Leitsatz (amtlich)
Die Tötung eines Soldaten durch einen militärischen Vorgesetzten kann auch dann Schädigungsfolge sein, wenn der Vorgesetzte zwar in Notwehr gehandelt hat, er zu seinem Vorgehen aber in ungefähr gleichem Umfang wie durch Notwehr auch durch Verhältnisse, die dem militärischen Dienst eigentümlich sind, bestimmt worden ist.
Leitsatz (redaktionell)
Eine Schädigung beruht auf den dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen, wenn diese den besonderen, von den Verhältnissen des zivilen Lebens abweichenden und diesen in der Regel fremden Verhältnissen des militärischen Dienstes zuzurechnen sind.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Buchst. d Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 1963 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 1959 sowie die Bescheide vom 23. Februar 1957 und 3. Januar 1958 aufgehoben.
Der Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin vom 1. September 1956 an Witwen- Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin K M (M.) gehörte einer Versehrteneinheit der Waffen-SS an, die 1945 in R/Kärnten lag. Am 4. Mai 1945 verstarb er an 3 Schüssen, die der Führer der Einheit, der SS-Sturmhauptführer E H (H.), auf ihn abgegeben hatte. Als Todesursache ist auf der Sterbeurkunde angegeben: "Tod durch Erschießen, 2 Herzschüsse, 4 Querfinger seitlich oberhalb und 2 Querfinger unterhalb der Brustwarze, 1 Schläfenschuß links." M. galt nach 1945 als verschollen. Die Klägerin erhielt deshalb wegen Verschollenheit ihres Ehemannes Rente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und ab 1. Oktober 1950 Grund- und Ausgleichsrente nach § 52 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). 1954 legte die Klägerin die Sterbeurkunde ihres Ehemannes vor. Aus den beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg ging hervor, daß H. 1953 in dem gegen ihn wegen Totschlags eröffneten Verfahren durch Beschluß der Großen Strafkammer außer Verfolgung gesetzt wurde, weil die Voruntersuchung ergab, daß eine strafbare Handlung nicht vorgelegen und der Angeschuldigte in Notwehr gehandelt hat. Nach vorläufiger Einstellung der Versorgungsbezüge wurden diese durch Bescheid vom 21. Februar 1957 mit Ende August 1956 endgültig eingestellt. Mit Bescheid vom 23. Februar 1957 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) Hinterbliebenen-Versorgung ab, weil der Tod nicht auf einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG beruhe. Der Kompanieführer habe in Notwehr gehandelt, der Tod sei durch das eigene Verhalten des M. verursacht worden. Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche waren erfolglos. Durch Urteil vom 11. Dezember 1959 wies das Sozialgericht (SG) die auf Gewährung von Witwenrente ab 1. September 1956 gerichtete Klage ab. Im Berufungsverfahren wurden die Strafakten beigezogen und H. sowie Karl K und Edmund G, ehemalige Angehörige der SS-Einheit, durch den ersuchten Richter als Zeugen gehört. Durch Urteil vom 9. Mai 1963 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück. M. sei nicht an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG verstorben. Aufgrund der Zeugenaussagen sei erwiesen, daß es am 4. Mai 1945 zwischen dem gehbehinderten K (K.) und M., der unter Alkoholeinfluß gestanden habe, wegen der Verteilung organisierter Verpflegung zu einem Wortwechsel gekommen sei. K. habe M. einen Stoß gegeben und sich zur Schreibstube begeben. Dort seien der herzleidende H., dessen Adjutant G (G.), der oberarmamputiert war, und ein Schreiber, wahrscheinlich auch noch andere Personen, die der Versehrteneinheit angehörten, zugegen gewesen. K. habe sich zunächst an G., dann an den Einheitsführer gewandt und aufgeregt über den Zwischenfall mit M. berichtet. Bevor die Anwesenden den Sinn seines Berichtes begriffen hätten, sei auch M. in die Schreibstube gestürzt, habe K. laut beschimpft und dann Miene gemacht, auf H. einzudringen. Als M. sich weder um den Anruf "Achtung" noch um den ihm erteilten Befehl, stehen zu bleiben oder den Raum zu verlassen, gekümmert habe, sondern mit erhobener Schnapsflasche auf H. eingedrungen sei, habe dieser M. mit mehreren, aus nächster Nähe abgegebenen Pistolenschüssen getötet.
Die Erschießung des Ehemannes der Klägerin sei keine Straf- oder Zwangsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 d BVG. Als solche seien nur Maßnahmen anzusehen, die in der Absicht vorgenommen wurden, eine Tat zu ahnden (Strafmaßnahmen) oder eine Handlung oder Unterlassung zu erzwingen (Zwangsmaßnahmen). H. habe aber, wie seine glaubhafte Aussage ergebe, M. nicht erschossen, um ihn für seinen militärischen Ungehorsam zu bestrafen, auch nicht, um seinen militärischen Gehorsam zu erzwingen, abgesehen davon, daß die Erschießung eines Untergebenen niemals dessen militärischen Gehorsam hätte erzwingen können. H. habe spontan und nur aus dem Grunde geschossen, weil er sich von M. ernsthaft bedroht fühlte und sich nicht auf andere Weise schützen zu können glaubte. Der Tod des M. sei auch nicht auf eine durch eine militärische Dienstverrichtung erlittene Schädigung zurückzuführen. M. habe die Schreibstube nicht aus einem dienstlichen Grund, sondern nur aufgesucht, um seinen Streit mit K. fortzusetzen oder sich an diesem zu rächen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob er unter starker Alkoholeinwirkung gestanden habe. Der Tod des M. sei auch nicht auf eine Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen Dienstes zurückzuführen. Er habe sich aus dienstfremden Gründen auf die Schreibstube begeben und dort einen militärischen Dienst auch nicht wieder aufgenommen, sondern im Gegenteil allen Bemühungen des Einheitsführers, ihn durch Befehl zum militärischen Gehorsam - als Voraussetzung weiterer Ausübung militärischen Dienstes - zurückzuführen, nicht Folge geleistet. Der Tod sei auch nicht auf die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen. Zwar sei den militärischen Verhältnissen eigentümlich, daß der Führer einer Einheit mit einer Pistole bewaffnet sei. Wesentliche Ursache für den Tod des M. sei aber nicht der Besitz der Schußwaffe bei H., sondern die Tatsache gewesen, daß H., nachdem andere Maßnahmen gescheitert waren, sich eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffes auf seine Person nicht auf andere Weise erwehren zu können glaubte.
Dem Antrag auf nochmalige Vernehmung des Zeugen K. habe nicht stattgegeben werden müssen. Dieser sei zwar nur über die Fragen a und b der Beweisanordnung des Berichterstatters vom 16. Januar 1963 vernommen worden, weil die dem SG München zugegangene Abschrift der Beweisanordnung nur diese Auflage enthalten habe, obgleich der Berichterstatter die Vernehmung zu den Fragen a bis e vorsah. Die in den Strafakten enthaltenen Aussagen der Zeugen seien aber zur Klärung des Sachverhaltes völlig ausreichend, insbesondere habe es einer erneuten Vernehmung des K. nicht bedurft.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin sachlich-rechtlich Verletzung der §§ 1, 38 BVG. Die Schüsse seien auf der Schreibstube durch den Einheitsführer auf M. abgegeben worden, nachdem H. ihn als direkter Vorgesetzter durch dienstlichen Befehl zum militärischen Gehorsam zurückzubringen versucht habe. Da sich hierbei Vorgesetzter und Untergebener gegenüberstanden, hätten sich auch beide im Dienst befunden. Deshalb sei eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG anzunehmen, zumindest habe es sich bei dem Geschehen um einen Unfall während der Ausübung des militärischen Dienstes oder eine Schädigung aufgrund diensteigentümlicher Verhältnisse gehandelt. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 d BVG seien gegeben. Hilfsweise, für den Fall, daß die sachlich-rechtlichen Beanstandungen des Urteils nicht durchgreifen, rügt die Revision als Verfahrensmängel auch Verletzung des § 118 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 375 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und des § 103 SGG. Das LSG hätte den wiederholt gestellten Antrag, die Zeugen, K., G. und H. vor dem Prozeßgericht zu vernehmen, nicht ablehnen dürfen; insbesondere hätte es die näheren Umstände des Todes des M. unter Berücksichtigung der feststehenden 3 Schußverletzungen im einzelnen aufklären müssen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 1963 und des SG vom 11. Dezember 1959 sowie der Bescheide vom 23. Februar 1957 und 3. Januar 1958 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin vom 1. September 1956 an Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu zahlen, hilfsweise, die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sie ist auch sachlich begründet.
Der Bescheid vom 21. Februar 1957, mit dem die Verschollenheitsrente mit Ende August 1956 eingestellt wurde, ist nicht mehr angefochten. Streitig ist nur noch die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 23. Februar 1957 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1958, mit dem Versorgungsleistungen ab 1. September 1956 versagt wurden, weil der Tod des M. nicht auf einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG beruht habe. Das LSG hat festgestellt, daß es am 4. Mai 1945 zwischen M. und K. zu einem Streit wegen der Verteilung organisierter Lebensmittel gekommen ist, daß dieser Streit sich in der Schreibstube in Gegenwart des Einheitsführers H., seines Adjutanten G., des K. und in Anwesenheit noch einer oder mehrerer Personen, die der Versehrteneinheit angehörten, fortgesetzt hat. M., der unter Alkoholeinwirkung stand, habe sich zuletzt dem Einheitsführer zugewandt, eine halbgefüllte Schnapsflasche aus der Hosentasche gezogen und Miene gemacht, auf ihn einzudringen. H. habe vergebens versucht, M. durch den mehrmaligen Ausruf "Achtung" zum militärischen Gehorsam zu bringen. M. habe sich weder um diesen Anruf noch um den Befehl, stehen zu bleiben oder den Raum zu verlassen, gekümmert, sondern sei mit erhobener Flasche auf H. eingedrungen. Dieser habe inzwischen seine Pistole gezogen und auf den auf ihn eindringenden M. mehrere tödliche Schüsse abgegeben.
Dieser Sachverhalt reicht zu der Feststellung aus, daß M. an einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG verstorben ist. Als Angehöriger der Versehrteneinheit der Waffen-SS war M. in den Kreis der Personen einbezogen, der nach § 1 BVG versorgungsrechtlich geschützt ist. Dabei ist im Ergebnis ohne Bedeutung, ob nach Überführung der SS-Verfügungstruppe in die Waffen-SS der für die Kriegsführung in der Waffen-SS 1945 geleistete Dienst militärischer Dienst im Sinne des § 2 Abs. 1 a BVG ist (vgl. BSG 12, 174; Wilke BVG 2. Aufl. § 2 I 1 b) oder ob er als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 b BVG gilt, weil er auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistet wurde (vgl. BSG Urteil vom 14. Juni 1966 - 10 RV 168/64 -). Die Versehrten-Kompanie der Waffen-SS war eine SS-Stammkompanie z. b. V., die, nachdem sie sich vor dem heranrückenden Feind auf Radstadt zurückgezogen hatte, sich weiter zur Verteidigung bereithalten sollte. Das LSG durfte daher davon ausgehen, daß die Einheit zumindest auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt war.
Das LSG hat keine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG angenommen, weil M., als die Schüsse auf ihn abgegeben wurden, keinen militärischen Dienst verrichtet habe. Sein Tod sei deshalb nicht auf eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes zurückzuführen. Letzteres trifft zu. M. ist zwar durch einen Unfall zu Tode gekommen, d. h. durch ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis, das einen Körperschaden verursacht hat (BSG 8, 271). Für den Begriff des Unfalls ist grundsätzlich ohne Bedeutung, ob ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte und deshalb einen Versorgungsanspruch ausschließende Verletzung (§ 1 Abs. 4 BVG) nicht mehr als Unfall angesehen werden kann, weil das Ereignis in diesem Fall kein plötzliches d. h. unerwartetes Ereignis mehr wäre; denn der Sachverhalt bietet keinen Anhalt dafür, daß M., der unter Alkoholeinfluß stand, bei der Auseinandersetzung absichtlich die tödlichen Schüsse herbeiführen wollte, d. h. den Tod gesucht hätte (vgl. BSG 1, 155). Der Tod ist jedoch nicht auf einen Unfall "während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes" zurückzuführen.
Mit diesem Tatbestandsmerkmal verlangt das Gesetz zwar nicht, daß die Schädigung mit dem militärischen Dienst ursächlich zusammenhängt (BSG 8, 271); für den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang genügt aber nicht, daß der Unfall sich während der Dienstzeit, also zu einer Zeit ereignete, zu der der Verletzte zwar Dienst auszuüben hatte, aber tatsächlich keinen Dienst geleistet hat (BSG 8, 273). Der Unfall muß sich zu einer Zeit ereignet haben, in der der militärische Dienst nicht durch eine dienstfremde Tätigkeit oder dadurch unterbrochen war, daß der Soldat sich durch Verweigerung des von ihm geforderten dienstlichen Verhaltens außerhalb seiner Dienstpflichten gestellt hat. In der hier festgestellten völligen Ignorierung eines militärischen Befehls liegt aber ein solches Verhalten.
Der Tod des M. ist jedoch durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden. Sie stellten mit anderen ungefähr gleich wesentlichen Bedingungen im Sinne der Kausalitätsnorm eine Ursache für seinen Tod dar. Das LSG hat die Voraussetzung der dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse als nicht erfüllt angesehen, weil H., nachdem andere Maßnahmen gescheitert waren, geglaubt habe, sich des rechtswidrigen Angriffes auf seine Person auf andere Weise als durch Gebrauch der Schußwaffe nicht erwehren zu können. Er habe nur aus diesem Grunde "spontan" geschossen. Dadurch, daß das LSG mit dieser Begründung den Zusammenhang des Todes des M. mit wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen ausschloß, hat es eine aus dem objektiven Verlauf der Auseinandersetzung nicht gerechtfertigte rechtliche Schlußfolgerung gezogen. Es hat damit den Rechtsbegriff der dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse verkannt und Umstände unberücksichtigt gelassen, die nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen müssen. Daß H. aus einer Abwehrreaktion spontan geschossen hat, schließt keineswegs aus, daß - bewußt oder unbewußt - noch andere Gründe für sein Handeln mitbestimmend waren und daß der Unfall, so wie er sich ereignet hat, unabhängig von der Willensrichtung des Handelnden durch Besonderheiten des militärischen Lebens und militärischer Dienstauffassung wesentlich beeinflußt wurde. Die Schädigung beruht dann auf Verhältnissen, die dem militärischen Dienst eigentümlich sind, wenn sie den besonderen, von den Verhältnissen des zivilen Lebens abweichenden und ihm in der Regel fremden Verhältnissen des militärischen Dienstes zuzurechnen sind (BSG 18, 201; 22, 119). Wenn ein Offizier einen angetrunkenen Untergebenen in der Schreibstube mit zwei Herzschüssen und einem Schuß in die Schläfe niederstreckt, nachdem dieser einem wiederholt gegebenen Befehl nicht nachgekommen und mit einer halbgefüllten Flasche auf ihn eingedrungen ist, dann läßt sich dieser Vorgang unabhängig davon, welchen Verlauf die Begegnung zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen im einzelnen genommen hat, nicht von den dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen, die zu der Schußfolge geführt haben, trennen. Das hat im übrigen auch H. eingeräumt durch die Angabe, angesichts einer unbestimmten Anzahl von Untergebenen, etwa 6 Mann, habe er "als Kompaniechef" es nicht darauf ankommen lassen können, von M. niedergeschlagen zu werden. Auch ohne diesen Hinweis, der ebenso wie die vom LSG angenommene spontane Abwehrreaktion, nur als ein Versuch anzusehen ist, nachträglich die vielschichtigen Gründe für ein unwillkürliches Verhalten bzw. eine blitzschnelle Reaktion zu deuten, muß aufgrund der festgestellten Umstände der Auseinandersetzung davon ausgegangen werden, daß H. sich genötigt sah, durch den Gebrauch der Schußwaffe insbesondere auch seine Autorität als militärischer Vorgesetzter zu behaupten. Deshalb kann dahingestellt bleiben, weshalb er den übrigen in der Schreibstube anwesenden Angehörigen der Einheit - nach den Feststellungen des LSG mindestens drei, wahrscheinlich mehr Personen - nicht den Befehl gab, M. festzunehmen, und weshalb er nicht früher einschritt als bis M. unmittelbar vor ihm stand. Die besonders in Kriegszeiten notwendige Aufrechterhaltung einer straffen militärischen Disziplin bringt es mit sich, daß auch junge, im Umgang mit Untergebenen wenig erfahrene Vorgesetzte sich unter allen Umständen und notfalls mit allen Mitteln durchzusetzen haben. H. war 1945 erst 29, M. 43 Jahre alt. Auch das Tragen einer geladenen Schußwaffe ist bei einem Offizier im Kriege und in der Nähe der Front eine Eigentümlichkeit des militärischen Dienstes (vgl. BSG 8, 266). Richtet er sie gegen einen Untergebenen, der die Befolgung eines Befehls verweigert und ihn tätlich bedroht, dann wird in solcher Lage durch das Waffentragen eine wirksame Selbstverteidigung nicht nur ermöglicht; die Waffe ist vielmehr dem Offizier - jedenfalls im Kriege - auch als ein Mittel anvertraut, um die militärische Ordnung zu erzwingen und sich gegen Untergebene durchsetzen zu können. Die unter Offizieren geltende Ehrauffassung ließ es nicht zu, daß sie sich mit einem Untergebenen, der die Befolgung eines militärischen Befehls verweigerte, in ein Handgemenge einließen. In der letzten Phase des Krieges wurden außerdem die Vorschriften über den Waffengebrauch von militärischen Vorgesetzten erheblich verschärft. Die Bestimmungen des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht über das Verhalten von Offizier und Mann in Krisenzeiten vom 28. Januar 1945 enthielten die Anweisung, daß Führer und Unterführer von der Waffe Gebrauch zu machen hatten, wenn die Lage oder die Manneszucht nicht anders wieder hergestellt werden könne (abgedruckt bei Absolon, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg S. 93 ff). Besonders hervorgehoben sind hier die Fälle, in denen Soldaten sich einem Vorgesetzten tätlich widersetzen ... oder bei drohenden Auflösungserscheinungen den Gehorsam verweigern (III Abs. 2 des Erl. vom 28. Januar 1945). Nach Art. VII Abs. 1 dieser Bestimmungen wird, wer beherzt und verantwortungsbewußt bei groben Pflichtverletzungen durchgreift, um in schwierigen Lagen die Manneszucht wiederherzustellen, auch dann nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn er dabei seine Befugnisse überschreitet. Es heißt dort weiter, daß Führer und Unterführer, die die hier wiedergegebenen Befehle nicht befolgen .... "sich durch ihren Ungehorsam zu Mitschuldigen pflichtvergessener Elemente" machen. Sie sind daher ebenso wie diese zur Verantwortung zu ziehen. Das Verhalten des H. war somit nach diesen Vorschriften gedeckt, nachdem die Begegnung mit dem Ehemann der Klägerin sich so zugespitzt hatte, daß dieser den Gehorsam verweigerte und H. tätlich bedrohte. Ob H. durch ein weniger hartes Einschreiten, etwa durch einen Schuß in die Schulter des M. oder einen kräftigen Stoß sich seiner hätte erwehren können, ob er schon vorher mit ein wenig Lebenserfahrung durch gelassenes Auftreten seinen Untergebenen hätte beschwichtigen können, kann dahingestellt bleiben; denn die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinn des § 1 Abs. 1 BVG setzen kein sittlich vorwerfbares oder rechtswidriges Verhalten eines Vorgesetzten des Beschädigten voraus (BSG 22, 118).
Im Ergebnis ist somit festzustellen, daß H. von der Schußwaffe nicht zuletzt deshalb Gebrauch gemacht hat, um als militärischer Vorgesetzter den ihm unterstellten M. in seine Schranken zu verweisen. Der Gebrauch der Waffe zur Wahrung der Autorität des militärischen Vorgesetzten und zur Erzwingung des militärischen Gehorsams gegenüber Untergebenen gehört ebenso wie die straffe Disziplin zu den dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnissen. Die Notwehrlage erklärt deshalb allein nicht die unglückliche Tat des H. Unter Zivilisten würde bei vergleichbarem Sachverhalt die Auseinandersetzung mit höchster Wahrscheinlichkeit anders geendet haben.
Dagegen ist zu prüfen, ob das Verhalten des M. so schwerwiegend war und so erheblich zu den tödlichen Schüssen beigetragen hat, daß dahinter die militäreigentümlichen Verhältnisse als unwesentlich in den Hintergrund traten. Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die militäreigentümlichen Verhältnisse wesentlich den Tod des M. mitverursacht haben. Dabei war zu berücksichtigen, daß M. offenbar nicht unerheblich angetrunken war, daß der Auseinandersetzung zwischen M. und K. und später zwischen M. und H. ein zunächst nichtiger Anlaß zugrunde lag, daß kurz vor dem Zusammenbruch die Auflösungserscheinungen wegen der Aussichtslosigkeit des Krieges erheblich zunahmen und die von dem Oberkommando der Wehrmacht erlassenen strengen Vorschriften ein rücksichtsloses Vorgehen der militärischen Vorgesetzten begünstigen mußten, die die Aufrechterhaltung einer besonders straffen Disziplin bis zum letzten Kriegstag für erforderlich hielten. Dies gilt besonders auch für SS-Einheiten. Wenn deshalb die Tat des M. nicht als die alleinige Ursache für die auf ihn abgegebenen Schüsse und den dadurch verursachten Tod angesehen wird, so steht dies im Einklang mit dem in § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG ausgesprochenen Grundgedanken, daß eine Schädigung, die durch eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme herbeigeführt wurde, einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG gleichzustellen ist, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 28. Januar 1945 dem militärischen Vorgesetzten eine der Strafgewalt nahekommende Zwangsgewalt übertragen hat. Es bedarf auch nicht der Entscheidung, ob eine Maßnahme, die nur allgemein dazu bestimmt ist, einen Untergebenen in seine Schranken zu verweisen und in der Wirkung weit über den unmittelbaren Zweck einer solchen Maßnahme hinausgeht, noch eine Zwangsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 2 d BVG ist (BSG 8, 266). Einer näheren Erörterung dieser Frage bedarf es deshalb nicht, weil § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG die Tatbestände des § 1 Abs. 1 BVG ergänzt und klarstellt, daß auch Straf- oder Zwangsmaßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen einer Schädigung durch den militärischen Dienst gleichstehen. Unabhängig von der Beurteilung der Tat des Beschädigten soll die Straf- oder Zwangsmaßnahme dann noch als ursächlich für die Schädigung gelten, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist.
Dies ist dann der Fall, wenn in der Strafmaßnahme unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft eine mit rechtsstaatlichen Anschauungen in krassem Widerspruch stehende Überschreitung des rechten Strafmaßes zu erblicken ist (BSG 6, 196, 197). Was für eine extrem hohe, allein nach nationalsozialistischer Auffassung in dieser Höhe oder Art in Betracht kommende Strafe gilt (BSG-Urteil vom 14.3.1963, BVBl. 1963, 105), muß auch für die Fälle gelten, in denen eine Maßnahme zwar nicht als Straf- oder Zwangsmaßnahme verhängt wurde, aber durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse sich wie eine solche ausgewirkt hat. Dies trifft besonders auch für Maßnahmen zu, die, wie hier kurz vor dem Zusammenbruch zur Bekämpfung von Auflösungserscheinungen getroffen wurden und objektiv in krassem Widerspruch zu dem Unrechtswert des bekämpften Verhaltens stehen.
Nach alledem sind die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse für den Tod des M. mitursächlich gewesen. Der Beklagte ist deshalb verpflichtet, der Klägerin nach den §§ 1, 38 ff BVG Witwen- Hinterbliebenenrente ab 1. September 1956 zu gewähren. Unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG war somit der Beklagte dem Grunde nach zu dieser Leistung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen