Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der verlängerten Waisenrente
Leitsatz (amtlich)
1. Auch die wiederzugewährende Waisenrente ist frühestens vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind (Anschluß an BSG 1975-03-13 12 RJ 204/74).
2. RVO § 1290 Abs 1 S 3 (= AVG § 67 Abs 1 S 3) regelt nur die Zahlung von Hinterbliebenenrente für den Sterbemonat des Versicherten.
Normenkette
RVO § 1290 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21, S. 3 Fassung: 1967-12-21; AVG § 67 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21, S. 3 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Osnabrück vom 29. März 1973 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Juli 1973 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist der Beginn einer wieder zu gewährenden Waisenrente.
Der im August 1949 geborene Kläger bezog bis Ende 1971 aus der Versicherung seiner 1967 verstorbenen Mutter Waisenrente; am 10. April 1972 beantragte er die Wiedergewährung wegen des am 4. April 1972 begonnenen Vorbereitungsdienstes als Regierungsinspektorenanwärter. Die Beklagte gewährte erneut Waisenrente ab Mai 1972. Mit der Klage begehrte der Kläger Rente auch für April 1972.
Sozialgericht und Landessozialgericht (LSG) gaben der Klage statt. Nach Ansicht des LSG ist die wiedergewährte Rente gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vom Beginn des Antragsmonats zu zahlen. Die Grundregel des § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG, die Renten erst mit Ablauf des Monats der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen beginnen läßt, stehe dem nicht entgegen; sie werde hier durch die Ausnahmeregel des Abs. 1 Satz 3 für Hinterbliebenenrenten verdrängt. Diese bringe deren Unterhaltsersatzfunktion zum Ausdruck; die Hinterbliebenenrente solle weggefallene Unterhaltsmittel "nahtlos" ersetzen.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 67 Abs. 1 AVG; Satz 1 gelte für alle Renten; Satz 3 sei hier nicht einschlägig.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Kläger kann für den Monat April 1972 keine Waisenrente beanspruchen. Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG ist die Rente - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Rente i. S. dieser Bestimmung ist auch die wieder zu gewährende Rente. Da ihre Voraussetzungen hier im Monat April 1972 erfüllt worden sind, konnte die Waisenrente daher nicht vor Mai 1972 wieder gewährt werden.
Die Sonderregel des § 67 Abs. 3 Satz 1 AVG, nach der (u. a.) Wiedergewährung der Rente nur vom Beginn des Antragsmonats an verlangt werden kann, ist hier nicht anzuwenden. Sie besagt nicht, daß eine wieder zu gewährende Rente stets vom Beginn des Antragsmonats zu zahlen ist. Absatz 3 Satz 1 schränkt vielmehr die Grundregel des Abs. 1 Satz 1 ein; er betrifft nach Wortlaut - vgl. "nur" - und Entstehungsgeschichte allein Fälle, in denen der Antrag auf Wiedergewährung der Rente nach Ablauf des Monats der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt wird. Das war während der Geltung des § 67 AVG i. d. F. vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88 ff) anerkannt, als Renten schon vom Beginn des Monats der Anspruchserfüllung beansprucht werden konnten. Daran hat die Neuregelung durch Art. 1 § 2 Nr. 10 Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) nichts geändert. Zur finanziellen Entlastung der Rentenversicherung sollten nun die Rentenzahlungen grundsätzlich einen Monat später beginnen; entsprechend wurde § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG geändert (vgl. dazu Schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses zu BT-Drucks. V/2341, Erl. zu Art. 1 §§ 1 Nr. 11 e und 2 Nr. 4 d S. 7 ff); Abs. 3 Satz 1 blieb jedoch unberührt. Diese Bestimmung kann daher weiterhin nur als Einschränkung gegenüber Abs. 1 Satz 1 verstanden werden. In diesem Sinne hat bereits der 12. Senat im Urteil vom 13. März 1975 (12 RJ 204/74) den verbliebenen "verschärfenden Ausnahmecharakter" des Abs. 3 Satz 1 AVG betont, der nicht aufgrund der Neuregelung vom 21. Dezember 1967 "in sein Gegenteil verkehrt" werden dürfe. Dem stimmt der erkennende Senat zu.
Nicht zu folgen ist dem LSG darin, daß die Grundregel des Abs. 1 Satz 1 hier durch Abs. 1 Satz 3 verdrängt werde. Nach dieser Bestimmung ist Hinterbliebenenrente vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zu gewähren, wenn für den Versicherten im Sterbemonat keine Rente zu zahlen war. Absatz 1 Satz 3 regelt - wie früher Abs. 1 Satz 2 i. d. F. vor dem 21. Dezember 1967 -, ob Hinterbliebenenrente für den Sterbemonat des Versicherten zu zahlen ist; er enthält insofern eine Ausnahme gegenüber der Grundregel des Abs. 1 Satz 1, als bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen im Sterbemonat Hinterbliebenenrente schon für diesen Monat gezahlt wird, sofern für den Sterbemonat keine Versichertenrente gezahlt worden ist. Die Vorschrift des Abs. 1 Satz 3 betrifft damit allein den Sterbemonat; aus ihr läßt sich keine allgemeine Regel dahingehend ableiten, daß Hinterbliebenenrenten, auch wieder zu gewährende, stets von einem frühestmöglichen Zeitpunkt - d. h. vom Beginn des Monats der Anspruchserfüllung - an zu zahlen seien (vgl. BSG SozR Nr. 17 zu § 1290 RVO Aa 17 Rs).
Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen