Leitsatz (amtlich)
Die an einen meldepflichtigen Arbeitslosen gerichtete Aufforderung des Arbeitsamtes zum Aufsuchen eines Arbeitgebers (RVO § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b) erfaßt auch die Fortsetzung der Verhandlungen zur Begründung des Arbeitsverhältnisses an einem folgenden Tag.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1963-04-30; AFG § 13 Fassung: 1969-06-25, § 14 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.10.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 33/78) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 19.01.1978; Aktenzeichen S 6 Kr 11/76) |
Tatbestand
Die klagende Bundesanstalt für Arbeit (BA) begehrt von der beklagten Krankenkasse den Ersatz der Leistungen, die sie der zum Verfahren beigeladenen J T (T und Beigeladene zu 1) aus Anlaß ihres Unfalls vom 22. Februar 1974 gewährt hat.
T war arbeitslos und bezog vom Arbeitsamt Trier Arbeitslosengeld; sie unterlag der Meldepflicht. Am 21. Februar 1974 händigte ihr das Arbeitsamt Trier - Dienststelle B - eine Vermittlungskarte mit der Aufforderung aus, sich bei dem Hotel "S" in B zur Einstellung als Zimmermädchen vorzustellen. Nachdem T sich dort noch am selben Tag vorgestellt hatte, wollte sie am 22. Februar 1974 mit ihrem Kraftwagen nochmals zum Hotel "S" fahren. Auf dem Weg nach dort erlitt sie einen Unfall, dessen Folgen ua eine längere Krankenhausbehandlung erforderlich machten. Die Klägerin wendete für die Heilbehandlung 4.357,62 DM auf.
Einen Entschädigungsanspruch der T lehnte die Klägerin durch Bescheid vom 27. Mai 1975 ab. Zur Begründung führte sie aus, daß T bei der ersten Vorstellung bei dem Hotel "S" am 21. Februar 1974 zum 1. März 1974 als Zimmermädchen eingestellt worden sei. Am darauffolgenden Tag habe T beabsichtigt, mit ihrem zukünftigen Arbeitgeber weitere Arbeitsbedingungen zu klären und die endgültige Zusage zur Arbeitsaufnahme zu geben. Die Klärung weiterer Arbeitsbedingungen sei aber der persönlichen unversicherten Sphäre des Arbeitnehmers zuzurechnen. Daher habe auf dem am Unfalltag zurückgelegten Weg kein Versicherungsschutz bestanden.
Da die Beklagte den Ersatzanspruch der Klägerin ablehnte, erhob diese bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage. Nach Vernehmung der beigeladenen T und ihres Ehemannes durch das Amtsgericht B am 13. Mai 1976 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ihr aus Anlaß des Unfalls der T vom 22. Februar 1974 entstandenen Kosten in Höhe von 4.357,62 DM zu erstatten (Urteil vom 19. Januar 1978). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat auf die Berufung der Beklagten - nach Beiladung der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (Beigeladene zu 2) - das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Oktober 1979). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der Ersatzanspruch der Klägerin nach § 1509a der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei nicht begründet, denn T habe einen von der Klägerin zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten. T habe den Weg zum Hotel "S" am 22. Februar 1974 auf Aufforderung der Arbeitsverwaltung (§ 539 Abs 1 Nr 4 b RVO) angetreten. Die ausdrückliche Aufforderung hierzu sei ihr am Vortag durch die Aushändigung der Vermittlungskarte erteilt worden. Diese Aufforderung sei am folgenden Tag noch nicht verbraucht gewesen. Der Vertragsabschluß mit dem Hotel "S" sei noch von der Zusage der T über Tag und Stunde der Arbeitsaufnahme abhängig gewesen, wie sich aus einer Auskunft des Arbeitsamtes Trier an die Klägerin vom 19. Februar 1975 ergebe. Auch die Tatsache, daß am 21. Februar 1974 nicht vorauszusehen gewesen sei, wann der Ehemann der T sich mit einer Samstags- und Sonntagsarbeit seiner Ehefrau einverstanden erklären würde, spreche dagegen, daß der Tag der Arbeitsaufnahme bereits an diesem Tag vertraglich festgelegt worden sei. Unter diesen Umständen sei der am 22. Februar 1974 angetretene Weg nach den glaubhaften Bekundungen der T in jedem Fall ein Weg zu einem ergänzenden Vertragsgespräch gewesen, der von der Aufforderung der Arbeitsverwaltung iS des § 539 Abs 1 Nr 4 b RVO gedeckt war. Es hieße den Begriff der Arbeitsvermittlung iS des § 13 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu verkennen und das Aufgabengebiet der Arbeitsverwaltung zu verkürzen, wenn die Arbeitsvermittlung auf Fälle einer einmaligen Zusammenführung eines Arbeitsuchenden mit einem Arbeitgeber beschränkt werde. Das Arbeitsamt Trier - Dienststelle B - habe in seinem Schreiben an die Beklagte vom 2. Juni 1976 zum Ausdruck gebracht, daß es seine Aufgabe nicht so eingeschränkt verstehe. Sein Einverständnis habe auch zu der erneuten Vorstellung der T als erteilt gegolten, weil die Einstellungsbesprechung habe zum Abschluß gebracht werden müssen. Ob der Unfall der T auch aus einem anderen Rechtsgrund unfallversicherungsrechtlich geschützt sei mit der Folge, daß nicht die Klägerin (§ 654 Nr 1 RVO), sondern die Beigeladene zu 2) der zuständige Unfallversicherungsträger ist, müsse dahingestellt bleiben, weil die Klägerin diesen Versicherungsträger nicht - auch nicht im Wege der Anschlußberufung - in Anspruch genommen habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Nach § 539 Abs 1 Nr 4 b RVO ständen Personen, die der Meldepflicht nach den Vorschriften des AFG unterlägen, nur dann unter Versicherungsschutz, wenn sie auf Aufforderung der BA diese oder eine andere Stelle aufsuchen. Diese Vorschrift sei enger auszulegen als § 543a RVO aF, der nur auf "Veranlassung" abgestellt habe. Wenn zwischen den Begriffen "Aufforderung" und "Veranlassung" inhaltlich auch kein wesentlicher Unterschied bestehe, so stelle doch der Begriff "Aufforderung" auf eine ausdrückliche Willenserklärung ab. Im vorliegenden Fall habe sich die Willenserklärung auf das Aufsuchen des Hotels "S" am 21. Februar 1974 zwecks Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses bezogen. Das zweite Aufsuchen des Hotels am 22. Februar 1974 werde von § 539 Abs 1 Nr 4 b RVO nicht mehr erfaßt. Für die Absicht, den Arbeitgeber von der Entscheidung zu unterrichten, ob auch Feiertagsarbeiten übernommen werden würden, könne eine "Aufforderung" seitens der BA nicht mehr unterstellt werden. Es handele sich hierbei ausschließlich um eine private Abmachung, die weitere Verhandlungen nicht mehr erforderlich gemacht habe und auch fernmündlich hätte mitgeteilt werden können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 10. Oktober 1979
aufzuheben und die Beklagte zur Ersatzleistung
zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
den zuständigen Unfallversicherungsträger
zur Übernahme der Heilbehandlungskosten zu
verpflichten.
Sie trägt vor, daß T sich am 22. Februar 1974 auf dem Weg zu einer ergänzenden Vertragsbesprechung befunden habe, der von der Aufforderung der Arbeitsverwaltung gedeckt gewesen sei. Am 21. Februar 1974 sei noch kein wirksamer Arbeitsvertrag zustande gekommen. Auch das Arbeitsamt Trier habe in seinem Schreiben vom 2. Juni 1976 deutlich gemacht, daß es seine Aufgabe nicht auf eine einmalige Zusammenführung eines Arbeitsuchenden mit einem Arbeitgeber beschränkt sehe.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Klägerin ist die BA und nicht die Bundesrepublik Deutschland. Nach § 654 Abs 1 AVO ist die BA Träger der Unfallversicherung in den Fällen des § 539 Abs 1 Nr 4 RVO, wenn der Verletzte nicht auch nach anderen Vorschriften versichert ist. Die Aufgaben der BA als Träger der Unfallversicherung nimmt nach § 766 Abs 1 RVO die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BAfU) wahr.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Ein Ersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte kommt nur in Betracht, wenn die Krankheit der T, für deren Behandlung die Klägerin 4.357,62 DM aufgewendet hat, nicht Folge eines Arbeitsunfalls gewesen ist (§ 1509a RVO). Denn nur dann hätte die Beklagte, bei der T nach § 155 AFG für den Fall der Krankheit versichert war, die Aufwendungen aus Anlaß der Krankenhauspflege (§ 184 RVO) tragen müssen.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß T am 22. Februar 1974 einen von der Klägerin zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat. Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit. Als T am 22. Februar 1974 zum Hotel "S" fuhr, war sie nach § 539 Abs 1 Nr 4 b RVO versichert. Hiernach sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die nach den Vorschriften des AFG der Meldepflicht unterliegen, wenn sie auf Aufforderung einer Dienststelle der BA diese oder eine andere Stelle aufsuchen. Daß T als Bezieherin von Arbeitslosengeld nach § 132 AFG der Meldepflicht unterlag, hat das LSG zutreffend festgestellt (vgl BSGE 25, 214, 216). Ihm wird auch darin zugestimmt, daß T vom zuständigen Arbeitsamt durch Aushändigung einer Vermittlungskarte die Aufforderung erhalten hat, sich persönlich bei dem auf der Vermittlungskarte genannten Arbeitgeber vorzustellen (vgl Nr 50 Abs 3 der Richtlinien für die Arbeitsvermittlung der BA vom 3. September 1962 - Richtlinien 1962 -, ANBA 1962, Beilage). Diese Aufforderung galt nicht nur für die erste Vorstellung der T bei dem Hotel "S" am 21. Februar 1974, sondern auch für das von T beabsichtigte Aufsuchen des Hotels "S" am 22. Februar 1974. Ziel der Arbeitsvermittlung ist es, arbeitsuchende Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Begründung von Arbeitsverhältnissen zusammenzuführen (§§ 13, 14 AFG; BSG SozR 4100 § 4 Nr 2; Nr 4 der Richtlinien 1962). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht mangels zulässiger und begründeter Rügen gebunden ist (§ 163 SGG), war am 21. Februar 1974 über einen wesentlichen Teil des zwischen T und dem Hotel "S" zu schließenden Arbeitsvertrages noch keine Einigung erzielt, nämlich über den Tag und die Stunde der Arbeitsaufnahme. Diese Regelung hatte T von der Zustimmung ihres Ehemannes zur Verrichtung von Arbeiten an Samstagen und Sonntagen abhängig gemacht. Das Ziel der Arbeitsvermittlung - die Begründung eines Arbeitsverhältnisses - war somit am 21. Februar 1974 noch nicht erreicht, aber die Vermittlungsbemühungen waren auch noch nicht gescheitert. Da die Arbeitsvermittlung des Arbeitsamts dem Arbeitsuchenden durch ihren Vermittlungsvorschlag nicht die Verantwortung dafür abnimmt, ob und zu welchen Bedingungen er einen Arbeitsvertrag schließt, er vielmehr selbst zu prüfen hat, ob die vorgeschlagene Stelle für ihn geeignet ist (vgl Nr 46 Abs 6 der Richtlinien 1962), ist dem Arbeitsuchenden auch eine gewisse Überlegungszeit und eine Rücksprache mit dem Ehegatten zuzubilligen, bevor er sich über Annahme oder Ablehnung des Angebots entscheidet. Denn bei der Arbeitsvermittlung ist den berechtigten Wünschen der Arbeitsuchenden Rechnung zu tragen (Nr 12 der Richtlinien 1962); bei der Arbeitsvermittlung von Frauen sind insbesondere die häuslichen und familiären Bindungen zu berücksichtigen (Nr 48 der Richtlinien 1962). Das alles rechtfertigt, die Aufforderung des zuständigen Arbeitsamts an T zum Aufsuchen des Hotels "S" nicht mit der ersten Vorstellung am 21. Februar 1974 als erledigt anzusehen. Auch das beabsichtigte Aufsuchen des Hotels "S" am 22. Februar 1974 geschah noch im Rahmen des vom Arbeitsamt verfolgten Ziels, zwischen T und dem Hotel "S" ein Arbeitsverhältnis zu begründen und wurde daher von der mit der Aushändigung der Vermittlungskarte verbundenen Aufforderung, sich bei dem Hotel "S" vorzustellen umfaßt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß T die mit ihrem Ehemann getroffene Entscheidung, mit dem Hotel "S" ein Arbeitsverhältnis zu begründen, auch telefonisch hätte übermitteln können. Abgesehen davon, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG auch noch Verhandlungen über den Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme erforderlich waren, umfaßte die Aufforderung zum Aufsuchen des Hotels "S" alle zur Begründung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Handlungen. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn der Arbeitgeber zunächst nur eine schriftliche Bewerbung gewünscht hat (Nr 50 Abs 5 der Richtlinien 1962) und dementsprechend eine Aufforderung an den Arbeitsuchenden zum Aufsuchen des Arbeitgebers nicht ergangen ist.
Da T sich am Unfalltag auf einem mit der nach § 539 Abs 1 Nr 4 b RVO versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach dem Ort der Tätigkeit - dem Hotel "S" - befunden hat, gilt der dabei erlittene Unfall nach § 550 Abs 1 RVO als Arbeitsunfall. Ob T auch nach anderen Vorschriften, etwa nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO iVm § 550 Abs 1 RVO versichert war, etwa weil sie sich auf einem Weg befunden hat, der zur Aufnahme der Beschäftigung bei dem Hotel "S" führen sollte (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 1), kann dahinstehen. Denn auch in einem solchen Fall hätte T einen Arbeitsunfall erlitten und die Kosten der Krankenhauspflege wären von einem Träger der Unfallversicherung und nicht von der Beklagten zu tragen (§§ 547, 557 ff RVO).
Die Revision der Klägerin mußte daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1654884 |
BSGE, 177 |
Breith. 1981, 575 |