Leitsatz (amtlich)
1. Wird in der Revisionsschrift nur das angefochtene Urteil bezeichnet, so entspricht dies noch nicht der weiteren Vorschrift des SGG § 164 Abs 2 S 1, wonach die Revision einen "bestimmten Antrag" enthalten muß.
2. Versäumt es ein Prozeßbevollmächtigter, innerhalb der Revisionsfrist den bestimmten Antrag gemäß SGG § 164 Abs 2 zu stellen, so ist wegen Verschuldens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 67 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 164 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
I. Der Antrag der Revisionsklägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unbegründet zurückgewiesen,
II. Die Revision der Klägerin wird als unzulässig verworfen,
III. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Die Revisionsklägerin begehrt die versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung (Alu) für 45 statt 26 Wochen.
Sie ist laut Arbeitsbescheinigung bei der Fa. Gebr. R AG. in D vom 4. Mai 1948 bis zum 14. März 1953 beschäftigt gewesen und wegen Arbeitsmangels entlassen worden.
Das Arbeitsamt Darmstadt, Nebenstelle Bensheim, bewilligte ihr Alu für 26 Wochen. Die anschließend beantragte Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) wurde ihr jedoch mangels Bedürftigkeit wegen des Einkommens ihres Ehemannes abgelehnt. Daraufhin beantragte sie auf Grund des § 99 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022) die Weitergewährung der Alu, da sie bei der Fa. Gebr. R AG. ununterbrochen vier Jahre neun Monate beschäftigt gewesen sei.
Das Arbeitsamt lehnte mit Bescheid vom 13. Oktober 1953 ab, weil sie vom 26. August bis zum 23. September 1951 am Streik der hessischen Eisen-, Metall- und Elektroindustrie teilgenommen habe und dadurch ihr Beschäftigungsverhältnis unterbrochen worden sei.
Auf ihren Einspruch hin erkannte der Spruchausschuß beim Arbeitsamt Darmstadt durch Entscheidung vom 19. November 1953 ihren Anspruch auf Alu für längstens 45 Wochen an. Er stellte sich auf den Standpunkt, daß die Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts zum Begriff der Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses "nicht mehr den heutigen Verhältnissen entspreche" Insbesondere gelte dies von der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2766, nach der sich der Arbeitnehmer bei einem Streik durch die gemeinsame Arbeitsniederlegung der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers entziehe und dadurch das Beschäftigungsverhältnis erlösche. Im übrigen sei der Streik von der Gewerkschaft erklärt worden. Im Art. 29 der Hessischen Verfassung sei das Streikrecht anerkannt, so daß es sich um eine legale Maßnahme gehandelt habe. Das Beschäftigungsverhältnis müsse deshalb trotz der Teilnahme am Streik als ununterbrochen im Sinne des § 99 AVAVG gelten.
II. Die vom Direktor des Arbeitsamts hiergegen eingelegte Berufung wurde auf Grund des inzwischen in Kraft getretenen Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom Vorsitzenden der Spruchkammer für Arbeitslosenversicherung beim Oberversicherungsamt Frankfurt/Main an das Sozialgericht Darmstadt abgegeben, das sie gemäß § 215 Abs. 4 SGG als Klage behandelte und durch Urteil vom 21. Mai 1954 als unbegründet abwies, wobei es sich grundsätzlich der Begründung des Spruchausschusses anschloß.
Auf Berufung des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen hob das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt durch Urteil vom 4. August 1954 das Urteil des Sozialgerichts und die Entscheidung des Spruchausschusses auf und wies den Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Arbeitsamts Darmstadt vom 13. Oktober 1953 zurück. Es übernahm den vom früheren Reichsversicherungsamt in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2766 für das Recht der Krankenversicherung entwickelten Grundsatz auf das Recht der Arbeitslosenversicherung und erklärte das Beschäftigungsverhältnis durch die Teilnahme am Streik als erloschen.
Gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG ließ das Landessozialgericht gegen dieses Urteil die Revision zu, da die Entscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffe und die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 2766 des früheren Reichsversicherungsamts lediglich die Wirkung eines Streiks auf die Krankenversicherungspflicht zum Gegenstand habe. In der Rechtsmittelbelehrung wies es darauf hin, daß die Revision das angefochtene Urteil bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten müsse.
Das Urteil wurde der Industriegewerkschaft Metall, Verwaltungsstelle Darmstadt, als Vertreterin der Beklagten am 11. Oktober 1954 zugestellt.
III. Durch Schriftsatz vom 23. Oktober 1954, beim Bundessozialgericht eingegangen am 25. Oktober 1954, teilten die Rechtsanwälte S und T F durch Rechtsanwalt T mit:
"Gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. August 1954 - Az. Arb VI 19/54 - legen wird das Rechtsmittel der Revision ein".
Erst in der Revisionsbegründungsschrift vom 22. November 1954 erklärte der Prozeßbevollmächtigte alsdann u. a.:
"Wir werden beantragen,
Die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts VI. Senat, vom 4. August 1954 - lfd. Nr. 260, Az.: Arb VI 19/54 -, des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Mai 1954 - Al. VII 13/54 - sowie die Entscheidung des Spruchausschusses beim Arbeitsamt Darmstadt vom 19. November 1953 - IV Sp, St. Nr. 2/66885 - aufzuheben und
dem Einspruch der Beklagten gegen den Bescheid des Arbeitsamts Darmstadt vom 13. Oktober 1953 stattzugeben und
einen Anspruch der Beklagten auf Arbeitslosenunterstützung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für 45 Wochen anzuerkennen, wobei die ab 23. März 1953 bezogene Arbeitslosenunterstützung auf die Gesamtbezugsdauer anzurechnen ist."
In der Begründung bestritt er, daß durch den Streik das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen worden sei; denn die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers habe weiterbestanden. Im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 22. November 1954 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 1955 beantragte der Prozeßbevollmächtigte,
"der Klägerin für die Frist zur Einlegung der Revision die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erteilen".
Gleichzeitig legte er gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. August 1954 Revision ein und wiederholte mit den Worten "Wir werden beantragen" den Antrag aus der Revisionsbegründungsschrift vom 22. November 1954.
Zur Begründung des Antrages auf Wiedereinsetzung führte er aus, § 164 SGG sei von ihm dahin ausgelegt worden, daß die Revisionsschrift sich in der Einlegung der Revision erschöpfe und die Revisionsbegründungsschrift Antrag und Einzelbegründung enthalten müsse. In allen prozessualen Vorschriften erfolge eine scharfe Trennung von Revision und Revisionsbegründung. In der Revision sei neben der Bezeichnung des Urteils nur die Erklärung zu formulieren, daß Revision eingelegt werde (§ 553 ZPO); dagegen rechneten die Revisionsanträge und die Revisionsgründe zur Revisionsbegründung (§ 554 ZPO). Diese Aufteilung sei auch sinnvoll. Sie bezwecke, daß der Prozeßbevollmächtigte sich zunächst nur über die Zulässigkeit zu unterrichten habe und dann entscheide, ob überhaupt von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht werden solle. Durch die Einräumung der Revisionsbegründungsfrist und die Möglichkeit ihrer einmaligen Verlängerung könne er sich dann eingehend mit dem angegriffenen Urteil auseinandersetzen; erst das Ergebnis einer solchen Prüfung sei die Formulierung des Antrags.
Diese Begründung hat er auch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht und dazu noch ausgeführt, er habe den Gesetzestext an Hand der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt durchgearbeitet; weiteres Schrifttum habe ihm nicht zur Verfügung gestanden.
IV. Die Bundesanstalt als Revisionsbeklagte hat beantragt:
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen und die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise:
sie als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die Bestimmungen des § 164 Abs. 2 SGG eindeutig und keiner anderen Auslegung fähig seien. Außerdem habe die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils einen entsprechenden Hinweis enthalten. Habe sich der Prozeßbevollmächtigte als Rechtskundiger geirrt, so beruhe dies auf Fahrlässigkeit und schließe eine Wiedereinsetzung aus. Wegen der Verletzung des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG müsse die Revision als nicht frist- und formgerecht eingelegt verworfen werden. Auch materiell-rechtlich sei sie nicht begründet. Im einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 28. Februar 1955 Bezug genommen.
V. Aus folgenden Erwägungen mußten der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet und die Revision als unzulässig angesehen werden:
Gemäß § 169 SGG hat das Bundessozialgericht zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Ein solcher Mangel liegt hier vor. Die Revision war zwar vom Landessozialgericht zugelassen, also statthaft. Sie ist aber nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden; denn der Revisionskläger hat in der Revisionsschrift nicht den vom Gesetz geforderten "bestimmten Antrag" gestellt.
Im Rahmen des § 164 SGG muß, wie auch in anderen Prozeßgesetzen, zwischen der Revision als Rechtsmittel, der Revisionsschrift und der Revisionsbegründung unterschieden werden. Während aber beispielsweise in den §§ 553, 554 ZPO die Regelung getroffen ist, daß in der Revisionsschrift nur das Urteil zu bezeichnen ist, gegen das die Revision gerichtet wird, und die Erklärung abzugeben ist, daß gegen dieses Urteil die Revision eingelegt werde, dagegen die Revisionsanträge erst in der Revisionsbegründungsschrift vorzubringen sind, sieht das SGG ebenso wie das BVerwGG eine andere Regelung vor. § 164 Abs. 2 Satz 1 bestimmt: "Die Revision muß das angefochtene Urteil bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten ". Der Revisionsbegründung bleibt vorbehalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, die den Mangel ergeben.
Diese Regelung, daß bereits in der Revisionsschrift ein bestimmter Antrag gestellt werden muß, ist ihrem Wortlaut nach eindeutig und keiner Auslegung fähig. Ob sie zweckmäßig ist, was der Prozeßbevollmächtigte der Revisionsklägerin bestreitet, hatte der Senat nicht zu prüfen. Wenn der Prozeßbevollmächtigte meint, die Aufteilung zwischen Revisionseinlegung einerseits und Antragstellung und Revisionsbegründung andererseits sei sinnvoll, weil gerade dadurch der Prozeßbevollmächtigte sich zunächst über die Zulässigkeit des Rechtsmittels unterrichten und dann während der Begründungsfrist mit dem angegriffenen Urteil auseinandersetzen könne, so ist dies mit Rücksicht auf die eindeutige Regelung im § 164 Abs. 2 SGG unbeachtlich. Im übrigen wird in aller Regel der Prozeßbevollmächtigte mit seinem Mandanten bei der Erteilung des Auftrages eingehend die Sach- und Rechtslage durchsprechen, so daß er sich mindestens darüber entschließen kann, ob ein Rechtsmittel zulässig und zweckmäßig ist und welche Anträge gestellt werden sollen. Für die Begründung steht ihm dann in der Begründungsfrist von einem Monat, die zudem bis zu einem weiteren Monat verlängert werden kann, hinreichend Zeit zur Verfügung.
Wenn der Prozeßbevollmächtigte der Revisionsklägerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, bei der Trennung zwischen Revisionsantrag und Revisionsgründen sei nicht ersichtlich, weshalb für die Begründung eine Monatsfrist und sogar noch deren Verlängerung vorgesehen werde, so befindet er sich im Irrtum. Gerade die vorliegende Frage, ob die Teilnahme am Streik das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis unterbricht, also zum Erlöschen bringt, bedarf - auch in ihrer Beziehung zum zivilrechtlichen Beschäftigungsverhältnis - einer eingehenden Begründung.
Der Prozeßbevollmächtigte hat sich bei seiner Auslegung, bei der er auch in der mündlichen Verhandlung geblieben ist, offensichtlich zu stark von der Regelung der ZPO beeinflussen lassen und dabei nicht berücksichtigt, daß nach § 202 SGG die Vorschriften der ZPO entsprechend nur anzuwenden sind, soweit das SGG keine Bestimmungen über das Verfahren enthält. Bezüglich des Revisionsantrages ist dies gerade der Fall. Da nach § 183 SGG das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich kostenfrei ist, also dem Beteiligten ein finanzieller Nachteil nicht erwächst und dadurch eine sonst vorhandene Hemmung wegfällt, unberechtigte Rechtsmittel aber eingedämmt werden sollen, sieht das Gesetz vor, daß die Revision nur zulässig ist, wenn der Revisionskläger schon in der Revisionsschrift einen bestimmten Antrag stellt, also von vornherein überlegt, inwieweit er das vorhergehende Urteil anfechten will. Daß die Worte in der Revisionsschrift vom 23./25. Oktober 1954: "Gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. August 1954 ... legen wir das Rechtsmittel der Revision ein" allein einen solchen Antrag nicht darstellen, kann nicht zweifelhaft sein. Sie enthalten, wie auch der Vergleich mit § 553 ZPO ergibt, nur die Erklärung, daß überhaupt Revision eingelegt wird und gegen welches Urteil.
Der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat zwar in seinem Beschluß vom 8. November 1954 - V C 61/54 - (MDR 1955 S. 203) zu § 57 Abs. 2 Satz 1 BVerwGG, der in seinem Wortlaut grundsätzlich mit § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG übereinstimmt, entschieden, der Formvorschrift des § 57 Abs. 2 Satz 1 BVerwGG über den bestimmten Antrag sei genügt, wenn das Ziel der Revision aus der Tatsache der Revisionseinlegung allein oder in Verbindung mit den während der Revisionsfrist abgegebenen Erklärungen erkennbar sei.
Dieser Ansicht konnte sich jedoch der Senat für das Gebiet der Sozialgerichtsbarkeit nicht anschließen. Zwischen beiden Gerichtsverfahren besteht ein erheblicher Unterschied. Revision beim Bundesverwaltungsgericht können die Beteiligten persönlich einlegen, ohne sich eines Prozeßbevollmächtigten bedienen zu müssen. Denn beim Bundesverwaltungsgericht besteht ein Vertretungszwang nicht (§§ 24, 57 BVerwGG). Es ist verständlich, daß unter diesen Umständen das Bundesverwaltungsgericht an die Formerfordernisse geringere Anforderungen stellt. Beim Bundessozialgericht dagegen müssen sich nach § 166 SGG die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. In der Begründung zum Sozialgerichtsgesetz (Bundestagsdrucksache Nr. 4357) ist ausdrücklich erwähnt worden, daß das Revisionsverfahren rechtsförmlich ausgestaltet werden sollte. Deshalb wurden Mindesterfordernisse hinsichtlich der Form festgelegt (vergl. Hofmann-Schroeter, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 1 zu § 164). Das Gericht soll also von vornherein klar erkennen können, was der Revisionskläger begehrt. Dabei brauchen an den Begriff des "bestimmten Antrags" keine überspitzten Anforderungen gestellt zu werden. Die Angabe des angefochtenen Urteils allein genügt jedenfalls nicht. Der Senat stimmt hier mit der Entscheidung des 9. Senats des Bundessozialgerichts in der Sache 9 RV 308/54 vom 24. Mai 1955 überein.
VI. Der Mangel des fehlenden Antrages hätte aber noch behoben werden können, indem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Erfolg hatte. Dafür lagen jedoch die Voraussetzungen nicht vor.
Nach § 67 SGG ist Wiedereinsetzung dann zu gewähren, wenn jemand "ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten".
Der Ausdruck "Verfahrensfrist" steht im Gegensatz zu "Termin", für dessen Versäumung eine Wiedereinsetzung nicht gewährt wird (so auch Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 zu § 67). Eine Frist umfaßt einen bestimmten Zeitraum. Nun hat zwar der Prozeßbevollmächtigte der Revisionsklägerin innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Urteils Revision eingelegt, so daß an sich die Frist gewährt erscheint. § 67 SGG spricht aber nicht nur von "Frist", sondern von "gesetzlicher Verfahrensfrist", worunter jede prozeßrechtliche Frist zu verstehen ist. Da aber im § 164 SGG der Begriff "Revision" nicht nur das Rechtsmittel als solches, sondern auch die Revisionsschrift meint und verlangt, daß sie einen bestimmten Antrag enthält, so ist unter der "gesetzlichen Verfahrensfrist" der Revision nicht nur die frist-, sondern auch die formgerechte Einlegung zu verstehen. Unter diesen Umständen war der Wiedereinsetzungsantrag an sich möglich und erforderlich.
Er ist aber unbegründet. Das Sozialgerichtsgesetz hat auch bei dieser Rechtsinstitution eine eigene Regelung getroffen. In den §§ 131 RVO, 233 ZPO, 44 StPO wird die Wiedereinsetzung gewährt, wenn der Antragsteller durch Naturereignisse oder durch unabwendbare Zufälle verhindert worden ist, eine Frist einzuhalten. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und anschließend des Bundesgerichtshofes hat diese Begriffe gerade auch bei Versäumnissen von Prozeßbevollmächtigten immer weiter ausgelegt. Mit aus diesen Gründen hat das Sozialgerichtsgesetz sie nicht übernommen, sondern die Wiedereinsetzung lediglich davon abhängig gemacht, daß kein Verschulden vorliegt. Dabei kommt es nicht nur auf das Verhalten des Beteiligten selbst an; Verschulden eines Prozeßbevollmächtigten oder eines gesetzlichen Vertreters schließt ebenso die Wiedereinsetzung aus (ebenso Peters-Sautter-Wolff, a. a. O., Anm. 7 zu § 67). Bei dem Begriff des Verschuldens ist von dem prozeßrechtlichen Verschulden auszugehen, also der Außerachtlassung der im prozessualen Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dabei ist jedoch das Maß des Verschuldens nach der Person dessen, dem das Verschulden zur Last gelegt wird, verschieden zu bewerten. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht sind bei einem rechtsunerfahrenen Menschen niedriger zu stellen als bei einem Rechtskundigen, dessen Aufgabe es gerade ist, dem einfachen Menschen bei der Durchführung der für ihn oft schwer verständlichen Rechtsvorschriften zu helfen.
Im vorliegenden Falle hat der Prozeßbevollmächtigte vorgebracht, er habe die Revision aufgrund des im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Textes des Sozialgerichtsgesetzes eingelegt. Dies allein stellt weder eine Entschuldigung noch ein Verschulden dar. Maßgebend war, daß die Durcharbeitung der entsprechenden Bestimmungen dieses in seinem Aufbau und auf seinem Gebiet völlig neuen Gesetzes mit der erforderlichen Sorgfalt geschah. Daran mangelt es aber hier offensichtlich, da die Vorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG eindeutig ist. Hätte der Prozeßbevollmächtigte jedoch Zweifel gehabt, so wäre es seine Pflicht gewesen, sich ausreichend über den Sinn der Vorschriften zu unterrichten. Z. Zt. der Einlegung der Revision waren bereits mehrere Kommentare zum Sozialgerichtsgesetz erschienen, so daß die Möglichkeit eingehenderer Prüfung ohne weiteres gegeben war. Deshalb ist auch der Einwand des Prozeßbevollmächtigten, eine Entscheidung des Bundessozialgerichts über diese Frage sei damals noch nicht bekannt gewesen, ohne Bedeutung.
Demnach ist festzustellen, daß der Prozeßbevollmächtigte fahrlässig gehandelt hat, als er die Revisionsschrift ohne einen bestimmten Antrag einreichte.
Er hat, wie er an Eides Statt versicherte, innerhalb der Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses den Antrag gestellt und zugleich die versäumte Rechtshandlung nachgeholt. Ob dabei die Worte im Schriftsatz vom 2.2.1955: "Wir werden beantragen" einen bestimmten Antrag im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG darstellen oder nur seine Ankündigung für die mündliche Verhandlung, wie der Prozeßbevollmächtigte zugegeben hat, konnte dahingestellt bleiben, da es hierauf nach Feststellung des Verschuldens nicht mehr ankam.
Laut § 73 Abs. 3 SGG muß der Beteiligte die Prozeßführung des Prozeßbevollmächtigten gegen sich gelten lassen.
Der Senat mußte aus den vorstehenden Gründen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet zurückweisen und demgemäß die Revision als unzulässig verwerfen.
VII. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Wenn auch ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten vorlag, so hat das Gericht es dennoch nicht als so schwerwiegend angesehen, daß es die Belastung mit den Kosten des anderen Beteiligten rechtfertigen würde, dies umsomehr , als z. Zt. der Revisionseinlegung die Anlaufschwierigkeiten der neuen Gerichtsbarkeit noch nicht überwunden waren.
Fundstellen