Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 7.4.2022 - B 3 KR 9/21 R, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.
Tatbestand
Im Streit steht die Zahlung von weiterem Krankengeld vom 13.2. bis 5.4.2018.
Die 1956 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin bezog seit dem Ende ihres bis zum 31.1.2018 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses auf eine bereits zuvor festgestellte Arbeitsunfähigkeit ua wegen einer akuten Radikulopathie Krankengeld bis 12.2.2018. Vom 13. bis 22.2.2018 wurde sie wegen einer Gonarthrose zunächst im Krankenhaus behandelt, woran sich eine stationäre Rehabilitation bis 15.3.2018 anschloss. Am selben Tag wurde weitere Arbeitsunfähigkeit wegen sonstiger sekundärer Gonarthrose bis voraussichtlich 5.4.2018 attestiert. Die Beklagte lehnte weitere Zahlungen ab, weil die Arbeitsunfähigkeit ab dem 13.2.2018 durch eine neue Erkrankung ("sonstige primäre Gonarthrose") bedingt gewesen sei und eine Überschneidung von mindestens einem Tag mit der vorherigen Erkrankung nicht vorliege; bei ihrer stationären Aufnahme sei die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen (Bescheid vom 15.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 26.6.2018).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2020). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung weiteren Krankengelds verurteilt: Dessen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Mitgliedschaft der Klägerin sei nicht nur wegen der bis zum 12.2.2018 reichenden Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung erhalten geblieben, sondern auch aufgrund des nahtlosen Anschlusses durch die stationäre Krankenhausbehandlung ab dem 13.2.2018 (Urteil vom 12.5.2021).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 46 Satz 1 Nr 1 SGB V und die Nichtanwendung von § 46 Satz 2 SGB V auf diese Norm.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2021 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten über den 12.2.2018 hinaus erhalten geblieben ist und sie Krankengeld bis zum 5.4.2018 beanspruchen kann.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid vom 15.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.6.2018, durch den die Beklagte den von der Klägerin verfolgten Anspruch auf Weiterzahlung von Krankengeld über den 12.2.2018 hinaus abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die auf Aufhebung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), die als auf ein Grundurteil gerichtet keiner Bezifferung bedarf (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG).
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld ist § 44 Abs 1 iVm § 46 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB V (diese idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes - GKV-VSG - vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden (§ 44 Abs 1 SGB V). Dieser Anspruch entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs 4, §§ 24, 40 Abs 2 und § 41 SGB V) von ihrem Beginn an (§ 46 Satz 1 Nr 1 SGB V) und im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V). Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt (stRspr; vgl BSG vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - BSGE 130, 85 = SozR 4-2500 § 46 Nr 10, RdNr 14 mwN).
3. Hiernach kann die Klägerin für den streitigen Zeitraum Krankengeld beanspruchen, weil ihre Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten trotz Beendigung der Beschäftigung während ihres stationären Aufenthalts aufrechterhalten blieb (dazu 4.). Einer zeitlichen Überschneidung von Krankengeldanspruch und zu erhaltender Mitgliedschaft bedarf es für diese Erhaltenswirkung nicht (dazu 5.). Der Anspruch auf Krankengeld bleibt bei unterschiedlichen nahtlos aufeinander folgenden Entstehungstatbeständen aufrechterhalten (dazu 6.). § 46 Satz 2 SGB V steht dem nicht entgegen (dazu 7.).
4. Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibt abweichend von den Beendigungstatbeständen des § 190 SGB V ua erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V). Davon ist das BSG in ständiger Rechtsprechung zur Rechtslage bis zur Änderung durch das GKV-VSG ausgegangen, wenn mit Ablauf des letzten Tags des Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld und zu Beginn des nächsten Tags alle Voraussetzungen erfüllt waren, um spätestens dann einen Anspruch auf Krankengeld entstehen zu lassen. Demgemäß hat das BSG für den Erhalt des Krankenversicherungsschutzes nach Entwicklungsgeschichte und Systematik über eine rein wortlautbezogene Auslegung hinaus eine Nahtlosigkeit von Beschäftigtenversicherung und mitgliedschaftserhaltenden Krankengeldansprüchen vorausgesetzt und danach eine fortdauernde krankenversicherungsrechtliche Absicherung - bis zur Anspruchserschöpfung - in allen Fällen als gewährleistet angesehen, in denen Arbeitsunfähigkeit zeitlich unmittelbar an ein zuvor bestehendes Beschäftigungsverhältnis oder einen vorangegangenen Krankengeld-Bewilligungsabschnitt anschließt (eingehend BSG vom 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R - BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 12 ff mwN). Ausdrücklich genügte dazu auch ein erstmals am ersten Tag nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses entstandener Krankengeldanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit (BSG ebenda RdNr 13).
5. Dem hat das GKV-VSG die Grundlage nicht entzogen. Soweit danach nunmehr der Anspruch auf Krankengeld bereits "von dem Tag" der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V) und nicht mehr erst vom Folgetag an entsteht, ändert das nichts daran, dass im Sinne der Nahtlosigkeitsanforderungen ein Krankengeldanspruch zeitlich unmittelbar an die vorangegangene Beschäftigtenversicherung oder den letzten Krankengeld-Bewilligungsabschnitt anschließen kann.
Dass die Feststellung erst im Laufe des Tags der Anspruchsentstehung erfolgt, ist schon nach dem eindeutigen Wortlaut - "von dem Tag" der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an - unbeachtlich (ebenso zum Krankenhausaufenthalt Sonnhoff in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 46 RdNr 21). Vielmehr ist dies notwendige Folge des mit der Neuregelung verfolgten Ziels, Versicherte auch bei einer (nur) eintägigen Arbeitsunfähigkeit nicht schutzlos zu stellen (vgl BT-Drucks 18/4095 S 80); dies setzt das Entstehen des Krankengeldanspruchs erst und gerade am Tag der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit selbst voraus. Einer zeitlichen Überschneidung von Arbeitsunfähigkeit und zu erhaltender Mitgliedschaft bedarf es danach für die Erhaltenswirkung von § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V, anders als nach der Rechtslage zuvor, nicht mehr (vgl zum fehlenden Erfordernis einer Überschneidung von Erhaltungstatbeständen schon BSG vom 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R - BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 15 ff).
6. Diese mitgliedschaftserhaltende Wirkung nahtlos aufeinander folgender Krankengeld-Bewilligungsabschnitte ist unabhängig davon, welche Sachverhalte ihrer Entstehung jeweils zugrunde liegen und ob sie jeweils deckungsgleich sind. Maßgeblich für diese Wirkung ist allein, dass überhaupt "Anspruch auf Krankengeld" besteht (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V). Ohne Bedeutung ist demzufolge, welcher der Krankengeldtatbestände der §§ 44 ff SGB V den Anspruch auf Krankengeld vermittelt (Peters in Kasseler Komm, § 192 SGB V RdNr 13, Stand EL Dezember 2015) und ob er im Rahmen von § 44 SGB V auf Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder einer stationären Krankenhaus-, Vorsorge oder Rehabilitationsbehandlung auf Kosten der Krankenkasse beruht. Ebenso können nach der Rechtsprechung des BSG auch unterschiedliche Erhaltungstatbestände die Erhaltenswirkungen des § 192 SGB V fortführen, sofern sie nur nahtlos aneinander anschließen (BSG vom 17.2.2004 - B 1 KR 7/02 R - BSGE 92, 172 = SozR 4-2200 § 200 Nr 1, juris RdNr 33). Umso weniger kann diese Wirkung abbrechen, sofern Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen unterschiedlicher Erkrankungen (ebenso Hänlein in LPK-SGB V, 5. Aufl 2016, § 192 RdNr 11) oder Krankengeldansprüche wegen stationärer Behandlung und Arbeitsunfähigkeit nahtlos aneinander anschließen; dafür wäre nach dem Regelungszweck von § 192 SGB V kein rechtfertigender Grund erkennbar. Vielmehr hält § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung in allen genannten Fällen aufrecht, in denen Versicherte aus gesundheitlichen oder sozial gerechtfertigten Gründen an dem Erhalt oder der Neubegründung eines Versicherungspflichtverhältnisses gehindert sind.
7. § 46 Satz 2 SGB V in der seit dem 23.7.2015 geltenden Fassung steht dem nicht entgegen. Die Regelung bewirkt allein die Verlängerung des einer Folgefeststellung vorausliegenden Bewilligungsabschnitts, sofern die Feststellung einer "weiteren Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit" unter den in ihr aufgeführten Voraussetzungen nicht nahtlos an den vorangegangenen Bewilligungsabschnitt anschließt. Insofern erweitert sie den Krankengeldanspruch aus einem vorangegangenen Bewilligungsabschnitt, wenn Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit erst am ersten Werktag nach einem Wochenende oder einem Feiertag und nicht unmittelbar am Folgetag des vorangegangenen Bewilligungsabschnitts erneut festgestellt wird (vgl nur Sonnhoff in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 46 RdNr 37). Der Krankengeldanspruch bleibt in diesen Fällen bis zu dem nächsten Werktag bestehen; das Gesetz fingiert für die Folgefeststellung die Nahtlosigkeit des Anspruchs (vgl Schifferdecker in Kasseler Komm, § 46 SGB V RdNr 19, Stand EL Dezember 2021). Regelungswirkungen im Sinne einer Anspruchsbegrenzung dahin, dass weitere mitgliedschaftserhaltende Krankengeldansprüche bei Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlung nur bei derselben Krankheit entstehen, entfaltet die Vorschrift dagegen nicht. Bereits dem Wortlaut nach kann sie im systematischen Gefüge von § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V iVm den §§ 44 ff SGB V ausschließlich bezogen sein auf mitgliedschaftserhaltende Krankengeldansprüche bei Arbeitsunfähigkeit nach § 44 Abs 1 Alt 1 SGB V. Dem Regelungszweck nach soll sie Versicherte vor Krankengeldausfällen bewahren, die nach der jüngeren Rechtsprechung des BSG zu § 46 SGB V (vgl für die Rechtslage bis einschließlich 22.7.2015 BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 17/13 R - SozR 4-2500 § 192 Nr 6 RdNr 15 f) eintreten konnten (vgl BT-Drucks 18/4095 S 80 f).
Diese Wirkungen hat der Gesetzgeber durch die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz vom 6.5.2019 (mWv 11.5.2019, BGBl I 646) hinzugefügte Regelung des § 46 Satz 3 SGB V nochmals verstärkt und damit die mit dem GKV-VSG verfolgten Intentionen bekräftigt (zu den Motiven insoweit vgl BT-Drucks 19/6337 S 92). Das schließt es in dem aufgezeigten Regelungsgefüge aus, dass § 46 Satz 2 SGB V darauf abzielen könnte, die Absicherung aufeinander folgender krankheitsbedingter Entgeltausfälle auf jeweils eine Krankheitsursache zu beschränken; dafür spricht nichts. Soweit "[d]er Anspruch" auf Krankengeld bestehen bleibt, wenn die "weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit" innerhalb der Fristen des § 46 Satz 2 SGB V ärztlich festgestellt wird, erfasst das hiernach unter den Krankengeldansprüchen der §§ 44 ff SGB V ausschließlich Krankengeldansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit mit der bereits zuvor festgestellten Krankheit; Regelungswirkungen in Bezug auf andere Krankengeldursachen kommen dem für die Erhaltenswirkung des § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V nicht zu.
8. Demzufolge hat die Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) Anspruch auf Krankengeld aufgrund von nahtlosen Erhaltungstatbeständen über den 12.2.2018 hinaus bis einschließlich 5.4.2018.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Fundstellen
Haufe-Index 15320169 |
NZS 2022, 939 |
SGb 2022, 418 |
AUR 2022, 312 |