Leitsatz (amtlich)
Sind zwei in einer Klage zusammengefaßte Ansprüche derart voneinander abhängig, daß der eine präjudiziell für den anderen ist, so ist die Berufung für den abhängigen Anspruch trotz Vorliegens eines Berufungsausschließungsgrundes statthaft, wenn sie für den präjudiziellen Anspruch statthaft ist (Bestätigung von BSG 1961-06-27 7 RAr 3/61 = BSGE 14, 280 und BSG 1971-05-26 5/12 RJ 270/68 = SozR Nr 14 zu § 149 SGG).
Normenkette
SGG § 146 Fassung: 1958-06-25
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 13.02.1976; Aktenzeichen L 1 An 23/75) |
SG Berlin (Entscheidung vom 24.01.1975; Aktenzeichen S 6 An 3034/70) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. Februar 1976 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Beiträge entgegenzunehmen und bei einem Altersruhegeld zu berücksichtigen hat.
Die Klägerin ist die Witwe des ursprünglichen Klägers, des 1897 geborenen und im Januar 1972 während des Verfahrens in erster Instanz verstorbenen Zahnarztes Dr. Johannes A (A.); sie führt den Rechtsstreit als dessen Rechtsnachfolgerin fort.
A. hatte bereits im Jahre 1966 bei der Beklagten beantragt, ihm die Nachentrichtung von Beiträgen zurück bis zum Januar 1961 zu gestatten. Dem hatte die Beklagte im Jahre 1969 zum Teil entsprochen. Anfangs 1970 überwies A. der Beklagten 10.164,- DM und bat, diesen Betrag in bestimmter Weise für freiwillige und für Beiträge zur Höherversicherung ab Juli 1963 bis März 1965 zu verwenden. Die Beklagte verwendete den Betrag aber nur zum Teil und überwies 3.192,- DM an A. zurück.
Mit Bescheid vom 6. August 1970 erhöhte die Beklagte unter Berücksichtigung eines Teils der nach ihrer Ansicht zulässigerweise nachentrichteten Beiträge das A. bereits im Januar 1964 bewilligte Altersruhegeld.
Gegen diesen Bescheid hat A. die streitgegenständliche Klage erhoben.
Mit dem weiteren Bescheid vom 10. Juli 1973 hat die Beklagte sodann in Abänderung des angegriffenen Bescheids die restlichen von A. nachentrichteten und von ihr entgegengenommenen Beiträge berücksichtigt und das Altersruhegeld erneut erhöht.
Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht (SG) gleichwohl schlüssig beantragt, die Beklagte zu verurteilen, auch die seinerzeit an A. zurückgegebenen, von ihm dieser aber nochmals überwiesenen 3.192,- DM als wirksam nachentrichtete Beiträge anzunehmen und das Altersruhegeld ab 1. Juli 1965 entsprechend zu erhöhen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 1975), und das Landessozialgericht (LSG) hat in der angefochtenen Entscheidung vom 13. Februar 1976 die Berufung der Klägerin hiergegen als unzulässig verworfen. In der Begründung ist ausgeführt, die Klägerin verlange höheres Altersruhegeld für die Zeit bis zum Tode des ursprünglichen Klägers, also für einen bereits abgelaufenen Zeitraum, so daß die Berufung nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen sei. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 SGG ausnahmsweise zulässig. Insbesondere habe das SG keinen wesentlichen Verfahrensmangel begangen.
Gegen dieses Urteil hat der Senat auf die Beschwerde der Klägerin die Revision zugelassen (Beschluß vom 22. September 1976).
Die Klägerin hat die Revision eingelegt. Sie trägt vor, das LSG hätte eine Sachentscheidung treffen müssen, da auch eine Beitragsstreitigkeit vorgelegen habe, hinsichtlich derer ein Berufungsausschluß nach § 146 SGG nicht in Betracht komme. In der Sache sei die Beklagte an ihre im Bescheid vom 27. November 1969 bekundete Bereitschaft, nachentrichtete Beiträge entgegenzunehmen, gebunden gewesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 1975 die Bescheide der Beklagten vom 15. Januar 1970 und 5. März 1970 aufzuheben, die Beitragsbescheinigungen vom 2. März 1970 entsprechend dem daselbst vermerkten Gesamtbetrag von 10.164,- DM (unter Einschluß des mit Bescheid vom 19. September 1974 bestätigten Betrages von 3.192,- DM) zu ändern und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 10. Juli 1973 zu verurteilen, das Altersruhegeld ab 1. Juli 1965 entsprechend der Anweisung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin vom 2. Januar 1970 neu zu berechnen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ihre Ausführungen im Schreiben vom 27. November 1969 über weitere Möglichkeiten der Beitragsentrichtung enthielten keine Entscheidung. Im übrigen sage dieses Schreiben gar nicht aus, was ihm die Klägerin entnommen habe.
Sie habe daher kein Recht auf nachträgliche Aufstockung der von A. früher geleisteten Pflichtbeiträge.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist mit ihrem Hilfsantrag auf Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet.
Zu Unrecht hat das LSG über die von der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 24. Januar 1975 eingelegte Berufung nicht sachlich entschieden. Es trifft nicht zu, daß die Klägerin mit der Berufung nur Altersruhegeld für bereits abgelaufene Zeiträume begehrt habe. Vielmehr hat sie laut dem angefochtenen Urteil die bereits in erster Instanz gestellten Anträge im wesentlichen und schlüssig wiederholt. Insbesondere ergibt der vom LSG im angefochtenen Urteil festgehaltene Berufungsantrag der Klägerin nach wie vor das Begehren auf Verurteilung der Beklagten dazu, auch den schon von A. zum wiederholten Male überwiesenen Betrag von 3.192,- DM als wirksam nachentrichtete Beiträge entgegenzunehmen. Diesen Antrag hat das LSG übergangen. Daß sich, würde diesem übergangenen Antrag entsprochen, der Rentenanspruch des verstorbenen Versicherten entsprechend erhöhen würde, liegt auf der Hand; der entsprechende Rentenerhöhungsantrag vervollständigte hiernach das Begehren der Klägerin, stand aber - als ohnedies selbstverständliche Folge des ersten Antrags - nicht im Vordergrund.
Vielmehr war der Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Entgegennahme eines bestimmten Geldbetrages als wirksam nachentrichtete Beiträge präjudiziell für den Antrag auf Verurteilung zu einem höheren Altersruhegeld; dieser Antrag konnte nur begründet sein, wenn die Klägerin mit dem ersten Antrag durchgedrungen wäre.
Sind aber - wie hier - zwei in einer Klage zusammengefaßte Ansprüche derart voneinander abhängig, daß der eine präjudiziell für den anderen ist, so ist die Berufung nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) für den abhängigen Anspruch trotz Vorliegens eines Berufungsausschließungsgrundes statthaft, wenn sie für den präjudiziellen Anspruch statthaft ist (BSGE 14, 280, 281 = SozR Nr 3 zu § 185 AVAVG; BSG SozR Nr. 14 zu § 149 SGG; vgl ferner BGHZ 35, 302, 306 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts). Anderenfalls könnte sich die rechtlich nicht hinnehmbare Folge ergeben, daß die über den präjudiziellen Anspruch ergehende Rechtsmittelentscheidung dem anderen, an sich nicht revisiblen Anspruch die Grundlage entzöge; auch der umgekehrte Fall ist möglich.
Bezüglich des vom LSG übergangenen Anspruchs der Klägerin auf Entgegennahme von Beiträgen war die Berufung nicht nach §§ 143 ff SGG ausgeschlossen. Da dieser Antrag, wie gesagt, präjudiziell für den weiter gestellten Antrag auf Rentenerhöhung war, hat das LSG insoweit die Berufung zu Unrecht als unzulässig erachtet und eine sachliche Prüfung beider Ansprüche zu Unrecht unterlassen. Um ihm Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen, war das Berufungsurteil auf die Revision der Klägerin gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kostenausspruch bleibt der Endentscheidung in der Sache vorbehalten.
Fundstellen