Leitsatz (amtlich)
Hat ein Kind während der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten Einkünfte aus einer Aushilfsbeschäftigung, die mit dem Ausbildungsverhältnis nicht zusammenhängt, ist der Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen.
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 3
Verfahrensgang
SG Schleswig (Entscheidung vom 10.10.1979; Aktenzeichen S 1 Kg 1/79) |
Tatbestand
Streitig ist ein Kindergeldanspruch des Klägers für seine Tochter Bianca (B) für August und September 1978.
Der Kläger teilte dem Beklagten im Mai 1978 mit, B werde am 5. Juni 1978 das Abitur ablegen und im Oktober ihr Studium aufnehmen. Im August und September 1978 werde sie durch eine pflegerische Aushilfstätigkeit, die mit der Ausbildung für den angestrebten Beruf einer Lehrerin in keinem Zusammenhang stehe, jeweils monatlich etwa 1.000,-- DM verdienen.
Der Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin bis zum Ablauf des Schuljahres (31. Juli 1978) und ab 1. Oktober 1978 Kindergeld, lehnte es jedoch ab, auch für die Monate August und September Kindergeld zu zahlen (Bescheid vom 11. Oktober 1978). Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1979 zurück.
Das Sozialgericht Schleswig (SG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger für seine Tochter B auch für die Monate August und September 1978 Kindergeld zu gewähren. Es hat die Berufung und die Revision zugelassen (Urteil vom 10. Oktober 1979).
Der Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers Sprungrevision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom
10. Oktober 1979 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Dem Kläger steht Kindergeld für seine Tochter B für die streitigen Monate August und September 1978 zu. B befand sich auch in dieser Zeit in Schul- oder Berufsausbildung im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) und war als Kind des Klägers zu berücksichtigen (§ 2 Abs 1 Nr 1 BKGG).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind Wartezeiten beim Übergang von einem Schul- oder Berufsausbildungsabschnitt zu dem folgenden in die Bezugsberechtigung des Kindergeldes einbezogen, weil nach dem Gesetzesplan die Kindergeldzahlung bis zur Beendigung der Schul- oder Berufsausbildung andauern soll, um den Kindergeldberechtigten, die Kindern iS von § 2 Abs 1 Satz 1 Nrn 1-7 BKGG eine Heimstatt bieten, einen gewissen Ausgleich für die damit verbundenen auch persönlichen Belastungen zu gewähren (BVerfGE 23, 258 ff; BSGE 25, 295; SozR 5870 § 2 Nrn 11 und 15). Wenn in BSGE 44, 197, 199 insoweit von den Belastungen der Unterhaltspflichtigen gesprochen wird, ist das zu eng, denn kindergeldberechtigt sind nicht nur die nach bürgerlichem Recht unterhaltspflichtigen Eltern (vgl §§ 2 und 3 BKGG). Knüpft das Gesetz daher den Kindergeldanspruch nicht an eine gesetzliche Unterhaltspflicht, so ist grundsätzlich die Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes nicht rechtlich bedeutsam. Eigenes Einkommen des Kindes während der Schul- oder Berufsausbildung war zunächst grundsätzlich unbeachtlich. Das Gesetz ging ebenso wie bei Kindern zur Vollendung des 18. Lebensjahres auch bei Kindern in Schul- und Berufsausbildung davon aus, daß während dieser Zeit grundsätzlich eine auszugleichende Belastung der Berechtigten besteht. Lediglich in Fällen, in denen die Berufsausbildung im Rahmen eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses erfolgt und Arbeitsentgelt oder Dienstbezüge gezahlt werden, hat die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit derjenigen zum Kinderzuschuß und zur Waisenrente in der Rentenversicherung (§§ 1262, 1267 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) auch einen Anspruch auf Kindergeld verneint. Ausbildungsbeihilfen oder Unterhaltszuschüsse dagegen standen unabhängig von ihrer Höhe diesen Ansprüchen nicht entgegen. Eine andere Abgrenzung etwa nach der Höhe der Bezüge im Vergleich zu dem jeweiligen Unterhaltsbedarf wurde dagegen verneint (SozR 5870 § 2 Nr 2 mit zahlreichen Rechtsprechungshinweisen).
Nachdem Unterhaltsbeihilfen, Unterhaltszuschüsse und ähnliche Leistungen in zunehmend steigender Höhe gezahlt wurden, wurden ab 1. Januar 1976 mit Art 44 Abs 1 des Haushaltsstrukturgesetzes (HStruktG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3091, 3111) dem § 2 Abs 2 BKGG die Sätze 2 und 3 angefügt. Danach werden über 18-jährige Kinder, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden, nicht berücksichtigt, wenn sie bestimmte, im Gesetz im einzelnen aufgeführte Einkünfte haben, etwa aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,-- DM monatlich oder mit Rücksicht auf die Ausbildung Unterhaltsgeld von wenigstens 580,-- DM monatlich oder Übergangsgeld nach einer Bemessungsgrundlage von wenigstens 750,-- DM monatlich. Welchen Grundsätzen das Kindergeldrecht allgemein folgt, kann offenbleiben. Der Gesetzgeber verfolgt jedenfalls das Ziel eines "Familienlastenausgleichs" in der Weise, daß er den Kindergeldanspruch an bestimmte Tatbestände knüpft, bei denen er eine Belastung der Familie unterstellt oder ausnahmsweise verneint (BSG SozR 5870 § 2 Nr 12). Solange das Gesetz daher über 18-jährige Kinder nur bei bestimmten einzeln genannten Einkünften nicht berücksichtigt (vgl auch den ab 1. September 1976 mit Art 1 Nr 1 des Gesetzes vom 18. August 1976 - BGBl I S 2213 - in § 2 BKGG eingefügten Abs 4a), besteht keine ausfüllungsfähige Gesetzeslücke, etwa in dem Sinne, daß grundsätzlich Kinder nicht zu berücksichtigen sind, die über Einkünfte verfügen, mit denen ihr Lebensunterhalt sichergestellt ist. Folgerichtig bezeichnet daher auch der Runderlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit 375/74 zu § 2 Abs 2, 2.264 Einkünfte aus Tätigkeiten, die neben der Ausbildung ausgeübt werden und diese nicht beeinträchtigen, Einkünfte aus Ferientätigkeiten während der Schul- oder Semesterferien zwischen Schulabgang und Ablauf des Schuljahres, ferner zwischen dem Beginn des Semesters, für das das Kind erstmalig zugelassen ist, und dem Vorlesungsbeginn, Berufsausbildungsbeihilfen nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), Leistungen nach dem BAföG sowie entsprechende Leistungen nach anderen gesetzlichen Vorschriften usw nicht als Einkünfte im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG. Insoweit wird das Gesetz zutreffend angewendet. Wenn der genannte Erlaß (aaO) dagegen, worauf sich der Beklagte bezieht, unter Nr 2.218 h ausführt, eine Berücksichtigung entfalle für Monate, in denen während Übergangszeiten zwischen Ausbildungsabschnitten das Kind aus einer Erwerbstätigkeit oder einer für die Ausbildung förderlichen oder nützlichen Tätigkeit ein Bruttogehalt in Höhe von wenigstens 750,-- DM monatlich erhalte, so ist diese Auffassung gesetzwidrig. Werden derartige Übergangszeiten den Zeiten der Berufsausbildung gleichgestellt, ist es nicht folgerichtig, Einkünfte, während der eigentlichen Schul- oder Berufsausbildung einschließlich der Schul- und Semesterferien, nur als Ausschlußtatbestände unter den im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen zu berücksichtigen, während der "Übergangszeiten" jedoch auch andere Einkünfte, die während der eigentlichen Schul- oder Berufsausbildung keine Ausschlußtatbestände bilden.
Der Beklagte irrt, wenn er in seinem Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, daß die Anspruchstatbestände "erlaßlich" auf Übergangszeiten ausgedehnt worden sind und deshalb ebenso "erlaßlich" auch eingeschränkt werden konnten. Es geht schlicht um die Anwendung des Gesetzes.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen