Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgebliche Leistungsbemessungsgrenze bei Berechnung des Übergangsgeldes. Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen ohne Verschulden (§ 20 S 2 BVG)

 

Orientierungssatz

1. Der Senat knüpft an sein Urteil vom 1980-05-29 9 RV 6/79 = SozR 3100 § 16a Nr 2 an und übernimmt die vom 3. Senat in dem Urteil vom 1977-07-13 3 RK 22/76 = SozR 2200 § 182 Nr 22 für das Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung gefundene Lösung auch für das Gebiet des Übergangsgeldes der Kriegsopferversorgung.

2. Die Krankenkasse hat nicht "ohne Verschulden" iS des § 20 S 2 BVG (jetzt § 91 Abs 1 S 2 SGB 10) gehandelt, wenn sie bei objektiver Unsicherheit über die Rechtslage, eine Erhöhung des Übergangsgeldes vorgenommen hat, ohne sich bei der Versorgungsverwaltung zu erkundigen, welche Zahlungen sie zu deren Lasten erbringen durfte.

 

Normenkette

BVG § 16a Abs 3 Fassung: 1974-08-07, § 20 S 2 Fassung: 1975-06-09; SGB 10 § 91 Abs 1 S 2

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.10.1982; Aktenzeichen L 15 V 202/81 E)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.10.1982; Aktenzeichen L 15 V 196/81 E)

SG München (Entscheidung vom 27.11.1980; Aktenzeichen S 26 V 740/78 E)

SG München (Entscheidung vom 27.11.1980; Aktenzeichen S 26 V 741/78 E)

 

Tatbestand

Die beklagte Ersatzkasse und Widerklägerin hat ihrem Versicherten H.vom 8. Oktober 1974 (Ende der Lohnfortzahlung) bis zum 2. Juli 1975 (Empfang der Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte -BfA-, daß Rente gezahlt werde) Übergangsgeld gezahlt, das sie zum 1. Januar 1975 gemäß der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen neuen Leistungsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung erhöhte.

Ihrem Versicherten H. hat die Widerklägerin Übergangsgeld vom 25. November 1975 (Ende der Lohnfortzahlung) bis zum 28. Juli 1976 (Beginn der Rente von der BfA) Übergangsgeld in wechselnder Höhe gezahlt, das sie zum 1. Januar 1976 gemäß der ab 1. Januar 1976 geltenden neuen Leistungsbemessungsgrenze erhöhte.

Als sie in beiden Versorgungsfällen vom Widerbeklagten Ersatz für ihre Aufwendungen verlangte, kürzte dieser die Erstattungsforderungen mit der Begründung, das Übergangsgeld hätte nicht bereits zum 1. Januar 1975 bzw zum 1. Januar 1976 erhöht werden dürfen, sondern erst nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraumes, also im Fall H.am 1. August 1975, im Fall H. am 1. November 1976.

In beiden Fällen machte der Kläger beim Sozialgericht (SG) geltend, die Beklagte habe zu hohe Rentenversicherungsbeiträge nach § 22 Bundesversorgungsgesetz (BVG) abgeführt; in diesem Verfahren hat die Beklagte als Widerklägerin im Wege der Widerklage die vom Kläger gekürzten Beträge bei der Forderung auf Erstattung des Übergangsgeldes verlangt.

Während die Klagen erledigt sind, hat die Widerklägerin gegen die abweisenden Urteile des SG Berufung eingelegt.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die beiden Widerklagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 25. Oktober 1982 die Urteile des SG insoweit aufgehoben, als die Widerklagen abgewiesen worden waren. Es hat den Widerbeklagten verurteilt, der Widerklägerin Kostenersatz in Höhe von 2.479,16 DM (Summe der Widerklagen) zu leisten. In der Begründung wird ausgeführt: Die Widerklagen seien nach § 20 BVG begründet. Es sei nicht nach § 19 BVG zu entscheiden, weil das Krankengeld nach § 183 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wegen des Bezuges von Übergangsgeld geruht habe, die Widerklägerin also keine Leistungen aus ihrem Versicherungsverhältnis mit den Versorgungsberechtigten zu zahlen gehabt habe. Die Erhöhung des Übergangsgeldes zum 1. Januar 1975 bzw zum 1. Januar 1976 sei zu Unrecht erfolgt. Dies stehe seit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Mai 1980 (SozR 3100 § 16a Nr 2) fest. Eine Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen könne jedoch dann erfolgen, wenn dies nicht auf Verschulden der Krankenkassen beruhe (§ 20 Satz 2 BVG). Die zeitlich vor den Entscheidungen des BSG vertretene Rechtsansicht der Widerklägerin und der übrigen Ersatzkassen sei aber keineswegs abwegig gewesen. Die Vorschrift des § 16c Abs 1 BVG sei nicht so eindeutig formuliert, daß sie zwingend eine neue Berechnung des Übergangsgeldes vor Ablauf der Einjahresfrist seit dem Ende des Bemessungszeitraumes ausschließe. Angesichts der damals kurz nach Inkrafttreten des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG), ungefestigten und selbst heute noch in jeder Richtung interpretationsfähigen Rechtslage könne von einem Verschulden der Widerklägerin iSd § 20 Satz 2 BVG zum Zeitpunkt der Zahlung des Übergangsgeldes nicht gesprochen werden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Widerbeklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt die Verletzung des § 20 Satz 2 BVG. Der Wortlaut des § 16c Abs 1 BVG sei eindeutig und unmißverständlich. Wenn das die Widerklägerin verkannt habe, so handele es sich dabei nicht nur um im dienstlichen Bereich fahrlässiges Verhalten; dies wäre auch bei Erledigung von persönlichen Angelegenheiten eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht.

Der Widerbeklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1982 aufzuheben und die Berufungen der Widerklägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts München vom 27. November 1980 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Widerklägerin beantragt, die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1982 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Widerbeklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückweisung der Berufungen der Widerklägerin.

Im Revisionsverfahren ist nur noch über die Widerklagen zu befinden. In den Widerklagen geht es um die Erstattung eines Restbetrages des von der Widerklägerin an die Versorgungsberechtigten geleisteten Übergangsgeldes (jetzt "Versorgungskrankengeld", Art 12 § 1 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I S 1497).

Das LSG ist in seinem zusprechenden Urteil von § 20 Satz 2 BVG ausgegangen. Ob es damit, wie es selbst meint, von der Entscheidung des BSG in SozR 3100 § 16a Nr 2 zumindest indirekt abgewichen ist, kann dahinstehen, weil auch die Voraussetzungen von § 20 Satz 2 BVG im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. (In dem angeführten Urteil hat das BSG nicht über eine ohne Verschulden der Krankenkasse zu Unrecht erbrachte Leistung entschieden, sondern nur über die dort strittig gewesene Frage, welche Leistungsbemessungsgrenze maßgebend gewesen ist).

Nach § 20 BVG werden den Krankenkassen, soweit sie nur nach den Vorschriften des BVG Leistungen zu erbringen haben, diese sowie ein Betrag von 8 vH des Wertes dieser Leistungen als Kosten erstattet. Zu den Krankenkassen i.S. dieser Vorschrift gehören auch die Ersatzkassen (§ 18c Abs 2 Satz 1 BVG; vgl Wilke/Wunderlich Kommentar zum BVG, 5.Aufl., § 18c Anm. II). Kostenersatz ist auch zu leisten, wenn die Leistungen "ohne Verschulden" der Krankenkasse zu Unrecht erbracht worden sind (§ 20 Satz 2 BVG). Dem LSG ist zuzustimmen, daß die Berechnung des Übergangsgeldes durch die Widerklägerin vom 1. Januar 1975 bzw 1. Januar 1976 an rechtswidrig war. Der erkennende Senat knüpft an sein Urteil vom 29. Mai 1980 (SozR 3100 § 16a Nr 2) an und übernimmt die vom 3. Senat in dem Urteil vom 13. Juli 1977 (SozR 2200 § 182 Nr 22 = BSGE 44, 130) für das Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung gefundene Lösung auch für das Gebiet des Übergangsgeldes der Kriegsopferversorgung. Auch die Beteiligten stimmen darin überein, daß die Widerklägerin das Übergangsgeld falsch berechnet hat. Ihr Streit geht nur darum, ob das ohne Verschulden geschehen ist. Weder § 20 Satz 2 BVG noch § 91 Sozialgesetzbuch (SGB) X idF vom 4. November 1982, der an die Stelle von § 20 Satz 2 BVG getreten ist, grenzen das Verschulden näher ein. § 91 Abs 1 Satz 2 SGB X lautet: Eine Erstattungspflicht besteht nicht, soweit Sozialleistungen zu Unrecht erbracht worden sind und den Beauftragten hierfür ein Verschulden trifft (diese Vorschrift gilt jetzt über § 93 SGB X auch für Leistungsträger, die auf Grund gesetzlichen Auftrags für einen anderen handeln, entsprechend).

Die durch § 18c BVG beauftragte Ersatzkasse hat nicht ohne Verschulden iS des § 20 Abs 2 BVG gehandelt. Sie hat gegen ihre Pflichten aus dem Auftragsverhältnis, das zwischen ihr und der Versorgungsverwaltung besteht, verstoßen.

Zwar kann der Kasse geglaubt werden, daß sie sich erst nach sorgfältiger Prüfung der durch das RehaAnglG herbeigeführten neuen Rechtslage entschlossen hat, die Erhöhung der Bezugsgrößen der Rentenversicherung schon von Januar an auf die Höchstbeträge der laufenden Kranken- und Übergangsgeldzahlungen durchschlagen zu lassen. Es ist auch durchaus die Meinung vertretbar gewesen, die Regelungen über die sich damals kalenderjährlich ändernde Jahresarbeitsverdienstgrenze (§§ 180 Abs 1 Satz 3, 182 Abs 9, 507 RVO) und Leistungsbemessungsgrenze (§ 16a Abs 3 BVG) gingen den Regelungen über die Anpassung nach einjährigem Leistungsbezug (§ 182 Abs 8 RVO, § 16c BVG) vor. Insoweit ist dem LSG beizutreten.

Die Kasse hat jedoch eine ihr gegenüber dem auftraggebenden Leistungsträger obliegende Sorgfaltspflicht verletzt. Gerade nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage konnte sie nicht davon ausgehen, daß auch die Versorgungsverwaltung ihre Rechtsmeinung teile. Es mußte ihr vielmehr klar sein, daß die Unstimmigkeit zwischen der kalendermäßigen Änderung der Bezugsgrößen und der jährlichen Anpassung ebensogut auch so beseitigt werden könne, daß mit der Anpassung laufender Leistungen immer ein Jahr abgewartet werden müsse und daß auch für die von den Höchstgrenzen betroffenen Leistungen keine Ausnahme gemacht werden dürfe. Dafür sprach damals schon die Praxis der Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Meinung der Spitzenverbände der Sozialleistungsträger sowie des BMA (vgl dazu Urteil des BSG vom 13. Juli 1977 aaO - Beklagte war eine AOK - und Rundschreiben der Spitzenverbände vom 12. Juli 1974, DOK 1974, 904; 1975, 80 = Ersk 1974, 355, sowie des BMA vom 10. März 1975, DVBl 1975 S. 42 Nr 20).

Diese objektive Unsicherheit über die Rechtslage mußte zwar die Ersatzkasse möglicherweise vor einer gerichtlichen Klärung nicht davon abhalten, zu Gunsten ihrer Versicherten und zu Lasten ihrer Beitragszahler die Höchstkrankengelder nach der RVO (§§ 180 Abs 1 Satz 3, 182 Abs 9, 507 RVO) auch kalenderjährlich anzuheben. Die Beklagte durfte aber nicht zu Gunsten der Beschädigten und zu Lasten der Versorgungsverwaltung mit dem Übergangsgeld, das sie nach dem BVG zu berechnen hatte, ebenso verfahren. Die klagende Ersatzkasse hätte sich vielmehr angesichts der ungewissen Rechtslage bei der klagenden Versorgungsverwaltung erkundigen müssen, welche Zahlungen sie zu ihren Lasten erbringen dürfe.

Die Verpflichtung, sich bei der Versorgungsverwaltung zu erkundigen, folgt aus den für das Verhältnis zwischen den beiden Leistungsträgern getroffenen Regelungen. Diese Regelungen - § 18 ff BVG - zeigen, daß der Verwaltungsbehörde die Heilbehandlung nicht ganz aus der Hand genommen ist. Zwar wird sie nach § 18c Abs 2 BVG von den Krankenkassen durchgeführt. Nach § 18c Abs 3 Satz 1 BVG kann dies jedoch anstelle der Krankenkasse auch die Verwaltungsbehörde selbst tun. Die Krankenkassen sollen nach § 18c Abs 3 Satz 2 BVG die Fälle mitteilen, in denen die Durchführung durch die Verwaltungsbehörde angezeigt erscheint. Demgemäß ordnet die Verwaltungsvorschrift Nr 4 zu § 18c BVG zu Recht allgemein an, daß bei Zweifeln über den Anspruch ua auch auf Übergangsgeld die Krankenkasse die Entscheidung der Verwaltungsbehörde einholen muß.

Da die beklagte Ersatzkasse selbst nicht behaupten kann, keinen Zweifel an der Rechtslage gehabt zu haben, hat sie die Pflicht zur Einholung der Entscheidung der Versorgungsverwaltung verletzt. Sie hätte auch dann nicht "ohne Verschulden" iS des § 20 BVG gehandelt, wenn man mit dem LSG einfache Fahrlässigkeit grundsätzlich nicht als Verschulden in diesem Sinne ansehen wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655797

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