Leitsatz (amtlich)

1. In der früheren britischen Besatzungszone mußten Hinterbliebene, denen die Todesnachricht vor 1947 zugegangen war, einen Rentenantrag auf Leistungen aus der Invalidenversicherung spätestens bis zum Ende des Jahres 1947 stellen, wenn sie später mit einem fristgemäßen Antrag nach KrFristenablaufG § 2 Abs 3 Erfolg haben wollten (Anschluß BSG 1956-05-08 1 RA 81/55 = BSGE 3, 72.

2. Ein Antrag auf Gewährung von Versorgungsleistungen kann nicht gleichzeitig als Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Invalidenversicherung angesehen werden. Eines besonderen Antrages auf letztere bedarf es auch dann, wenn das Hauptversorgungsamt eine Aktenüberprüfung nach der SVD Nr 11 vorzunehmen und entsprechende Mitteilung an die Landesversicherungsanstalt zu machen hatte.

 

Normenkette

KrFrHemmSV/AVG § 2; RVO § 1545 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 64 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1286 Fassung: 1936-12-23; SVD 11

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 3. Mai 1955 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

Der Vater des am 1. Januar 1945 geborenen Klägers ist am 4. Februar 1945 gefallen. Seine Mutter erhielt die Todesnachricht bereits in demselben Monat. Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils wurde dem Kläger seit dem 1. Juni 1945 die Waisenrente vom Versorgungsamt in Flensburg gewährt.

Auf den am 1. April 1952 gestellten Antrag auf Zahlung der Waisenrente aus der Invalidenversicherung gewährte die Beklagte die beantragte Leistung mit Wirkung vom 1. Mai 1952.

Am 4. Mai 1953 beantragte der Kläger, ihm die Waisenrente auf Grund des Kriegsfristengesetzes (KFG) vom 13. November 1952 (BGBl. I S. 737) vom Todestag seines Vaters an nachzuzahlen; die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 10. Juli 1953 ab, da nach ihrer Auffassung die Antragsfrist des § 2 KFG bereits am 31. Dezember 1946 abgelaufen war. Weder mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Schleswig noch mit der gegen dessen Urteil eingelegten Berufung an das Landessozialgericht Schleswig hatte der Kläger Erfolg.

II.

Das Landessozialgericht begründet sein abweisendes Urteil im wesentlichen damit, daß die Anwendung des § 2 Satz 3 KFG nur möglich sei, wenn der ursprüngliche Rentenantrag innerhalb der Frist des § 2 Satz 1 KFG gestellt sei; diese Frist sei im vorliegenden Falle bereits mit dem Ende des Jahres 1947 abgelaufen gewesen. Im einzelnen verweist das Landessozialgericht auf seine Entscheidung vom 22. November 1954 (Breithaupt 1955 S. 498).

III.

Gegen dieses am 30. Juni 1955 zugestellte Urteil legte der Kläger am 29. Juli 1955 die vom Landessozialgericht zugelassene Revision ein und begründete diese - nach entsprechender Fristverlängerung durch das Bundessozialgericht - am 28. September 1955. Er greift die Gründe, die den 1. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 8. Mai 1956 (1 RA 81/55) zu einer dem angefochtenen Urteil entsprechenden Auslegung der streitigen Rechtsfrage veranlaßt haben, an; er bestreitet insbesondere, daß im § 2 Satz 1 KFG ein Redaktionsversehen vorgelegen habe, wobei er auf die nach seiner Auffassung das Gegenteil erweisende Entwicklung der infragekommenden Vorschrift besonders hinweist.

Der Kläger rügt ferner die Nichtberücksichtigung des Bezugs seiner Kriegswaisenrente bei der rechtlichen Würdigung des § 2 KFG durch das angefochtene Urteil. Die SVD 11 habe zu einer Einstellung der zunächst gewährten Versorgungsleistungen geführt und an deren Stelle Leistungen nach den Vorschriften des infragekommenden Zweiges der Sozialversicherung (Invalidenversicherung) gesetzt; die Überprüfung, ob insoweit eine Bezugsberechtigung gegeben sei, habe von Amts wegen vorgenommen werden müssen. Dem Kläger sei dementsprechend nach der SVD 11 und späterhin nach der SVD 27 eine Waisenrente gewährt worden. Dieser Sachverhalt müsse einer unmittelbaren fristgemäßen Antragstellung durch den Kläger gleichgesetzt werden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Schleswig vom 3. Mai 1955 und des Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 2. Dezember 1954 die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Schleswig zurückzuverweisen und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

IV.

Die Beklagte beantragt demgegenüber,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die Revision für unzulässig, weil die Rechtsfrage, um deretwillen sie zugelassen sei, die Auslegung des § 2 KFG betreffe, während der Kläger in seiner Revisionsbegründung nur die hiervon verschiedene Rechtsfrage, ob die Antragsfrist über die SVDen 11 und 27 als gewahrt angesehen werden könne, als unzutreffend entschieden gerügt habe.

Auch sachlich seien die Angriffe des Klägers unbegründet; ein Antrag auf Gewährung von Versorgungsbezügen könne nicht als Antrag auf Gewährung von Waisenrente aus der Invalidenversicherung angesehen werden; aus nicht sachgemäßem Handeln der Versorgungsbehörden könne ein Anspruch gegen die Beklagte nicht hergeleitet werden.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Revision ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft; sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden und enthält einen bestimmten Antrag; sie ist daher zulässig.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unerheblich, worin das Landessozialgericht die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erblickt hat, da die Zulassung nicht auf eine einzelne Rechtsfrage beschränkt werden kann.

II.

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Die Frage der Auslegung des § 2 KFG ist vom 1. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 8. Mai 1956 - 1 RA 81/55 - bereits in dem von dem angefochtenen Urteil vertretenen Sinne entschieden worden. Der erkennende Senat hatte keine Bedenken, sich dieser Rechtsprechung, die auch sonst überwiegend vertreten wird, anzuschließen. Neben den Gründen, die der 1. Senat für seine Auffassung geltend macht spricht für diese Ansicht gerade auch noch die Entstehungsgeschichte der fraglichen Bestimmung, auf die der Kläger im entgegengesetzten Sinne verweisen zu können glaubt:

Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung zu § 2 KFG (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949 Drucks. 3197 Anl.1) enthielt noch keinen Satz 4.

Als Begründung zu § 2 wurde gesagt:

"Häufig wird der Eintritt des Todes bei den in Kriegsgefangenschaft oder Internierung verstorbenen Personen erst geraume Zeit später den Angehörigen bekannt. Es würde daher eine besondere Härte bedeuten, wenn erst der Tag des Eintreffens der Todesnachricht oder der Rechtskraft der Todeserklärung als Tag der Entlassung angesehen würde. Mit dieser Vorschrift soll erreicht werden, daß die Hinterbliebenen in diesen Fällen nicht schlechter gestellt werden als diejenigen, die bereits zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten die Gewährung von Hinterbliebenenbezügen beantragen konnten. Da die Sozialversicherungsanordnung Nr. 10 diese Fälle für den Bereich der britischen Zone nicht geregelt hat, wird mit der im § 2 vorgesehenen Ausdehnung des Geltungsbereichs dieser Vorschrift nunmehr eine einheitliche Regelung für das ganze Bundesgebiet geschaffen."

Der Bundesrat sah demgegenüber (a.a.O. Anlage 2) als Änderungsvorschlag eine Ergänzung des Satzes 3 dergestalt vor, daß eine Neufeststellung auch dann zu erfolgen habe, wenn Renten bisher nicht beantragt worden seien und die Frist des Satzes 1 bereits abgelaufen wäre oder wenn bisher Renten abweichend festgestellt oder abgelehnt worden seien. Er begründete diese Vorschlagsänderung ausdrücklich damit, daß das in der Begründung der Bundesregierung ausgesprochene Ziel durch die von ihr vorgeschlagene Fassung nicht erreicht werde. "Es werden diejenigen Hinterbliebenen ausgeschlossen, deren Rentenanträge zwischenzeitlich abgelehnt worden sind oder die bisher überhaupt noch keinen Rentenanspruch geltend gemacht haben. Diese Fälle haben in den Ländern Bedeutung, in denen das Kriegsende bereits auf den früheren Zeitpunkt festgesetzt worden ist."

Demgegenüber wies die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme darauf hin, daß in dem vom Bundesrat vorgesehenen ersten Fall (wenn bisher Renten überhaupt noch nicht beantragt seien) kein Bedürfnis dafür bestehe, die Vorschriften des § 2 anzuwenden, im letztgenannten Fall dagegen die Anwendung der Vorschriften des § 2 nicht zum Wiederaufleben einer abgelehnten Rente führen könne, da die Ablehnungsgründe offenbar auch weiter in Betracht kämen.

In der entscheidenden zweiten und dritten Lesung im Bundestag wurde von dem Berichterstatter als Auffassung des zuständigen Ausschusses vorgetragen, man habe sich den Anregungen des Bundesrats teilweise angeschlossen; es wurde alsdann der Ausschußvorschlag (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 3729) ohne Debatte angenommen. Dieser Vorschlag beließ dem bisherigen Satz 3 - unter Änderung des Stichtages - seine bisherige Fassung und fügte die beabsichtigten Ergänzungen als Satz 4 an; für diese Änderungen wurde von dem Berichterstatter eine besondere Begründung nicht mehr gegeben.

Diese Vorgänge lassen deutlich erkennen, daß der Bundestag bewußt die vom Bundesrat gemachten weitergehenden Vorschläge ablehnen wollte und abgelehnt hat, daß der Bundestag sich demnach der Auffassung der Bundesregierung, im ersten Fall bestehe kein Bedürfnis für die vorgeschlagene Sonderregelung, anschließen wollte, daß er dagegen für den zweiten Fall mit der aus seiner Fassung deutlich ersichtlichen Möglichkeit rechnete, trotz früherer Ablehnung könne ein neuer Antrag später zum Erfolg führen.

Die Gesetz gewordene Fassung des § 2 KFG steht auch sprachlich nicht im Widerspruch zu dieser Auslegung, insbesondere kann das Gegenteil nicht aus den Worten "... oder der Antrag ... gestellt wird" des Satzes 1 gefolgert werden. Dieser Satz 1 enthält an sich die für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes geltende, also die zukünftige Regelung, so daß die gewählte Gegenwartsform durchaus berechtigt erscheint. Eine Anwendung des Satzes 1 auf bereits zurückliegende Zeiten ist nur über die auf ihn verweisenden Sondervorschriften der Sätze 3 und 4 vorgesehen. Daraus, daß diese verweisenden Sondertatbestände auf die Vergangenheit zurückgreifen, ergibt sich die Notwendigkeit, auch den dem Satz 1 zugrunde liegenden Tatbestand in jenen Fällen von jenem zurückliegenden Zeitpunkt aus zu betrachten; dem erkennenden Senat erscheint daher selbst unter Zugrundelegung des gesetzlichen Wortlauts, also auch ohne die Annahme eines Redaktionsversehens, zwischen den Bestimmungen des § 2 KFG und der von ihm gegebenen Auslegung kein Widerspruch zu klaffen.

Es kann somit im Anschluß an das Urteil des 1. Senats bei der Anwendung des KFG auf Fälle der früheren britischen Besatzungszone grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß Hinterbliebene, denen die Todesnachricht spätestens bis zum Ende des Jahres 1946 zugegangen ist, bis zum Ende des Jahres 1947 einen Rentenantrag auf Leistungen aus der Invalidenversicherung gestellt haben mußten, wenn sie späterhin mit einem fristgemäßen Antrag nach § 2 Abs. 3 KFG Erfolg haben wollten.

III.

Es fragt sich im vorliegenden Fall jedoch noch, ob etwa die Tatsache des Bezugs einer Kriegswaisenrente in irgendeiner Hinsicht eine andere Beurteilung notwendig macht.

Wenn sich in dem angefochtenen Urteil auch nur die summarische Feststellung findet, der Kläger habe vom Versorgungsamt Flensburg seit 1945 die Waisenrente erhalten, so kann doch - da dagegen von keiner Seite irgendwelche Einwendungen erhoben sind - bedenkenfrei auch für die Würdigung des Revisionsgerichts davon ausgegangen werden, daß das Landessozialgericht hiermit die seit dem Jahre 1945 ununterbrochen fortlaufende Zahlung von Versorgungsleistungen hat feststellen wollen, daß also dem Kläger anschließend an die ursprüngliche, noch auf dem Reichsversorgungsgesetz beruhende Rentengewährung Leistungen nach der SVD 11, anschließend nach der SVD 27 und schließlich nach dem Bundesversorgungsgesetz gewährt worden sind, wobei jeweils kein besonderer Antrag gestellt worden ist.

Bei der Verschiedenheit zwischen der Kriegsopferversorgung und der Invalidenversicherung kann, was offenbar selbst der Kläger nicht annimmt, ein Antrag auf Gewährung von Versorgungsleistungen nicht gleichzeitig als ein Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Invalidenversicherung angesehen werden. Selbst wenn festgestellt wäre, daß der Kläger in der Zeit nach dem Kriege einen Antrag auf Gewährung von Versorgungsleistungen gestellt hätte, würde ein solcher Antrag daher nicht als Antrag im Sinne des § 2 KFG anzusehen sein.

Wenn der Kläger andererseits aus der Verpflichtung der die Versorgungsangelegenheiten nach den SVDen bearbeitenden Dienststellen, die Leistungen in seinem Fall von Amts wegen festzusetzen und ihre Voraussetzungen zu ermitteln, herleiten will, darin habe "mittelbar" ein Antrag auf "Sozialrente" gelegen, so erscheint auch diese Ansicht nicht haltbar. Der Kläger will offenbar daraus, daß nach der SVD 11 von Amts wegen festzustellen war, ob eine Rentenberechtigung nach den Vorschriften des in Frage kommenden Zweiges der Rentenversicherung vorliege, herleiten, daß es sich dabei um Vorgänge im Rahmen des in Frage kommenden Rentenversicherungszweiges gehandelt habe. Er übersieht jedoch, daß es sich nach den Bestimmungen der SVD 11 stets eindeutig um reine Versorgungsleistungen gehandelt hat, deren Gewährung sich nur in ihren Voraussetzungen und ihren Berechnungen zunächst nach den entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Invalidenversicherung (SVD 11) und später der Unfallversicherung (SVD 27) zu richten hatte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß in der Zeit des Fehlens besonderer Dienststellen mit der Durchführung dieser Aufgaben die (Außenstellen der) Landesversicherungsanstalten betraut waren.

Bei der Bedeutung, die der Gesetzgeber auf dem gesamten in Frage kommenden Gebiet der Antragstellung beimißt, erscheint es schlechterdings ausgeschlossen, ohne gesetzliche Vorschriften den zwingend vorgeschriebenen Antrag eines Versicherten - wie der Kläger dies begehrt - als durch irgend eine von Amts wegen vorzunehmende Handlung ersetzt anzusehen. Falls einmal dementsprechend verfahren werden soll, hat auch der Gesetzgeber der SVDen dies ausdrücklich bestimmt, wie gerade die einschlägige Regelung der Nr. 14 II der SVD 27 in Verbindung mit den Nummern 24 und 28a der SVA 11 zeigt.

IV.

Schließlich läßt sich auch auf andere Weise keine für den Kläger günstigere Beurteilung des Falles erreichen.

Eine Anwendung des Satzes 4 des § 2 KFG, an die z.B. Seitz (Sozialversicherung 1954 S. 224) hilfsweise denkt, verbietet sich aus der eingangs erwähnten Entstehungsgeschichte dieses Satzes, der nur einen ganz speziellen - nicht im Wege der Auslegung ausweitbaren - Tatbestand erfaßt.

Endlich braucht nicht untersucht zu werden, ob dem Landessozialgericht Schleswig in seiner Auffassung (Breithaupt 1955 S. 498) zuzustimmen ist, daß für Versicherte, die eine Rente nach der SVD 27 erhielten, dadurch eine Hemmung des Ablaufs der "Überlegungsfrist" des § 2 Satz 1 KFG für jene Zeit eingetreten sei, da im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung dieser Hemmung die Frist unzweifelhaft bereits versäumt wäre.

V.

Das angefochtene Urteil läßt hiernach eine Rechtsverletzung nicht erkennen; die Revision ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG). Die Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 Abs. 4 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297127

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