Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit eines Grundurteils. Anspruch auf Mindestgeldleistung. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtskraft eines Grundurteils hindert nicht die Entscheidung, daß kein auszuzahlender Betrag verbleibt.
2. Der Sozialhilfeträger hat bei einem Anspruch des Berechtigten auf Arbeitslosenhilfe gegen den vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger einen Erstattungsanspruch wegen seiner Leistungen an den Berechtigten, dessen im Haushalt lebenden Ehegatten und minderjährige Kinder.
3. Leistungen an den Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft stehen den Leistungen an einen Ehegatten gleich.
Orientierungssatz
Die für ein volljähriges Kind gewährte Sozialhilfe ist in den Erstattungsanspruch des § 104 Abs 2 SGB 10 nicht einbezogen.
Normenkette
SGB 10 § 104 Abs 1 S 1, § 104 Abs 2, § 107; BSHG §§ 11, 90, 122, 140; SGG § 141; RVO § 1531
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 06.05.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 87/87) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 31.07.1987; Aktenzeichen S 9 Ar 199/86) |
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger nachträglich bewilligte Arbeitslosenhilfe (Alhi) teilweise an ihn selbst auszuzahlen ist oder in voller Höhe an die Beigeladenen zu erstatten war.
In der Zeit vom 24. November 1981 bis 31. März 1986 bezogen der 1943 geborene Kläger und seine Familie mit kleineren Unterbrechungen Sozialhilfeleistungen von den beiden beigeladenen Verbandsgemeinden, zunächst von der Beigeladenen zu 1., später von der Beigeladenen zu 2. Bis zum 30. Juni 1983 zahlte die Beigeladene zu 1. an den Kläger, seine frühere Ehefrau, mit der er auch nach der seit 8. April 1982 rechtskräftigen Scheidung in einem gemeinsamen Haushalt lebte, und seine fünf minderjährigen Kinder Sozialhilfe, allein für den Kläger in Höhe von 14.138,70 DM.
Vom 1. Juli 1983 bis zum 31. März 1986 erhielten der Kläger, seine geschiedene Frau und die Kinder von der Beigeladenen zu 2. Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 42.700,57 DM, wovon auf den Kläger Leistungen in Höhe von 9.053,32 DM entfielen.
Durch Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Oktober 1985 (Az: L 6 Ar 79/83) wurde die Beklagte zur Gewährung von Alhi an den Kläger rückwirkend ab 24. November 1981 verurteilt. In der Folgezeit meldeten die Beigeladenen bei der Beklagten Erstattungsansprüche an.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit bis 30. Juni 1983 Alhi in Höhe von 11.807,50 DM und teilte mit, daß dieser Betrag in voller Höhe der Beigeladenen zu 1. zu erstatten sei. Für die Zeit vom 1. Juli 1983 bis 31. März 1986 bewilligte die Beklagte mit weiterem Bescheid Alhi in Höhe von 20.312,40 DM und teilte dem Kläger zugleich mit, daß dieser Betrag in voller Höhe an die Beigeladene zu 2. überwiesen wurde (Bescheide vom 21. Januar 1986 und vom 9. April 1986; Widerspruchsbescheide vom 12. Mai 1986 und 2. Juni 1986).
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz mit Urteil vom 31. Juli 1987 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 6. Mai 1988).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er meint, keinesfalls könne ein Erstattungsanspruch für die von den Beigeladenen an die geschiedene Ehefrau und die Kinder erbrachten Sozialhilfeleistungen gegeben sein. Selbst wenn ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegenüber der Beklagten gegeben sein sollte, so wäre die Beklagte trotzdem zur Zahlung an den Kläger aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verpflichtet, weil sie zunächst dem Kläger die ihm zustehende Alhi rechtswidrig nicht gezahlt habe. Der Kläger habe daher einen Anspruch gegenüber der Beklagten, so gestellt zu werden, wie er bei rechtmäßigem Handeln der Beklagten gestanden hätte.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Beklagte zu verurteilen, in Abänderung ihrer Bescheide dem Kläger Alhi in Höhe von 11.259,08 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, der Wortlaut des § 104 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) fordere nicht notwendigerweise eine Personenidentität. Eine solche enge Auslegung würde den gesetzgeberischen Zielen widersprechen. Nach dem Grundgedanken des § 104 SGB X solle durch den Erstattungsanspruch nachträglich der Zustand hergestellt werden, der vorgelegen hätte, wenn von Anfang an die vom Gesetz vorgesehene Rangfolge gewahrt worden wäre. Bei rechtzeitiger Bewilligung der Alhi hätte sich für den Kläger, dessen geschiedene Frau und die Kinder genau in der Höhe der zustehenden Alhi ein geringerer Sozialhilfeanspruch ergeben. Und auch nur in der Höhe dieser Differenz sei der Erstattungsanspruch im Rahmen des § 104 SGB X erfüllt worden.
Die Beigeladenen halten das angefochtene Urteil für zutreffend und schließen sich der Argumentation der Beklagten an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hatte im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Der Senat vermag aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht zu entscheiden, ob die Klage wegen der für ein Kind des Klägers nach Eintritt der Volljährigkeit erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe eines betragsmäßig nicht abzugrenzenden Teilbetrages begründet ist.
Das Berufungsurteil ist nur hinsichtlich der Zeit ab 1. Juli 1983 angefochten und somit für die Zeit davor rechtskräftig. Der Kläger begehrt mit der Revision Alhi für die Zeit ab 1. Juli 1983 in Höhe von 11.259,08 DM. Dabei rechnet er auf den Alhi-Anspruch von 20.312,40 DM nur die ihm selbst erbrachte Sozialhilfe von 9.053,32 DM an. Das die Klage abweisende Urteil des LSG geht zutreffend davon aus, daß dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1983 bis zum 31. März 1986 ein Anspruch auf Alhi in Höhe von 20.312,40 DM zustand. Dieser Anspruch ist nach § 107 SGB X auch wegen der von der Beigeladenen zu 2. an die übrigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft erbrachten Sozialhilfeleistungen erloschen, soweit der Beigeladenen zu 2. deswegen ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB X auf Zeiten nach dem 1. Juli 1983, die nunmehr allein betroffen sind, ist nicht zweifelhaft.
Die Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Oktober 1985 (L 6 Ar 79/83), mit dem die Beklagte zur Gewährung von Alhi ab 24. November 1981 verurteilt wurde, steht der Prüfung, ob der Alhi-Anspruch nach § 107 SGB X erloschen ist, auch insoweit nicht entgegen, als die Leistung des Sozialhilfeträgers vor dem 18. Oktober 1985 erbracht wurde und den Leistungsanspruch vor Erlaß des Urteils zum Erlöschen brachte, wovon das LSG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeht.
Das im Vorprozeß ergangene rechtskräftige Urteil ist seiner Art nach ein Grundurteil, da es zur Leistung von Alhi nur dem Grunde nach verurteilt, ohne deren Höhe zu beziffern. Wird der ein solches Grundurteil ausführende Bescheid angefochten und eine höhere Leistung begehrt, so ist das anschließende Gerichtsverfahren im Vergleich zum Vorprozeß wie ein im Zivilprozeß dem Grundurteil folgendes Betragsverfahren zu behandeln. Das gilt auch, wenn der Kläger keine bezifferte Leistung begehrt, sondern einzelne im Bescheid nicht anerkannte Rechnungsposten dem Grunde nach geltend macht, wie dies hier hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Sozialhilfeleistungen für die frühere Ehefrau und die Kinder geschieht.
Das rechtskräftige Urteil vom 18. Oktober 1985, das vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen ist (§ 141 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), besagt nicht, daß die von den Sozialhilfeträgern bis zum Erlaß des Urteils erbrachten Leistungen nicht zum Erlöschen der Alhi geführt haben.
Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Grundurteil auf Leistung an den Kläger ohne Prüfung der erbrachten Sozialhilfe hätte ergehen dürfen. Im Zivilprozeß ist anerkannt, daß ein Grundurteil nur ergehen darf, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der verbleibende Anspruch der Höhe nach Null überschreitet (BGHZ 1, 34; 11, 63; BGH NJW 1962, 1618; BGH VersR 1967, 599). Auch im Verfahren nach dem SGG muß bei Erlaß des Grundurteils feststehen, daß ein Anspruch auf eine Mindestgeldleistung vorhanden oder zumindest wahrscheinlich ist (BSG SozR 1500 § 130 Nr 2). Läßt sich der im Grundverfahren zunächst als wahrscheinlich erachtete Schaden im Betragsverfahren schließlich doch nicht feststellen, so schließt das Grundurteil die vollständige Abweisung der Klage im Betragsverfahren nicht aus (zum Zivilprozeß: BGH Urteil vom 5. Oktober 1965 - 6 ZR 90/64 VersR 1965, 1173; Urteil vom 30. September 1968 - 3 ZR 28/68 BB 1969, 597; zum Sozialgerichtsprozeß: BSGE 18, 178, 181 = SozR Nr 3 zu § 130 SGG; BSG SozR 1500 § 130 Nr 2; Behn ZfS 1990, 116, 118).
Zur Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Grundurteils kann unerörtert bleiben, daß in diesem auch über die Berücksichtigung der an die (frühere) Ehefrau und die Kinder erbrachten Sozialhilfeleistungen hätte entschieden werden können. Denn eine solche Entscheidung ist im Grundurteil nicht erfolgt. Im Vorprozeß war zwar einer der beiden nunmehr beigeladenen Sozialhilfeträger schon beigeladen und dem LSG war der Eintritt der Sozialhilfe auch bekannt. Gleichwohl geht das Grundurteil auf § 107 SGB X nicht ein. Das kann nur dahin verstanden werden, daß nicht darüber entschieden wurde, ob wegen der Sozialhilfeleistungen ein Erstattungsanspruch entstand, der nach der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X den Alhi-Anspruch ganz oder teilweise erlöschen ließ (Anrechnung der Sozialhilfe). Unter diesen Umständen wäre ein ausdrücklicher Vorbehalt, daß über die Anrechnung der Sozialhilfe im Grundverfahren nicht entschieden werde, wünschenswert gewesen. Denn ein Grundurteil sollte eindeutig ergeben, inwieweit es den Streit vorab entscheidet und welchen Teil es dem Betragsverfahren vorbehält (BGH Urteil vom 3. April 1987 - 5 ZR 35/86 NJW - RR 1987, 1277).
Der Anspruch auf Alhi ist dann in Höhe des nach Anrechnung der dem Kläger selbst erbrachten Sozialhilfe verbleibenden Restbetrages von 11.259,08 DM erloschen, wenn der Beigeladenen zu 2. zumindest in dieser Höhe auch wegen der der früheren Ehefrau des Klägers und den Kindern erbrachten Sozialhilfe ein Erstattungsanspruch zusteht. Anspruchsgrundlage ist § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X, der den Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger regelt, iVm § 140 BSHG. Der beigeladene Sozialhilfeträger war in diesem Sinne nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Gewährung der Alhi zu den Sozialhilfeleistungen an die Kinder und an die frühere Ehefrau des Klägers nicht verpflichtet gewesen wäre. Die von der Beklagten zu erbringende Alhi ist nach § 11 Abs 1 Satz 2 BSHG zu berücksichtigendes Einkommen (BVerwG Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 12).
Zum Sozialhilfebezug hat das LSG festgestellt, nach den Angaben der Beigeladenen und den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen (Schreiben der Beigeladenen zu 1. vom 3. Januar 1986 und der Beigeladenen zu 2. vom 13. März 1986 nebst Leistungsaufstellung) sei auszuschließen, daß mit den Erstattungsansprüchen auch Entgeltzahlungen an den Kläger im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geltend gemacht worden seien. Auch Leistungen für Krankenhilfe seien in den Erstattungsforderungen nicht enthalten. Die Leistungsaufstellung der Beigeladenen zu 2. ergebe dies eindeutig für die Zeit vom 1. Juli 1983 bis 31. März 1986. Die Erstattungsforderung der Beigeladenen zu 1. betreffe allein die Sozialhilfeleistungen an den Kläger. Für Leistungen der Krankenhilfe in Höhe von 4.443,31 DM habe die Beigeladene zu 1. einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger geltend gemacht (Schreiben der Beigeladenen zu 1. vom 3. Januar 1986).
Das LSG hat jedoch nicht festgestellt, daß alle mit dem Kläger und dessen geschiedener Ehefrau in Haushaltsgemeinschaft lebenden Kinder auch in dem allein noch streitigen Zeitabschnitt noch minderjährig waren. Nach den in den Leistungsakten enthaltenen Geburtsdaten war das älteste am 30. Dezember 1967 geborene Kind ab 30. Dezember 1985 volljährig. Die streitige Zeit reicht bis zum 31. März 1986. Die in der streitigen Zeit für die frühere Ehefrau und die Kinder erbrachte Sozialhilfe in Höhe von 33.687,25 DM übersteigt den nach Anrechnung der an den Kläger selbst erbrachten Sozialhilfe verbleibenden Restanspruch von 11.259,08 DM erheblich. Dabei ist nicht sicher auszuschließen, daß der auf das älteste Kind für die Zeit ab Eintritt der Volljährigkeit entfallende Anteil im Unterschiedsbetrag enthalten ist. Daher wäre die vollständige Abweisung der Klage nur gerechtfertigt, wenn der Auffassung des LSG zu folgen wäre, daß auch Sozialhilfeleistungen an im Haushalt lebende volljährige Kinder den Erstattungsanspruch auslösen, soweit bei rechtzeitiger Gewährung der Alhi der Sozialhilfeanspruch des Kindes nach § 16 BSHG entfallen wäre.
Der Senat vermag indes der Auffassung des LSG nicht zu folgen, der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X umfasse "ohne die sich aus § 140 BSHG ergebenden Einschränkungen" alle an die Kinder und die geschiedene Ehefrau des Klägers erbrachten Sozialleistungen; eine Personeneinheit zwischen dem Berechtigten und dem Empfänger der Sozialhilfeleistung sei nicht erforderlich; diese schon früher überwiegend vertretene Auffassung sei durch die Einfügung des neuen Abs 2 in § 104 SGB X eindeutig bestätigt.
§ 104 Abs 1 SGB X hat es bei dem Grundsatz belassen, daß dem Sozialhilfeträger gegen einen vorrangig verpflichteten Sozialversicherungsträger Erstattungsansprüche nur hinsichtlich der Leistungsansprüche des Sozialhilfeberechtigten zustehen. Erstattungsansprüche wegen der Unterstützung von Angehörigen des leistungsberechtigten Versicherten kommen nur in den Grenzen von Sondervorschriften in Betracht, nämlich nach § 104 Abs 2 SGB X bei "angehörigenbezogenen" Leistungen (insbesondere kindbezogenen Leistungen), und nach § 140 BSGH.
§ 104 Abs 2 SGB X greift hier nicht ein. Danach besteht der Erstattungsanspruch aus Abs 1 auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger (hier dem Sozialhilfeträger) für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte. Der nachträglich mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (vom 22. Dezember 1983, BGBl I S 1532) in § 104 SGB X eingefügte Abs 2 ist dem früheren § 1531 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nachgebildet. Er dient der Klarstellung des gewollten und der Aufrechterhaltung des früheren Rechtszustandes (BT-Drucks 10/691, S 26) und ist demgemäß rückwirkend zum 1. Juli 1983 in Kraft getreten. § 1531 Satz 2 RVO erstreckte den von Satz 1 für die Unterstützung des Berechtigten eröffneten Ersatzanspruch bei Unterstützung von Angehörigen des Berechtigten auf Ansprüche, die dem Berechtigten mit Rücksicht auf diese Angehörigen zustanden.
Die Regelung des § 104 Abs 2 SGB X ist damit auf die Alhi nicht anzuwenden, da diese zwar mit der Zuordnung zu einer Leistungsgruppe den Familienstand berücksichtigt, aber insoweit nicht zu einer im Bescheid besonders ausgewiesenen Erhöhung führt. In § 104 Abs 2 SGB X hätte es der Worte "auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile", nicht bedurft, wenn auch der nicht besonders ausgewiesene Erhöhungsbetrag in Anspruch genommen werden könnte.
Nach § 140 BSHG gelten als Aufwendungen außer den Kosten der Hilfe für denjenigen, der den Leistungsanspruch gegen den vorrangig Verpflichteten hat, "auch die Kosten der gleichzeitig mit dieser Hilfe seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten und seinen minderjährigen unverheirateten Kindern gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt".
Bezeichnet man die Rechtsauffassung, daß jeder Sozialleistungsanspruch eines Dritten, bei dessen rechtzeitiger Erfüllung der Sozialhilfeempfänger nicht sozialhilfeberechtigt gewesen wäre, einen Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 SGB X auslöse, als "Fiktion der rechtzeitigen Leistung", so bleibt der Anspruch aus § 140 BSHG in mehrfacher Hinsicht hinter dieser Fiktion zurück. Der Anspruch aus § 140 BSHG besteht nämlich nur wegen der in Abschnitt 2 BSHG geregelten Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht aber wegen der in Abschnitt 3 geregelten Hilfe in besonderen Lebenslagen. Hilfe in besonderen Lebenslagen wird nach den Bestimmungen des dritten Abschnitts gewährt, soweit dem Hilfesuchenden, seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten und, wenn er minderjährig und unverheiratet ist, auch seinen Eltern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des Abschnitts 4 nicht zuzumuten ist (§ 28 BSHG). Der Personenkreis des § 28 BSHG entspricht damit im wesentlichen der Bedarfsgemeinschaft des § 11 BSHG mit dem Unterschied, daß in § 28 BSHG - anders als in § 11 BSHG - eine gemeinsame Haushaltsführung nicht vorausgesetzt wird. Nach § 11 Abs 1 Satz 2 BSHG sind bei nicht getrennt lebenden Ehegatten das Einkommen und das Vermögen beider Ehegatten zu berücksichtigen; soweit minderjährige unverheiratete Kinder, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können, sind auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteiles zu berücksichtigen.
Demnach ginge § 104 Abs 1 SGB X in der Auslegung der Fiktion rechtzeitiger Leistung über die bisherige Rechtslage insoweit hinaus, als ein Erstattungsanspruch auch wegen der Hilfe in besonderen Lebenslagen und wegen der hier betroffenen Hilfe zum Lebensunterhalt auch bei der Haushaltsgemeinschaft von Geschwistern oder mit volljährigen Kindern in Betracht käme. Der Wille zu einer solchen Ausdehnung des Erstattungsanspruchs ist indes der Neuregelung der Erstattung im SGB X nicht zu entnehmen.
Für die Auslegung im Sinne der Fiktion rechtzeitiger Leistung wird angeführt, die §§ 102 bis 105 SGB X seien so konzipiert und formuliert, daß es nicht darauf ankomme, ob der Berechtigte gleichzeitig anspruchsberechtigt gegen den ausgleichsberechtigten Träger und den ausgleichspflichtigen Träger sein müsse (Andree NDV 1986, 337, 338; ähnlich die Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, mitgeteilt bei Sabel, Kommentar zum SGB X, § 104 Anm 2). Gegen diese Auffassung spricht schon der Wortlaut des Gesetzes. Die Formulierung in § 104 SGB X, "gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte" setzt denknotwendig voraus, daß der Berechtigte auch nachrangig einen Anspruch hat. Auch heißt es nicht "ein" Berechtigter sondern "der" Berechtigte. Damit hat von den Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs 1 SGB X der Grundsatz der Personenidentität im Gesetzeswortlaut einen deutlicheren Niederschlag gefunden als die Grundsätze der Zweckidentität und der zeitlichen Kongruenz zwischen dem Sozialhilfeanspruch und dem Anspruch gegen den vorrangig verpflichteten Träger.
Die Anspruchsvoraussetzung der Zweckidentität kann die der Personenidentität nicht ersetzen. Der § 104 Abs 1 SGB X dient dem Ausgleich bei Gewährung einer einkommensabhängigen Leistung im Falle rückwirkender Gewährung einer als Einkommen anzurechnenden Leistung. Wie dem Berechtigten im Grundsatz der Lohn zur freien Verfügung steht, so steht ihm im Grundsatz auch die Lohnersatzleistung zur freien Verfügung. Die Frage, ob eine Lohnersatzleistung auch dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt minderjähriger im Haushalt lebender Kinder, volljähriger im Haushalt lebender Kinder, oder einer im Haushalt lebenden erwachsenen Schwester oder eines Bruders zu decken, oder des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, läßt sich aus dem Zweck einer Lohnersatzleistung nicht beantworten. Es bedarf daher der Personenidentität ergänzt durch die Ausnahmen in § 104 Abs 2 SGB X und in § 140 BSHG.
Für das Erfordernis der Personenidentität spricht ferner der Regelungszusammenhang mit anderen Vorschriften. Hier ist insbesondere § 71b BVG zu nennen. Die dortige Formulierung ("wenn der Versorgungsberechtigte Ansprüche gegen einen Träger der Sozialversicherung hat oder hatte") bringt das Erfordernis der Personenidentität deutlicher als § 104 SGB X zum Ausdruck und bestätigt zugleich, daß die Personenidentität auch in den übrigen Erstattungsregelungen angesprochen ist. Der § 104 Abs 2 SGB X ist überflüssig und unverständlich, wenn Abs 1 nicht iS der Personenidentität ausgelegt wird.
Gegen das Erfordernis der Personenidentität kann in diesem Zusammenhang nicht angeführt werden, mit dem SGB X sei § 140 BSHG im Rahmen des Erstattungsanspruchs gegen Sozialhilfeträger unanwendbar geworden. Das lasse nur den Rückschluß zu, daß das SGB X keine Personenidentität (mit der Ergänzung durch § 140 BSHG) verlange. Der § 140 BSHG ist vielmehr im Gegenteil auch weiterhin anwendbar (Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, SGB X RdNr 7.1; BfA/LVAen, SGB X, 2. Aufl, 6/1983, § 104 Anm 7.2.1; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, § 140 RdNr 2; Schmitt, BSHG, § 140 Anm; anderer Ansicht: Mergler/Zink, BSHG, § 140 RdNr 4; Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl, § 140 RdNr 1; Schulte/Trenk-Hinterberger, BSHG, 2. Aufl, § 140 Anm). Den § 140 BSHG als eine spezielle, nur den Sozialhilfeträger betreffende Ergänzung des § 104 SGB X anzusehen, entspricht der Regelung in § 37 SGB I. Die mit dem SGB X verbundene Änderung des § 90 BSHG und des Verhältnisses dieser Vorschrift zum Erstattungsrecht steht der weiteren Anwendung des § 140 BSHG nicht entgegen. § 140 BSHG spricht zwar seinerseits Vorschriften an, die dem § 90 BSHG vorgehen. § 90 BSHG regelte vor dem SGB X den gesamten Bereich der Ansprüche gegen Dritte, und ihm ging zB § 1531 RVO unter dem Gesichtspunkt der Spezialität vor. Nunmehr regelt § 90 BSHG idF des SGB X nur noch Ansprüche gegen einen Dritten, "der kein Leistungsträger iS von § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ist". Der § 104 SGB X geht also dem § 90 BSHG nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Spezialität vor, wie dies beim § 1531 RVO der Fall war, sondern es fehlt von vornherein schon nach dem Tatbestand eine Konkurrenz mit § 90 BSHG. An dem Ergebnis, daß § 90 BSHG nicht anzuwenden ist, soweit der Erstattungsanspruch eingreift, hat sich damit nichts geändert. Nur dieses Ergebnis ist für § 140 BSHG von Bedeutung.
Das BSG hat zu § 140 BSHG entschieden, daß der Ersatzanspruch (1531 Satz 1 RVO), wenn die Waisenrente nicht ausreicht, auch die Witwenrente der Mutter der Waise (§ 140 BSHG) erfaßt, wenn der Träger der Sozialhilfe einer Waise Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff BSHG) gewährt (BSGE 33, 222 = SozR Nr 32 zu § 1531 RVO). Zu den gesetzlichen Vorschriften, die dem § 90 BSHG vorgehen (§ 140 BSHG) gehöre auch § 1531 RVO. Der Umstand, daß § 140 BSHG nicht im fünften Abschnitt (Verpflichtungen anderer), sondern im 14. Abschnitt (Übergangs- und Schlußbestimmungen) zu finden sei, lasse nicht den Schluß zu, es handele sich nur um eine Übergangsregelung, die nicht schlechthin auf alle Erstattungsfälle des § 1531 RVO anzuwenden sei (BSGE 33, 222, 224).
Soweit vor Schaffung des § 104 Abs 2 SGB X durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 streitig war, ob das SGB X Personenidentität fordere (verneinend der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einem Schreiben vom 26. Juni 1983 - vgl Grüner, SGB X/3, § 104 RdNr 4 und Sabel, SGB X, § 104 Anm 2; bejahend Schroeder-Printzen, SGB X, § 104 Anm 2.5; Gerlach DOK 1983, 393 f, 401; Stellungnahme der Spitzenverbände, mitgeteilt bei Sabel, SGB X, § 104 Anm 3 Nr 3), ging es im wesentlichen darum, ob es trotz des Fehlens einer dem § 1531 Satz 2 RVO entsprechenden Regelung bei der Berücksichtigung der Leistungen an Angehörige nach Maßgabe dieser Bestimmung verblieb. Die Mitteilung des Ministers, bei Schaffung des SGB X habe im Vermittlungsverfahren Einigkeit darüber bestanden, daß es bei der bisherigen Rechtslage auch dann verbleibe, wenn dem Änderungsantrag des Bundesrates nicht entsprochen werde, hinter dem Wort "vorrangig" in § 104 Abs 1 SGB X die Worte "für sich oder seine Angehörigen" einzufügen (BT-Drucks 9/95 S 39 und 47), besagt nicht, daß auf die Personenidentität ganz verzichtet werden und damit auch die Leistung an im Haushalt lebende erwachsene Geschwister den Erstattungsanspruch und die Erfüllungsfiktion auslösen sollte. Das Festhalten an der bisherigen Rechtslage steht einer solchen Ausweitung des Erstattungsanspruchs vielmehr entgegen. Damit kann die an volljährige Kinder gewährte Sozialhilfe nicht angerechnet werden. Anrechenbar ist nach § 140 BSHG nur die den minderjährigen Kindern gewährte Sozialhilfe.
Die in der streitigen Zeit der früheren Ehefrau des Klägers gewährte Sozialhilfe hat die Beklagte zu Recht angerechnet. In dieser Höhe stand der Beigeladenen zu 2. ein Erstattungsanspruch zu. Der Kläger hat in der streitigen Zeit nach den Feststellungen des LSG mit seiner geschiedenen Ehefrau in einer eheähnlichen Gemeinschaft iS des § 122 BSHG gelebt. § 122 BSHG bezieht zwar das Verbot der Besserstellung auf die Voraussetzungen sowie den Umfang der Sozialhilfe, ohne den Erstattungsanspruch ausdrücklich einzubeziehen. Hinsichtlich der eheähnlichen Gemeinschaft konkretisiert § 122 BSHG ähnlich wie § 137 Abs 2a AFG das aus Art 6 Grundgesetz abzuleitende Verbot, die eheliche Lebensgemeinschaft schlechter zu behandeln als eine eheähnliche Gemeinschaft. Das BSG hat wegen dieses verfassungsrechtlichen Gehalts die Regelung des § 138 Abs 1 Nr 2 AFG über die Berücksichtigung des Einkommens des von dem Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung bei der Alhi auch vor Inkrafttreten des § 137 Abs 2a AFG (1. Januar 1986) auf Partner eheähnlicher Gemeinschaften angewandt (SozR 4100 § 138 Nr 17). Aus den gleichen verfassungsrechtlichen Gründen ist die Regelung des § 122 BSHG über ihren Wortlaut hinaus auf § 140 BSHG zu erstrecken.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens ist vom LSG in der abschließenden Entscheidung zu befinden.
Fundstellen