Leitsatz (redaktionell)

1. Das Antragsrecht auf Pflegezulage ist ein höchstpersönliches und nicht vererbliches Recht, das mit dem Tode des unmittelbar Berechtigten erlischt.

2. Der Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenrente beinhaltet nicht ohne weiteres auch einen Antrag auf Pflegezulage.

3. Die Erben eines Versorgungsberechtigten können nach dessen Tod nicht mehr den Erlaß eines Zugunstenbescheides beantragen.

4. Bei der Prüfung, ob das SG eine offenbar gesetzwidrige Zulassung der Berufung ausgesprochen hat, ist vom Inhalt des Urteils des SG - nicht vom Standpunkt des LSG - auszugehen und danach zu beurteilen, ob in ihm Fragen von grundsätzlicher Bedeutung iS des SGG § 150 Abs 1 entschieden worden sind.

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1957-07-01; SGG § 150 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. März 1964 dahin abgeändert, daß ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 1963 als unbegründet zurückgewiesen wird.

Der Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Antrag der Ehefrau und Mutter der Kläger auf Gewährung von Versorgung wegen Kreislaufstörungen, Gleichgewichtsstörungen und Myocardschadens wurde durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) ... B vom 27. Dezember 1955 abgelehnt. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts - LVersorgA - Berlin vom 14. Februar 1956).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. Sch vom 12. November 1957 eingeholt, der bei der Ehefrau und Mutter der Kläger einen schweren Herzmuskelschaden, schwere Kreislaufstörungen mit Blutdruckerhöhungen, Gleichgewichtsstörungen, Stoffwechselstörungen und einen Zustand nach Schlaganfall festgestellt hat. Der Sachverständige hat die Auffassung vertreten, daß diese Erkrankungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem Luftangriff im Februar 1945 stünden und der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch diese Schädigungsfolgen 100 v. H. betrage. Dr. Sch hat an dieser Beurteilung in seinen Zusatzgutachten vom 9. Juni 1958 und 19. Februar 1959 festgehalten. Während des Klageverfahrens ist die Ehefrau und Mutter der Kläger am 3. April 1959 gestorben. Die Kläger haben unter Vorlage eines Erbscheins das Verfahren als Rechtsnachfolger der Verstorbenen aufgenommen.

Durch Urteil vom 12. August 1959 hat das SG Berlin unter Abänderung der Bescheide vom 27. Dezember 1955 und 14. Februar 1956 den Beklagten verurteilt, "Herzmuskelschaden, Kreislaufstörungen mit Blutdruckerhöhungen und Gleichgewichtsstörungen" als Schädigungsfolgen anzuerkennen und den Klägern in dem durch den Erbschein vom 8. Juni 1959 ausgewiesenen Anteilsverhältnis Beschädigtenversorgung auf der Grundlage einer MdE um 80 v. H. vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 zu gewähren.

Gegen dieses Urteil haben der Beklagte Berufung und die Kläger Anschlußberufung eingelegt. Durch Urteil vom 12. Juli 1960 hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 12. August 1959 zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Kläger den Beklagten antragsgemäß verurteilt, Versorgung nach einem Grad der MdE um 100 v. H. vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 zu gewähren. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.

In Ausführung des Urteils vom 12. Juli 1960 erging der Bescheid des VersorgA ... B vom 17. März 1961, mit dem die in dem Urteil des SG angeführten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt wurden und die MdE vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 auf 100 v. H. festgesetzt wurde. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein und beantragten die Festsetzung einer Pflegezulage. Mit Bescheid des LVersorgA Berlin vom 14. Juni 1961 wurde der Widerspruch zurückgewiesen mit der Begründung, daß in dem vorhergehenden Rechtsstreit weder eine Pflegezulage beantragt noch in dem rechtskräftigen Urteil des LSG zugesprochen worden sei. Die Kläger hätten daher als Rechtsnachfolger ihrer am 3. April 1959 gestorbenen Ehefrau und Mutter keinen Anspruch auf die Pflegezulage, die nicht automatisch mit der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit i. S. des § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verbunden sei. Die Rechtsnachfolger eines Verstorbenen könnten im übrigen auch nicht nachträglich eine Pflegezulage beantragen.

Durch Urteil vom 30. April 1963 hat das SG Berlin die Klage gegen die Bescheide vom 17. März und 14. Juni 1961 abgewiesen; es hat die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat das SG die Auffassung vertreten, daß der Versorgungsantrag höchstpersönlicher Natur und deshalb unvererblich sei. Wenn er vom Beschädigten geltend gemacht worden sei, könnten allerdings die Erben die sich aus dem Antrag ergebenden Ansprüche weiterverfolgen. In dem vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren hätten die Kläger jedoch lediglich Beschädigtenrente, dagegen nicht eine Pflegezulage beantragt. Trotzdem seien sie nach dem Tode der Erblasserin berechtigt, den Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) dahin zu beantragen, daß ihnen eine Pflegezulage für die Erblasserin zu zahlen sei. Ebenso wie ein Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG nach dem Tode des Beschädigten erlassen werden könne, seien auch die Erben berechtigt, nach dem Tode des Kriegsbeschädigten einen Antrag auf Erteilung eines Zugunstenbescheides zu stellen; dieser Antrag sei von den Klägern im Widerspruchsverfahren gestellt worden. Der Beklagte habe jedoch durch die Nichtgewährung einer Pflegezulage im Wege eines Zugunstenbescheides das ihm hierbei eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt.

Mit Urteil vom 12. März 1964 hat das LSG Berlin die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Berlin vom 30. April 1963 als unzulässig verworfen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, es habe auch bei Zulassung der Berufung durch das SG nach § 150 Nr. 1 SGG zu prüfen, ob die Zulassung offensichtlich entgegen dem Gesetz erfolgt ist. Das SG habe für die Zulassung der Berufung keine Begründung gegeben; auch aus dem Gesamtinhalt seines Urteils sei nicht zu erkennen, inwiefern die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung haben solle. Die Voraussetzung für eine Zulassung der Berufung sei nicht dadurch erfüllt, daß die Vorinstanz davon ausgegangen sei, das LVersorgA habe mit dem die Pflegezulage ablehnenden Widerspruchsbescheid eine Entscheidung nach § 40 VerwVG getroffen. Ein solcher Bescheid würde voraussetzen, daß die Verwaltungsbehörde über den gleichen Anspruch schon früher eine bindend gewordene Entscheidung getroffen habe. Über den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage hätte somit das VersorgA erstmalig entscheiden müssen, dagegen nicht das LVersorgA in dem Widerspruchsbescheid. Es fehle somit im vorliegenden Falle an einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren und damit an einer Prozeßvoraussetzung. Das SG hätte daher, ohne in eine sachliche Prüfung einzutreten, die Klage als unzulässig abweisen müssen. Da nicht erkennbar sei, aus welchen Gründen die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung habe, widerspreche die Zulassung der Berufung offensichtlich dem Gesetz, so daß das Rechtsmittel nicht zulässig sei. Für den Fall der Unzulässigkeit der Berufung hätten sich die Kläger auf § 150 Nr. 2 SGG berufen und als wesentliche Verfahrensmängel gerügt, es sei im Urteil des SG zu Unrecht festgestellt worden, daß die Zuckerkrankheit der Ehefrau und Mutter der Kläger die Hilflosigkeit bedingt habe. Diese Ansicht habe das SG vom VersorgA übernommen, ohne den Klägern Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen. Im übrigen habe das SG den Sachverhalt insofern nicht genügend aufgeklärt, als es die von den Klägern benannten Zeugen über die Hilflosigkeit hätte vernehmen müssen. Diese Verfahrensmängel könnten auf keinen Fall wesentlich sein, weil das SG die Klage als unzulässig hätte abweisen müssen und deshalb eine sachliche Nachprüfung des geltend gemachten Anspruchs gar nicht hätte vornehmen dürfen.

Gegen dieses am 13. Mai 1964 zugestellte Urteil des LSG haben die Kläger mit Schriftsatz vom 6. Juni 1964, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 9. Juni 1964, Revision eingelegt und beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Bescheide des VersorgA ... B. vom 17. März 1961 und des LVersorgA Berlin vom 14. Juni 1961 den Beklagten zu verurteilen, eine Pflegezulage für Frau C-E Sch für die Zeit vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 an die Kläger zur gesamten Hand zu zahlen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Mit Schriftsatz vom 8. August 1964, auf den Bezug genommen wird, haben die Kläger innerhalb der bis zum 13. August 1964 verlängerten Begründungsfrist die Revision begründet. Sie rügen zunächst eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG und machen weiter geltend, das LSG habe auch gegen § 123 SGG verstoßen, weil es keine Sachentscheidung über die von den Klägern erhobenen Ansprüche getroffen habe. Sie rügen ferner eine Verletzung des § 106 SGG mit dem Vorbringen, das LSG habe übersehen, daß der Mangel eines Vorverfahrens in jeder Tatsacheninstanz durch Nachholung geheilt werden könne. Habe das LSG aber einen solchen Mangel erkannt, so hätte es die Beseitigung dieses Mangels gemäß § 106 SGG veranlassen müssen.

Die Kläger tragen weiter vor, daß die Beteiligten verschiedene Auffassungen hinsichtlich des Begriffs der "Versorgung" vertreten. Es stelle sich damit die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es zur Wahrung der Ansprüche des Beschädigten genüge, daß er - wie es die Erblasserin der Kläger getan habe - schlechthin Versorgung begehre, oder ob er zur Vermeidung des Verlustes einzelner Leistungen gehalten sei, alle möglicherweise in Betracht kommenden Versorgungsleistungen einzeln und ausdrücklich zu beantragen. Von einer offensichtlichen Gesetzwidrigkeit der Zulassung der Berufung durch das SG könne daher im vorliegenden Falle keine Rede sein. Im übrigen seien, selbst wenn man die Zulassung der Berufung als gesetzwidrig ansehen wollte, in der Berufungsinstanz Mängel im Verfahren des SG gemäß § 150 Nr. 2 SGG gerügt worden. Nach der sachlich-rechtlichen Auffassung des SG sei es auf die Frage angekommen, ob etwa die Zuckerkrankheit der Erblasserin ihre Hilflosigkeit bedingt habe. Insoweit habe das SG seiner Aufklärungspflicht nach § 103 SGG nicht genügt, so daß die Berufung auf jeden Fall nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft sei, wie bereits im Berufungsverfahren gerügt worden sei.

Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die von den Klägern gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.

Die Revision der Kläger ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Die Kläger rügen die Verletzung mehrerer verfahrensrechtlicher Vorschriften; hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der erhobenen Rügen durchgreift. In einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).

Die Kläger machen geltend, das LSG habe ihre Berufung gegen das Urteil des SG Berlin vom 30. April 1963 zu Unrecht als unzulässig verworfen; sie rügen damit einen wesentlichen Mangel des Verfahrens i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (vgl. BSG 1, 283). Hierzu tragen sie insbesondere in der Revisionsbegründung vor, das LSG habe eine Sachentscheidung treffen müssen, weil das SG in seinem Urteil die Berufung ausdrücklich nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen habe. Das LSG habe in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht angenommen, daß das SG in seinem Urteil nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden habe; vielmehr sei die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es zur Wahrung der Ansprüche des Beschädigten genüge, daß er - wie es die Erblasserin der Kläger getan habe - schlechthin Versorgung begehre, oder ob er zur Vermeidung des Verlustes einzelner Leistungen gehalten sei, alle möglicherweise in Betracht kommenden Versorgungsleistungen ausdrücklich zu beantragen. Eine offensichtlich gesetzwidrige Zulassung der Berufung sei daher entgegen der Auffassung des LSG nicht gegeben. Diese Rüge greift im Ergebnis durch, weil das SG die Berufung gegen sein Urteil vom 30. April 1963 nicht offensichtlich gegen das Gesetz zugelassen hat.

Die Kläger begehren als Rechtsnachfolger ihrer am 3. April 1959 gestorbenen Ehefrau und Mutter die Gewährung einer Pflegezulage für die Zeit vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959. Ihre Berufung gegen das Urteil des SG betrifft somit lediglich Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume i. S. des § 148 Nr. 2 SGG; sie ist daher grundsätzlich nicht zulässig. Die Berufung ist jedoch nach § 150 Nr. 1 SGG ungeachtet dieser Vorschrift zulässig, wenn das SG sie im Urteil zugelassen hat; sie ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das SG in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten LSG abweicht. Obwohl das SG in seinem Urteil vom 30. April 1963 die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG ausdrücklich zugelassen hat, ist das LSG in dem angefochtenen Urteil der Ansicht, daß es an diese Zulassung deswegen nicht gebunden sei, weil sie offenbar gesetzwidrig erfolgt sei und daher das Berufungsgericht nicht binde. Das LSG hat sich hierzu auf das Urteil des 8. Senats des BSG vom 18. Juli 1962 - 8 RV 1289/60 - (NJW 1962, 2174) berufen. In diesem Urteil hat das BSG entschieden, daß eine offenbar gesetzwidrig ausgesprochene Zulassung der Berufung rechtsunwirksam und dann anzunehmen ist, wenn sich aus der gegebenen Zulassungsbegründung und dem Gesamtinhalt des Urteils des SG "eindeutig" ergibt, daß keine der in § 150 Nr. 1 SGG genannten Voraussetzungen gegeben ist, unter denen die Berufung zuzulassen ist. In dem vom BSG entschiedenen Fall handelte es sich um die Auslegung einer bestimmten Willenserklärung in einem seltenen Einzelfall, in dem das SG - ebenso wie im vorliegenden Fall - in seinem Urteil keine besondere Begründung für die Zulassung der Berufung gegeben hat. Wie das BSG in dem oben erwähnten Urteil ausgeführt hat, muß das Berufungsgericht in einem solchen Falle, in dem das Urteil des SG keine Begründung dafür enthält, warum es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die Gründe hierfür durch die von ihm selbst vorgenommene Auslegung der Entscheidung des SG ermitteln.

Im vorliegenden Falle hat das LSG in dem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten, daß aus dem Gesamtinhalt des Urteils des SG vom 30. April 1963 nicht zu entnehmen sei, inwiefern die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung haben soll. Im Gegensatz zu der Auffassung des SG sei der die Pflegezulage ablehnende Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1961 nicht nach § 40 VerwVG erlassen worden, weil ein solcher Bescheid voraussetzen würde, daß die Verwaltungsbehörde über den gleichen Anspruch schon früher eine bindend gewordene Entscheidung getroffen hat. Im übrigen habe ein ordnungsmäßiges Verwaltungsverfahren nicht stattgefunden, weil zunächst das VersorgA über den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage hätte entscheiden müssen, nicht aber das LVersorgA im Widerspruchsverfahren. Es fehle somit an einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren, so daß das SG die Klage als unzulässig hätte abweisen müssen. Diese vom LSG gegebene Begründung ist jedoch nicht geeignet, eine offenbar gesetzwidrig ausgesprochene Zulassung der Berufung durch das SG darzutun. Das LSG hat hierbei verkannt, daß bei der Frage, ob die Zulassung der Berufung gesetzwidrig erfolgt ist, von dem Gesamtinhalt des Urteils des SG, also von dessen Rechtsauffassung auszugehen und zu prüfen ist, ob insoweit die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. auch BSG aaO). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 150 Nr. 1 SGG kann somit nur danach beurteilt werden, über welche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung das SG entschieden hat, nicht aber danach, ob das LSG eine andere Rechtsauffassung vertritt, die nach seiner Ansicht keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung beinhaltet. Eine höhere Instanz darf die Zulassung eines Rechtsmittels somit nicht schon deshalb als unwirksam ansehen, weil das Vordergericht zu einer von der Auffassung der höheren Instanz abweichenden rechtlichen Beurteilung des Prozeßstoffs gelangt ist (vgl. BSG in SozR SGG § 150 Nr. 44). Das LSG hätte daher bei der Prüfung, ob das SG eine offenbar gesetzwidrige Zulassung der Berufung ausgesprochen hat, von dem Inhalt des Urteils des SG ausgehen und danach beurteilen müssen, ob in ihm Fragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden worden sind, die eine Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG rechtfertigen.

Das SG hat in seinem Urteil vom 30. April 1963 die Auffassung vertreten, daß der von den Klägern als Erben nach dem Tode der Beschädigten im Widerspruchsverfahren gestellte Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage als Antrag auf Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG aufzufassen und dieser Antrag zulässig gewesen sei. Die Frage, ob die Erben als Rechtsnachfolger des Beschädigten nach dessen Tod einen Antrag auf Gewährung einer Versorgungsleistung für den Verstorbenen stellen können, ist von grundsätzlicher Bedeutung und bei Erlaß des Urteils des SG vom BSG noch nicht entschieden gewesen. Auch wenn man mit dem LSG der Auffassung ist, daß der die Pflegezulage ablehnende Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1961 nicht nach § 40 VerwVG erlassen worden ist, weil ein solcher Bescheid voraussetzen würde, daß die Verwaltungsbehörde über den gleichen Anspruch schon früher eine bindend gewordene Entscheidung getroffen hat, erhebt sich die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Rechtsnachfolger eines Beschädigten nach dessen Tod überhaupt noch eine Versorgungsleistung beantragen können, die von dem Beschädigten selbst zu seinen Lebzeiten nicht beantragt worden ist. Sofern das Urteil der ersten Instanz keine ausdrückliche Begründung für die Zulassung der Berufung enthält, ist diese schon dann gerechtfertigt, wenn sich aus dem gegebenen Sachverhalt und der vom SG hierzu vertretenen Rechtsauffassung Fragen von grundsätzlicher Bedeutung ergeben können. In derartigen Fällen ist die Zulassung der Berufung jedenfalls nicht "offenbar" gesetzwidrig erfolgt. Im vorliegenden Falle hat somit das LSG die Rechtmäßigkeit der Zulassung der Berufung durch das SG zu Unrecht nicht nach dem Gesamtinhalt des erstinstanzlichen Urteils geprüft, sondern es ist bei der Beurteilung dieser Frage rechtsirrig davon ausgegangen, daß nach seiner - des LSG - Auffassung das SG die Klage wegen eines fehlenden Vorverfahrens hätte als unzulässig abweisen müssen. Da im vorliegenden Falle eine offenbar gesetzwidrig erfolgte Zulassung der Berufung nicht vorliegt, hätte das LSG die Berufung der Kläger nach § 150 Nr. 1 SGG als zulässig ansehen und in der Sache selbst entscheiden müssen. Dieser von den Klägern gerügte wesentliche Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegt daher vor und die Revision ist statthaft, ohne daß es noch darauf ankommt, ob auch die insoweit von den Klägern weiter erhobenen Rügen gerechtfertigt sind. Da das LSG hiernach die Berufung der Kläger zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, muß nunmehr der Anspruch der Kläger sachlich geprüft werden.

Der Senat konnte in der Sache selbst sogleich entscheiden und brauchte die Sache nicht an die Vorinstanz zurückzuverweisen, weil es sich lediglich noch um die Entscheidung von Rechtsfragen handelt, für die es keiner tatsächlichen Feststellungen durch das LSG mehr bedarf. Die Kläger vertreten zunächst die Rechtsauffassung, es genüge zur Wahrung der Ansprüche eines Beschädigten, daß er schlechthin Versorgung begehre. Sie beziehen sich insoweit auf § 9 Nr. 3 BVG, in dem bestimmt ist, daß die Versorgung Beschädigtenrente (§§ 30 bis 34) und Pflegezulage (§ 35) umfaßt; sie meinen, es ergebe sich aus dieser Vorschrift, daß der Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenrente ohne weiteres auch einen Antrag auf Pflegezulage beinhalte. Diese Auffassung der Kläger ist jedoch nicht gerechtfertigt, wie schon der Vergleich mit den übrigen Vorschriften des § 9 BVG zeigt.

Auch in Nr. 1 und 4 des § 9 BVG sind jeweils mehrere Versorgungsleistungen enthalten; insbesondere sind in Nr. 1 derart verschiedene Versorgungsleistungen aufgeführt, daß sie je nach Lage des Einzelfalles besonders beantragt werden müssen, denn Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung (§§ 10 bis 24 BVG) sind Versorgungsleistungen, die jeweils einen anderen Sachverhalt voraussetzen. Dasselbe ist auch bei § 9 Nr. 3 BVG der Fall, wie das BSG bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. hierzu BSG 8, 130, 131; 17, 114, 119; SozR SGG § 148 Nr. 17). Der § 9 BVG enthält - nach ihren Anspruchsvoraussetzungen - verschiedene Leistungen, zB die Grund- und Ausgleichsrenten der Beschädigten und Hinterbliebenen, die Elternrente, die Pflegezulage. Die Pflegezulage ist neben der Rente eine zusätzliche Versorgungsleistung; sie ist nicht nur - wie die Rente - dazu bestimmt, die Gesundheitsstörungen und wirtschaftlichen Folgen der wehrdienstbedingten MdE auszugleichen, sie soll vielmehr zusätzlich für einen weiteren Schaden, nämlich die infolge der Schädigung eingetretene Hilflosigkeit, einen billigen Ausgleich darstellen (vgl. BSG 17, 114, 119). In dem vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren waren durch Urteil des SG Berlin vom 12. August 1959 als Schädigungsfolgen der verstorbenen Ehefrau und Mutter der Kläger "Herzmuskelschaden, Kreislaufstörungen mit Blutdruckerhöhungen und Gleichgewichtsstörungen" anerkannt worden und Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 80 v. H. vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 gewährt worden. Im Berufungsverfahren gegen dieses Urteil haben die Kläger mit ihrer Anschlußberufung lediglich den Antrag gestellt, Versorgung ab 1. Februar 1954 nach einer MdE um 100 v. H. zu gewähren. Da es sich bei der Beschädigtenrente und der Pflegezulage - wie oben ausgeführt - um verschiedene Versorgungsleistungen mit verschiedenen Anspruchsvoraussetzungen handelt, ist entsprechend dem Antrag der Kläger vor dem LSG in der mündlichen Verhandlung am 12. Juli 1960 mit dem an diesem Tage ergangenen Urteil des LSG nicht über die Gewährung einer Pflegezulage entschieden worden. Entgegen der Auffassung der Kläger ist mit der Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von "Versorgung" nach einem Grad der MdE um 100 v. H. vom 1. Februar 1954 bis 30. April 1959 nicht eine Entscheidung über die Pflegezulage getroffen worden. Aus dem rechtskräftig gewordenen Urteil des LSG vom 12. Juli 1960 können die Kläger daher keinen Anspruch auf Pflegezulage herleiten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Ausführungsbescheid vom 17. März 1961 überhaupt insofern mit dem Widerspruch angefochten werden konnte, als von den Klägern nunmehr Pflegezulage begehrt wird, und ob im Widerspruchsverfahren über diesen Antrag der Kläger entschieden werden durfte, obwohl das VersorgA selbst hierzu noch keinen Bescheid erlassen hatte. Jedenfalls können die Kläger als Rechtsnachfolger der Beschädigten nach deren Tod keinen Antrag auf die Gewährung von Versorgungsleistungen stellen, die nicht schon von der Beschädigten selbst vor ihrem Tode beantragt worden sind. Wie der erkennende Senat bereits mit seinem Urteil vom 25. Juni 1964 - 10 RV 275/62 - entschieden hat, ist der Antrag an die Person des unmittelbar Berechtigten geknüpft. Mit seinem Tod erlischt das höchstpersönliche und nicht vererbliche Recht, die gesetzlich vorgesehenen Leistungen oder deren Erhöhung zu fordern. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, daß schon früher ein Anspruch der verstorbenen Ehefrau und Mutter der Kläger auf die Gewährung einer Pflegezulage - wenigstens incidenter - abgelehnt worden wäre, und mit dem SG annehmen wollte, die Kläger hätten im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 17. März 1961 hinsichtlich der Pflegezulage die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG beantragen wollen, könnten die Kläger als Erben der Beschädigten nach deren Tod nicht mehr den Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG beantragen, weil sie nicht Berechtigte i. S. dieser Vorschrift sind (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. Januar 1965 in SozR VerwVG § 40 Nr. 9). Das SG hat somit im Ergebnis zutreffend in seinem Urteil vom 30. April 1963 die Klage abgewiesen. Da der Senat - wie bereits oben dargelegt - bei dieser Rechtslage in der Sache selbst entscheiden konnte, mußte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Kläger gegen das klagabweisende Urteil des SG vom 30. April 1963 als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324464

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