Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme rechtsverbindlicher Bescheide. Ende der Kriegsgefangenschaft. Feindliche Maßnahme iS von § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO
Orientierungssatz
1. Die Bestätigung eines Bescheides durch eine rechtskräftige sozialgerichtliche Entscheidung entbindet die Beklagte nicht von ihrer Pflicht, den belastenden Teil des vorgenannten Bescheides zurückzunehmen, sofern die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 vorliegen (vgl BSG vom 22.4.1986 - 1 RA 21/85 = SozR 2200 § 1268 Nr 29).
2. Die Heimschaffung, mit der die Kriegsgefangenschaft endet, bedeutet die Rückführung des Kriegsgefangenen in seine Heimat, wobei Heimat für ihn jener Staat ist, von dem er abhängt. Für Kriegsgefangene deutscher Volkszugehörigkeit ist dies Deutschland. Das gilt auch für volksdeutsche Kriegsgefangene, die früher im Ausland beheimatet waren und auch die ausländische Staatsangehörigkeit besitzen (vgl BVerwG vom 22.9.1986 - 9c 13/86 = Buchholz 412.4 § 2 Nr 41).
3. Das allgemeine Ausreiseverbot, das für alle Bewohner eines Ostblockstaates galt, ist als feindliche Maßnahme iS von § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO anzusehen, wenn Evakuierte ihren Wohnsitz außerhalb des Vertreibungsgebietes hatten, sich bei Kriegsende noch in den Vertreibungsgebieten befanden und an ihren früheren Wohnsitz zurückkehren wollten (vgl BSG vom 16.12.1981 - 11 RA 82/80 = SozR 2200 § 1251 Nr 91).
Normenkette
SGB 10 § 44 Abs 1 S 1; AVG § 28 Abs 1 Nr 1; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1; AVG § 28 Abs 1 Nr 3; RVO § 1251 Abs 1 Nr 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 11.02.1988; Aktenzeichen L 5 A 33/87) |
SG Speyer (Entscheidung vom 18.02.1987; Aktenzeichen S 8 A 133/86) |
Tatbestand
Streitig ist die Anrechnung einer Ersatzzeit von Februar 1946 bis Oktober 1956 auf das Altersruhegeld im Wege der Neufeststellung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 10).
Der Kläger ist 1922 in Duisburg geboren. Sein Vater, der nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bereits im Kindesalter aus Österreich-Ungarn in das damalige Deutsche Reich übergesiedelt war, hatte 1939 die deutsche Staatsangehörigkeit unter Verlust der tschechischen erworben, demzufolge auch der damals noch minderjährige Kläger. Von April 1937 bis September 1941 sowie Januar/Februar 1942 entrichtete der Kläger Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung (LVA Rheinprovinz). Er war kurze Zeit im Jahre 1941 und erneut ab 14. April 1943 Angehöriger der deutschen Kriegsmarine. Im Mai 1945 geriet er in Norwegen in englische Kriegsgefangenschaft. Sein Soldbuch weist unter dem 14. Juni 1945 mit der Unterschrift seines Batteriechefs den handschriftlichen Vermerk aus: "Inhaber dieses Soldbuches ist tschechoslowakischer Volksangehöriger." Von Norwegen aus wurde der Kläger in die Tschechoslowakei überstellt und gelangte zum Aussonderungslager Djupvik, Lager Motol. Das tschechische Militär stellte am 29. Januar 1946 für den Kläger eine Entlassungsbescheinigung mit Wohnort L. , Kreis B. , aus. Darin heißt es ua, daß der Kläger "aus der Gefangenschaft entlassen" ... "bedingt bis zur endgültigen Entscheidung durch die Friedenskonferenz" sei, daß er, sofern sich eine staatsfeindliche Tätigkeit bei weiteren Nachforschungen ergebe, erneut gefangen genommen werde und daß er verpflichtet sei, sich bei der Verwaltung und bei der Polizeibehörde seines Wohnortes zu melden sowie innerhalb drei Tagen eine Arbeit aufzunehmen; tue er dies nicht, werde er erneut gefangen genommen. Mit gleichem Datum wurde für den Kläger der Marschbefehl ausgestellt. In L. wohnten seit Ende 1944 seine dorthin aus dem Raum Aachen evakuierte Mutter und zwei Geschwister; sein Vater war seit Anfang 1945 als Angehöriger der "Organisation Todt" vermißt.
Der Kläger war von Februar 1946 bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik im Oktober 1956 als Bauarbeiter, und zwar zunächst in einem Staatsbetrieb im Kreis Litvinov, dann im Kreis Kraslice eingesetzt. 1957 wurde er von einem tschechischen Gericht zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Im Zeitraum von November 1956 bis März 1957 war der Kläger in der Bundesrepublik pflichtversichert, danach selbständig. Er entrichtete von 1962 bis 1973 Beiträge zur Handwerkerversicherung und war von 1978 bis Oktober 1982 wieder versicherungspflichtig beschäftigt.
1983 wurde dem Kläger eine Heimkehrerbescheinigung nach § 1 Abs 1 des Heimkehrergesetzes (HkG) ausgestellt, die zunächst als Entlassungsdatum aus Kriegsgefangenschaft den 29. Januar 1946 auswies; mit einer weiteren Heimkehrerbescheinigung vom 18. Januar 1984 wurde die Zeit der Kriegsgefangenschaft bis zum 28. Oktober 1956 (Tag des Eintreffens im Bundesgebiet) festgestellt. Dementsprechend erhielt der Kläger im Mai 1984 auch Entschädigung nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz (KgfEG) idF vom 2. September 1971 (BGBl I 1545) für den Zeitraum vom 1. Januar 1947 bis zum 28. Oktober 1956.
Mit Bescheid vom 11. März 1983 gewährte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger vorzeitiges Altersruhegeld für die Zeit ab November 1982; hierbei legte sie ua Ersatzzeiten bis zum 29. Januar 1946 zugrunde, lehnte aber für die Folgezeit bis zum 27. Oktober 1956 die Anerkennung von Ersatzzeiten ab; desgleichen verneinte sie die Anrechnung dieser Zeit als Beitragszeit nach § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG; Ergänzungsbescheid vom 5. April 1983). Widerspruch, Klage und Berufung mit dem Ziel der Anrechnung einer (weiteren) Ersatzzeit vom 29. Januar 1946 bis zum 27. Oktober 1956 blieben ohne Erfolg; die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 8. November 1984 wurde als unzulässig verworfen (Bundessozialgericht -BSG-, Beschluß vom 5. Juli 1985 - 11a BA 2/85).
Ebenfalls im Juli 1985 bat der Kläger um nochmalige Überprüfung der geltend gemachten Ersatzzeit. Mit dem streitigen Bescheid vom 23. Mai 1986 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Zeitraumes vom 30. Januar 1946 bis zum 28. Oktober 1956 erneut und damit eine Änderung ihres Altersruhegeldes vom 11. März 1983 ab; außerdem verneinte sie unter Hinweis auf den Bescheid vom 5. April 1983 die Anrechnung von Beitragszeiten nach § 15 FRG.
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat antragsgemäß durch Urteil vom 18. Februar 1987 den Bescheid vom 23. Mai 1986 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, im Wege der Neufeststellung die Zeit über den Januar 1946 hinaus bis einschließlich Oktober 1956 als weitere Ersatzzeit anzuerkennen und beim Altersruhegeld zu berücksichtigen. Es hat die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10 als erfüllt angesehen und offen gelassen, ob die streitige Zeit als Kriegsgefangenschaft iS des § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu werten sei, jedoch eine Ersatzzeit nach Nr 3 aaO ("Rückkehrverhinderung") bejaht. Das LSG Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 11. Februar 1988 diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei 1946 ordnungsgemäß entlassen worden und habe sich deswegen danach nicht mehr in Kriegsgefangenschaft befunden. Deshalb lägen die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht vor. Auch Nr 2 aaO treffe nicht zu; der Kläger sei zwar nach § 1 Abs 1 des HkG anerkannt; Heimkehrer im Sinne der Ersatzzeitregelungen sei jedoch nur der Heimkehrer nach § 1 Abs 3 HkG. Entgegen der Auffassung des SG liege auch keine Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 3 AVG vor. Ihn habe keine "Rückkehrverhinderung" aufgrund seiner deutschen Volkszugehörigkeit getroffen. Generelle Ausreiseverbote reichten nicht aus. Eine in der CSSR nach Kriegsende zurückgelegte Beitragszeit könne nicht angerechnet werden; der Kläger sei nicht als Heimatvertriebener anerkannt.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er trägt vor, die streitige Zeit müsse als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG angerechnet werden, weil seine Kriegsgefangenschaft nicht schon mit der formellen "Entlassung" im Januar 1946 geendet habe. Erforderlich sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) eine "Heimschaffung" nach Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937. Zwar bedürfe es einer solchen Heimschaffung nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise nicht, wenn ein Kriegsgefangener im Ausland in den sog "automatischen Arrest" wegen der Verstrickung mit nationalsozialistischen Verbrechen überführt oder wenn er entlassen worden sei, um ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis einzugehen; hier habe er - der Kläger - jedoch unmittelbar nach Januar 1946 Zwangsarbeit leisten müssen. Im übrigen erkenne die Beklagte ihren eigenen für Versicherte gedachten Broschüren zufolge Bescheinigungen nach dem HkG und dem KgfEG als Nachweis für die Kriegsgefangenschaft an.
Der Kläger beantragt,
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"1. das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der |
Beklagten vom 23. Mai 1986 aufzuheben, |
2. die Beklagte zu verurteilen, im Wege der |
Neufeststellung die Zeit über den Januar 1946 hinaus bis |
einschließlich Oktober 1956 als weitere Ersatz- |
zeiten anzuerkennen und beim Altersruhegeld |
steigernd zu berücksichtigen." |
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Ansicht, daß die Voraussetzungen des § 28 AVG nicht vorlägen, da der Kläger nach Kriegsende zu seiner in der Tschechoslowakei evakuierten Familie entlassen worden sei und sich die zunächst fortdauernde Meldepflicht sowie weitere Benachteiligungen lediglich als Repressalien gegenüber einem (vermeintlichen) eigenen Staatsangehörigen wegen dessen Teilnahme an deutschen Kriegshandlungen darstellten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers, dessen prozessualer Anspruch sich sinngemäß auf die Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das SG-Urteil richtet, ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Rechtsgrundlage des Klagebegehrens ist, wie das LSG mit dem Wort "Neufeststellung" umschrieben und das SG bereits erkannt hat, § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10. Danach ist auch ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ua im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Rechtsverbindlich geworden ist hier der den Kläger an sich begünstigende Altersruhegeldbescheid vom 11. März 1983 auch insoweit, als mit ihm - belastend - die Anrechnung der streitigen Ersatzzeit abgelehnt wurde. Daß jener Bescheid durch eine rechtskräftige sozialgerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist, entbindet die Beklagte nicht von ihrer Pflicht, den belastenden Teil des vorgenannten Bescheides zurückzunehmen, sofern die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB 10 vorliegen (vgl bereits zum früheren Recht: SozR Nr 1 zu § 93 RKG; zuletzt BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 94 ff mwN).
Der Kläger macht als Ersatzzeiten "Zeiten ... der Kriegsgefangenschaft ..." iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO) geltend. Das LSG legt den Begriff zu eng aus, wenn es das Ende der Kriegsgefangenschaft mit dem 29. Januar 1946 ansetzt, indem es eine "ordnungsgemäße formelle Entlassung" annimmt und meint, der Kläger sei "1946 nicht mehr formal in Kriegsgefangenschaft genommen" worden, eine Verpflichtung zur "Heimschaffung" in das frühere Reichsgebiet habe nicht bestanden, und weder wegen der Auflage, sich regelmäßig bei Behörden zu melden, könne der weitere Aufenthalt des Klägers in der CSSR als Kriegsgefangenschaft gewertet werden, noch wegen der Arbeitsverpflichtung, zumal es damals auch in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands noch keine freie Wahl des Arbeitsplatzes gegeben habe.
Der in § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht definierte Begriff der Kriegsgefangenschaft ist ebenso wie in § 1 Abs 2 Buchst b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach ständiger Rechtsprechung des BSG im völkerrechtlichen Sinne zu verstehen (vgl Urteil des erkennenden Senats - 4a Senats - vom 28. November 1985 = SozR 2200 § 1251 Nr 117 mwN unter Hinweis auf das Genfer Abkommen vom 27. Juli 1929, RGBl II 1934, 227, ersetzt durch das III. Genfer Abkommen vom 12. August 1949, BGBl II 1954, 781, 838; dem folgend zuletzt BSG, Urteil vom 28. April 1989 - 5/4a RJ 43/87 S. 6). Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden ist und von einer feindlichen (ausländischen) Macht festgehalten wird. Der 5. Senat des BSG hat in dem erwähnten Urteil vom 28. April 1989 (es handelte sich um einen in der Ukraine geborenen Versicherten mit deutscher und sowjetischer Staatsangehörigkeit, der Ende des Zweiten Weltkrieges zur deutschen Wehrmacht einberufen worden, 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, sich bis 1953 in Haft befunden, danach bis 1956 bei fortbestehender Internierung tagsüber gearbeitet hatte, dann mit einem Paß sich mit Ausnahme seines Heimatgebietes in der UdSSR frei bewegen durfte, bis er 1979 als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland kam) eine Kriegsgefangenschaft bis zur Rückkehr des Klägers nach Deutschland angenommen und ausgeführt, es spiele keine Rolle, daß der Kläger bereits geraume Zeit vor seiner Ausreise ein normales Leben habe führen können. Unter Bezug auf das Urteil des BVerwG vom 22. September 1986 (Buchholz 412.4. § 2 KgfEG Nr 41 mwN) heißt es weiter:
"Die Heimschaffung, mit der die Kriegsgefangenschaft endet, bedeutet die Rückführung des Kriegsgefangenen in seine Heimat, wobei Heimat für ihn jener Staat ist, von dem er abhängt. Für Kriegsgefangene deutscher Volkszugehörigkeit ist dies Deutschland. Sie sind erst heimgeschafft, wenn sie - so ausdrücklich das BVerwG in dem genannten Urteil - 'irgendwohin nach Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937' verbracht worden sind. Das gilt auch für volksdeutsche Kriegsgefangene, die - wie der Kläger - früher im Ausland beheimatet waren und auch die ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Der erkennende Senat macht sich diese Auslegung des Begriffes der Kriegsgefangenschaft auch für den Ersatzzeittatbestand des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO jedenfalls für den - hier vorliegenden - Fall zu eigen, daß der streitige Zeitraum wegen des Festhaltens des Versicherten durch feindliche Maßnahmen im Ausland gemäß § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO als Ersatzzeit anzurechnen wäre, wenn der Versicherte - anders als der Kläger - kein Kriegsteilnehmer gewesen wäre (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 8. April 1987 in SozR 2200 § 1251 Nr 126)."
Der erkennende Senat schließt sich im Grundsatz dieser Rechtsprechung an. Daraus folgt zunächst, daß es entgegen der Auffassung der Beklagten unerheblich ist, daß die CSSR - möglicherweise - dem Kläger besondere Auflagen weniger wegen dessen deutscher Staatsangehörigkeit gemacht hat, sondern weil er als - fraglich ehemaliger - tschechischer Staatsbürger Angehöriger der deutschen Wehrmacht gewesen war. Der 5. Senat hat allerdings bereits darauf hingewiesen, daß das BSG - im Gegensatz zum BVerwG - Zeiten eines aus politischen Gründen verhängten sog "automatischen Arrestes" nicht als Ersatzzeiten anerkennt (vgl BSG SozR Nr 47 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nrn 69, 75, 82 und 85; zum verfassungsrechtlichen Aspekt: aaO Nr 90), weil es in diesen Fällen einen inneren Zusammenhang zwischen der Festnahme als Kriegsgefangener und dem späteren Grund des Gefangenhaltens verneint. Aus ähnlichen Gründen ist auch Kriegsgefangenschaft nicht (mehr) angenommen worden, wenn im Gewahrsamsland freiwillig ein ziviles, dem Schutz der Sozialversicherung unterstelltes Arbeitsverhältnis begründet wurde (BSG SozR Nr 25 zu § 1251 RVO unter Hinweis auf das Recht der Kriegsopferversorgung; BSGE 3, 268; 13, 16 = SozR Nr 49 zu § 1 BVG). Auch dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Er folgert daraus, daß - umgekehrt - ein nach Gefangennahme unter Zwang zustande gekommenes Arbeitsverhältnis die Kriegsgefangenschaft nicht beendet (vgl Koch/Hartmann, Kaltenbach/Maier, AVG, Komm Stand September 1984, § 28 Anm 17.3). Ob darüber hinaus immer dann, wenn eine örtlich beschränkte Bewegungsfreiheit gegeben war, die Kriegsgefangenschaft in Ostblockstaaten auch fortbestanden hat, falls sie in ein ziviles Arbeitsverhältnis "überführt" wurde (so der 5. Senat im genannten Urteil S 7 unter Hinweis auf BSGE 13, 16, 17), braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Das Urteil des BVerwG kann aber auch in diesem Zusammenhang herangezogen werden, soweit dort (aaO am Ende) gesagt ist, etwas anderes als der Fortbestand der Kriegsgefangenschaft könne nur im Falle eines Verzichts auf die Heimschaffung gelten.
Unter Berücksichtigung der soeben aufgezeigten Grundsätze wird das LSG in Auswertung der vorhandenen Feststellungen und nach weiteren Ermittlungen seine Entscheidung neu zu treffen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger 1956 in die Bundesrepublik Deutschland geflohen ist, und es könnte eine Vernehmung seines 1968 ebenfalls geflohenen Bruders als Zeugen in Betracht kommen. Wenn auch die (erneuten) Entscheidungen der Kreisverwaltung über die Heimkehrerbescheinigung sowie die Entschädigung nach dem KgfEG keine Feststellungswirkung auf das anhängige Verfahren entfalten, so bleibt doch eine indizielle Bedeutung zu beachten, wenn und soweit dort ebenfalls über den völkerrechtlichen Begriff der Kriegsgefangenschaft und deren Dauer entschieden worden ist.
Sofern das LSG zu dem Ergebnis gelangen sollte, Kriegsgefangenschaft iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG liege (für einen Teil der Zeit) nicht vor, kommt eine Ersatzzeit nach aaO Nr 3 in Betracht. Danach sind Ersatzzeiten auch Zeiten, in denen der Versicherte während oder nach Beendigung eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland oder aus den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten verhindert gewesen oder dort festgehalten worden ist. Nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft konnte der Kläger eine derartige Zeit zurücklegen (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 33), und eine "feindliche" Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift konnte auch von der Tschechoslowakei ausgehen (aaO Nr 29). Zwar wird ein allgemeines Ausreiseverbot, das für alle Bewohner eines Ostblockstaates - also nicht nur für Deutsche - galt, nicht als feindliche Maßnahme angesehen; etwas anderes gilt aber, wenn Evakuierte ihren Wohnsitz außerhalb des Vertreibungsgebietes hatten, sich bei Kriegsende noch in den Vertreibungsgebieten befanden und an ihren früheren Wohnsitz zurückkehren wollten (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 91 S 245; aaO Nr 115 S 320). Allerdings war der Kläger nicht evakuiert. Da jedoch das Ende seiner Kriegsgefangenschaft auch damit begründet wird, daß er an den damaligen Wohnort seiner Mutter entlassen worden sei und fortan dort gewohnt habe, könnte er - zutreffendenfalls - nicht anders behandelt werden. Das SG hat bereits darauf hingewiesen, daß Evakuierte ua Personen sind, die als Heimkehrer iS der §§ 1 und 1a des HkG in der Wohnsitz- oder Aufenthaltsgemeinde ihrer evakuierten Hausgemeinschaft Aufnahme gefunden haben (§ 1 Abs 1 Nr 4 Buchst a des Bundesevakuiertengesetzes idF vom 13. Oktober 1961 - BGBl I 1866; vgl auch aaO Abs 2). Darauf wird einzugehen und die Ermittlung und Feststellung etwaiger noch ungeklärter Tatsachen einzuleiten sein.
Ob auch eine Beitragszeit iS von § 15 FRG zurückgelegt sein könnte, war nicht zu prüfen; denn die Beklagte hat mit Bescheid vom 5. April 1983 unangefochten und daher nach § 77 SGG bindend die Anerkennung der streitigen Zeit als Beitragszeit abgelehnt.
Das LSG wird in seiner das Verfahren abschließenden Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen