Leitsatz (amtlich)
In den Zeitraum der zwölfmonatigen ununterbrochenen Krankengeldzahlung iS von AVG § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a (= RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst a) ist auch die Zeit einzurechnen, in der der Anspruch auf Krankengeld wegen eines auf medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen beruhenden Bezuges von Übergangsgeld nach RVO § 183 Abs 6 ruht.
Normenkette
AVG § 2 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. a Fassung: 1974-08-07; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 8a Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.11.1977; Aktenzeichen L 16 Kr 84/76) |
SG Köln (Entscheidung vom 10.05.1976; Aktenzeichen S 19 Kr 59/76) |
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als Rehabilitand in der Zeit vom 1. August 1975 bis 21. Januar 1976 versicherungspflichtig in der Rentenversicherung der Angestellten (AV) nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) war und die Beklagte deshalb für diesen Zeitraum die Beiträge nach § 112 Abs 4 Buchst h AVG als Rehabilitationsträger zu tragen hat.
Wegen einer am 29. April 1974 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit bezog der Kläger als Mitglied der Beklagten vom 10. Juli 1974 bis 26. November 1975 Krankengeld. Seine Arbeitsunfähigkeit dauerte darüber hinaus bis zum 21. Januar 1976. In der Zeit vom 14. Januar 1975 bis 18. Februar 1975 erhielt er aufgrund eines von der Beigeladenen durchgeführten Heilverfahrens Übergangsgeld nach § 17 AVG. Seinen Antrag vom 17. November 1975, die Rentenversicherungsbeiträge für ihn zu entrichten, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Voraussetzung des zwölfmonatigen ununterbrochenen Krankengeldbezugs sei nicht erfüllt, weil für die Zeit des Bezugs von Übergangsgeld Krankengeld nicht gezahlt worden sei (Bescheid vom 10. Februar 1976, Widerspruchsbescheid vom 5. März 1976). Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1976). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verurteilt, für den Kläger Beiträge zur AV für die Zeit vom 1. August 1975 bis 21. Januar 1976 an die Beigeladene zu entrichten (Urteil vom 24. November 1977). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt: Zwar sei der Wortlaut des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG eindeutig. Nach dem Sprachgebrauch bedeute Zahlung von Krankengeld dessen tatsächliche Erbringung und eine ununterbrochene Zahlung liege nur vor, wenn kein zeitweiliges Aussetzen der Zahlung erfolge. Bei wortgetreuer Auslegung müsse in dem Ruhen des Krankengeldes infolge der Gewährung von Übergangsgeld eine den Eintritt der Versicherungspflicht hindernde Zahlungsunterbrechung gesehen werden. Die wortgetreue Auslegung könne jedoch nicht überzeugen. Deshalb rechtfertige sich der Rückgriff auf den tragenden Grundgedanken, den Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Einführung der "Vorversicherungszeit" von 12 Kalendermonaten habe die Schwierigkeit einer Abgrenzung zwischen den Rehabilitationsfällen und den sonstigen Krankheitsfällen vermieden werden sollen. Das entscheidende Kriterium für die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG sei in dem langdauernden Leistungsbezug zu sehen. Daher könne es hier nicht allein auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers ankommen. Jedenfalls sei eine zeitlich nur geringfügige Unterbrechung unerheblich, wenn anstelle des Krankengeldes Übergangsgeld gewährt werde. Die Zeit des Übergangsgeldbezuges müsse deshalb in die Berechnung der "Vorversicherungszeit" einbezogen werden. Andernfalls wäre die Bedeutung der Vorschrift für Rehabilitanden wesentlich eingeschränkt, was der Zielsetzung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) zuwiderlaufen würde.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG. Sie ist der Auffassung, daß der Wortlaut dieser Vorschrift eindeutig und einer sprachlichen Auslegung nicht zugänglich sei. Ihre wortgetreue Anwendung führe zu keinem offensichtlich sinnwidrigen Ergebnis. Sie diene einmal der Verwaltungsvereinfachung. Zum anderen seien keine zwingenden Gründe ersichtlich, die eine vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung bei einer Unterbrechung des Krankengeldbezuges rechtfertigten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und (sinngemäß) die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der im Revisionsverfahren nicht vertretene Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger in der streitigen Zeit versicherungspflichtig nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG war und daß deshalb die Beklagte verpflichtet ist, hierfür die Beiträge zur AV zu tragen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 112 Abs 4 Buchst h AVG. Nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG werden Personen, denen ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zwölf Kalendermonate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezugs von Krankengeld, darüber hinaus für höchstens weitere 24 Kalendermonate einer Arbeitsunfähigkeit, in der AV versichert. Die Voraussetzung der ununterbrochenen Krankengeldzahlung von zwölf Kalendermonaten war beim Kläger mit dem Ablauf des Monats Juli 1975 erfüllt. Das LSG hat zutreffend darauf abgestellt, daß die Zeit des Bezuges von Übergangsgeld, in der der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 183 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ruhte, hierbei nicht ausgeklammert werden durfte. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß der Wortlaut des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG dagegen spricht. Die Anwendung eines Gesetzes darf sich jedoch nicht auf den bloßen Wortlaut beschränken, wenn sich aus dem Sinnzusammenhang, in den die Vorschrift gestellt ist, ergibt, daß der Wortlaut dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck nicht gerecht wird. Eine auf die allgemeine Wortbedeutung des Begriffs "ununterbrochene Zahlung" beschränkte Anwendung des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG würde aber im vorliegenden Fall offensichtlich dem Zweck dieser Vorschrift zuwiderlaufen. Der mit der Schaffung des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG verfolgte Gesetzeszweck spricht deutlich dafür, daß das Ruhen des Krankengeldanspruchs infolge einer zwischenzeitlichen Übergangsgeldzahlung - jedenfalls sofern diese auf einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beruht - nicht zu einer Unterbrechung des Zeitraums der zwölfmonatigen Krankengeldzahlung führen darf. Die Einbeziehung der Rehabilitanden in die Versicherungspflicht mit Übertragung der Beitragspflicht auf die Rehabilitationsträger als ergänzende Leistung nach § 12 Nr 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) dient der sozialen Sicherstellung der Behinderten und ist ein Ausgleich des durch die Behinderung bedingten Verlustes der Fähigkeit, sich aus den Erträgnissen einer Erwerbstätigkeit selbst ausreichend gegen die von den gesetzlichen Versicherungen abgedeckten Risiken zu versichern (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1977 - 12 RK 28/76 - BSGE 45, 188). Durch das RehaAnglG wurden auch die Krankenkassen in den Kreis der Rehabilitationsträger einbezogen (§ 2 Abs 1 Nr 1 RehaAnglG). Sie haben ihren Mitgliedern alle medizinischen Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen, soweit nicht ein anderer Träger verpflichtet ist (vgl BT-Drucks 7/1237 S 51). Damit soll allerdings nicht jede medizinische Maßnahme nunmehr als Rehabilitationsleistung zu betrachten sein, sondern lediglich die Behandlung länger dauernder Leiden (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand April 1976, S 666 d I). Für die Unterscheidung zwischen Rehabilitationsfällen und sonstigen Krankheitsfällen hat der Gesetzgeber zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG (= § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 8a Buchst a RVO) auf eine Bezugsdauer des Krankengeldes von zwölf Kalendermonaten abgestellt (vgl BT-Drucks VI 3742 S 59). Daraus ist ersichtlich, daß die "ununterbrochene Zahlung von Krankengeld für zwölf Kalendermonate" nicht etwa als materielle Voraussetzung für die Versicherungspflicht des Rehabilitanden normiert wurde, sondern lediglich als Merkmal für die Qualifizierung der medizinischen Maßnahme als Rehabilitationsleistung gedacht ist, die ihrerseits die Anspruchsgrundlage für die ergänzende Leistung (Tragung der Beiträge) nach § 12 Nr 2 RehaAnglG bildet. Der Gesetzgeber wollte also die Versicherungspflicht des von der Krankenkasse betreuten Rehabilitanden nur von dem - typisierten - Nachweis abhängig machen, daß der Krankenbehandlungsfall sich letztlich als Rehabilitationsfall herausstellt. Mit dem Ausdruck "Zahlung von Krankengeld" kann er demnach - über den allgemeinen Wortsinn hinaus - nur den durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ausgelösten (wenn auch ruhenden) Anspruch auf Krankengeld gemeint haben. Das erhellt aus zwei weiteren Gesichtspunkten: Wenn der zwölfmonatige Krankengeldbezug lediglich die medizinische Maßnahme als eine Rehabilitationsmaßnahme und den Krankengeldbezieher damit als einen der Versicherungspflicht unterworfenen Rehabilitanden qualifizieren soll, dann wäre es widersinnig, wenn eine ebenfalls durch medizinische Rehabilitation bedingte Übergangsgeldzahlung die zwölfmonatige Vorauszeit unterbrechen sollte, obwohl sie in noch stärkerem Maße das Vorliegen eines Rehabilitationsfalles beweist und sogar unmittelbar und ohne zeitliche Verzögerung ihrerseits die Rentenversicherungspflicht des Rehabilitanden nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c AVG auslöst. Auch aus der Zielvorstellung des Gesetzes, die Unterhaltsleistungen für die Rehabilitation unabhängig von den einzelnen Rehabilitationsträgern zu vereinheitlichen und nach den Grundsätzen des Krankengeldes auszurichten (BT-Drucks 7/1237 S 51), verbietet sich die Annahme, der Gesetzgeber habe bei der letztlich zusammenhängenden und nur zwischen der Krankenversicherung und der Rentenversicherung verzahnten Rehabilitationsmaßnahme die dem gleichen Zweck dienenden und aneinander angeglichenen Unterhaltsleistungen im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG unterschiedlich bewerten wollen.
Dem steht nicht entgegen, daß der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 2. Februar 1978 - 12 RK 17/76 - (SozR 2200 § 381 Nr 24) den Begriff "Bezug von Übergangsgeld" als Voraussetzung für die Pflicht des Rehabilitationsträgers (Unfallversicherungsträgers) zur Tragung der Beiträge zur Krankenversicherung nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO dahin verstanden hat, es sei dort nur die tatsächliche Zahlung von Übergangsgeld gemeint. Der Senat hat nämlich in diesem Urteil schon darauf hingewiesen, daß der Begriff "Bezug von Krankengeld" unterschiedlich zu verstehen ist, je nachdem in welchem Zusammenhang er gebraucht wird. Er hat ausgeführt, daß nach den Grundsätzen des Beitragsrechts eine Leistung die Beitragspflicht (unmittelbar) nur auszulösen vermag, wenn sie tatsächlich erbracht (bzw bezogen) worden ist. Gleichzeitig hat er aber deutlich gemacht, daß hierdurch die abweichende Auslegung des Begriffs "Bezug" in § 183 Abs 5 RVO nicht berührt wird; denn dort dient dieser Begriff dazu, Doppelleistungen auszuschließen. Dies wird nur erreicht, wenn auch Zeiten als Bezugszeiten angesehen werden, in denen das Krankengeld ruht (BSG SozR Nr 60 zu § 183 RVO).
Diesen Hinweisen ist allerdings nicht zu entnehmen, daß nach Auffassung des Senats die Gleichsetzung des ruhenden Anspruchs mit dem Bezug der Leistung nur im Rahmen des Leistungsrechts zulässig, im Beitragsrecht dagegen generell ausgeschlossen sein soll. Vielmehr gilt auch hier, daß bei der Anwendung eines Gesetzes der zutreffende Sinngehalt der Vorschrift anhand der jeweiligen Regelungsabsicht des Gesetzgebers und des erkennbaren Gesetzeszwecks gesucht werden muß. Für § 381 Abs 3a Nr 2 RVO ergab sich der Sinngehalt des Wortes "Bezug" aus der ersichtlich vom Gesetzgeber beabsichtigten Verknüpfung der Beitragspflicht mit der tatsächlichen Übergangsgeldgewährung. Bei der "Vorauszeit" des § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG fehlt die Notwendigkeit dieser engen Verknüpfung von tatsächlichem Bezug und Versicherungspflicht. Vielmehr folgt - wie dargelegt - aus ihrer Funktion, Krankheitsfälle und Rehabilitationsfälle voneinander abzugrenzen, daß jedenfalls Zeiten, in denen das Krankengeld wegen medizinischer Maßnahmen ruht, auch als Bezugszeiten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen