Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes –RKG–). Es geht dabei um die Frage, ob die hierfür nach § 49 Abs. 2 RKG in der bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung erforderliche „Versicherungszeit von dreihundert Kalendermonaten” zurückgelegt ist.
Der im August 1905 geborene Kläger hat bis Dezember 1958 mehr als 180 Monate Hauerarbeiten verrichtet und zur knappschaftlichen Rentenversicherung insgesamt 301 Monatsbeiträge geleistet, davon 36 freiwillige Beiträge (für die Jahre 1956 bis 1958) während seiner Beschäftigung als Beamter des Bergamts. Sein Antrag vom 3. Dezember 1958 auf Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG wurde wegen Nichterfüllung der besonderen Wartezeit von 300 Beitragsmonaten abgelehnt. Sein Widerspruch wurde mit der Begründung zurückgewiesen, die 36 freiwilligen Beiträge für die Jahre 1956 bis 1958 könnten auf die besondere Wartezeit nicht angerechnet werden, weil sie nicht während einer gleichzeitigen Beschäftigung in knappschaftlich versicherten Betrieben entrichtet worden seien. Diese gleichwohl rechtswirksam entrichteten Beiträge könnten auch nicht erstattet werden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter entsprechender Abänderung ihrer Bescheide verurteilt, die Bergmannsrente zu gewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, freiwillige Beitragszeiten seien uneingeschränkt auf die nach § 49 Abs. 2 RKG erforderliche Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten anzurechnen. Das ergebe sich aus der Legaldefinition des Begriffes „Versicherungszeit” in § 50 Abs. 2 RKG, wo nicht zwischen Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung unterschieden werde. Der Wortlaut der einschlägigen Gesetzesstellen lasse es nicht zu, unter Versicherungszeiten im Sinne von § 49 Abs. 2 RKG nur Zeiten zu sehen, in denen gleichzeitig eine knappschaftliche Tätigkeit ausgeübt wurde. Die gegenteilige Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) zur früheren Alterspension könne auf das jetzt geltende Recht nicht übertragen werden, zumal die Wartezeit des § 49 Abs. 2 RKG auch für eine neu eingeführte Leistung, nämlich das besondere Knappschaftsruhegeld (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG) gelte, für die nur der neue Begriff der Versicherungszeit (§ 50 Abs. 2 RKG) maßgebend sein könne. Dem stehe auch nicht entgegen, daß das neue Knappschaftsrecht eine freiwillige Versicherung in der knappschaftlichen Rentenversicherung ohne knappschaftliche Tätigkeit nach § 33 RKG nicht mehr zulasse. Nach Übergangsrecht könnten nämlich alte freiwillige Versicherungen weitergeführt werden, ohne daß für diese Übergangsfälle ein besonderes Übergangs-Leistungsrecht eingeführt worden sei; für diese Fälle müßten also die Bestimmungen des neuen Leistungsrechts uneingeschränkt gelten.
Dem Kläger stehe die in Anspruch genommene Leistung aber auch dann zu, wenn man sowohl die arbeitsmäßigen Voraussetzungen nach alter Auffassung (300 Monate Tätigkeit im Bergbau, davon mindestens 180 Monate als Hauer oder in hauergleicher Stellung) als auch eine Beitragszeit von 300 Monaten verlange. Der Kläger habe nämlich im Bergbau insgesamt eine Dienstzeit von 323 Monaten, davon nach Aufnahme in die knappschaftliche Pensionsversicherung von 302 Monaten zurückgelegt. Diese Dienstzeit sei allerdings nicht voll mit Beiträgen belegt; da er jedoch als Bergamtsbeamter noch 36 weitere freiwillige Beiträge wirksam entrichtet habe, habe er auch die rein beitragsmäßige Voraussetzung erfüllt.
Schließlich sei die Erfüllung der besonderen Wartezeit aber auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, daß für den von § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b RKG erfaßten Personenkreis die Bergämter knappschaftlich versicherte Betriebe darstellten. Wäre der Kläger nicht zum Beamten ernannt worden, so würde er auch zu diesem versicherungspflichtigen Personenkreis gehören. Die Beamteneigenschaft könne in diesem Zusammenhang aber ebenso außer Betracht bleiben wie etwa das Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze bei den an sich zum Kreis der knappschaftlich versicherungspflichtigen Personen gehörenden leitenden Bergbau-Angestellten, die ebenfalls knappschaftlich versicherungsberechtigt waren und die Wartezeit von 300 Monaten mit freiwilligen Beiträgen auffüllen konnten. Für diese Gleichstellung spreche auch der Umstand, daß der Kläger in der streitigen Zeit beim Bergamt monatlich 17 bis 18 Grubenfahrten ausgeführt habe.
Mit der – zugelassenen – Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 49 Abs. 2 RKG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits unter Fortsetzung der ständigen Rechtsprechung des RVA entschieden, daß freiwillige Beiträge auf die Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten nur bei gleichzeitiger Beschäftigung des Versicherten in knappschaftlichen Betrieben angerechnet werden könne (BSG 23, 44). Hiervon abzugehen, bestehe kein Anlaß, zumal das neue knappschaftliche Rentenrecht die freiwillige Weiterversicherung nur Beschäftigten in knappschaftlichen Betrieben gestatte. Das Bergamt sei kein knappschaftlicher Betrieb, auch gehöre der Kläger als Beamter nicht zu dem von § 1 Abs. 1 Nr. 2 b erfaßten Personenkreis. Außerdem hätte er – wenn er nicht Beamter gewesen wäre – seine knappschaftliche Versicherungspflicht erst am 1. Juni 1957 beginnen können.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. Oktober 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig. Der die Auffassung des RVA stützende Gesichtspunkt, den Bergmann möglichst lange in seinem Beruf zu halten, treffe für seinen Fall des Übergangs zum Bergamt nicht zu, wie sich gerade aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 RKG ergebe. Falls der Gesetzgeber eine eingeschränkte Wirkung der Leistung freiwilliger Beiträge beabsichtigt habe, so hätte er diese Einschränkung, um eine Irreführung der Versicherten zu vermeiden, im Gesetz erkennbar zum Ausdruck bringen müssen. Er, der Kläger, sei bei Entrichtung der freiwilligen Beiträge erkennbar davon ausgegangen, damit die besondere Wartezeit aufzufüllen. Die Beklagte handele gegen Treu und Glauben, wenn sie diese Beiträge ohne Hinweis auf ihre beschränkte Wirksamkeit angenommen habe, sich nunmehr aber auf die Nichterfüllung der Wartezeit berufe.
II
Die Revision ist nicht begründet. Die Vordergerichte haben jedenfalls im Ergebnis zutreffend dem Kläger die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zuerkannt; er hat die besondere Wartezeit für diese Leistung erfüllt.
Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 28. April 1965 (BSG 23, 44 = SozR Nr. 4 zu § 49 RKG) entschieden, daß freiwillige Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung auf die Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG nur dann angerechnet werden, wenn der Versicherte gleichzeitig in knappschaftlichen Betrieben beschäftigt war. Nach der Begründung dieser Entscheidung ergibt sich diese Einschränkung aus der bisherigen Entwicklung dieser Rentenart aus der früheren Alterspension über den Knappschaftssold. Für die Alterspension (§ 26 RKG idF vom 23. Juni 1923) war zunächst Voraussetzung, daß 25 Dienstjahre, d. h. Mitgliedsjahre in der Pensionskasse, zurückgelegt waren; das setzte wiederum voraus, daß der Versicherte Pflichtmitglied war, weil es damals noch keine freiwillige knappschaftliche Versicherung gab. Hieran hatte sich, wie in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3613 des RVA (AN 1930, 34) anhand der Entstehungsgeschichte des späteren § 36 RKG ausgeführt wird, durch die Neufassung des Gesetzes und die nachträgliche Einführung einer freiwilligen Weiterversicherung sachlich nichts geändert; es war nicht beabsichtigt, die freiwilligen Beiträge auf die zur Erlangung der Alterspension erforderlichen 300 Beitragsmonate anzurechnen. Diese Auffassung hat das RVA in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 5303 (AN 1939, 277) aufrechterhalten und ausgesprochen, daß die 300-monatige Wartezeit nur durch Pflichtbeiträge und solche freiwilligen Beiträge erfüllt werden kann, die während einer gleichzeitigen Beschäftigung in knappschaftlichen Betrieben entrichtet worden sind. Es geht davon aus, die Alterspension sei eine Pension wegen – unwiderleglich vermuteter – Berufsunfähigkeit; eine solche Vermutung im Sinne der besonderen knappschaftlichen Versicherung könne aber an die 300 Beitragsmonate nur geknüpft werden, wenn diese zugleich einer 25-jährigen Dienstzeit in knappschaftlichen Betrieben entsprächen. Der erkennende Senat hat keine stichhaltigen Gründe dafür erkennen können, daß der Gesetzgeber des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) vom 21. Mai 1957 bei Einführung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG diese ihm bekannte und auf der bisherigen Rechtsprechung beruhende Handhabung habe aufgeben und jede Art von freiwilligen knappschaftlichen Beiträgen zur Anrechnung auf die 300 Monate der besonderen Wartezeit genügen lassen wollen.
Die vorliegende Sache gibt dem Senat keinen Anlaß, von seiner früheren Entscheidung abzuweichen. Er verkennt nicht, daß der reine Wortlaut des Gesetzes für die uneingeschränkte Anrechnung wirksam entrichteter freiwilliger knappschaftlicher Beiträge auf die 300 Kalendermonate der besonderen Wartezeit spricht. Jedoch können gerade die Vorschriften über typisch knappschaftliche Leistungen regelmäßig nur aus ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer besonderen, auf die Verhältnisse des Bergbaus zugeschnittene Ziel- und Zwecksetzung heraus verstanden werden. Hiernach sprechen aber überwiegende Gründe dafür, daß der Gesetzgeber es auch nach neuem Recht bei der ihm bekannten bisherigen Regelung hat belassen wollen. Es geht dabei im Grunde um die Frage, ob die außer den 180 Monaten Hauerarbeit (früher: wesentlich bergmännische Arbeiten) noch erforderliche Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten lediglich eine den sonstigen Wartezeiten des Rentenversicherungsrechts entsprechende „übergroße” Wartezeit darstellt, oder ob sie darüber hinaus in Verbindung mit den erforderten Hauerarbeiten eine besondere „arbeitsmäßige” Voraussetzung für die Gewährung der besonderen Leistung darstellt. Die in den vorgenannten Entscheidungen aufgezeigte geschichtliche Entwicklung wie auch der Wortlaut des § 49 Abs. 2 RKG sprechen gegen eine streng systematische Trennung der Hauerarbeitszeit als eigentlichem Leistungsgrund von der Versicherungszeit von 300 Monaten als reiner Wartezeit. Vielmehr sprechen diese Gründe für die Annahme, daß sich beide Erfordernisse zu einer besonderen Leistungsvoraussetzung ergänzen. Die Versicherungszeit – in der Regel also Beitragszeit – von 300 Monaten ist versicherungsrechtlich nicht nur von finanzieller Bedeutung. Das ergibt sich aus der sozialpolitischen Zielsetzung der von der Erfüllung der besonderen Wartezeit abhängigen Leistungen, die speziell auf die Bedürfnisse des langgedienten Bergmanns zugeschnitten sind. So soll die Bergmannsrente die für den Bergbau typische Einkommensminderung im vorgeschrittenen Alter (ab 50. Lebensjahr) ausgleichen, während das besondere Knappschaftsruhegeld dem Umstand Rechnung trägt, daß es im Bergbau für ältere Bergleute (ab 60. Lebensjahr) geeignete Arbeitsplätze nur in unzureichendem Umfang gibt. Diese Leistungen sind also ersichtlich auf Versicherte abgestellt, deren Berufsschicksal dem Bergbau verhaftet geblieben ist. Das kann dann angenommen werden, wenn sie während des überwiegenden Teils ihres Berufslebens, d. h. mindestens 300 Monate, dort tätig gewesen sind. Von solchen Versicherten ist in der Regel nicht zu erwarten, daß sie außerhalb des Bergbaus noch eine angemessene berufliche Stellung erreichen werden. Dagegen besteht kein besonderes Schutzbedürfnis für Versicherte, die bereits in jüngeren Jahren – wenn auch nach 15-jähriger Hauerarbeit – vom Bergbau abgekehrt sind, um sich anderwärts eine berufliche Existenz – etwa als selbständiger Gewerbetreibender – aufzubauen. Es würde nicht dem Zweck dieser Sonderleistungen entsprechen, wenn der frühzeitig vom Bergbau abgekehrte Versicherte in diesen Genuß käme, wenn er durch spätere freiwillige Beiträge die besondere Wartezeit von 300 Monaten erfüllen würde. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß der Gesetzgeber inzwischen durch Art. I § 3 Nr. 8 des Finanzänderungsgesetzes 1967 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 die Vorschrift über die besondere Wartezeit (§ 49 Abs. 2 RKG) dahin abgeändert hat, daß nunmehr „eine Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten mit ständigen Arbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellten Arbeiten” verlangt wird.
Nach der Auffassung des Senats genügt es zur Erfüllung der besonderen Wartezeit daher nicht, daß der Kläger einschließlich der für die Jahre 1956 bis 1958 geleisteten freiwilligen Beiträge insgesamt 301 knappschaftliche Beiträge geleistet hat, da, wie oben ausgeführt, die Wartezeit von 300 Kalendermonaten sowohl eine beitragsmäßige wie auch eine arbeitsmäßige Bedeutung hat. Indessen hat der Kläger, wie das LSG in der Hilfsbegründung seines Urteils zutreffend erkannt hat, auch die arbeitsmäßigen Voraussetzungen von 25 knappschaftlichen Dienstjahren erfüllt, weil er nach seiner Aufnahme in die Pensionskasse während einer Zeit von 302 Monaten in knappschaftlichen Betrieben tätig gewesen ist. Er gehört damit zu dem Kreis der „langgedienten” Bergleute, für die – wie oben dargelegt – die besonderen knappschaftlichen Leistungen gedacht sind; tatsächlich ist er auch erst im 48. Lebensjahr vom Bergbau abgekehrt. Der Senat übersieht dabei keineswegs die Bedenken, die aus der fehlenden Kongruenz von Beitrags- und knappschaftlichen Beschäftigungszeiten hergeleitet werden könnten; sie greifen jedoch nicht durch. Eine einschränkende Auslegung begünstigender Vorschriften im Hinblick auf deren Sinn und Zweck darf nicht weiter gehen, als es eben Sinn und Zweck dieser Vorschriften unbedingt erfordern. Sinn und Zweck der Vorschrift über die besondere Wartezeit verbieten aber nur die Gewährung der besonderen knappschaftlichen Leistungen für Versicherte, die – abgesehen von den 300 Beitragsmonaten – nicht mindestens eine Beschäftigungszeit von 300 Kalendermonaten in knappschaftlichen Betrieben zurückgelegt haben. Anders wäre es dann, wenn das Gesetz selbst eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift über die beschränkte Anrechnung freiwilliger Beiträge enthielte und dieser Vorschrift das Erfordernis der Kongruenz der genannten Zeiten – wie zB in § 49 Abs. 2 RKG für Versicherungs- und Untertagezeiten – zu entnehmen wäre.
Da hiernach die besondere Wartezeit für den Kläger erfüllt ist, brauchte der Senat auf die weiteren Hilfsbegründungen des LSG nicht einzugehen.
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Dapprich, Schröder, Dr. Witte
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.07.1970 durch Mackenroth Reg. Hauptsekr. Schriftführer
Fundstellen