Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstverpflichtung in einem Rüstungsbetrieb. unmittelbare Kriegseinwirkung. Verschleppung
Orientierungssatz
1. BVG § 7 Abs 1 Nr 3 legt nur den Kreis der Ausländer erschöpfend fest, die in der Lage sind, einen Rechtsanspruch auf Versorgung zu erwerben; diese Gesetzesvorschrift begründet einen solchen Anspruch nicht (vgl BSG 1974-08-27 9 RV 406/73 9 RV 406/73 = SozR 3100 § 8 Nr 1). Hierzu ist ein versorgungsrechtlich geschützter Tatbestand iS der BVG §§ 1 ff erforderlich (vgl BSG 1969-10-30 8 RV 89/68 = BSGE 30, 115, 116 f = SozR Nr 8 zu § 7 BVG).
2. Die Beschäftigung einer dienstverpflichteten Ausländerin, die zu den anderen Kriegsopfern iS des BVG § 7 Abs 1 Nr 3 zählen kann, in einem Rüstungsbetrieb ist weder militärischer noch militärähnlicher Dienst iS der BVG §§ 2 und 3.
3. Zur Auslegung des Begriffs "Verschleppung" iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst d.
Normenkette
BVG § 2 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 3 Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1950-12-20, Buchst. k Fassung: 1950-12-20, § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07, § 7 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1964-02-21
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.06.1979; Aktenzeichen L 2 V 193/78) |
SG Kiel (Entscheidung vom 30.10.1978; Aktenzeichen S 7 V 122/78) |
Tatbestand
Die Klägerin, gebürtige Russin, jetzt heimatlose Ausländerin mit Wohnsitz im Bundesgebiet, begehrt Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BSG).
Sie war nach ihren Angaben im Mai 1943 in ihrem in Weißrußland gelegenen Heimatort auf Veranlassung der Gestapo von weißruthenischer Polizei verhaftet, vorübergehend festgehalten und sodann nach Hamburg gebracht worden. Dort sei sie von Ende Juli 1943 bis zur Kapitulation in einem mit zwei Meter Stacheldrahtzaun umgebenen und bewachten Arbeitslager untergebracht und zur Arbeit in einem Rüstungsbetrieb angehalten worden. Auf die Verhältnisse in diesem Lager führt sie die Erkrankung an Lungentuberkulose sowie an Psychopathie und Debilität zurück. Sie habe nämlich, so führt die Klägerin weiter aus, im Herbst 1944 eine schwere Erkrankung durchgemacht. Nach vierzehntägiger Bettruhe habe man sie ohne ausreichende ärztliche Versorgung und bei Weiterbestehen der Krankheitssymptome zur Weiterarbeit gezwungen. Im Jahre 1946 sei anläßlich einer Reihenuntersuchung im DP-Lager eine ältere Lungentuberkulose festgestellt worden. Diese sei nach dem - von der Klägerin vorgelegten - ärztlichen Gutachten ursächlich auf die Zwangsarbeit zurückzuführen.
Das Bundesverwaltungsamt hatte der Klägerin vergleichsweise eine einmalige Kapitalabfindung von 20.000,-- DM gewährt, da nach dem Ermittlungsergebnis sich die nach dem Bundesentschädigungsgesetz anspruchsbegründenden Tatsachen nicht voll nachweisen ließen, eine diskriminierende Behandlung der Klägerin aufgrund ihrer Nationalität aber nicht auszuschließen sei.
Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 9. April 1975; Widerspruchsbescheid vom 20. September 1976). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, die Klägerin habe in einem zivilen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Sie habe nicht bei der Wehrmacht gearbeitet. Die nach den Angaben der Klägerin erstmals im Jahre 1944 aufgetretene Lungentuberkulose sei nicht durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung verursacht. Der Entschädigungstatbestand des § 5 Abs 1 Buchst d 2. Alternative BVG setze voraus, daß die Verschleppung aus einem militärischen Grund erfolgt sei oder in einem ursächlichen Zusammenhang mit militärischen Maßnahmen oder Kampfhandlungen gestanden habe. Da im Jahre 1943 im Gebiet ihres Heimatortes keine Kampfhandlungen stattgefunden hätten, sei die Klägerin nicht im Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen verschleppt worden.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 3 bis 5, 7 und 8 BVG). Sie meint, sie habe militärähnlichen Dienst geleistet, da sie verschleppt und zu Rüstungsarbeiten dienstverpflichtet worden sei. Die Gesundheitsschädigung sei jedenfalls auf kriegseigentümliche Gefahren zurückzuführen. Ihre Tätigkeit habe auch der Vorbereitung von Kampfhandlungen gedient. Die Herstellung von Rüstungsgütern sei als Vorbereitungshandlung zu werten. Nach dem Gesetzeswortlaut sei nicht notwendig, daß die Verschleppung einen militärischen Grund gehabt oder in einem unmittelbaren Zusammenhang mit militärischen Maßnahmen oder Kampfhandlungen gestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Urteile sowie
der zugrundeliegenden Verwaltungsbescheide zu
verurteilen, ihr Versorgung nach dem BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Gewährung von Versorgung nach dem BVG setzt zunächst voraus, daß die Klägerin dem persönlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes zuzurechnen ist. Nach § 7 Abs 1 BVG in der zur Zeit der Antragstellung (21. Februar 1975) maßgebenden Fassung des Zweiten NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85), geändert mit Wirkung ab 1. Juli 1976 durch das 8. Anpassungsgesetz (AnpG-KOV) vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1481) wird das Gesetz angewendet ua auf andere Kriegsopfer - Nichtdeutsche -, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn die Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der Deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist.
Die Klägerin kann als Ausländerin zu den genannten "anderen Kriegsopfern" zählen. Allerdings legt § 7 Abs 1 Nr 3 BVG nur den Kreis der Ausländer erschöpfend fest, die in der Lage sind, einen Rechtsanspruch auf Versorgung zu erwerben; diese Gesetzesvorschrift begründet einen solchen Anspruch nicht (BSG SozR 3100 § 8 Nr 1). Hierzu ist ein versorgungsrechtlich geschützter Tatbestand iS der §§ 1 ff BVG erforderlich (BSGE 30, 115, 116 f = SozR Nr 8 zu § 7 BVG). Davon ist das LSG zutreffend ausgegangen.
Soweit das Berufungsgericht die erste Alternative des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG verneint, ist dies nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat zwar ihren Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes begründet und nach ihren Angaben eine Schädigung in Deutschland erlitten, sie hat aber weder Dienst im Rahmen der Deutschen Wehrmacht noch militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet. Sie gehörte zur Zeit der behaupteten Schädigung keinem deutschen militärischen Verband an (§ 1 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 BVG). Ebensowenig ist die Beschäftigung in einem Rüstungsgebiet als militärähnlicher Dienst iS des § 3 BVG zu werten. Entgegen der Revision hat es nach dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesvorschrift nicht darauf anzukommen, welche Zweckbestimmung der Betrieb hatte, in dem die Klägerin beschäftigt worden war. Selbst wenn die Produktion in diesem Betrieb dem Deutschen Reich als kriegführender Macht und damit letztlich auch der Wehrmacht dienlich gewesen sein sollte, ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Dienstleistung für Zwecke der Deutschen Wehrmacht (§ 3 Abs 1 als kriegführender Macht und damit letztlich auch der Wehrmacht Tatbestandsvoraussetzung der "Einberufung durch eine militärische Dienststelle" sowie an der "Veranlassung eines militärischen Befehlshabers" fehlt - die tatsächlichen Feststellungen des LSG, die insoweit nicht angegriffen und somit für das Bundessozialgericht (BSG) bindend sind (§ 163 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) bieten keine entsprechende Handhabe -, muß ein solcher Dienst unmittelbar für spezifische Zwecke der Wehrmacht verrichtet worden sein, zB Schanzarbeiten, Brückenbau, Auswerfen von Panzer- oder Schützengräben (BSGE 21, 266, 268). Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang ist bei der Herstellung von Rüstungsgütern nicht gegeben. Auch findet § 3 Abs 1 Buchst k BVG keine Anwendung. Diese Vorschrift erfaßt zwar jeden Dienst, auch wenn er nicht für Zwecke der Wehrmacht geleistet wurde (BSGE 6, 129, 130). Indes fehlen Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin aufgrund der Dritten Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 (RGBl I 1440) dienstverpflichtet worden war. Der angebliche zwangsweise Arbeitseinsatz ist nicht der genannten Dienstverpflichtung gleichzusetzen. Ferner war die Klägerin nicht Zivilbedienstete der Wehrmacht, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob der die militärähnliche Dienstverrichtung begründende Ausnahmetatbestand "Arbeitseinsatz verbunden mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren" zu bejahen ist (§ 3 Abs 2 BVG). In dieser Vorschrift ist die Dienstverpflichtung mit dem Arbeitsvertrag gleichgesetzt. Dies ist deshalb geschehen, weil nach § 2 Abs 2 der Dienstpflicht Durchführungsverordnung vom 2. März 1939 (RGBl I 403) zur Notdienstverordnung vom 13. Februar 1939 (RGBl I 206) das Arbeitsverhältnis zwischen der Wehrmacht und dem Verpflichteten mit Zustellung des Verpflichtungsbescheides durch das Arbeitsamt als abgeschlossen galt. Demzufolge verlangt § 3 Abs 2 BVG, wie der Wortlaut des Gesetzes "Dienstverpflichtung oder Arbeitsvertrag bei der Wehrmacht" verdeutlicht, ein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Wehrmacht (BSGE 12, 106 SozR Nr 18 zu § 3 BVG). Ein solches lag nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG nicht vor. Ebensowenig sind die weiteren in § 3 Abs 1 und § 4 BVG genannten Gesetzestatbestände erfüllt.
Soweit als Anspruchsgrundlage § 7 Abs 1 Nr 3 (zweite Alternative) iVm § 1 Abs 2 Buchst a, § 5 Abs 1 Buchst d BVG in Betracht kommen könnte, ist dem Berufungsgericht zunächst darin beizupflichten, daß eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne der genannten Gesetzesvorschriften - abgesehen von den Fällen des § 6 BVG - nur dann vorliegt, wenn einer der Tatbestände des § 5 BVG erfüllt ist (BSGE 2, 29, 31 f und 265, 268; 5, 116, 117; 12, 100, 102; ebenso zu § 8 BVG: BSG SozR 3100 § 8 Nr 1 und Nr 3). Nach der Schilderung der Klägerin ist sie im Mai 1943 auf Veranlassung der Gestapo von weißruthenischer Polizei verhaftet und wenig später gewaltsam nach Hamburg verbracht worden. Dort soll dann auch die gesundheitliche Schädigung eingetreten sein. Demzufolge kommt als unmittelbare Kriegseinwirkung nur die letzte Alternative des § 5 Abs 1 Buchst d BVG "schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind" in Betracht. Unter Verschleppung versteht man dabei eine zwangsweise rechtswidrige Verbringung eines Menschen an einen anderen Ort (BSG SozR Nr 3 zu § 2 Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen -UBG-), oder die Verhinderung seiner Rückkehr. Ob dabei ein Ortswechsel allein genügt (BSG SozR Nr 26 zu § 5 BVG) oder eine Verschleppung begrifflich die Überführung in ein ausländisches Staatsgebiet, dh ein für den Betroffenen in bezug auf seine Staatsangehörigkeit fremdes Staatsgebiet voraussetzt (BSG SozR Nr 44 zu § 5 BVG), kann dahinstehen. Denn die Klägerin ist, wie sie behauptet, gegen ihren Willen als sowjetische Staatsangehörige nach Deutschland gebracht worden. Diese aus der Sicht der Klägerin ihr zugefügte Zwangsmaßnahme war von einer deutschen staatlichen Stelle - der Gestapo - veranlaßt worden. Dem steht die Annahme eines schädigenden Vorgangs iS des § 5 Abs 1 Buchst d nicht entgegen (BSGE 12, 99/100, 102/103 = SozR Nr 27 zu § 5 BVG; BSG SozR Nr 44 zu § 5 BVG; BSG Urteil vom 1971-05-25 - 10 RV 123/70 -, abgedruckt in VdK-Mitt 1971 S 301). Jedoch läßt sich daraus ein Versorgungsanspruch noch nicht ableiten.
Nach § 5 Abs 1 BVG gelten die in Buchstaben a bis e genannten Entschädigungstatbestände als unmittelbare Kriegseinwirkung, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen. Daraus schließt das LSG, daß auch eine Zwangsumsiedlung oder eine Verschleppung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit kriegerischen oder militärischen Vorgängen stehen müßten. Das hierzu vom Berufungsgericht angeführte Urteil des BSG (BSGE 4, 193, 196 f) bietet für diese Rechtsauffassung eine gewisse, wenn auch nicht eindeutig - zwingende Stütze. Nach dieser Entscheidung, die übrigens zu Art 1 Abs 1 BayKBlG iVm § 2 Abs 1 Buchst a DV vom 1. Mai 1949 (Bayer GVBl S 113) ergangen ist, ist der Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung in dem Sinne eng auszulegen, daß hierunter nur solche Einwirkungen bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu verstehen sind, bei denen das Deutsche Reich kriegführende Macht war. An anderer Stelle hat das BSG ausgeführt, nach den deutschen Versorgungsgesetzen sollten nur diejenigen Personen Entschädigung erhalten, die aus Anlaß einer kriegerischen Auseinandersetzung geschädigt worden sind (BSGE 21, 266, 169). Dem LSG ist einzuräumen, daß in § 5 Abs 1 Buchst a bis c und e BVG kriegführende Macht war. An anderer Stelle hat das BSG ausgeführt, "besondere Umstände der Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib und Leben" und "nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben" tatbestandsmäßige Voraussetzungen für einen Versorgungsanspruch sind. Daraus könnte man schließen, daß die Opferlage iS des BVG auf Fälle beschränkt sein soll, in denen jemand in einer engen direkten Verknüpfung mit kriegerischem Geschehen geschädigt wurde. Dieser Gedanke ließe sich auch auf den Tatbestand der Verschleppung erstrecken. Es wäre an entsprechende Maßnahmen zur Sicherung eines Gebiets oder zur Vorbeugung einer Partisanengefahr zu denken. Jedoch ist in § 5 Abs 1 Buchst d BVG von solchen kriegerischen oder militärischen Maßnahmen oder Vorgängen nicht die Rede. Es werden dort schädigende Vorgänge genannt, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebiets oder mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Wegen dieses im Gesetzestext in Erscheinung tretenden Unterschieds hat es der 10. Senat des BSG für angebracht gehalten, die zwangsweise Umsiedlung oder Verschleppung nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit kriegerischen oder militärischen Ereignissen zu sehen (BSG SozEntsch BSG IX/3 § 5 BVG Nr 13 und Nr 76). Ferner spricht für eine extensive Auslegung der fraglichen Gesetzesvorschrift die gebrauchte Wortwahl "Umsiedlung" anstelle "Evakuierung oder Räumung". Demgemäß sollen an den ebenfalls in § 5 Abs 1 Buchst d BVG genannten Begriff "Verschleppung" keine strengeren Maßstäbe angelegt werden. So hatte beispielsweise der 10. Senat eine Verschleppung iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG bei einer Verhaftung im Baltikum mit dem Ziele des zwangsweisen Arbeitseinsatzes im Reichsgebiet angenommen (Urteil vom 1971-05-25 - 10 RV 123/70 -, abgedruckt in VdK-Mitt 1971 S 301). Die VV Nr 2 letzter Satz zu § 5 BVG teilt offensichtlich die dort vertretene Rechtsansicht. Danach liegt eine Umsiedlung oder Verschleppung auch dann vor, wenn sie von einer deutschen staatlichen Stelle angeordnet war, ohne im Zusammenhang mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes zu stehen.
Indes erscheint nicht unbeachtlich, daß möglicherweise damit eine Ungleichbehandlung mit solchen deutschen Arbeitskräften bewirkt wird, die zwangsweise, jedoch ohne Anwendung der Notdienstverordnung 1938, zu Rüstungsarbeiten sowohl im Inland wie im Ausland herangezogen worden sind. So sind auch Arbeiten für die Wehrmacht, die nicht unter die engbegrenzten Tatbestände des § 3 Abs 1 und 2 BVG fielen, nicht dem militärähnlichen Dienst zuzurechnen. Gleiches gilt für Bauarbeiten der Organisation Todt (OT) und im Baustab Speer (Osteinsatz), es sei denn sie sind in einem eingeschränkten Sinn für Zwecke der Wehrmacht geleistet worden (BSG SozR 3100 § 3 Nr 5). Demzufolge könnten Ausländer, wenn die vom LSG genannten engen Voraussetzungen für den Verschleppungstatbestand nicht gelten sollten, durch ihre Tätigkeit in Rüstungsbetrieben, die der Wehrmacht nur mittelbar zugutekamen, letztlich besser behandelt werden als die überwiegende Mehrzahl der deutschen Rüstungsarbeiter, die allein wegen des Verbringens in ein anderes Staatsgebiet versorgungsrechtlich nicht geschützt werden. Schließlich wird die Internierungshaft von Deutschen im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten dem militärischen Dienst nur dann gleichgestellt, wenn sie wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit stattgefunden hatte (§ 1 Abs 2 Buchst c BVG).
Welcher der genannten Erwägungen der Vorzug zu geben ist, kann unter den gegebenen Umständen vorerst dahingestellt bleiben. Denn im Streitfall fehlt es bisher an einer lückenlosen Entscheidungsgrundlage. Insoweit wird das LSG noch entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die bei der dort vertretenen Rechtsansicht zunächst entbehrlich waren.
Nach § 5 Abs 1 Buchst d BVG gelten als unmittelbare Kriegseinwirkung solche schädigende Vorgänge, die ua infolge einer mit der Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Dabei bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Einfügung des Wortes "besondere" vor "Gefahr" eine Einschränkung des zu berücksichtigenden Gefahrenkreises (BSGE 2, 99, 101 f; 3, 263, 267 f; 4, 234, 236; 6, 288, 292 f; 6, 294, 296; 8, 203, 204 f; 16, 195 = SozR Nr 32 zu § 5 BVG; BSG SozEntsch BSG IX/3 § 5 BVG Nr 76). Demgemäß sind Gefahren, die ihrer Art nach etwa in ähnlicher Weise bei der Klägerin in ihrem Heimatgebiet hätten eintreten können, wenn sie nicht verschleppt worden wäre, als Versorgungsgrund auszuschließen. Die besondere Gefahr könnte darin gesehen werden, daß die Klägerin ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand bei unzureichender Ernährung zur Arbeitsleistung gezwungen worden ist. Aber nicht jeder einem Kranken, Arbeitsunfähigen oder Arbeitsbehinderten gegenüber ausgeübte Zwang zur Fortsetzung der Arbeit erfüllt diese Voraussetzungen. Vielmehr kommt es auf Art und Schwere der Erkrankung an. Außerdem wird zu beachten sein, ob die Klägerin ihre Arbeit im Heimatgebiet wegen ihrer Erkrankung unterbrochen hätte. In diesem Zusammenhang wäre auch wichtig, welche Arbeiten die Klägerin im einzelnen zu verrichten hatte und ob ihr dies unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes, Lebensalters und der bisherigen beruflichen Tätigkeit zumutbar war. Schließlich ist zu klären, ob die Klägerin einer besonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt war. Solches wäre zu bejahen, wenn in ihrer Umgebung Tuberkulosefälle aufgetreten sind und die Klägerin mit entsprechenden Erkrankten aufgrund der Unterbringungsverhältnisse notwendigerweise in Berührung gekommen ist. Überdies wird es noch darauf anzukommen haben, ob überhaupt festgestellt werden kann, wann die Erstsymptome der Lungenerkrankung in Erscheinung getreten sind, oder ob es sich gegebenenfalls um eine Reinfektion handelt. Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten werden die entsprechenden Ermittlungen anzustellen sein.
Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen