänge auf das Vorliegen einer solchen Vergiftung nicht geschlossen werden. Unter welchen Voraussetzungen der diagnostische Ausschluß anderer möglicher Krankheitsursachen, seien sie organischer oder seelischer Natur, einen derartigen Rückschluß zuließe, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, daß eine solche Ausschlußdiagnostik vorgenommen worden wäre.
Eine Zurückverweisung, um die fehlenden Feststellungen nachzuholen, ist dennoch nicht erforderlich. Ob beim Kläger eine Krankheit nachgewiesen werden kann und ob deren Symptome den bei Quecksilbervergiftungen zu beobachtenden Krankheitserscheinungen entsprechen, braucht letztlich nicht ermittelt zu werden, weil das Ergebnis des Rechtsstreits nicht davon abhängt. Der geltend gemachte Anspruch ist auch dann ausgeschlossen, wenn sich die diesbezüglichen Annahmen des Berufungsgerichts bestätigen sollten.
Der Anspruch scheitert dann allerdings nicht schon daran, daß beim Kläger keine Zahn-, Mund- oder Kieferkrankheit im eigentlichen Sinne besteht, wie es § 28 Abs 2 Satz 1 SGB V für Zahnbehandlungen zu verlangen scheint. Diese Voraussetzung ist auch im Hinblick auf die Schilderung häufiger Zahnfleischentzündungen durch den Kläger nicht ohne weiteres erfüllt, denn in seinem Fall geht es letztlich nicht darum, durch die Entfernung von Amalgamfüllungen eine Besserung des Zahnstatus zu erreichen. Das LSG geht ebenfalls davon aus, daß keine eigentliche Zahnerkrankung vorliegt; sonst hätte es sich nicht mit der Frage befaßt, ob die Veranlassung der Zahnbehandlung durch einen Vertragszahnarzt genügt, und es hätte nicht die Empfehlung durch einen Vertragsarzt verlangt.
Dennoch ist mit der begehrten Maßnahme lediglich die diagnostische Kompetenz des Vertragszahnarztes, aber nicht der Anspruchsrahmen der §§ 27, 28 SGB V überschritten. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erstreckt sich auf Zahnbehandlungen auch dann, wenn eine sonstige Erkrankung diese Behandlung erfordert, ohne daß an den Zähnen, im Mund oder am Kiefer selbst ein krankhafter zahnheilkundlicher Befund zu erheben ist. Im Krankenversicherungsrecht ist es grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen der Versicherte der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedarf oder an welchem Organ sich seine Krankheit manifestiert. Die Krankenversicherung hat nicht die Aufgabe, bestimmte Krankheitsursachen zu bekämpfen, sondern diejenigen Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe der Gesundheitszustand insgesamt (vgl § 1 Satz 1 SGB V) gebessert werden soll. Einschränkungen des Versicherungsschutzes betreffen grundsätzlich nicht die Ursache der Behandlungsnotwendigkeit, sondern die Art der erforderlichen Maßnahme – etwa nach § 30 SGB V beim Zahnersatz (zum Ganzen bereits Senatsurteil vom 8. März 1995 - BSGE 76, 40 = SozR 3-2500 § 30 Nr 5). Eine an der Krankheitsursache ansetzende Differenzierung des Versicherungsschutzes wäre schon deshalb nicht durchzuhalten, weil sich die Ursache erst während der Behandlung herausstellt oder häufig ganz verborgen bleibt. Ein solcher Ansatz wäre auch deshalb systemfremd, weil Gegenstand der Krankenversicherung nicht die Gesundheit als solche sein kann, womit eine Aufspaltung in verschiedene Gesundheitsfaktoren immerhin verbunden sein könnte; versichert ist vielmehr der finanzielle Aufwand für bestimmte Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der Gesundheit führen sollen. Da die Zahnbehandlung zu diesen Maßnahmen gehört, ist § 28 Abs 2 SGB V erweiternd so auszulegen, daß auch Eingriffe an ordnungsgemäß sanierten und deshalb aus zahnmedizinischer Sicht nicht behandlungsbedürftigen Zähnen zur zahnärztlichen Behandlung im Sinne dieser Vorschrift zu rechnen sind, wenn dadurch eine andere, allgemeinmedizinische Erkrankung behoben werden kann. Für die grundsätzliche Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in den Fällen einer solchen „mittelbaren” Behandlung spricht zusätzlich, daß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V ohne Beschränkung auf Zahnerkrankungen jegliche zahnärztliche Behandlung in den Leistungsumfang einbezieht. Eine generelle Beschränkung des Versicherungsschutzes im hier erörterten Sinne ist auch in der bisherigen Rechtsprechung nicht diskutiert worden. Es ging bisher vielmehr – umgekehrt – darum, unter welchen Voraussetzungen eine Beschränkung des Versicherungsschutzes etwa im Zahn- oder Kieferbereich mit Rücksicht auf die außerhalb dieses Bereichs liegenden Krankheitsursachen oder -folgen außer Betracht zu bleiben habe (BSGE 81, 245, 248 f = SozR 3-2500 § 28 Nr 3 S 9 f mwN).
Allerdings bedarf jede nur „mittelbare” Behandlung einer speziellen Rechtfertigung. Denn die therapeutischen Bemühungen müssen dort ansetzen, wo für sich genommen eine Behandlung nicht erforderlich ist, so daß eine besonders umfassende Abwägung zwischen voraussichtlichem medizinischen Nutzen und möglichem gesundheitlichen Schaden erfolgen muß. Noch strengere Anforderungen müssen dann gelten, wenn die mittelbare Behandlung eine gezielte Verletzung gesunder Körpersubstanz voraussetzt, wie das auch hier der Fall ist: Der neue – vom Kläger akzeptierte – Füllstoff kann nur eingebracht werden, wenn die bisherigen Amalgamfüllungen unter Freisetzung von Quecksilber und unter Mitnahme gesunder Zahnsubstanz entfernt werden. Das bereits angesprochene Abwägungsproblem zwischen Heilungschance und Verschlimmerungsrisiko – und damit die Frage der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des therapeutischen Vorgehens – stellt sich in den Fällen eines bewußten körperlichen Eingriffs mit besonderer Schärfe. Die Interessen der Versichertengemeinschaft werden durch einen solchen Eingriff besonders nachhaltig berührt, weil eventuelle Folgekosten der zu Therapiezwecken vorsätzlich veranlaßten Gesundheitsschädigung wiederum die Gemeinschaft belasten können; dieser Grundgedanke hat dazu geführt, daß die Mehrkostenregelung bei Zahnfüllungen um eine eigene Ausschlußvorschrift ergänzt wurde, falls intakte Füllungen ausgetauscht werden (§ 28 Abs 2 Satz 5 ≪später vorübergehend Satz 6≫ SGB V in der Fassung vom 28. Oktober 1996, BGBl I 1559; dazu BT-Drucks 13/3695 S 4 zu Satz 4). In bestimmten Fallgestaltungen kann der Schutz der Versichertengemeinschaft daher unabhängig von medizinischen Erwägungen einen Leistungsausschluß gebieten. So hat der Senat entschieden, daß die gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich nicht verpflichtet sind, einen operativen Eingriff zu finanzieren, der in einen im Normbereich liegenden bzw für sich genommen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand vorgenommen wird, um eine psychische Störung zu beheben (BSGE 72, 96 = SozR 3-2500 § 182 Nr 14; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f).
Mangels genügender Rechtfertigung für den damit zusammenhängenden körperlichen Eingriff hat die Beklagte auch für die Kosten des in Rede stehenden Amalgamaustausches nicht aufzukommen. Der therapeutische Nutzen dieser Maßnahme ist nämlich nicht ausreichend gesichert. Wie sich aus § 12 Abs 1 Satz 1 und § 28 Abs 1 und 2 SGB V ergibt, kann der Versicherte nur solche Leistungen beanspruchen, die für den angestrebten Behandlungserfolg nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig sind. Dazu gehört, daß von einer hinreichenden Wirksamkeit der betreffenden Leistungen ausgegangen werden kann (BSGE 70, 24, 26 ff = SozR 3-2500 § 12 Nr 2 S 4 ff mwN).
Bei der weiteren Frage, mit welchem Grad von Gewißheit ein Erfolg zu erwarten sein muß und aus welchen Umständen auf die erforderliche Erfolgsaussicht geschlossen werden darf, hat sich die Rechtslage gewandelt. Seit dem Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 setzt die Zweckmäßigkeit der Behandlung voraus, daß über ihre Qualität und Wirksamkeit zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Senat hat dies in seinem Urteil vom 5. Juli 1995 (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) zur Drogensubstitution mit Remedacen näher ausgeführt und klargestellt, daß insoweit eine Änderung gegenüber dem unter der Reichsversicherungsordnung geltenden Rechtszustand eingetreten ist. Hatten die Krankenkassen damals unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Behandlungsmaßnahmen zu gewähren, deren Wirksamkeit (noch) nicht gesichert war, aber nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft für möglich gehalten werden mußte, so verlangt das Gesetz nunmehr in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V, daß Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der Krankenversicherung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Danach ist ein nur möglicher Behandlungserfolg grundsätzlich nicht geeignet, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht zu begründen. Vielmehr ist dazu in der Regel erforderlich, daß sich die Behandlung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen als erfolgreich erwiesen hat und dies durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegt ist. Da es auf den Nachweis der generellen Wirksamkeit ankommt, kann die Leistungspflicht der Krankenkasse auch nicht mehr damit begründet werden, daß sich die Therapie im konkreten Einzelfall als erfolgreich erwiesen habe, weil es unter der Behandlung zu einer Besserung des Gesundheitszustandes gekommen sei (vgl zum Ganzen: BSGE 76, 194, 198 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 11 f mwN zur früheren Rechtsprechung). Dem diesbezüglichen Einwand des Klägers ist deshalb hier nicht nachzugehen.
Der Grundsatz, daß eine medizinische Maßnahme nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, wenn sie keinerlei Sicherheit für den Heilerfolg bietet, ist seither mehrfach bekräftigt worden. Im insoweit neuesten Urteil des Senats vom 16. Juni 1999 (B 1 KR 4/98 R = BSGE 84, 90 – auch zur Veröffentlichung in SozR bestimmt) ist im Zusammenhang mit einer Behandlung im Ausland ausgeführt, daß die in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V für die Leistungen der Krankenversicherung geforderte Qualität und Wirksamkeit nur dann erreicht wird, wenn über ihre Zweckmäßigkeit in den einschlägigen Fachkreisen – abgesehen von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen – Konsens besteht. Auch in den zu § 135 Abs 1 SGB V ergangenen Entscheidungen vom 16. September 1997 über die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung ist der Senat davon ausgegangen, daß die Wirksamkeit der von der Krankenkasse zu gewährenden Maßnahmen belegt sein muß. Lediglich für den Ausnahmefall, daß das gesetzlich vorgesehene Anerkennungsverfahren vor dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird und deshalb einstweilen durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden muß, hat der Senat unter besonderen medizinischen Voraussetzungen die tatsächliche Verbreitung einer Methode in der ärztlichen Praxis und ihre Resonanz in der wissenschaftlichen Diskussion für maßgeblich erklärt, um zu vermeiden, daß Gerichte in medizinisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Partei ergreifen müssen und der eigentlich geforderten Entscheidung durch den Bundesausschuß vorgreifen (stellvertretend: BSGE 81, 54, 67 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 22 ff).
Es kann offenbleiben, ob der in Rede stehende Austausch von Amalgamfüllungen mit der zuletzt angesprochenen Fallgruppe vergleichbar sein könnte, weil die gesundheitlichen Belastungen durch Amalgam wissenschaftlich umstritten sind. Jedenfalls kann dem Gesichtspunkt der praktischen Akzeptanz des therapeutischen Vorgehens hier schon deshalb keine Bedeutung zukommen, weil sich die Ungewißheit über die Erfolgsaussicht der Amalgamentfernung letztlich nicht auf die angewandte Therapie bezieht. Deren Eignung zur Behandlung einer tatsächlich durch Amalgam ausgelösten Quecksilbervergiftung steht außer Frage. Die Zweifel am therapeutischen Nutzen rühren vielmehr vom Streit darüber, ob aus dem Vorliegen bestimmter Krankheitsbeschwerden, wie sie der Kläger geschildert hat, auf die Diagnose einer „Quecksilbervergiftung” geschlossen und dabei dem in den Zahnfüllungen befindlichen Quecksilber eine wesentliche Rolle zugeschrieben werden darf, so daß mit dessen Entfernung die Erwartung eines Heilerfolgs verknüpft wäre. Würde diese Diagnose zutreffen, ergäbe sich die wirksame Therapie quasi von selbst. Hängt die Therapie in dieser Weise von der Diagnose ab, entspricht sie nur dann dem Zweckmäßigkeitserfordernis des Gesetzes, wenn die bei der Diagnose zugrunde gelegten Annahmen mit den allgemein anerkannten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft in Einklang stehen. Das Krankheitsbild muß – auf der Grundlage dieser Erkenntnisse – die begründete Vermutung rechtfertigen, daß die vom Arzt angenommene Erkrankung vorliegt und mit der vorgeschlagenen Therapie wirksam behandelt werden kann. Das gilt in besonderem Maße, wenn – wie bereits ausgeführt – die Behandlung mit einem Eingriff in gesundes Körpergewebe verbunden ist. Eine bloße Verdachtsdiagnose reicht unter diesen Umständen zur Begründung der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht aus: Ohne hinreichende Erfolgschance gebührt dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Begrenzung auf die nachweisbar medizinisch notwendigen Leistungen der Vorrang vor dem Interesse des Einzelnen an einem kostenfreien Heilversuch.
Für die umstrittene Zahnbehandlung gelten schließlich nicht deshalb andere Maßstäbe, weil die Verwendung von Amalgam als Füllwerkstoff von einzelnen Wissenschaftlern und Ärzten wegen der Giftigkeit des darin enthaltenen Quecksilbers generell abgelehnt wird. Der frühere 14a-Senat des Bundessozialgerichts hat allerdings mit Blick auf den naturheilkundlichen Ansatz dieser Position und wegen des Umfangs der aus der Sicht ihrer Befürworter drohenden Gesundheitsschäden der grundsätzlichen und vollständigen Ablehnung von Amalgam den Stellenwert einer besonderen Therapierichtung beigemessen und daraus gefolgert, daß der Versicherte nach ordnungsgemäßer Beratung durch seinen Zahnarzt die Verwendung eines amalgamfreien Füllwerkstoffs verlangen könne (Urteil vom 8. September 1993 - BSGE 73, 66, 74 ff = SozR 3-2500 § 2 Nr 2 S 10 ff). Diese Auffassung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen, die sich sowohl gegen die Zuordnung der Amalgamablehnung zur Naturheilkunde als auch gegen die Qualifizierung der Naturheilkunde als besondere Therapierichtung im Gegensatz zur naturwissenschaftlich geprägten (Schul-)Medizin richtet (vgl etwa Schlenker, BKK 1994, 284 ff; Pohl, Zahnärztliche Mitteilungen 1994, 216 ff; zum Begriff „Naturheilverfahren”: Hakimi, Versicherungsmedizin 1997, 152 ff mwN). Den vom Gesetz in § 2 Abs 1 Satz 2, § 34 Abs 2 Satz 3 und § 92 Abs 2 Satz 4 SGB V verwendeten Begriff der „besonderen Therapierichtung” hat auch der erkennende Senat in einem anderen, umfassenderen Sinne als der 14a-Senat verstanden (Urteil vom 16. September 1997 - BSGE 81, 54, 72 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 28). Der Meinungsstreit hierüber kann indessen auf sich beruhen, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Verwendung von Amalgam beim Legen neuer Füllungen, sondern darum geht, ob der Versicherte die Entfernung bereits vorhandener, intakter Füllungen auf Kosten der Krankenkasse verlangen kann, weil er ein anderes Füllmaterial für weniger gesundheitsschädlich hält als das früher verwendete. In dieser Konstellation kann die Ablehnung von Amalgam, auch wenn man sie in den Rang einer besonderen Therapierichtung hebt, jedenfalls nicht davon entbinden, den therapeutischen Nutzen der in Aussicht genommenen Maßnahme hinreichend zu belegen. Aus demselben Grund kann der Kläger nichts daraus herleiten, daß das BfArM vor einer allzu unbedachten Erhöhung der Quecksilberbelastung durch Zahnfüllungen gewarnt und empfohlen hat, Amalgam bei bestimmten Risikogruppen nur eingeschränkt oder gar nicht zu verwenden (inhaltlich wiedergegeben bei Schmid, BKK 1995, 621 und in Zahnärztliche Mitteilungen 1995, 1046 f; vgl auch die Korrekturen im „Konsenspapier zur Restaurationsmaterialien in der Zahnheilkunde” vom 1. Juli 1997, abgedruckt in Halbach ua, Amalgam im Spiegel kritischer Auseinandersetzungen, Köln 1999 = Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer ≪BZÄK≫). Denn ob aus prophylaktischen Gründen davon abzuraten ist, neue Amalgamfüllungen einzubringen, ist nicht nach den gleichen Kriterien zu entscheiden wie die Frage, ob bereits gelegte und klinisch einwandfreie Amalgamfüllungen zu entfernen sind.
Die demnach maßgeblichen Leistungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die Aussichten, mit Hilfe der Amalgamentfernung eine Besserung des Gesundheitszustands des Klägers zu erreichen, gehen über mehr oder weniger fundierte Hypothesen nicht hinaus. Hierzu hat das LSG ausgeführt, mit wissenschaftlich anerkannten Mitteln könne heute (noch) nicht nachgewiesen werden, daß im individuellen Behandlungsfall die geklagten und für die chronische Quecksilbervergiftung typischen Beschwerden auf das Quecksilber zurückzuführen seien, das aus Amalgamfüllungen freigesetzt werde. Soweit in diesen Ausführungen eine allgemeine Aussage über den Stand der medizinischen Wissenschaft enthalten ist, darf der Senat sie selbst überprüfen, weil es sich um eine generelle Tatsache handelt (Senatsurteil vom 16. Juni 1999 - B 1 KR 4/98 R = BSGE 84, 90, 94 f, auch zur Veröffentlichung in SozR bestimmt).
Die Vorbehalte des LSG gegen eine konkrete Nachweisbarkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Amalgamfüllungen und den geschilderten Beschwerden sind begründet. Die vom Kläger behaupteten Beschwerden können infolgedessen auch nicht ohne weiteres als chronische Quecksilbervergiftung diagnostiziert werden. Zwar ist heute unbestritten, daß aus Amalgamfüllungen Quecksilber freigesetzt und dadurch die anderweitige Aufnahme dieses Stoffs durch den menschlichen Körper insbesondere aus Luft und Nahrung erhöht wird. Bei der Frage nach dem Umfang dieser Aufnahme und ihren Wirkungen gehen die Meinungen jedoch auseinander. Die Schwierigkeiten näherer Feststellungen hängen damit zusammen, daß Quecksilber in verschiedenen Formen auftritt: in elementarer Form als Dampf oder Flüssigkeit oder in anorganischen oder organischen Verbindungen; von den letzteren ist vor allem das Methyl-Quecksilber von Bedeutung. Elementares Quecksilber und die verschiedenen Quecksilberverbindungen lösen im Körper auf unterschiedlichen Wegen unterschiedliche Prozesse aus und können je nach ihrer Konzentration verschiedene und in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten nicht immer nachvollziehbare gesundheitliche Schäden hervorrufen. Von den verschiedenen Formen hängt insbesondere ab, zu welchen Anteilen und auf welchem Wege der Körper das Quecksilber sogleich wieder ausscheidet oder vielmehr resorbiert, so daß es vorübergehend oder auf längere Dauer in verschiedenen Organen verbleibt und dort zu Belastungen führen kann. Teilweise geht elementares Quecksilber mit den im Körper vorhandenen Substanzen chemische Verbindungen ein, teilweise werden bestehende Verbindungen zu Formen eines anderen Typs umgebaut (vgl zum Ganzen: Wassermann ua, „Kieler Amalgam-Gutachten 1995” ≪KAG≫, S 8-17; BZÄK, S 18-23; Müller, Quecksilber und Amalgam, hrsg vom Senator für Gesundheit, Jugend und Soziales, Bremen 1994, S 10-13, 22-25).
Die Beurteilung der gesundheitlichen Folgen speziell des Amalgams setzt nicht nur voraus, die angesprochenen physikalischen und chemischen Prozesse zu erkennen und zu beschreiben; sie müssen vielmehr auch quantifiziert werden, um die Herkunft des im Körper befindlichen Quecksilbers und dessen Einfluß auf die Gesundheit des Menschen zutreffend abschätzen zu können. Dabei sind schon die Möglichkeiten, das vom Körper insgesamt aufgenommene Quecksilber zuverlässig zu messen, eng begrenzt; Träger von Amalgamfüllungen scheiden statistisch signifikant mehr Quecksilber im Urin aus als Personen ohne Amalgamfüllungen, wodurch das toxikologisch bedeutsame Methyl-Quecksilber jedoch nicht erfaßt wird. Die Quecksilberkonzentration kann auch im Blut gemessen werden. Mögliche Rückschlüsse auf bestehende organische Belastungen sind jedoch ebenso umstritten wie die Höchstwerte, bis zu denen eine Gefährdung zu verneinen ist (KAG, 13, 59 ff, 116 f; BZÄK, 20 f, 27 f, 31 ff; Müller aaO, 26 f; World Health Organization: Inorganic Mercury, Environmental Health Criteria Nr 118, Genf 1991, S 61). Aus ähnlichen Gründen wird die Relevanz von Erhebungen der Quecksilberkonzentration im Speichel von Versuchspersonen mit Amalgamfüllungen sehr unterschiedlich beurteilt (KAG, 76 f; BZÄK, 28 f).
Bei alledem bleibt wesentlicher Streitpunkt die Frage, von welchen Grenzwerten an die tägliche Aufnahme von Quecksilber als schädlich angesehen werden muß und ob dieser Wert dadurch überschritten wird, daß Amalgamfüllungen die Aufnahme aus anderen Quellen wesentlich erhöhen, so daß eine Amalgamentfernung mit der erforderlichen Sicherheit ein Abklingen der allerdings nur schwer objektivierbaren Krankheitserscheinungen erwarten läßt. In einem Teil der Literatur und vom ehemaligen Bundesgesundheitsamt werden Orientierungswerte für die Konzentration im Urin als ungefährlich eingestuft, die in einer breit angelegten Untersuchung trotz der Verbreitung von Amalgam in der Bevölkerung nur von einem ganz geringen Prozentsatz der Versuchspersonen überschritten wurde (BZÄK, 26 f mwN; vgl Müller aaO, 26 f). Autoren, die Amalgam für gesundheitsgefährdend halten, wenden demgegenüber die Ungeeignetheit jeglicher Grenzwertbestimmung ein, weil gerade bei noch nicht ausgeprägten chronischen Quecksilberintoxikationen das Unterschreiten von bestimmten Werten in Blut oder Urin eine quecksilberbedingte Erkrankung nicht ausschließen könne (KAG, 116). Aus diesen Äußerungen hat das LSG zu Recht den Schluß gezogen, daß eine Amalgamentfernung generell nicht mehr als die gute Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustands bietet.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß dieser Sachverhalt nicht (mehr) dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht oder daß die Beiziehung weiterer Unterlagen ein wesentlich anders lautendes Ergebnis rechtfertigen würde. Die gesundheitliche Gefährdung durch Amalgam ist in ihren wesentlichen Einzelheiten derzeit (noch) wissenschaftlich höchst umstritten; es ist nicht Aufgabe der Gerichte, durch die Auswahl von Sachverständigen oder die juristische Bewertung naturwissenschaftlicher Lehrmeinungen für die eine oder andere Position Partei zu ergreifen oder durch Gutachtensaufträge den Fortschritt der medizinischen Erkenntnis voran zu treiben, wie der Senat bereits an anderer Stelle betont hat (BSGE 81, 54, 69 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 25). Im Gerichtsverfahren kann es in dieser Fallgestaltung lediglich darum gehen, die wissenschaftliche Auseinandersetzung zur Kenntnis zu nehmen und daraufhin zu untersuchen, ob ein wissenschaftlicher (Teil-)Konsens festgestellt werden kann, der eine Entscheidung zu tragen geeignet ist. Da dies hinsichtlich der Schädlichkeit von Amalgamfüllungen nicht der Fall ist, kann die jetzige Klage keinen Erfolg haben, so daß dem Antrag der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 56 |
NJW 2000, 3444 |
NWB 1999, 3855 |
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