Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 28.06.1990) |
SG Würzburg (Urteil vom 07.03.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 aufgehoben.
Soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 7. März 1988 den Anspruch auf Zahlung des Kindergeldzuschlages für 1986 betrifft, wird sie als unzulässig verworfen.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden von dem in ihrem bindend gewordenen Bescheid vom 10. März 1986 getroffenen Vorbehalt gemäß § 11a Abs 8 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) Gebrauch machen und von der Klägerin den für 1986 gezahlten Kindergeldzuschlag in Höhe von 1.644,– DM zurückfordern durfte.
Die Klägerin ist die Witwe eines 1982 verstorbenen US-Militärangehörigen und die Mutter dreier Kinder, für die sie 1986 auch Kindergeld erhielt. Im Januar 1986 beantragte sie den Kindergeldzuschlag gemäß § 11a BKGG. Dazu legte sie der Beklagten eine deutsche Lohnsteuerkarte für 1986 vor, obwohl ihr Einkommen bereits zur Zeit der Antragstellung und während des gesamten Jahres 1986 nur aus Leistungen der US-Hinterbliebenenversorgung bestand. Mit dem bindend gewordenen Bescheid vom 10. März 1986 bewilligte die Beklagte der Klägerin „vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung” einen ihren Einkommensverhältnissen entsprechenden Kindergeldzuschlag.
Nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer Prüfung festgestellt hatte, daß die Klägerin im Jahre 1986 nur ausländische Renteneinkünfte hatte, lehnte sie mit dem Bescheid vom 2. Februar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1987 die Zahlung des Kindergeldzuschlages für 1986 mit der Begründung ab, das Einkommen der Klägerin habe nur aus ausländischen Einkünften iS des § 11a Abs 1 Satz 4 BKGG bestanden. Zugleich forderte die Beklagte den 1986 gezahlten Betrag von 1.644,– DM zurück. Hinsichtlich des Vorbehaltes heißt es in diesen Bescheiden, dieser sei ausgesprochen worden, weil die Klägerin eine deutsche Lohnsteuerkarte vorgelegt habe.
Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat die Klage durch Urteil vom 7. März 1988 abgewiesen; es hat die Berufung als zulässig angesehen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen: Das Rechtsmittel sei statthaft, weil sich seine Zulässigkeit wegen des Rückforderungsanspruches nicht nach § 27 Abs 2 BKGG, sondern insgesamt nach § 149, 2. Alternative, des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) richte. Sie sei aber unbegründet. Das SG habe den im Bescheid vom 10. März 1986 ausgesprochenen Vorbehalt nicht auf seine Rechtmäßigkeit prüfen dürfen. Mit dem Bescheid vom 10. März 1986 habe die Beklagte der Klägerin den Kindergeldzuschlag nur vorläufig gewährt, so daß diese Leistung wegen des Vorbehalts von vornherein mit der Möglichkeit der abweichenden Entscheidung nach endgültiger Prüfung belastet gewesen sei. Die Beklagte habe daher die Leistungsbewilligung allein aufgrund des Vorbehaltes auch bei einer „im Ergebnis unzutreffenden Beurteilung des Anspruchs” zurücknehmen und die Leistung zurückfordern dürfen. Demgemäß sei hier auch § 45 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – (SGB X) unanwendbar; hiervon abgesehen würde sich die Klägerin aber auch allein schon wegen des Vorbehalts nicht auf Vertrauensschutz iS des § 45 SGB X berufen können.
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer – vom erkennenden Senat zugelassenen – Revision geltend, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Bewilligungsbescheid iS des § 11a Abs 8 Satz 1 BKGG aus anderen als den in § 11a Abs 8 Satz 1 1. Halbsatz BKGG genannten Gründen aufgehoben werden dürfe. Insbesondere dürfe ein fehlerhafter Bewilligungsbescheid, wie er im Falle der Klägerin vorliege, nur nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen aber nicht vor, weil die Klägerin Vertrauensschutz genieße.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 7. März 1988, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1987 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision der Klägerin ist nur teilweise im Sinne der Zurückverweisung begründet. Ihr – vom erkennenden Senat zugelassenes – form- und fristgerecht eingelegtes Rechtsmittel der Revision ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 7. März 1988 hinsichtlich des Leistungsanspruchs als unzulässig zu verwerfen ist. Im übrigen reichen die Tatsachenfeststellungen des LSG für eine abschließende Entscheidung nicht aus, so daß der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 27. November 1985 – 10 RKg 7/85 – (SozR 5870 § 27 Nr 2) mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß bei Bescheiden, die mehrere Einzelregelungen enthalten, die Zulässigkeit der Berufung für jede Einzelregelung von Amts wegen gesondert zu prüfen ist. Dabei ist ohne Bedeutung, daß in dem zur Entscheidung stehenden Fall beide Vorinstanzen davon ausgegangen sind, die Berufung sei uneingeschränkt statthaft und daß das SG die Beteiligten auch entsprechend belehrt hat (vgl dazu erkennender Senat, Urteil vom 18. Juli 1989 – 10 RKg 27/88 –, SozR 5870 § 27 Nr 3 mwN).
Das LSG hat die Berufung zu Unrecht für insgesamt statthaft angesehen. Vielmehr ist das Rechtsmittel unzulässig, soweit die Berufung der Klägerin den Anspruch auf den Kindergeldzuschlag für 1986 betrifft. Der erkennende Senat (Urteil vom 18. Juli 1989, aaO) hat bereits entschieden, daß auch der Kindergeldzuschlag iS des § 11a BKGG eine Leistung iS des § 27 BKGG ist und daß diese Leistung auch von den in § 27 Abs 2 BKGG genannten Ausschließungsgründen erfaßt wird, da sie nur für ein Jahr beansprucht werden kann und daher ihrer Natur nach auf diesen Zeitraum begrenzt ist. Da hier der Kindergeldzuschlag nur für das Jahr 1986 streitig ist und nachdem das SG Würzburg erst am 7. März 1988 entschieden hat, handelte es sich bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung um einen Kindergeldanspruch für einen abgelaufenen Zeitraum. Zulässigkeitsgründe iS des § 150 SGG hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht vorgetragen, so daß damit das Urteil des SG Würzburg vom 7. März 1988 entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung bereits rechtskräftig ist, soweit das SG entschieden hat, der Klägerin stehe für 1986 der Kindergeldzuschlag nicht zu. Dementsprechend ist dem erkennenden Senat auch die Prüfung verwehrt, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind, oder ob – wie die Klägerin meint – die Rücknahme fehlerhafter Vorbehaltsbescheide iS des § 11a Abs 8 Satz 1 BKGG nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X statthaft ist.
Das LSG ist aber zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung hinsichtlich des von der Beklagten zugleich geltend gemachten Rückforderungsanspruches statthaft ist. Insoweit ist das Rechtsmittel nicht gemäß § 27 Abs 2 BKGG oder §§ 143 ff SGG ausgeschlossen. Insbesondere findet § 149 SGG keine Anwendung, weil der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch 1.000,– DM übersteigt.
Die vom LSG hierzu getroffenen Tatsachenfeststellungen lassen jedoch eine abschließende Entscheidung, ob die Beklagte den für 1986 gezahlten Kindergeldzuschlag zu Recht zurückfordert, nicht zu. Rechtsgrundlage ist insoweit nicht, wie die Klägerin meint, die Vorschrift des § 45 SGB X. Denn dort sind lediglich die Voraussetzungen für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte geregelt. Die Rückzahlungspflicht richtet sich in Fällen, in denen – wie hier – der den Kindergeldzuschlag bewilligende Verwaltungsakt bindend aufgehoben worden ist, nur nach § 50 SGB X. Hiernach ist der geleistete Betrag grundsätzlich zurückzuerstatten. Insbesondere darf, wie der erkennende Senat bereits zu § 48 Abs 1 SGB X entschieden hat (Urteil vom 22. April 1987 – 10 RKg 16/82 –, SozR 1300 § 50 Nr 16), die materiell-rechtliche Problematik zur Rechtmäßigkeit des die Leistung betreffenden Bescheides nicht erneut geprüft werden. Demgemäß führt hier die bindend gewordene Entscheidung über die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 10. März 1986 grundsätzlich zur Rückzahlungspflicht der Klägerin. Infolgedessen steht nicht entgegen, daß die Klägerin den Kindergeldzuschlag für 1986 gutgläubig empfangen und verbraucht hat; dies hätte nur für die – hier bereits bindend getroffene – materiell-rechtliche Entscheidung von Bedeutung sein können (vgl so zu § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X: Erkennender Senat, Urteil vom 11. Januar 1989 – 10 RKg 12/87 –, SozR 1300 § 48 Nr 53 mwN).
Rechtserheblich für die Entscheidung nach § 50 SGB X sind daher nur solche Umstände, die die Durchsetzbarkeit des Rückforderungsanspruches selbst betreffen, zB die Verjährung oder Verwirkung dieses Anspruchs oder eine sonstige Form der unzulässigen Rechtsausübung (vgl dazu erkennender Senat, Urteil vom 22. April 1987, aaO). Dementsprechend könnte dem Rückforderungsanspruch der Beklagten unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben entgegenstehen, daß die Beklagte der Klägerin den Kindergeldzuschlag für 1986 gewährt hat, obwohl ihr damals bereits alle Tatsachen bekannt waren, die den Anspruch ausschlossen. Solche Tatsachen hat die Klägerin in den Tatsacheninstanzen behauptet, das LSG hat sie jedoch – von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus auch zutreffend – nicht geprüft. Diese Prüfung ist jedoch bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats nachzuholen. Erst danach kann entschieden werden, ob der Beklagten der Rückforderungsanspruch gemäß § 50 Abs 1 SGB X zusteht.
Das LSG wird im Rahmen seiner Kostenentscheidung auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen