Entscheidungsstichwort (Thema)
Ostpfarrer-Richtlinien. Geistlicher. Versorgung
Orientierungssatz
Die aufgrund der Ostpfarrer-Richtlinien der Evangelischen Kirche Deutschlands an Geistliche und deren Angehörige gezahlten Bezüge sind dann keine dem Beamtenrecht entsprechenden Versorgungsleistungen, wenn sie erkennbar nur vorläufig anstelle anderer Leistungen gewährt werden (vgl BSG 1967-03-17 11 RA 164/66 = BSGE 26, 181).
Normenkette
FRG § 18 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1965-06-09, § 16 Fassung: 1960-02-25
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.12.1971) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin, die nach den sogenannten "Ostpfarrer-Richtlinien" eine "Betreuungsbeihilfe" erhält, Witwenrente aus der Angestelltenversicherung zusteht.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war der Ehemann der 1894 geborenen Klägerin von 1906 bis 1941 Geistlicher der Evangelischen Landeskirche Augsburger Bekenntnisses (A. B.) in Rumänien. Anschließend erhielt er bis zu seiner am 10. Februar 1960 gemeinsam mit der Klägerin im Wege der Familienzusammenführung erfolgten Übersiedlung zu seinem in der Bundesrepublik lebenden Sohn Ruhegehalt, das zunächst aus der kirchlichen Ruhegehaltskasse gezahlt und später von der staatlichen rumänischen Sozialversicherung übernommen wurde. Über die von ihm gegen die Ablehnung seines Altersruhegeldantrages vom 29. Juli 1960 erhobene Klage ist nicht mehr entschieden worden, weil er am 8. September 1965 gestorben ist und seine Rechtsnachfolger das Verfahren nicht aufgenommen haben.
Die Klägerin beantragte nach Rückkehr von einem längeren Auslandsaufenthalt am 27. August 1968 die Gewährung von Witwenrente aus der Angestelltenversicherung. Sie übergab ein Schreiben des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrats in M vom 31. Juli 1968; darin wurde ihr unter dem Betreff "Ostpfarrerhilfe der EKD" die Gewährung einer "Betreuungsbeihilfe" (ab 1.5.1968) und deren Berechnung nach den Ostpfarrer-Richtlinien mitgeteilt. Die Berechnung enthält den Vermerk: "Vorbehalt AV.-Rente"; am Schluß des Schreibens heißt es: "Vor einiger Zeit wurde vor dem Bundessozialgericht der Prozeß eines Ruhestandsgeistlichen und einer Pfarrerswitwe aus Rumänien gegen die Bundesversicherungsanstalt in letzter Instanz zu unseren Gunsten entschieden. Wir bitten Sie deshalb, in Ihrer Rentenangelegenheit bei der Bundesversicherungsanstalt in Berlin erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetz unter Beifügung sämtlicher Unterlagen zu stellen. Alle ergehenden Bescheide bitten wir uns umgehend zur Einsichtnahme vorzulegen."
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Februar 1969 wegen Nichterfüllung der Wartezeit ab. Die Beschäftigungszeit ihres Ehemannes in Rumänien sei nicht nach § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) anrechenbar, weil die ihr gewährte Betreuungsbeihilfe als Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen i. S. von § 18 Abs. 3 FRG angesehen werden müsse. Das Sozialgericht (SG) München hob diesen Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 1. September 1968 Witwenrente zu zahlen (Urt. v. 27.11.1970). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urt. des Bayer. LSG vom 8.12.1971). Nach Ansicht des LSG ist die Wartezeit durch die Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin in Rumänien erfüllt. Es könne offen bleiben, ob es sich insoweit um Versicherungszeiten i. S. von § 15 FRG handele; auf jeden Fall sei diese Beschäftigungszeit mindestens eine solche i. S. von § 16 FRG. Die der Klägerin gewährten Leistungen aus der Ostpfarrerhilfe seien jedoch keine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen i. S. von § 18 Abs. 3 Satz 1 FRG idF des Art. 1 § 4 Nr. 2 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965. Entscheidend sei insoweit die Rechtsposition, die die Klägerin als Versorgungsberechtigte nach den Ostpfarrer-Richtlinien habe, sowie die rechtliche Ausgestaltung und nicht die Berechnung der Versorgungsbezüge. Danach handele es sich bei der Betreuung im Rahmen der Ostpfarrer-Richtlinien um eine rein "bruderschaftliche" Hilfe der Kirche, also um eine lediglich karitative Unterstützung.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 18 Abs. 3 Satz 1 FRG. Die Versorgung, die die Klägerin auf Grund des kirchlichen Bescheides vom 31. Juli 1968 erhalte, sei eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen i. S. dieser Vorschrift. Da die Art und Weise ihrer Berechnung und ihre Bewilligung auf Dauer derartigen Grundsätzen entspreche, komme es nur noch darauf an, ob es sich bei dieser Versorgung lediglich um eine karitative Hilfeleistung handele. Das sei nicht der Fall. Die Ostpfarrer-Richtlinien seien kirchliche Vorschriften, die dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen vergleichbar seien; auf die Leistungen nach diesen Richtlinien bestehe ein Rechtsanspruch.
Die Klägerin und die beigeladene Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; beide Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Witwenrente zu gewähren.
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist die Wartezeit mit der als Beschäftigungszeit i. S. von § 16 FRG zu wertenden Wirkungszeit des Ehemanns der Klägerin als Geistlicher in Rumänien erfüllt. In der Revisionsinstanz ist deshalb lediglich darüber zu entscheiden, ob § 18 Abs. 3 Satz 1 FRG der Anrechnung dieser Zeit entgegensteht. Nach dieser Vorschrift findet § 16 FRG keine Anwendung auf eine Zeit, die in der Bundesrepublik bei der Gewährung einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen als ruhegehaltfähig berücksichtigt ist. Das ist hier nicht der Fall; die der Klägerin gezahlte kirchliche "Betreuungsbeihilfe" ist keine derartige Versorgung.
Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, muß eine "Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen" ungeachtet gewisser Abweichungen nach Voraussetzung, Art und Umfang dem Beamtenrecht entsprechen, was jedenfalls bedeutet, daß dem Berechtigten nach Eintritt des Versorgungsfalles ein auf der Grundlage des Arbeitsentgelts und der Dauer der Beschäftigung oder Dienstzeit beruhender Rechtsanspruch auf lebenslängliche Versorgung zusteht (BSG 26, 181 (184/185) = SozR Nr. 2 zu § 18 FRG mit weiteren Nachweisen). Danach spricht manches für die vom LSG vertretene Auffassung, daß die auf Grund der Richtlinien zur Regelung der Versorgung der Ostpfarrer und ihrer Angehörigen ("Ostpfarrer-Richtlinien" vom 10.10.1958, Amtsbl. der EKD 1958 S. 305, idF v. 2.12.1966) gewährten "Versorgungszahlungen", die in § 8 dieser Richtlinien ausdrücklich als "nach ihrer Rechtsnatur freiwillige Leistungen" bezeichnet sind und das Fehlen sonstiger den Lebensunterhalt ermöglichender Einkünfte voraussetzen (§ 9), keine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen darstellen. Wenn die Beklagte demgegenüber auf Normen des GG verweist, so wäre zunächst einmal zu klären, inwieweit verfassungsrechtliche Grundsätze auf das Verhältnis der Klägerin zur Kirche überhaupt anwendbar sind. Das braucht hier jedoch ebensowenig entschieden zu werden wie die Frage, ob allgemein auf Grund der Ostpfarrer-Richtlinien gewährte Leistungen als Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen angesprochen werden können; denn entgegen der Auffassung der Beklagten ist die der Klägerin gewährte kirchliche "Betreuungsbeihilfe" lediglich eine vorübergehende Nothilfeunterstützung. Eine solche "Überbrückungsleistung" aber ist keine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Das hat der erkennende Senat bereits in zwei Urteilen vom 17. März 1967 entschieden (11 RA 164/66 = BSG 26, 181 = SozR Nr. 2 zu § 18 FRG; sowie 11 RA 292/65, unveröffentlicht).
Zu Unrecht meinen die Beklagte und auch das LSG, der Senat habe damals auf Grund der Ostpfarrer-Richtlinien gewährte Leistungen nur dann nicht als Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ansehen wollen, wenn sie sowohl "vorübergehend zur Überbrückung einer Notlage", als auch unabhängig von der Dauer der Dienstzeit und der Höhe der Dienstbezüge des Empfängers als "Pauschbetrag" gewährt werden. Beides sind lediglich Kriterien, aus deren Vorhandensein der Senat geschlossen hat, daß es sich bei den gewährten Leistungen um solche handelt, "die deutlich als subsidiär und nur vorübergehend gekennzeichnet sind", die also "erkennbar nur vorläufig anstelle anderer Leistungen oder einer anderen Sicherung treten sollen" und die deshalb "wegen ihres vorläufigen Charakters nicht als eine dem Beamtenrecht artgemäße Versorgung" angesehen werden können (Urteil vom 17.3.1967 - 11 RA 292/65 -).
Derartige Kriterien brauchen selbstverständlich nicht kumulativ aufzutreten; entscheidend ist vielmehr, ob sich aus den gesamten Umständen der Leistungsgewährung auf deren vorläufigen Charakter schließen läßt. Das ist hier der Fall. Der in dem kirchlichen Bewilligungsschreiben vom 31. Juli 1968 enthaltene Vermerk: "Vorbehalt AV.-Rente" in Verbindung mit der gleichzeitigen Aufforderung an die Klägerin, bei der Beklagten einen Rentenantrag zu stellen und alle diesbezüglichen Bescheide umgehend zur Einsichtnahme vorzulegen, sowie schließlich der zur Begründung dieser Aufforderung gegebene Hinweis, das Bundessozialgericht (BSG) habe "vor einiger Zeit" zwei einschlägige Verfahren gegen die Beklagte zugunsten der kirchlichen Bewilligungsstellen entschieden - womit offensichtlich und für die Beklagte ohne weiteres erkennbar die beiden Entscheidungen des Senats vom 17. März 1967 gemeint gewesen sind - zeigen jedem unbefangenen Leser, daß hier der Klägerin lediglich bis zur Bewilligung der von ihr erst noch zu beantragenden Versichertenrente und somit also nur vorübergehend eine Überbrückungsleistung gewährt werden sollte. Das um so mehr, als die Klägerin - worauf die beigeladene EKD zutreffend hinweist - nicht zu dem von den Ostpfarrer-Richtlinien erfaßten Personenkreis gehört. Ihr Ehemann war als Pfarrer in Rumänien schon 1941 zur Ruhe gesetzt worden und bezog seitdem ein zuletzt von der dortigen staatlichen Sozialversicherung gezahltes "Ruhegehalt", und zwar bis zu seiner erst 1960 aus rein familiären Gründen und eigenem freiwilligen Entschluß durchgeführten Übersiedlung in die Bundesrepublik. Er hat also weder vor dem Zusammenbruch zuletzt östlich der Oder-Neiße-Linie oder in einer volksdeutschen Kirche Ost- oder Südosteuropas im aktiven Dienst gestanden, noch hat er seine bisherige Stellung im kirchlichen Dienst oder seine Versorgungsansprüche durch den Krieg und seine Folgen verloren (§ 1 der Ostpfarrer-Richtlinien).
Nach alledem steht § 18 Abs. 3 Satz 1 FRG einer Anrechnung der in Rumänien verbrachten Beschäftigungszeit des Ehemanns der Klägerin nicht entgegen. Die Revision der Beklagten muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen