Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulausbildung iS des BKGG Nichtschülerreifeprüfung
Orientierungssatz
1. Die Vorbereitung auf die Nichtschülerreifeprüfung ist keine Schulausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG wenn der Nichtschüler nicht an einem irgendwie kontrollierten Unterricht teilnimmt, sondern den Erwerb des Prüfungsstoffes nach eigener freier Verantwortung bestimmt.
2. Zum Begriff der Schulausbildung.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die Zeit vom 1. September 1985 bis 31. März 1986 Kindergeld für seinen Sohn Konrad beanspruchen kann.
Der Kläger bezog unter Berücksichtigung seines Sohnes Konrad (geboren am 7. August 1963) Kindergeld für seine vier Kinder. Nachdem Konrad im Juni 1983 das I. -Gymnasium in A. ohne Erreichen des Schulziels (Abitur) verlassen hatte, hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes mit Wirkung ab Juli 1983 in Höhe von DM 240,-- auf, da Konrad nicht mehr berücksichtigt werden könne.
Auf seinen Antrag wurde Konrad zur Nichtschüler-Reifeprüfung in Anbindung an das G. -Gymnasium in B. im Herbst 1985 zugelassen. Mit Schreiben vom 18. September 1985 beantragte der Kläger nunmehr die erneute Gewährung von Kindergeld unter Berücksichtigung von Konrad. Am 26. Februar 1986 legte Konrad die Nichtschüler-Reifeprüfung mit Erfolg ab. Seit 1. April 1986 war Konrad als Student immatrikuliert.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. Oktober 1985 (Widerspruchsbescheid vom 21. November 1985) die Gewährung von Kindergeld für Konrad ab. Es fehle an einer Schulausbildung im Sinne des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), weil Konrad sich extern auf die Abiturprüfung vorbereite.
Die hiergegen erhobene Klage ist in erster Instanz ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom Sozialgericht (SG) zugelassene - Berufung des Klägers zurückgewiesen. Aufgrund fehlenden Schulbesuches an einer öffentlichen oder privaten Schule habe Konrad sich nicht in Schulausbildung gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG befunden. Am G. -Gymnasium habe er keinen Unterricht erhalten. Das Pädagogische Zentrum A. e. V., wo er Nachhilfestunden erhalten habe, sei oder unterhalte keine Privatschule, sondern lediglich ein Projekt arbeitsloser Lehrer zur Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Daß Konrad nicht an einer Schulausbildung teilgenommen habe, folge auch daraus, daß er diese Art von Prüfung abgelegt habe. Denn entsprechend den §§ 1 und 4 der Ordnung der Reifeprüfung für Nichtschüler dürfe er in dem der Prüfung vorangegangenen Jahr nicht Schüler einer schulischen Institution gewesen sein. Konrad habe auch keinen allgemeinbildenden Schulunterricht zur Vorbereitung auf das Abitur in Privatkursen erhalten, sondern lediglich 67 Nachhilfestunden in drei von acht Prüfungsfächern (Mathematik, Kunst und Deutsch). Nach Auskunft des Pädagogischen Zentrums habe Konrad dort nicht an einem Kurs teilgenommen, der nach seinem Inhalt und der Stetigkeit und Regelmäßigkeit der Lernstoffvermittlung einer Schulausbildung zur Vorbereitung auf das Abitur gleichzuachten gewesen wäre. Konrad habe sich im wesentlichen selbständig auf die Nichtschüler-Reifeprüfung vorbereitet und keinen Schulunterricht und auch keinen allgemeinbildenden Unterricht in geregelten Kursen in Anspruch genommen. Ohne ein Mindestmaß schulischer Organisation könne jedoch nicht von einer Schulausbildung gesprochen werden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Schulausbildung sei auch die unter pädagogischer Anleitung durchgeführte Vorbereitung auf die Nichtschüler-Reifeprüfung. Daran ändere auch nichts, daß lediglich "unverbindliche Anleitungen" für die einzelnen Fächer gegeben seien. Die systematische Aneignung eines bestimmten Lehrstoffes, dieses Erfordernis erfüllten Konrads Studienberichte, entspreche dem, was der Gesetzgeber mit "Schulausbildung" im Sinne des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG gemeint habe. Insbesondere liege, wie vom erkennenden Senat in seiner Entscheidung vom 25. April 1984 - 10 RKg 2/83 - gefordert, ein staatlicher, vom zuständigen Kultusminister erstellter Lehrplan vor. Nach der zitierten Entscheidung komme es wesentlich auf den Inhalt der Ausbildung an. Die Notwendigkeit der vom LSG geforderten Anlehnung an eine schulische Organisation ergebe sich nicht aus der bisherigen Rechtsprechung. Wesentliche Voraussetzung sei nur, daß die Zeit des Kindes - wie vorliegend gegeben - überwiegend durch eine Ausbildung in Anspruch genommen wird, die auf eine staatliche anerkannte Abschlußprüfung abziele. Des weiteren verdeutliche die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Gewährung von Kindergeld auch für Teilnehmer eines Praktikums, welches von der Ausbildungsstätte zwingend gefordert werde, daß es für die Gewährung von Kindergeld auf den Sinn und Zweck bzw den Inhalt der Ausbildung ankomme.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 1986 und das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26. Mai 1986 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Oktober 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1985 zu verurteilen, dem Kläger Kindergeld unter Berücksichtigung seines Sohnes Konrad für die Zeit vom 1. September 1985 bis zum 31. März 1986 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist insbesondere darauf, Schulausbildung im Sinne des BKGG sei gekennzeichnet durch die Vermittlung allgemeinbildenden Wissens, welche die Eingliederung in eine schulische Organisation voraussetze.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig. Dem Kläger steht das geltend gemachte Kindergeld für Konrad nicht zu, da dieser sich nicht in Schulausbildung befand.
Nach § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG hätte Konrad für die Zeit vom 1. September 1985 bis 31. März 1986 nur dann beim Kindergeldbezug berücksichtigt werden können, wenn er sich in Schulausbildung befunden hätte. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Konrad, der am 7. August 1963 geboren ist, bereits das 16. Lebensjahr vollendet. Anhaltspunkte für einen anderen in § 2 Abs 2 Satz 1 BKGG geregelten kindergeldbegründenden Tatbestand liegen nicht vor.
Anders als die Revision annimmt, ist Schulausbildung im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG - wie auch nach §§ 583, 1259, 1262, 1267 Reichsversicherungsordnung (RVO) und §§ 36, 39, 44 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) - nicht jeder Erwerb von Bildungsinhalten, Kenntnissen und Fertigkeiten, die für eine spätere berufliche Beschäftigung oder Tätigkeit nützlich, wertvoll oder erwünscht sind. Da weder der Wortlaut des Gesetzes selbst noch die Gesetzesmaterialien Aufschluß darüber geben, was unter "Schulausbildung" zu verstehen ist, hat sich die Rechtsprechung bei der Auslegung am allgemeinen Sprachgebrauch orientiert (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 32 mwN). In der Regel wird darunter der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender und weiterführender Schulen verstanden, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (BSG aaO). Nach der Rechtsprechung des BSG wird gewöhnlich eine Ausbildung im Rahmen der herkömmlichen Organisationsform einer Schule verlangt, dh der Besuch einer allgemeinbildenden Schule mit Vollzeitunterricht (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 25; BSGE 43, 44, 45 = SozR 2200 § 1262 Nr 9). Zwar wird Schulausbildung auch bei dem Besuch einer Abendschule bejaht, wenn mündlicher Unterricht erteilt wird (vgl BSGE 31, 152, 155; 39, 156). Auch gewisse Abschnitte von Fernunterrichtslehrgängen zur Vorbereitung auf das Abitur werden einer Schulausbildung gleichgeachtet; allerdings nur, wenn und soweit die generelle Gewähr für eine der herkömmlichen Schulausbildung vergleichbare Stetigkeit und Regelmäßigkeit der Ausbildung gegeben und ihre Dauer nicht allein der Selbstverantwortung des Schülers überlassen ist (BSGE 43, 44). Weitere Voraussetzung ist, daß die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch genommen wird, so daß daneben keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt werden kann (vgl BSGE 21, 185, 187; 27, 192, 196; Wickenhagen-Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Stand: Juli 1986, § 2 Anm 72). Dagegen läßt sich nach dieser Rechtsprechung die Zeit der ausschließlich selbstbestimmten Vorbereitung auf eine Prüfung nicht unter den Begriff der Schulausbildung einordnen (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 25; SozR Nr 57 zu § 1259 RVO). An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.
Der Senat verkennt nicht, daß der Begriff der "Schulausbildung" ständig im Wandel begriffen ist und gelegentlich in Zusammenhänge gebracht wird, die zwar "Ausbildung" und "Weiterbildung" genannt werden, die aber den nach wie vor zu verlangenden schulischen Zusammenhang zum Teil verloren haben. Dennoch ist entgegen der Auffassung der Revision nicht allein auf den Inhalt der Ausbildung abzustellen. Wesentlich ist auch die Form der Darbietung des Lernangebots. Kennzeichnend für eine Schulausbildung bleibt die Vermittlung allgemeinbildenden Wissens an einer schulischen Einrichtung (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 32). Dies setzt voraus, daß der Schüler in eine schulische Mindestorganisation eingebunden ist, die eine gewisse dauernde Lernkontrolle ermöglicht. Auch die zum Fernunterricht durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (BSGE 43, 44) verdeutlichen, daß "Schulausbildung" in diesem Sinne nur dort gegeben ist, wo die Ausbildung nicht überwiegend in die Gestaltungsfreiheit des Lehrgangsteilnehmers fällt, wo Leistungskontrollen stattfinden und ein gewisser Kontakt und Austausch zwischen Lehrern und Schülern besteht. Diese Grenze wird überschritten, wenn Dauer und Intensität des Ausbildungsgangs im wesentlichen von der Entscheidung und Selbstverantwortung des Schülers abhängen. Dagegen kann nicht allein auf das ins Auge gefaßte Lernziel und dessen Erreichen abgestellt werden (BSGE 43, 44, 46).
Bei der herkömmlichen Schulausbildung wird in der Regel durch die Organisation der Schule objektiv nachprüfbar erwiesen, daß der Schüler vollständig beansprucht wird. Der Lehrstoff wird in festgelegten Zeiträumen innerhalb einer festgefügten Organisation angeboten und vom Schüler angenommen. Damit ist eine Kontrolle des Schülers hinsichtlich seines Arbeitsaufwandes objektiv möglich. Daneben besteht eine ständige Leistungskontrolle durch die Schule.
Bei Berücksichtigung dieser von der Rechtsprechung herausgearbeiteten und noch zu beachtenden Grundsätze hat Konrad in dem streitbefangenen Zeitraum keine Schule besucht. Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), hat Konrad keinen Schulunterricht erhalten. Das Pädagogische Zentrum A. e.V., in welchem Konrad 67 Nachhilfestunden erhielt, ist keine Privatschule (Ersatz- oder Ergänzungsschule), sondern lediglich ein Projekt arbeitsloser Lehrer. Die Teilnahme an den "Nachhilfestunden" dieser Einrichtung unterlag keiner Kontrolle, sondern war lediglich ein Teil des selbstverantwortlich gestalteten Erwerbs des Prüfungsstoffes. Konrad als Nichtschüler konnte grundsätzlich sein Lernpensum ohne Kontrolle selbst bestimmen, lediglich begrenzt durch die zeitliche Dauer des in § 3 Abs 3 der Ordnung der Reifeprüfung für Nichtschüler genannten Zeitraumes von einem Jahr. Infolgedessen kann dahinstehen, ob eine überwiegende Beanspruchung Konrads gegeben ist. In diesem Zusammenhang weist das LSG zu Recht auf die §§ 1 und 4 der Ordnung der Reifeprüfung für Nichtschüler (vgl Runderlaß des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 1974 - III A 4. 36-53/2 Nr 1265/74 -) hin, wonach ein Teilnehmer an der Nichtschüler-Reifeprüfung in dem der Prüfung vorausgegangenen Jahr nicht Schüler einer öffentlichen oder privaten schulischen Institution gewesen sein darf.
Mit dem LSG ist davon auszugehen, daß § 2 Abs 2 Satz 1 BKGG einer ausdehnenden oder gar analogen Anwendung nicht zugänglich ist. Das Rechtsmittel konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen