Entscheidungsstichwort (Thema)
MdE. besonderes berufliches Betroffensein. Berufsschadensausgleich
Orientierungssatz
Mit der Einführung des Berufsschadensausgleichs soll eine selbständige Entschädigung des durch die Schädigungsfolgen bedingten wirtschaftlichen Schadens gewährt werden, und zwar unabhängig davon, ob die MdE eines Beschädigten wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 BVG erhöht worden ist oder nicht.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3-4, 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 01.04.1969) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 1. April 1969 aufgehoben, soweit es die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der am 3. Dezember 1912 geborene Kläger war Autoschlosser und Kraftfahrer, später Berufssoldat, und wurde im August 1941 als Oberfeldwebel verwundet. Seit Oktober 1952 ist er bei der Deutschen Bundespost beschäftigt; jetzt (seit 1. Oktober 1966) ist er technischer Postobersekretär. Er bezieht Versorgungsrente nach einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. wegen einer Teillähmung der rechten Gesichtshälfte mit nervösen Störungen und Kopfschmerzen, Verformung des rechten Unterkiefers und Kiefergelenks, Kauschwäche rechts, vollständigem Zahnverlust, Narben an der linken Wange, der rechten Halsseite und Oberlippe, hartem Gaumen, Herabsetzung der Sehleistung auf 5/7 infolge Netzhautnarbe nach Prellung des rechten Augapfels und Narben am linken Oberarm, Gesundheitsstörungen, die als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt sind.
Im Dezember 1964 beantragte der Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich mit der Begründung, er sei durch das anerkannte Versorgungsleiden, insbesondere durch seine Kopfverletzung, daran gehindert worden, sich um die Beamtenlaufbahn des gehobenen Dienstes zu bewerben. Die Versorgungsbehörde lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 24. November 1966 ab, weil die Schädigungsfolgen nicht dafür verantwortlich zu machen seien, daß der Kläger nicht Beamter des gehobenen technischen Postdienstes sei; er habe sich trotz eines Aufrufes der Deutschen Bundespost im Jahre 1963 nicht um Zulassung zum gehobenen Dienst beworben. Aufgrund der Fachgutachten sei nicht anzunehmen, daß er in Anbetracht des Ausmaßes des Schädigungsleidens und bei Berücksichtigung der Kopfverletzung in dem jetzt ausgeübten Beruf in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sei. Eine Höherbewertung seiner MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins und die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs komme somit nicht in Betracht. Nach erfolglosem Widerspruch hat das Sozialgericht Lüneburg (SG) mit Urteil vom 19. Juni 1968 die Klage, mit der eine höhere Beschädigtenrente als nach einer MdE um 50 v. H. sowie Berufsschadensausgleich beantragt worden war, abgewiesen. Das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung mit Urteil vom 1. April 1969 insoweit als unzulässig verworfen, als der Kläger eine Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG begehrt, im übrigen die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt, soweit der Kläger eine Erhöhung des Grades der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins begehre, sei die Berufung nach § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig. Sie sei auch nicht ausnahmsweise nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig, da die gerügten Verfahrensmängel nicht vorlägen. Stehe aber fest, daß der Kläger nicht gemäß § 30 Abs. 2 BVG beruflich besonders betroffen sei, habe er auch keinen Anspruch auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach Absatz 3 dieser Vorschrift, und zwar sowohl in der Fassung des Zweiten Neuordnungsgesetzes (NOG) wie auch in der des Dritten NOG. Den Worten "nach Anwendung des Abs. 2" in § 30 Abs. 3 BVG sei zu entnehmen, daß ein besonderes berufliches Betroffensein durch die Art der Schädigungsfolgen und nicht nur ein etwa dadurch bedingter Einkommensverlust Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs sei. Im übrigen bedeute im vorliegenden Fall die Verneinung des besonderen beruflichen Betroffenseins durch das SG zugleich, daß ein etwaiger Einkommensverlust des Klägers nicht durch die Schädigungsfolgen bedingt werde.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 30 Abs. 3 ff BVG, 103, 128, 157 SGG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe inzwischen in einer Reihe von Entscheidungen anerkannt, daß der selbständig geregelte Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3, 4 BVG keine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG voraussetze. Damit sei die bisherige Rechtsprechung des LSG Niedersachsen überholt. Im übrigen habe das LSG gemäß § 157 SGG den Streitfall im gleichen Umfange wie das SG prüfen und auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen müssen. Eine solche Prüfung sei aber nach den Entscheidungsgründen im Hinblick auf das Begehren des Klägers, ihm Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG zu gewähren, vom LSG nicht vorgenommen worden. Der Hinweis des LSG, daß im vorliegenden Fall die Verneinung des besonderen beruflichen Betroffenseins durch das SG im übrigen zugleich bedeute, daß ein etwaiger Einkommensverlust des Klägers nicht durch die Schädigungsfolgen bedingt werde und die Berufung daher, soweit sie die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches betreffe, als unbegründet zurückzuweisen sei, ersetze eine solche Prüfung jedenfalls nicht.
Der Kläger beantragt,
die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
II
Die fristgerecht eingelegte Revision ist nur insoweit formgerecht begründet worden, als sie sich gegen die Ablehnung der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG wendet und Gesetzesverletzungen bei dieser Entscheidung des LSG rügt. Der von der Revision im Schriftsatz vom 20. Mai 1969 gestellte Antrag umfaßt seinem Inhalt nach zwar auch den Anspruch des Klägers gemäß § 30 Abs. 2 BVG, weil er die Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 1. April 1969 in seiner Gesamtheit begehrt und Gegenstand des Berufungsverfahrens auch die Frage eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG war. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich jedoch, daß das LSG-Urteil nur hinsichtlich des Anspruches auf Berufsschadensausgleich angegriffen werden soll. Die Revisionsbegründung beschränkt sich demgemäß (auch hinsichtlich der Verfahrensrügen) auf die Behauptung von Gesetzesverletzungen, die allein mit der Ablehnung der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG im Zusammenhang stehen. Der Senat hatte deshalb das Urteil des LSG, soweit es das Urteil des SG hinsichtlich der Klage gegen die Ablehnung einer Höherbewertung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG durch Verwerfung der Berufung als unzulässig im Ergebnis bestätigt hat, nicht nachzuprüfen.
Die Revision ist, soweit sie eine Verletzung des Gesetzes zur Frage der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG rügt, begründet. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 21. März 1969 (9 RV 730/67 in BSG 29, 208) und ihm folgend der 8. und 10. Senat des BSG (siehe die Urteile vom 27. März 1969 - 8 RV 611/67-und vom 23. Mai 1969 - 10 RV 558/68) entschieden haben, ist die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG (Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit) erfüllt sind. In diesen Entscheidungen ist mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf den Wortlaut, Sinn und Zweck sowie die historische Entwicklung der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich dargelegt worden, daß mit der Einführung des Berufsschadensausgleichs durch das 1. NOG eine selbständige Entschädigung des durch die Schädigungsfolgen bedingten wirtschaftlichen Schadens gewährt werden soll, und zwar unabhängig davon, ob die MdE eines Beschädigten wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist oder nicht. Der erkennende Senat hält an dieser Auffassung fest; der vorliegende Sachverhalt sowie die Ausführungen des LSG in seinem Urteil vom 1. April 1969 geben keine Veranlassung, von ihr abzuweichen.
Das LSG hat somit § 30 Abs. 3 BVG verletzt, so daß die Revision begründet ist, soweit das angefochtene Urteil den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Berufsschadensausgleich betrifft. In diesem Umfang mußte es daher auf die Revision des Klägers aufgehoben werden. Das LSG hat wegen seiner von der des BSG abweichenden Rechtsauffassung keine eigenen Feststellungen über einen etwaigen Einkommensverlust des Klägers getroffen. Diese eigenen Feststellungen konnten im vorliegenden Fall nicht durch eine Übernahme der Ermittlungsergebnisse des SG in seinem Urteil vom 19. Juni 1968 ersetzt werden, weil diese vom Kläger im Berufungsverfahren auch im Hinblick auf seinen Anspruch auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs im Sinne des § 30 Abs. 3 und 4 BVG angegriffen worden waren und weil das LSG gemäß § 157 SGG zur Prüfung des Anspruchs auf Gewährung von Berufsschadensausgleich als eines selbständigen Anspruchs im gleichen Umfang wie das SG verpflichtet war. Da das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat, soweit der Kläger einen Anspruch nach § 30 Abs. 2 BVG erhoben hatte, ist es zu einer sachlichen Prüfung des Anspruchs auf Gewährung von Berufsschadensausgleich nicht gelangt. Da es hierzu keinen Sachverhalt festgestellt hatte, konnte es auch nicht einen solchen für die Beurteilung des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich zu Ungunsten des Klägers zugrunde legen. Die noch fehlenden Feststellungen selbst zu treffen, war dem Senat verwehrt. Die Sache mußte deshalb an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten - auch der Revisionsinstanz - bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen