Leitsatz (redaktionell)
Im Falle der rückwirkend als Schädigungsfolge anerkannten Lungentuberkulose eines Kriegsopfers hat die Versorgungsverwaltung dem Rentenversicherungsträger seine Aufwendungen für den Beschädigten insoweit zu ersetzen, als sie nicht über das hinausgehen, was aufgrund des Versorgungsrechts zu leisten gewesen wäre.
Normenkette
RVO § 1542 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; BVG § 81b Fassung: 1960-06-27; RVO § 1236 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 1974 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Ersatz von Aufwendungen, welche durch die ärztliche Behandlung des inzwischen verstorbenen früheren Beigeladenen P (P.) wegen einer Lungentuberkulose erwachsen sind. Er hatte sich das Leiden im Jahre 1948 durch seine Internierung durch die russische Besatzungsmacht zugezogen.
Im September 1957 beantragte er die Gewährung von Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) wegen der Lungentuberkulose. Seit dem 16. November 1957 war er auf Rechnung der beklagten Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein im Krankenhaus B behandelt worden.
Nachdem der Kläger mit Bescheid vom 23. September 1958 die Lungentuberkulose als Schädigungsfolge anerkannt und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) rückwirkend vom 1. September 1957 an auf 100 v. H. festgesetzt hatte, veranlaßte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die weitere Krankenhausbehandlung durch den Kläger und meldete am 15. November 1958 die ihr entstandenen Kosten wie folgt an:
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4.673,35 DM |
für stationäre Behandlung im Krankenhaus B. (16. November 1957 - 30. September 1958), |
118,70 DM |
für Medikamente |
4.792,05 DM |
(Zwischensumme) |
319,00 DM |
für Taschengeld (16. November 1957 - 30. September 1958), |
1.134,00 DM |
für Übergangsgeld (16. November 1957 - 5. Oktober 1958) |
6.245,05 DM |
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Der Kläger erstattete zunächst die Heilbehandlungskosten mit insgesamt 4.792,05 DM und lehnte die weitere Erstattung von Taschengeld und Übergangsgeld mit insgesamt 1.453,- DM ab, weil diese Leistungen im Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht vorgesehen seien. Nachdem die Beklagte im März 1959 die Erstattung des Übergangsgeldes in dem Umfange erbeten hatte, als Versorgungshausgeld zugestanden hätte, erstattete der Kläger im Oktober 1962 den Betrag von 1.141,- DM, welchen er durch Anrechnung des Übergangsgeldes auf die Ausgleichsrente "erspart" hatte. Im August 1966 forderte das Versorgungsamt auf Anweisung des Landesversorgungsamts diesen Betrag zurück, weil nach dem BVG nur Heilbehandlungsleistungen, nicht aber die durch Anrechnung der Barleistungen des Rentenversicherungsträgers ersparten Versorgungsbezüge erstattet werden dürften. Nachdem die Beklagte die Rückzahlung abgelehnt hatte, hat der Kläger Klage auf Rückzahlung erhoben. Die Beklagte hat Klagabweisung und widerklagend die Verurteilung zur Zahlung von 312,- DM als Ersatz für verauslagtes Taschengeld beantragt. Durch Urteil vom 26. April 1973 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und auf die Widerklage den Kläger verurteilt, an die Beklagte 312,- DM zu zahlen. Es hat die Berufung zugelassen. Die Beklagte habe über die bloßen Heilbehandlungskosten hinaus Übergangsgeld gezahlt, wodurch der Kläger den Betrag von 1.141,- DM an Ausgleichsrente erspart habe. Diesen habe er nach dem Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu ersetzen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) antragsgemäß beigeladen und durch Urteil vom 25. Juli 1974 das Urteil des SG dahin abgeändert, daß Klage und Widerklage abgewiesen werden; es hat die Revision zugelassen. Selbst gleichrangige Leistungszuständigkeit bedinge nicht zwingend im Verhältnis der beiden Träger zueinander auch gleichmäßige Kostentragung. Es ergebe sich ein Kostentragungsvorrang für den Kläger als Versorgungsträger deshalb, weil die Beklagte mit Leistungen im Hinblick auf eine - später auch anerkannte - Schädigungsfolge eingetreten sei. Der Abwälzungsanspruch der Beklagten sei durch das erschöpft, was der Kläger als von seiner Versorgungsverwaltung Erspartes bisher schon ausgekehrt habe. Der Erstattungsanspruch des vorleistenden Leistungsträgers richte sich nach den für den Vorleistenden geltenden Rechtsvorschriften, welche den Erstattungsumfang näher umreißen. Diese Vorschrift sei im Zusammenhang mit § 42 Abs. 1 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuches (ESGB) zu lesen, wonach der vorläufige Leistungen gewährende Sozialleistungsträger deren Umfang nach pflichtgemäßem Ermessen bestimme. Infolge der Leistungen der Beklagten habe die Versorgungsverwaltung erspart:
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1.4.792,05 DM |
für die stationäre Behandlung einschließlich der Medikamente vom 16. November 1957 bis 30. September 1958, |
2.1.141,- DM |
für das von der Beklagten gezahlte Übergangsgeld. |
Hingegen lägen Ersparnisse der Versorgungsverwaltung hinsichtlich eines dem Versorgungsberechtigten zustehenden Anspruchs auf Einkommensausgleich nach § 17 BVG nicht vor. Diese Leistungsart sei erst später durch das 1. Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (1. NOG) geschaffen worden. Auch an Versorgungshausgeld habe der Kläger nichts erspart; denn dieser Anspruch des Beschädigten P. sei ausgeschlossen, weil die Heilbehandlung vor Anerkennung der Erkrankung als Schädigungsfolge durchgeführt worden sei. Nach Zahlung der beiden Posten in Höhe von 4.792,05 DM und 1.141,- DM sei der Abwälzungsanspruch der Beklagten erschöpft.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
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1. |
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das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 1974 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.141,- zu zahlen, |
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2. |
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die Widerklage abzuweisen. |
Er rügt mit näherer Begründung, ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei nur gegeben, wenn und soweit der Leistende anstelle des eigentlich Verpflichteten geleistet habe; dabei könne die Erstattung nur bis zur Höhe der Leistungen des Ersatzpflichtigen vorgenommen werden. Zwischen der Ausgleichsrente nach dem BVG einerseits und den Leistungen der Beklagten nach den §§ 1236 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) andererseits bestehe keine Kongruenz.
Der beigeladene Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung führt aus, es sei sehr zweifelhaft, ob der Kläger durch die Übergangsgeldzahlung der Beklagten überhaupt eine Ersparnis erlangt habe. Hätte die Beklagte dem versorgungsberechtigten P. kein Übergangsgeld gewährt, so hätte ihm Ausgleichsrente nur unter Anrechnung eines nach dem BVG zu zahlenden Hausgeldes zugestanden.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 1974 insoweit aufzuheben als die Beklagte mit der Widerklage abgewiesen worden ist und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 26. April 1973, soweit sie die Widerklage betrifft, zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil nur hinsichtlich der Klagabweisung für zutreffend. Sie stützt die Widerklage auf den öffentlich-rechtlichen Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch. Für die Ausgleichspflicht komme es nicht auf das für den Kläger, sondern auf das für die Beklagte maßgebliche Recht an. Der zuständige Leistungsträger habe dem Leistungsträger, der in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit anstelle des zuständigen Leistungsträgers Leistungen erbracht habe, alles das zu ersetzen, was dieser nach Recht und Gesetz bei tatsächlicher Zuständigkeit hätte leisten müssen.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthaften Revisionen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie sind zulässig und müssen in dem Sinne Erfolg haben, daß die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird.
Der Streit geht um den Ersatz von Aufwendungen, welche die Beklagte für den Beschädigten P. wegen einer später rückwirkend als Schädigungsfolge anerkannten Lungentuberkulose gemacht hat. Insoweit handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch, und zwar vorliegend in der Ausgestaltung des sogenannten Abwälzungsanspruchs. Dieses Rechtsinstitut ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt (vgl. BSG 16, 151 ff, 157) und ist zuletzt in der Entscheidung des 9. Senats vom 12. Februar 1975 (9 RV 376/74) behandelt worden. Nach dieser Entscheidung, der sich der Senat anschließt, ist der Umfang des Ersatzanspruchs dahin abzugrenzen, daß die Versorgungsverwaltung die Aufwendungen zu ersetzen hat, soweit sie nicht über das hinausgehen, was aufgrund des Versorgungsrechts zu leisten gewesen wäre. Danach ist Kostenersatz zu gewähren bis zur Höhe der Aufwendungen, die die Versorgungsverwaltung dadurch erspart hat, daß der Rentenversicherungsträger an ihrer Stelle die Heilbehandlung durchgeführt hat.
Über die Frage des Umfangs des bei dem Vergleich der Gesamtaufwendungen zu berücksichtigenden Ersparten hat der Senat in dem gleichgelagerten, zwischen den gleichen Beteiligten geführten Rechtsstreit 10 RV 437/74 durch Urteil vom 7. August 1975 entschieden. Auf dieses Urteil wird in vollem Umfang Bezug genommen.
Das LSG hat geprüft, welche Geldleistungen die Versorgungsverwaltung neben den bereits abgegoltenen Sachleistungen der Heilbehandlung durch die Gewährung des Übergangsgeldes seitens der LVA an P. erspart hat. Es ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß nur Ausgleichsrente erspart worden sei, weil der erst mit Wirkung ab 1. Juni 1960 geschaffene Einkommensausgleich damals noch nicht in Betracht gekommen sei und ein Anspruch auf Versorgungshausgeld in dem hier gegebenen Fall einer vor Anerkennung der Erkrankung als Schädigungsfolge durchgeführten Heilbehandlung nach § 18 Abs. 5 i. V. m. § 10 Abs. 3 Satz 2 BVG in der damals geltenden Fassung ausgeschlossen gewesen sei. Letzterem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Berücksichtigung eines Versorgungshausgelds stehen weder die vom LSG dargelegten Rechtsgründe noch der Umstand entgegen, daß dieses Hausgeld grundsätzlich den Angehörigen des Beschädigten zu gewähren war. Auch insoweit wird hier auf die Entscheidung in der Parallelsache hingewiesen.
Ob alle tatsächlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Versorgungshausgeld erfüllt waren, für welchen Zeitraum während der Heilbehandlung dies zutraf und wie hoch demnach der gegebenenfalls von der Versorgungsverwaltung ersparte Gesamtbetrag an Hausgeld war, kann ohne die hierzu erforderlichen Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) nicht beurteilt werden. Aus diesem Grunde muß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, daß kein Anspruch auf Versorgungshausgeld gegeben war oder dieser Anspruch nicht den Betrag des von der Beklagten geleisteten Übergangsgeldes erreicht, so ist zur Erstattung auch die von der Versorgungsverwaltung ersparte Ausgleichsrente heranzuziehen, wie das LSG zutreffend erkannt und der Senat auch in seinem Urteil in der Parallelsache dargelegt hat.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz bleibt dem Urteil vorbehalten, durch welches das Verfahren abgeschlossen wird.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen