Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 14.03.1960) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 14. März 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger hat im Laufe des zweiten Weltkrieges Dienst bei der Kriegsmarine geleistet und ist im April 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten. Aus ihr ist er im August 1945 ordnungsgemäß entlassen worden. Nachdem er anschließend auf einem Heringslogger gearbeitet hatte, meldete er sich zum Minensuchdienst und war von November 1945 bis April 1947 bei der Minenräumdivision als Angehöriger der sog. Dienstgruppen tätig. Nach einem neuen D 2 Schein – der im August 1945 erteilte Entlassungsschein wurde ihm beim Eintritt in den Minenräumdienst abgenommen – ist er am 19. November 1947 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Im April 1947 wurde bei ihm eine offene Lungentuberkulose festgestellt. Wegen dieses Leidens begehrt er die Gewährung von Versorgung. Seinen Antrag, mit dem er die Bescheinigung der Seekasse vom 3. März 1950 über das Vorliegen einer Schädigung beibrachte, hat das Versorgungsamt (VersorgA) abgelehnt, weil der Kläger nicht während der Kriegsgefangenschaft erkrankt sei; die Tätigkeit beim deutschen Minenräumdienst sei kein militärischer- oder militärischerlicher Dienst im Sinne der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und der §§ 1 bis 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gewesen. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen J… und S… und hat unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide den Beklagten verurteilt, dem Kläger wegen Lungentuberkulose als Schädigungsleiden im Sinne des BVG und der SVD Nr. 27 Versorgung ab Antragstellung zu gewähren, weil die Einstellung in den Minenräumdienst als eine erneute Gefangennahme des Klägers anzusehen, durch die Bescheinigung der Seekasse das Leiden nach der SVD Nr. 27 als Kriegsbeschädigungsleiden anerkannt worden sei und diese Anerkennung nach § 85 BVG auch weiterhin Gültigkeit habe.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt und hat sich gegen die Annahme gewandt, daß der Kläger Kriegsgefangener gewesen sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Oberfinanzdirektion Hamburg gehört und hat die Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. B… vom 25. November 1959 eingeholt. Es hat das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Die Lungenkrankheit sei nicht schon während des Kriegsdienstes oder der Gefangenschaft entstanden, sondern erst kurz vor April 1947. Der Minenräumdienst des Klägers sei weder Kriegsdienst noch Dienst als Kriegsgefangener gewesen. Hierfür sei es ohne Bedeutung, daß ihm der Entlassungsschein vom August 1945 abgenommen und im November 1947 ein neuer Entlassungsschein ausgestellt worden sei. Die Vorschriften der SVD Nr. 27 und des BVG bezögen sich nur auf den nach deutschem Recht geleisteten Dienst. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d und e BVG seien nicht gegeben, weil der Kläger nicht etwa durch eine Minendetonation zu Schaden gekommen sei. Die Bescheinigung der Seekasse beziehe sich nur auf die Gültigkeitsdauer der SVG Nr. 27. Da der Kläger seit der Feststellung seiner Erkrankung bis zum Außerkrafttreten der SVD Nr. 27 Heilanstaltspflege erhalten habe, habe er keinen Anspruch auf Rentenleistung nach diesem Gesetz. Die Bescheinigung begründe für das BVG keine Rechtsverbindlichkeit, selbst wenn ihr der Charakter eines Verwaltungsaktes beigemessen werde, weil durch § 85 BVG nur die nach früherem Recht getroffene Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung, nicht aber auch über die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für das BVG bindend seien.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 14. März 1960 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine unzureichende Sachaufklärung. Auch habe das LSG die Aussage der Zeugen Jahnke und Sauermilch nicht hinreichend gewürdigt. Der Kläger sei während seiner Tätigkeit im Minenräumdienst Kriegsgefangener gewesen.
Nachträglich, nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, hat der Kläger noch geltend gemacht, er habe eine Freiwilligenerklärung nicht unterschrieben; den dahingehenden Einwand im Berufungsverfahren hätte das LSG zum Anlaß für weitere Ermittlungen nehmen müssen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.
Die Feststellung des LSG, daß der Kläger nicht beim Minenräumen zu Schaden gekommen ist, ist von der Revision nicht angegriffen und bindet das Revisionsgericht, so daß – wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat – die Vorschriften des § 5 Abs. 1 Buchst. d und e BVG als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht kommen. Das LSG hat auf Grund der bei den Akten befindlichen ärztlichen Gutachten, Äußerungen und Stellungnahmen weiter festgestellt, daß die Lungentuberkulose des Klägers erst nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft (August 1945) entstanden ist. Hiergegen sind keine Revisionsrügen erhoben. Damit entfällt als Anspruchsgrundlage eine Infektion in der Zeit des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft, also von März 1943 bis August 1945.
Der Kläger ist vielmehr der Ansicht, er sei im November 1945 erneut in Gefangenschaft geraten und sei aus ihr erst im November 1947 entlassen worden. Er rügt in diesem Zusammenhang, das LSG habe die Aussagen der Zeugen J… und S… nicht gewürdigt. Die damit erhobene Rüge einer Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) greift nicht durch. Gemäß dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Für sein Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat; insoweit kommt insbesondere ein Verstoß gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder Denkgesetze in Betracht (BSG 2, 236, 237). Ein solcher Mangel des angefochtenen Urteils ist jedoch nicht erkennbar. Zwar hat der Zeuge Jahnke bekundet, die GMSA sei eine rein engliche Dienststelle gewesen, d.h. die Besoldung und Verpflegung sei ausschließlich durch die englische Besatzungsmacht geregelt worden. Ergänzend hierzu hat der Zeuge Sauermilch bekundet, daß der Dienst auf dem Minenräumboot, auf dem der Kläger gefahren ist, nur unter englischem Kriegsrecht und nicht im freien Arbeitsverhältnis möglich gewesen sei; soweit die Besatzungen nicht von den Insassen der Gefangenenlager hätten ergänzt werden können, seien auch bereits entlassene Gefangene eingesetzt worden, die formell und tatsächlich wieder wie Gefangene behandelt worden seien. Mit diesen Zeugenaussagen hat sich das LSG nicht im einzelnen auseinandergesetzt. Es hat aber ausgeführt, daß die Bekundungen dieser Zeugen mit der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht in Einklang zu bringen seien. Damit hat es sie bei seiner Urteilsfällung berücksichtigt und hat mithin sein Urteil aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet. Eine eingehende Erörterung der Zeugenaussagen hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Ansichten über die Gefangenschaft der Besatzungsmitglieder konnte das Berufungsgericht hier ohne Rechtsverstoß unterlassen, weil es im einzelnen zutreffend die Rechtslage der Kriegsgefangenschaft erörtert hat.
Der Begriff der Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG stimmt mit dem im internationalen Recht üblichen Sinne überein (BSG 3, 268 ff., 269; BSG in SozR BVG § 1 Bl. Ca 24 Nr. 49; RVO § 1268 a.F., Aa 1 ff. Nr. 2). Maßgebend ist das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 (Haager Landkriegsordnung 1. Abschnitt 1. und 2. Kapitel der Anlage zum Abkommen Art. 1 ff. – RGBl 1910, 107 ff., 134 –) und das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl 1934 II 227 ff.). Nach Art. 3 der Anlage zum Abkommen vom 18. Oktober 1907 setzt sich die bewaffnete Macht der Kriegsparteien aus Kombattanten und Nichtkombattanten zusammen. Im Falle der Gefangenennahme durch den Feind haben alle Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene. Hieraus ergibt sich, daß nur Angehörige der bewaffneten Macht infolge ihrer Gefangennahme durch den Feind Kriegsgefangene werden. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß ein Angehöriger der bewaffneten Macht sich freiwillig in Gefangenschaft begibt, z.B. als Überläufer. Jedenfalls bleibt aber erforderlich, daß er noch Angehöriger der bewaffneten Macht ist.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das LSG für den vorliegenden Fall zutreffend verneint. Es hat zunächst geprüft, wie der Kläger sich im November 1945 in den Minenräumdienst begeben hat. Hierbei hat es sich auf seine Ausführungen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14. März 1960 gestützt und hat festgestellt, daß er nach seiner förmlichen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im August 1945 eine Fangfahrt auf einem Heringslogger mitgemacht hat; seine Einreihung in den Minenräumdienst hat auf einer freiwilligen Verpflichtung beruht; wer ist von der Besatzungsmacht in diese Formation nicht zwangsweise eingegliedert worden. Gegen diese Feststellungen hat der Kläger Revisionsrügen nicht erhoben. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat er allerdings geltend gemacht, das Berufungsgericht hätte aufklären müssen, wie es zu dem Stempelaufdruck über die Freiwilligenerklärung auf der Karteikarte gekommen sei, weil er in der Berufungsinstanz die Unterzeichnung einer Freiwilligenerklärung bestritten habe. Diese Rüge ist verspätet aufgestellt. Außerdem entspricht sie nicht der Formvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG; denn die Tatsachen und Beweismittel sind nicht bezeichnet worden, die den vom Kläger gerügten Mangel des Verfahrens einer ungenügenden Sachaufklärung ergeben. Hinzu kommt, daß das LSG die von ihm unterstellte Freiwilligenerklärung nicht als Grundlage seiner Entscheidung angesehen, sondern als eine Bestätigung dafür erachtet hat, daß der Kläger – wie es im übrigen bereits festgestellt hatte – aus eigenem Antrieb zum Minensuchdienst gegangen ist. Die Feststellungen des LSG über den freiwilligen Eintritt des Klägers in den Minensuchdienst binden somit gemäß § 163 SGG das Revisionsgericht.
Es ist nicht erkennbar, daß das Berufungsgericht bei der Anwendung der Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG auf den festgestellten Tatbestand das Gesetz verletzt hat. Maßgebend für die Annahme einer Kriegsgefangenschaft sind in erster Linie die Umstände, die zur Gefangennahme geführt haben. Eine echte Gefangennahme (im November 1945) liegt hier – wie bereits ausgeführt – schon deshalb nicht vor, weil der Kläger zu dieser Zeit nicht mehr Angehöriger der bewaffneten Macht gewesen ist. Auch eine Internierung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG liegt nicht vor, weil der Kläger als Zivilist nicht auf Anordnung der Besatzungsmacht in den Minenräumdienst eingereiht worden ist, sondern auf Grund freiwilliger Meldung. Demgegenüber fällt es nicht ins Gewicht, daß der Kläger auf dem Minensuchboot unter Verhältnissen untergebracht worden ist, die als Kriegsgefangenlager im Sinne der Art. 9 ff. des Abkommens vom 27. Juli 1929 (vgl. Art. 5 der Anlage zum Abkommen vom 18. Oktober 1907) angesehen werden könnten.
Das LSG hat auch zutreffend der Wegnahme des D 2 Scheines im November 1945 und der Ausstellung eines neuen D 2 Scheines im November 1947 keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Dies verkennt der Kläger nicht und erhebt insoweit keine Revisionsrügen. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum ausgeführt, bei diesen Bescheinigungen handele es sich nur um Beweispapiere, eine weitere Bedeutung hätten sie nicht.
Schließlich hat die Revision gerügt, das LSG habe aufklären müssen, was geschehen wäre, wenn der Kläger sich unerlaubt von seiner Formation entfernt hätte. Auch diese Rüge ist nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG nicht formgerecht erhoben; denn es sind nicht die Tatsachen und Beweismittel bezeichnet worden, welche den gerügten Mangel ergeben. Insbesondere ist nicht geltend gemacht worden, welche weiteren Beweismittel das LSG hätte ausschöpfen sollen. Das Berufungsgericht hat aber auch zutreffend keinen Anlaß genommen, in dieser Hinsicht Erwägungen anzustellen, weil es auf Grund seiner, das Revisionsgericht bindenden Feststellungen zutreffend zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kläger mit seiner Freiwilligenmeldung nicht wieder in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Wenn das LSG darüber hinaus ausgeführt hat, der Kläger habe sich in einem freien Arbeitsverhältnis befunden, so ist dies allein für die Verneinung seines Versorgungsanspruchs nicht entscheidend. Es dient nur der Erläuterung der vorhergehenden Entscheidung, daß eine Kriegsgefangenschaft nicht vorliegt. Die Annahme eines freien Arbeitsverhältnisses ist auch mit den Bekundungen des Zeugen S…, das Schiff sei unter englischem Kriegsrecht gefahren, vereinbar; denn die Beschränkungen, welche dieser Zeuge geschildert und das Kriegsrecht den Besatzungsangehörigen hinsichtlich der Subordination und der Bewegungsfreiheit auferlegt hat, waren durch den freiwilligen Eintritt Inhalt des Arbeitsvertrages des Klägers geworden.
Der hier zu entscheidende Streitfall ist in tatsächlicher Hinsicht anders gelagert als der, welcher der in Breith. 1959, 542 ff. abgedruckten Entscheidung zugrunde gelegen hat. Denn in ihm handelte es sich um das Fortbestehen und nicht – wie hier – um die Neubegründung der Kriegsgefangenschaft. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz seinen Versorgungsanspruch ua auf die Bescheinigung der Seekasse vom 3. März 1950 gestützt. Soweit sich das angefochtene Urteil gegen diese Ausführungen wendet, sind Revisionsrügen nicht erhoben worden. Da die Auffassung des LSG insoweit zu Bedenken keinen Anlaß gibt, braucht auf die Bedeutung dieser Bescheinigung nicht eingegangen zu werden.
Schließlich kann unerörtert bleiben, inwieweit der Kläger mit dem Eintritt in den Minenräumdienst ein Rechtsverhältnis zur britischen Kriegsmarine begründet hat; denn das BVG leistet Versorgung nur für militärischen und militärähnlichen Dienst in der deutschen oder einer verbündeten Streitmacht. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, würden aber diese Voraussetzungen nicht vorliegen, wenn der Kläger einen derartigen Dienst im Rahmen der britischen, also einer damals feindlichen Streitmacht geleistet hätte.
Da sonach die angefochtene Entscheidung zutreffend ist, war die Revision gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Unterschriften
Stengel, Dr. Rottmann, Petersen
Fundstellen