Leitsatz (amtlich)
BGB § 409 findet bei Abtretung von Ansprüchen aus der Sozialversicherung entsprechende Anwendung.
Normenkette
RVO § 119 Abs. 2 Fassung: 1945-03-29; BGB § 409 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln, Zweigstelle Aachen, vom 31. Januar 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger erhielt von 1948 bis zum 31. Dezember 1955 Tbc-Hilfe von der Beklagten, die diese allerdings vom 1. Januar 1955 bis zum 31. Dezember 1955 lediglich im Auftrag des Beigeladenen zu 1) gewährte. Ab 1. Januar 1956 erhielt er Tbc-Hilfe unmittelbar von dem Beigeladenen zu 1). Durch Bescheid vom 22. Dezember 1956 -- zur Post gegeben am 3. Januar 1957 -- gewährte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom 15. August 1956 Invalidenrente in Höhe von monatlich 102,40 DM ab 1. September 1956. Der für die zurückliegende Zeit vom 1. September 1956 bis zum 31. Januar 1957 fällige Betrag in Höhe von 412,50 DM wurde mit dem Vermerk vorläufig einbehalten, daß er evtl. mit der wirtschaftlichen Beihilfe verrechnet werden müsse. Am 12. Januar 1957 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Klage beim Sozialgericht in Köln. Am 15. Januar 1957 unterzeichnete er bei dem Amt für Tuberkulosehilfe der Kreisverwaltung D folgende Erklärung:
"Durch das unterzeichnete Amt für Tuberkulosehilfe der Kreisverwaltung Düren habe ich die Gewährung der Tuberkulosehilfe am ... beim zuständigen Träger der Tuberkulosehilfe beantragt.
Die Leistungen der Träger der Tuberkulosehilfe sind Vorschußleistungen, die ich ausdrücklich anerkenne insoweit, als mir für die gleiche Zeit der Gewährung der Tuberkulosehilfe Renten zustehen bzw. nachträglich bewilligt werden oder andere Einnahmen zufließen.
Ich bin damit einverstanden, daß etwaige Rentennachzahlungen (Invalidenversicherung, Angestelltenversicherung, knappschaftliche Versicherung, Versorgungsrenten für Kriegsopfer, Unfallrenten pp.) von dem Träger der Tuberkulosehilfe bis zur Höhe der mir gewährten Leistungen in Anspruch genommen werden. Ich ermächtige die Träger der Tuberkulosehilfe oder die von ihnen beauftragte Dienststelle zu der Inempfangnahme der Renten pp. zum Ausgleich der vorschußweise gezahlten wirtschaftlichen Hilfe. Insoweit trete ich hiermit die genannten Renten pp. an die Träger der Tuberkulosehilfe ab."
Diese Abtretung wurde von dem Vorsitzenden des Versicherungsamtes Düren, dem Beigeladenen zu 2), am 16. Januar 1957 gemäß § 119 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) genehmigt. Die Abtretungserklärung nebst Genehmigung wurde der Beklagten durch die Kreisverwaltung D übersandt; sie ging bei der Beklagten am 18. Januar 1957 ein. Am 31. Januar 1957 überwies die Beklagte die aufgelaufene Rente für die rückliegende Zeit an den Beigeladenen zu 1). Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 31. Januar 1957 ab und ließ die Berufung zu. Der Anspruch des Klägers sei unbegründet, weil er seine Forderung wirksam abgetreten habe.
Gegen das seinem Prozeßbevollmächtigten erster Instanz am 2. Mai 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger, vertreten durch Dr. ... G und H W ..., mit Schriftsatz vom 16. Mai 1958, eingegangen am 19. Mai 1958, Sprungrevision eingelegt und diese, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 2. August 1958 verlängert worden war, mit Schriftsatz vom 1. Juli 1958, eingegangen am 1. Juli 1958, begründet. Der Revisionsschrift ist eine Erklärung der Beklagten beigefügt, daß sie mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden ist. Der Kläger ist der Auffassung, daß die Abtretungserklärung u.a. wegen Verstoßes gemäß §§ 134, 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig bzw. unwirksam sei. Zudem habe der Vorsitzende des Versicherungsamtes diese Abtretung nicht genehmigen dürfen, weil sie nicht im wohlverstandenen Interesse des Klägers liege. Die Beklagte sei nicht nach § 409 BGB geschützt, weil diese Vorschrift im öffentlichen Recht nicht anzuwenden sei. Sollte seiner Auffassung nicht gefolgt werden, so habe er einen Anspruch gegen den Beigeladenen zu 1), da dieser ungerechtfertigt bereichert sei, so daß er nach § 75 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Zahlung verurteilt werden könne.
Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und in Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 22. Dezember 1956 diese zu verurteilen, ihm 409,70 DM zu zahlen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Beigeladenen zu 1) zur Zahlung von 409,70 DM zu verurteilen.
Die Beklagte stellte keinen Antrag, trat aber der Auffassung des Klägers bei, daß bei gewährter Tbc-Hilfe das wohlverstandene Interesse als Voraussetzung für eine Genehmigung nach § 119 Abs. 2 RVO verneint werden müsse, daß eine trotzdem erteilte Genehmigung gemäß § 134 BGB nichtig sei, da sie gegen das gesetzliche Verbot der §§ 119, 139 RVO verstoße, daß der Verzicht auf die Schutzvorschrift des § 119 RVO durch den Versicherten durch seine Unterschriftsleistung zu einer Abtretungserklärung rechtsunwirksam und unbeachtlich sei, daß der Versicherungsträger berechtigt und verpflichtet sei, die vom Versicherungsamt nach § 119 Abs. 2 RVO erteilte Genehmigung nachzuprüfen und erforderlichenfalls vor dem Sozialgericht anzufechten, daß der beigeladene Landschaftsverband, sofern der Rentennachzahlungsbetrag an diesen bereits überwiesen ist, zur Rückzahlung des zu Unrecht empfangenen Betrages an den Kläger verpflichtet sei und daß in allen bereits rechtskräftig abgeschlossenen Fällen der Versicherungsträger bzw. der Träger der Tbc-Hilfe verpflichtet sei, den zu Unrecht einbehaltenen bzw. überwiesenen Betrag wieder auszuzahlen.
Sie ist nunmehr der Ansicht, daß der Beigeladene keinen Anspruch auf Auszahlung der Rentennachzahlung habe, weil er keinen Anspruch auf die Nachzahlungen aus der Invalidenversicherung des Klägers habe und die Abtretungserklärung unwirksam sei.
Der Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß die Abtretung der Nachzahlungsforderung durch den Kläger rechtswirksam sei. Im übrigen sei die Beklagte nach § 409 BGB geschützt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs verlangen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Abtretung des Rentenanspruchs wirksam ist; denn jedenfalls ist die Beklagte, da sie den Nachzahlungsbetrag auf Grund der ihr übersandten Abtretungsurkunde an den Beigeladenen zu 1) ausgezahlt hat, nach § 409 BGB vor einer Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger auch dann geschützt, wenn die Abtretung unwirksam sein sollte. Entgegen der Annahme des Klägers ist § 409 BGB auch im Sozialversicherungsrecht entsprechend anzuwenden. Da, wie sich aus § 119 RVO ergibt, auch im Sozialversicherungsrecht, wenn auch mit Einschränkungen, die Abtretung von Ansprüchen möglich ist, die RVO aber eigene Vorschriften über die Abtretung, wenn man von § 119 RVO absieht -- der allerdings die Abtretung lediglich einschränkt --, nicht enthält, sind die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Abtretung von Forderungen entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch für § 409 BGB, da bei sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen ein gleich starkes Interesse an dem Schutz des Schuldners bei Abtretung des Anspruchs durch den Gläubiger besteht wie im bürgerlichen Recht und keine Gründe ersichtlich sind, die gegen eine entsprechende Anwendung sprechen könnten.
Es handelt sich bei § 409 BGB allerdings um eine Schutzvorschrift, welche nur dann anzuwenden ist, wenn sich der Schuldner auf sie beruft (RGZ. 93, 75). Zwar hat sich die Beklagte nicht ausdrücklich auf diese Vorschrift berufen. Aus dem Umstand aber, daß sie einerseits die Ansicht vertritt, daß die Abtretung des Anspruchs unwirksam sei, andererseits aber dem Kläger dennoch keinen Anspruch gegen sich, sondern lediglich einen Bereicherungsanspruch gegen den Beigeladenen zu 1) zuerkennen will in Verbindung mit dem Umstand, daß sie die ausdrückliche Berufung des Beigeladenen zu 1) auf § 409 BGB widerspruchslos hingenommen hat, ist zu schließen, daß sie sich ebenso wie der Beigeladene zu 1) auf § 409 BGB berufen will.
Die Voraussetzungen des § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB liegen vor. Der Kläger hat dem Beigeladenen zu 1) eine Urkunde über die Abtretung des Anspruchs ausgestellt, und dieser hat die Urkunde der Beklagten vorgelegt. Zwar ist in der Urkunde der Beigeladene zu 1) nicht namentlich aufgeführt, sondern es ist nur gesagt, daß der Anspruch an den zuständigen Träger der Tbc-Hilfe abgetreten wird. Da aber festgelegt ist, daß der Beigeladene zu 1) der zuständige Träger der Tbc-Hilfe ist, sind aus dieser Fassung der Abtretungsurkunde keine Bedenken herzuleiten. Die Abtretungsvereinbarung ist zwar nicht von dem Beigeladenen zu 1) selbst getroffen worden, auch hat er nicht selbst die Abtretungsurkunde der Beklagten übersandt, sondern die Kreisverwaltung Düren. Diese hat aber als Beauftragte des Beigeladenen zu 1) bei der Durchführung der Tbc-Hilfe gehandelt, so daß auch insoweit keine Bedenken gegen die Anwendung dieser Vorschrift zu erheben sind.
Nach § 409 BGB ist der Gläubiger allerdings nur gegen eine Unwirksamkeit der Abtretung, nicht aber dagegen geschützt, daß der Abtretung ein gesetzliches Verbot entgegensteht. Entgegen der Annahme des Klägers verstößt die Abtretung im vorliegenden Fall aber nicht gegen ein gesetzliches Verbot. Nach § 119 Abs. 2 RVO darf der Berechtigte auch in den in § 119 Abs. 1 RVO nicht aufgezählten Fällen seine Ansprüche mit Genehmigung des Versicherungsamts abtreten. Diese Genehmigung ist im vorliegenden Fall erteilt. Da sie allenfalls durch Klage anfechtbar, aber nicht mit so schweren Mängeln behaftet ist, daß sie nichtig wäre und eine Anfechtung nicht erfolgt ist, ist sie bindend geworden, so daß auch die Gerichte sie zu beachten haben.
Da die Klage schon aus diesem Grunde unbegründet ist, bedurfte es keiner Prüfung, ob der Anspruch des Klägers auch noch aus anderen Gründen abzulehnen wäre.
Der Kläger hat unter Berufung auf § 75 Abs. 5 SGG eventualiter beantragt, den Beigeladenen zu 1) zur Rückzahlung des -- nach seiner Ansicht -- zu Unrecht erhaltenen Betrages zu verurteilen. Ob ein solcher Anspruch besteht, kann hier dahingestellt bleiben; denn eine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG ist schon deshalb nicht möglich, weil der Beigeladene zu 1) weder ein Versicherungsträger noch ein Land im Sinne dieser Vorschrift ist. Als selbständige Klage kann dieser Antrag nicht angesehen werden, weil der Kläger ausdrücklich auf § 75 Abs. 5 SGG Bezug nimmt; zudem könnte sie vor dem Bundessozialgericht keinesfalls wirksam erhoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 160 |
NJW 1959, 2087 |
MDR 1959, 961 |