Leitsatz (amtlich)
1. War bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes die Entscheidung eines Oberversicherungsamtes (außerhalb des Landes Bayern und des früheren Landes Württemberg-Baden) zwar verkündet, aber noch nicht zugestellt, so ist die Sache nicht nach SGG § 215 Abs 2 auf das zuständige Sozialgericht übergegangen, sondern als sogenannter Altfall nach SGG § 214 anzusehen.
2. Die Zulassung der Revision gegen ein gemäß SGG § 214 Abs 5 endgültiges Urteil ist unbeachtlich.
Normenkette
SGG § 215 Abs. 2, § 214 Abs. 5, § 162 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin erhielt nach ihrem im zweiten Weltkrieg gefallenen Ehemann vom Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes an eine Witwenrente, und zwar in Höhe der Grundrente und der vollen Ausgleichsrente. Als sie vom 1. Oktober 1952 an eine Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres Ehemannes in Höhe von DM 42.- und eine Invalidenrente aus ihrer eigenen Versicherung in Höhe von DM 50.- bezog, stellte das Versorgungsamt Frankfurt a. M. ihre Witwenrente gemäß § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse mit Bescheid vom 16. April 1953 neu fest. Danach entfiel vom 1. Oktober 1952 an die Rente in Höhe der Ausgleichsrente, da das Versorgungsamt die Rente aus der Invalidenversicherung in voller Höhe als Einkommen anrechnete.
Auf die Berufung der Klägerin änderte das Oberversicherungsamt ... mit Urteil vom 23. November 1953 den angefochtenen Bescheid und sprach der Klägerin über den 1. Oktober 1952 hinaus die volle Ausgleichsrente zu. Es sah die Rente aus der Invalidenversicherung als Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit an, die nach Abzug der Freibeträge gemäß § 41 Abs. 4 BVG nun nicht mehr zusammen mit der Ausgleichsrente die Freigrenze überschritten. In der Rechtsmittelbelehrung führte das Oberversicherungsamt aus, daß gegen dieses Urteil der Rekurs nach § 1699 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zulässig sei.
Gegen dieses Urteil, welches dem Beklagten am 26. Januar 1954 zugestellt worden war, legte dieser mit Schriftsatz vom 2. Februar 1954 beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt Berufung ein. Das Landessozialgericht hob mit seinem Urteil vom 26. Mai 1954 das Urteil des Oberversicherungsamts vom 23. November 1953 und den dazu ergangenen Vollzugsbescheid auf und stellte den Bescheid des Versorgungsamts vom 16. April 1953 wieder her. In der Sache hielt das Landessozialgericht entgegen der Auffassung des Oberversicherungsamts die Renten aus der Invalidenversicherung nicht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 41 Abs. 4 BVG, so daß bei voller Anrechnung der Invalidenrenten als Einkünfte die Gewährung einer Ausgleichsrente nicht mehr möglich war. Seine Zuständigkeit zur Entscheidung nahm das Landessozialgericht auf Grund des § 215 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an. Nach seiner Ansicht war der Rechtsstreit beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 noch beim Oberversicherungsamt rechtshängig und hätte daher nach jener Vorschrift an sich auf das zuständige Sozialgericht übergehen müssen. Der Übergang vom Oberversicherungsamt zum Sozialgericht komme jedoch nur dann in Betracht, wenn das Oberversicherungsamt noch nicht entschieden habe; anderenfalls müsse das übergeordnete Landessozialgericht über die Berufung entscheiden. Für statthaft hielt das Landessozialgericht die Berufung auf Grund des § 150 Nr. 1 SGG. Das Oberversicherungsamt habe in seinem Urteil die Zulassung des Rekurses ausgesprochen, diese Zulassung sei der Zulassung der Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG gleichzusetzen, so daß es unerheblich sei, ob § 148 SGG der Zulässigkeit der Berufung entgegenstehe. Bei dieser Rechtsauffassung ließ das Landessozialgericht die Revision zu.
Gegen dieses Urteil, das am 30. Juli 1954 zugestellt worden war, hat die Klägerin mit einem von ihr selbst unterzeichneten Schreiben, das am 31. August 1954 beim Bundessozialgericht einging, Revision eingelegt. Auf einen Hinweis des Gerichts, daß die Revision nur durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt werden könne, hat dann die Klägerin durch ihre derzeitigen Prozeßvertreter mit Schriftsatz vom 3. Februar 1955 Revision eingelegt und sie begründet. Sie beantragt:
1. unter Aufhebung des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 1954 und des Vollzugsbescheides des Revisionsbeklagten vom 15. Februar 1954 die Berufung des Revisionsbeklagten gegen das Urteil des Oberversicherungsamts Darmstadt vom 23. November 1953 zurückzuweisen und nach dem Klageantrag zu erkennen,
2. den Revisionsbeklagten zu verurteilen, der Revisionsklägerin auch die Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.
Die Klägerin hält die mit Schriftsatz vom 3. Februar 1955 eingelegte Revision für fristgerecht, da die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil unvollständig und daher die in einem solchen Falle gemäß § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr betragende Revisionsfrist noch nicht abgelaufen sei. Gegebenenfalls beantragt sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Sache führt die Klägerin aus, daß ihre Renten aus der Invalidenversicherung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien und ihr bei entsprechenden Abzügen von diesen Einkünften die volle Ausgleichsrente zustände.
Der Beklagte beantragt:
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Er führt aus, daß das Hessische Landessozialgericht über ein in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes ergangenes Urteil des Oberversicherungsamts ... im Berufungsverfahren entschieden habe und daß diese Entscheidung daher gemäß § 214 Abs. 5 SGG endgültig sei. Eine Revision gegen ein endgültiges Urteil sei aber unzulässig und die Zulassung der Revision sei vom Landessozialgericht zu Unrecht ausgesprochen. Außerdem sei die Revision nicht innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat eingelegt worden. Die von der Klägerin persönlich eingelegte Revision sei schon aus dem Grunde unzulässig, weil sie nicht von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt worden sei.
Im übrigen wird zur Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt des Urteils des Oberversicherungsamts ... vom 23. November 1953, des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Darmstadt vom 26. Mai 1954, des Schriftsatzes der Klägerin vom 3. Februar 1955 und des Schriftsatzes des Beklagten vom 23. Februar 1955 Bezug genommen.
Die Revision ist unzulässig; denn das angefochtene Urteil war endgültig.
Das Landessozialgericht Darmstadt war durch die Einlegung der Berufung des Beklagten nicht gemäß § 215 Abs. 2 SGG, sondern gemäß § 214 SGG zuständig geworden. Es hat zwar richtig erkannt, daß das Sozialgerichtsgesetz keine besondere Übergangsvorschrift für solche Sachen geschaffen hat, in denen vor dem 1. Januar 1954, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Sozialgerichtsgesetzes, die Entscheidung eines Oberversicherungsamts zwar verkündet, aber noch nicht zugestellt und angefochten war. Eine derartige Übergangsvorschrift war aber deshalb nicht nötig, weil diese Fälle bereits von § 214 SGG erfaßt sind. Sie gehen daher nicht ohne weiteres auf ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit über, sondern gegen derartige Entscheidungen der Oberversicherungsämter hat der Gesetzgeber das Rechtsmittel der Berufung bzw. Revision im Rahmen des § 214 SGG gegeben. Von dieser Vorschrift werden nicht nur die rechtskräftigen Entscheidungen der Oberversicherungsämter erfaßt, sondern alle in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes "ergangenen" Entscheidungen, also auch diejenigen, die vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes zwar verkündet, aber noch nicht zugestellt waren (ebenso Miesbach-Ankenbrank, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl., Anm. 7 zu § 214; Brockhoff, Sozialgerichtsbarkeit, 1954 S. 99; a. M. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 2 zu § 214). Der Ansicht des Landessozialgerichts, daß die beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes verkündeten, aber noch nicht zugestellten Urteile der Oberversicherungsämter noch nicht rechtskräftig, mithin noch rechtshängig gewesen und daher von der Übergangsvorschrift des § 215 Abs. 2 SGG mit erfaßt seien, kann nicht gefolgt werden. Da der Gesetzgeber diese Fälle bereits im vorhergehenden § 214 SGG geregelt hat, kann sich der § 215 Abs. 2 SGG nicht mehr auf sie erstrecken. Der § 215 Abs. 2 SGG muß im Zusammenhang mit § 214 Abs. 1 SGG so gelesen werden, als ob dort - ähnlich wie im Abs. 6 - der Zwischensatz stände "soweit eine Entscheidung des Oberversicherungsamts oder des Versorgungsgerichts nicht vorliegt". Die Hinzufügung dieses Zwischensatzes war aber überflüssig, weil nach dem vorhergehenden § 214 der § 215 Abs. 2 SGG nur so verstanden werden kann, daß nur rechtshängige und noch nicht vom Oberversicherungsamt oder dem Versorgungsgericht entschiedene Sachen auf das Sozialgericht übergehen sollen. Würde der § 215 Abs. 2 SGG auch einen Übergang solcher Sachen herbeiführen, in denen bereits eine Entscheidung eines Oberversicherungsamts vorliegt, so müßte der Rechtsstreit nach der klaren und eindeutigen Vorschrift auf das zuständige Sozialgericht übergehen. Das würde bedeuten, daß das Sozialgericht den bereits entschiedenen Rechtsstreit nochmals zu entscheiden hätte. Ganz abgesehen davon, daß der Gesetzgeber, wie aus der Begründung zum Sozialgerichtsgesetz zu erkennen ist, durch die Übergangsvorschrift auf keinen Fall eine Vermehrung der Rechtsmittelinstanzen herbeiführen wollte, würde eine nochmalige Entscheidung des Sozialgerichts in einer bereits vom Oberversicherungsamt entschiedenen Sache der vom Gesetzgeber gestalteten Gleichordnung der Entscheidungen der Oberversicherungsämter und der Sozialgerichte, wie sie in den Abs. 6 und 7 des § 215 SGG zum Ausdruck gekommen ist, widersprechen. Wäre der Gesetzgeber der Ansicht gewesen, daß alle bei den Oberversicherungsämtern und Versorgungsgerichten rechtshängigen Sachen, sowohl entschiedene als auch noch nicht entschiedene, auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit übergehen sollen, so wäre es nur folgerichtig gewesen, in § 215 Abs. 2 SGG dieselbe Unterscheidung wie in den Abs. 6 und 7 zu machen, wo der Übergang danach verschieden geregelt ist, ob eine Entscheidung des Oberversicherungsamts oder des Versorgungsgerichts bereits vorliegt oder nicht. Die vom Gesetzgeber im § 215 Abs. 6 und 7 SGG gewählte Art der Übergangsregelung und der klare Wortlaut des § 215 Abs. 2 SGG widersprechen daher einer ausdehnenden Anwendung dieser Vorschrift, mit welcher das Landessozialgericht den Übergang des Rechtsstreits auf sich anstelle des nach dem Wortlaut dieser Vorschrift zuständigen Sozialgerichts rechtfertigen will.
Es kann ferner nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, das verfahrensrechtliche Schicksal der zu Ende des Jahres 1953 erlassenen Urteile der Oberversicherungsämter davon abhängig zu machen, ob diese schnell zugestellt wurden, so daß die Rechtsmittelfrist noch vor dem 1. Januar 1954 ablief und damit nur eine Anfechtbarkeit im Rahmen der Berufung bzw. Revision nach § 214 SGG übrig blieb, oder ob sie spät zugestellt wurden, so daß die Rechtsmittelfrist über den 31. Dezember 1953 hinaus noch lief und sich damit ein Übergang nach § 215 Abs. 2 SGG vollzog, der dann die Möglichkeit eröffnete, den Rechtsstreit gegebenenfalls bis vor das Bundessozialgericht zu bringen.
Alle diese Überlegungen zwingen zu der Auffassung, daß die vor dem 1. Januar 1954 verkündeten, aber noch nicht zugestellten Urteile der Oberversicherungsämter nicht nach § 215 Abs. 2 SGG auf das zuständige Sozialgericht oder Landessozialgericht übergegangen, sondern als sogenannte Altfälle nach § 214 SGG zu behandeln sind. Im vorliegenden Rechtsstreit hatte das Landessozialgericht einen derartigen Altfall zu entscheiden. Daß es ihn nicht als solchen behandelte, ist unerheblich. Die Natur der Entscheidung ändert sich nicht dadurch, daß das Landessozialgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung auf Grund des § 215 Abs. 2 SGG annahm, obwohl seine Zuständigkeit in diesem Falle nur auf Grund des § 214 Abs. 1 SGG gegeben war. Auf jeden Fall war die Entscheidung, da sie einen sogenannten Altfall des § 214 SGG betraf, gemäß § 214 Abs. 5 SGG endgültig.
War aber die Entscheidung endgültig, so kann sie nicht mehr mit der Revision angefochten werden, auch wenn das Landessozialgericht die Zulassung der Revision ausgesprochen hat (Hastler, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 3 zu § 214; Haueisen, in Sozialgerichtsbarkeit 1955 S. 1; Baumbach, Zivilprozeßordnung, 22. Aufl., Anm. 4 zu § 546; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. VI 3 a zu § 546; BGHZ 2 S. 396, 3 S. 244; Dersch-Volkmar, Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Aufl., Anm. 21 zu § 72; Dietz-Nikisch, Arbeitsgerichtsgesetz, 1954, Anm. 23 zu § 72; Uhle, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, 1952, Anm. II 3 zu § 53). Die Zulassung der Revision kann ein endgültiges Urteil nicht revisibel machen. Die Zulassung hindert nicht den Eintritt der Rechtskraft, sondern sie gibt nur gegen noch nicht rechtskräftige Urteile einen weiteren Grund für die Statthaftigkeit der Revision neben den sonstigen Gründen der Nr. 2 und 3 des § 162 SGG. Daraus ergibt sich, daß die Zulassung kraft Ausspruchs überhaupt nur bei noch nicht rechtskräftigen Urteilen der Landessozialgerichte möglich ist. Wird sie trotzdem ausgesprochen, so ist dies ohne Bedeutung.
Danach hat das Landessozialgericht Darmstadt ein endgültiges Urteil gemäß § 214 Abs. 5 SGG gefällt; die ausgesprochene Zulassung der Revision gegen dieses Urteil ist unbeachtlich.
Die Revision mußte daher gemäß § 169 SGG als unzulässig verworfen werden, ohne daß noch geprüft zu werden brauchte, ob sie auch noch aus anderen Gründen unzulässig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen