Orientierungssatz

Die in dem 1. Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern vom 1971-03-18 (BGBl 1 1971, 208) vorgesehenen Stellenzulagen sind bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens aus selbständiger Tätigkeit nach der DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 nicht zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BesVNG 1 Art. 2 § 6 Fassung: 1971-03-18; BVG§30Abs3u4DV § 5; BesVNG 1 Art. 2 § 11 Fassung: 1971-03-18

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juni 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger bezieht Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H.; außerdem wird ihm Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gewährt, wobei als Durchschnittseinkommen gemäß § 5 der Durchführungsverordnung (DVO) zu dieser Vorschrift das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zugrunde gelegt ist. Dabei wurde angenommen, daß der Kläger bei gesunder Rückkehr wahrscheinlich Bäckermeister geworden wäre. Streitig ist die Höhe des Berufsschadensausgleichs für die Zeit vom 1. Mai 1971 an.

Der Beklagte stellte durch Bescheid vom 7. Januar 1972 für die Zeit vom 1. Januar 1971 an u. a. den Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung der Dienstbezüge des Klägers aus seiner Tätigkeit als Bundesbahnhauptsekretär endgültig fest. Mit dem Widerspruch begehrte der Kläger, bei der Festsetzung des Durchschnittseinkommens eine gemäß Art. II § 6 Abs. 3 des 1. Besoldungs-Neuregelungsgesetzes vom 18. März 1971 zu gewährende Zulage zusätzlich zu den Beträgen des Endgrundgehaltes der Besoldungsgruppe A 9 zu berücksichtigen. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 22. Februar 1972), weil die Stellenzulage weder zu den Endgrundgehältern noch den Ortszuschlägen gehöre.

Die Klage ist durch Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 10. Oktober 1972 aus den gleichen Gründen abgewiesen und die Berufung zugelassen worden. Auch die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts - LSG - vom 19. Juni 1973). Durch Art. II § 6 Abs. 3 und § 11 des Ersten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern vom 18. März 1971 (BGBl I S. 208 ff) seien zwar ruhegehaltsfähige Stellenzulagen eingeführt worden, jedoch sei das Endgrundgehalt nicht erhöht werden. Hierdurch werde an dem Vergleichsgrundgehalt der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, auf welche das Gesetz die pauschalierte Abgeltung aufbaue, nichts geändert. Der Gesetzeswortlaut sei klar und nicht ausdehnend auslegbar. Infolgedessen sei die Berechnung des Beklagten im angefochtenen Bescheid zutreffend. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt:

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Sozialgerichtsurteils vom 10. Oktober 1972 sowie in Abänderung des Bescheides vom 7. Januar 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1972 den Beklagten zu verurteilen, der Berechnung des Berufsschadensausgleichs des Klägers das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe A 9, BBesG, um die ruhegehaltsfähige Stellenzulage erhöht, ab 1. Mai 1971 zugrunde zu legen.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.V.m. § 5 Abs. 1 der DVO zu dieser Vorschrift. Die DVO sei seit 1968 den inzwischen eingetretenen Veränderungen im Berufs- und Wirtschaftsleben nicht mehr angepaßt worden.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel konnte keinen Erfolg haben.

Für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des BVG vom 10. Juli 1970 und den seither erfolgten Änderungen i.V.m. § 5 der DVO vom 28. Februar 1968 maßgebend. Nach § 30 Abs. 4 BVG ist Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung wahrscheinlich angehört hätte. Allgemeine Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Bundesgebiet und die jeweils geltenden beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs- oder Vergütungsgruppen des Bundes. Gemäß § 30 Abs. 7 BVG ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, a) welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, b) ..., c) was als derzeitiges Bruttoeinkommen gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden. Nach § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG ist Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und mit abgelegter Meisterprüfung das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 BBesG. Das LSG hat zu Recht ausgeführt, daß diese Vorschrift eindeutig ist und nicht ausdehnend ausgelegt werden kann. Es hat auch zutreffend dargelegt, daß das in § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG festgelegte Durchschnittseinkommen (Vergleichseinkommen) nicht um die in den Besoldungsgesetzen für Beamte vorgesehenen Stellenzulagen zu erhöhen ist, weil sich hierfür keine rechtliche Handhabe bietet.

Durch die in § 30 Abs. 7 BVG enthaltene gesetzliche Ermächtigung ist der Bundesregierung - mit Zustimmung des Bundesrates - ein umfangreiches Gestaltungsrecht hinsichtlich der Bestimmung der Berufs- und Wirtschaftsgruppen und der zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehenden Vergleichsgrundlage eingeräumt worden.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese weitgefaßte Ermächtigung in § 30 Abs. 7 BVG als vereinbar mit Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erklärt (Entscheidung vom 14. Mai 1969 in BVerfG 26, 16 = SozR GG Art. 80 Nr. 1). Bei der Prüfung dieses weiten Ermessensrahmens muß einerseits berücksichtigt werden, daß die Regelung des Berufsschadensausgleichs dem Bereich der gewährenden Staatsverwaltung angehört, für welche dem Gesetzgeber eine weitere Gestaltungsfreiheit zusteht als im Rahmen der Eingriffsverwaltung. Zum anderen ist bei der Vielzahl der zu ordnenden Tatbestände die Schaffung von generalisierenden und pauschalierenden Regelungen unerläßlich (vgl. BVerfG 17, 1, 23). Eine solche generalisierende Berechnungsmethode bringt Begünstigungen, aber notwendigerweise auch nachteilige Einstufungen mit sich. Um die vom Gesetzgeber erstrebte Praktikabilität nicht zu gefährden, war mit der Schaffung des Berufsschadensausgleichs ein konkreter und individueller Ausgleich nicht beabsichtigt. Das ergibt sich u. a. schon daraus, daß nicht ein voller Ausgleich gewährt, sondern nur ein im Gesetz näher bestimmter Bruchteil des Einkommensverlustes ersetzt wird (vgl. § 30 Abs. 3 BVG).

Dem Verordnungsgeber ist somit ein weiter Ermessens- und Beurteilungsspielraum eingeräumt. Er hat die Vergleichsgrundlage zu bestimmen und darf insoweit neben wirtschaftlichen auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigen, sofern er sich nicht von den gesetzlichen Grundlagen des Berufsschadensausgleichs entfernt. Er hat in diesem Rahmen auch darüber zu bestimmen, ob und von welchem Zeitpunkt an höhere Leistungen gewährt und ob aus sozialen Gründen oder aus Gründen der materiellen Gleichbehandlung gewisse Höchstgrenzen nicht überschritten werden. Eine jährliche Anpassung (Dynamisierung) ergibt sich bereits dadurch, daß nach § 5 DVO die jeweils geltenden Endgrundgehälter der Beamten als Vergleichseinkommen maßgebend sind.

Es ist nicht zu verkennen, daß der Gesetzgeber die Ermächtigung in § 30 Abs. 7 BVG gerade deshalb so weit gefaßt hat und auch fassen durfte, damit der Verordnungsgeber bei dem Erlaß der Vorschriften zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG den ständigen Veränderungen des Berufs- und Wirtschaftslebens Rechnung tragen kann (vgl. BVerfG vom 14. Mai 1969 aaO). Die letzte größere Änderung und Anpassung war zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Entscheidung durch die DVO vom 28. Februar 1968 vorgenommen worden, seitdem waren mehr als 5 Jahre vergangen. Der Kläger konnte deshalb mit Recht darauf hinweisen, daß in dieser Zeit die strukturellen Verbesserungen der Beamtenbesoldung nicht nur voll wirksam geworden, sondern weiter ausgebaut worden waren. Inzwischen hat aber der Verordnungsgeber diesen Veränderungen mit der VO zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 11. April 1974 (BGBl 1974 I S. 927) Rechnung getragen. Nach § 5 dieser DVO ist Vergleichseinkommen bei selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgelegter Meisterprüfung unverändert das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9. Bei dieser Neuregelung hat der Verordnungsgeber die Stellenzulagen des Ersten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechtes in Bund und Ländern vom 18. März 1971 ausdrücklich nicht in das Durchschnittseinkommen aus selbständiger Tätigkeit mit einbezogen. Er hat auch in § 5 für die selbständig Tätigen mit Volksschul- und abgeschlossener Mittelschulbildung die bisherigen Besoldungsgruppen A 5 bis A 11 beibehalten, ohne die durch die Zulagen praktisch erzielten Gehaltsaufbesserungen etwa durch eine Änderung der maßgebenden Besoldungsgruppen zu berücksichtigen. Dagegen ist in § 5 für die selbständig Tätigen mit abgeschlossener Hochschulausbildung eine Verbesserung in der maßgebenden Besoldungsgruppe eingeführt, wie dies auch an anderer Stelle der DVO geschehen ist. Im Hinblick auf die neue DVO ist also davon auszugehen, daß der Verordnungsgeber bei den selbständig Tätigen mit Volksschulbildung keinen Anlaß gesehen hat, an dem Gefüge des Besoldungswesens oder an der hier maßgebenden Besoldungsgruppe A 9 (vgl. BSG SozR Nr. 6 zu § 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG) etwas zu ändern. Die Neufassung der DVO (vom 11. April 1974) legt zwingend den Schluß nahe, daß das Schema der Besoldungsgruppen und Endgrundgehälter bei den selbständig Tätigen beibehalten und nicht durch Zwischenstufen (Zulagen) oder sonstige Unterscheidungsmerkmale ergänzt werden sollte.

Das Berufungsgericht hat also zu Recht nach dem damals geltenden Rechtszustand entschieden, daß als Durchschnittseinkommen für den Kläger nur das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 zuzüglich des Ortszuschlages nach Stufe 2 und Ortsklasse A des BBesG in Betracht kommt. Dieses Ergebnis entspricht auch der neuen Rechtslage, so daß die Revision des Klägers keinen Erfolg haben konnte. Sie mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648456

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge