Leitsatz (amtlich)
Für die Berechnung des Übergangsgeldes eines kraft Satzung versicherten Unternehmers ist im Falle der Wiedererkrankung an Unfallfolgen der JAV, der im Zeitpunkt der Wiedererkrankung aufgrund der Satzung - auch unter Berücksichtigung einer Zusatzversicherung - gilt, jedenfalls dann maßgebend, wenn die Satzung nichts Abweichendes bestimmt.
Normenkette
RVO § 571 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30, § 574 Fassung: 1963-04-30, § 632 Fassung: 1963-04-30, § 671 Nr. 9 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.11.1976; Aktenzeichen L 3 U 135/74) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 10.01.1974; Aktenzeichen S 1 U 128/72) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. November 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Im Revisionsverfahren besteht nur noch Streit über die Höhe des an den Kläger zu zahlenden Verletztengeldes.
Der Kläger ist kraft Satzung als Unternehmer bei der Beklagten pflichtversichert. Für die Berechnung der Beiträge und Geldleistungen galt als Jahresarbeitsverdienst (JAV) aufgrund der Zusatzversicherung der Betrag von 10.000,- DM und vom 1. Januar bis Mai 1971 der Betrag von 12.600,- DM. Gemäß dem bei ihr am 3. Mai 1971 eingegangenen Antrag des Klägers stellte die Beklagte durch die Bescheide vom 4. Mai 1971 und 11. Oktober 1976 fest, daß die Versicherungssumme 48.000,- DM betrage.
Der Kläger erlitt am 3. Juli 1969 bei einem Arbeitsunfall einen Bruch des linken Beines. Die Beklagte zahlte vorübergehend Verletztenrente. Am 7. Oktober 1971 brach sich der Kläger bei seiner versicherten Tätigkeit erneut das linke Bein. Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 5. Juni 1972 fest, dieser Unfall sei eine Folge des Arbeitsunfalles vom 3. Juli 1969, weil das Ereignis (beim Treten zwischen zwei Bohlen abgerutscht und hingefallen) nicht geeignet gewesen sei, einen Bruch eines gesunden Beines herbeizuführen, vielmehr sei der Bruch nur durch die Vorschädigung des linken Beines eingetreten. Die Beklagte zahlte wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zuletzt 30 v. H.
Der Kläger hat Klage erhoben und für die Zeit vom 7. Oktober 1971 bis 13. Februar 1972 anstelle der gezahlten Rente Verletztengeld begehrt.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 10. Januar 1974 diesem Klagebegehren entsprochen und u. a. ausgeführt, der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Unternehmer verunglückt. Seine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe zu einer Gewinnschmälerung des Unternehmens geführt. Das Verletztengeld sei nach einem JAV von 48.000,- DM zu berechnen.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 24. November 1976 die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: Nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen habe der Kläger vor dem Unfall am 7. Oktober 1971 durch seine Arbeitsleistung zum Ertrag des Unternehmens und damit zu der ihm zustehenden Vergütung wesentlich beigetragen. Die fehlende Mitarbeit nach dem Unfall habe sich finanziell nachteilig auf das Unternehmen ausgewirkt. Das Verletztengeld sei nach einem JAV von 48.000,- DM zu berechnen, da die Selbstversicherung des Klägers im Mai 1971 und damit vor der Wiedererkrankung im Oktober 1971 durch die freiwillige Zusatzversicherung auf 48.000,- DM erhöht worden sei. Die Zusatzversichrung sei ihrem Wesen nach eine auf die Pflichtversicherung aufgestockte freiwillige Unternehmerversicherung mit einer höheren Bemessungsgrundlage für die Geldleistungen. Im Gegensatz zur freiwilligen Versicherung habe die Zusatzversicherung keine schutzbegründende, sondern eine schutzerweiternde Funktion. Sie beginne nach § 42 Abs. 3 der Satzung der Beklagten am Tage nach Eingang des Antrags. Da die Beklagte bei der Annahme des Zusatzversicherungsantrags keinen Vorbehalt aufgenommen habe, sei sie verpflichtet, dem Kläger Verletztengeld nach einem JAV von 48.000,- DM zu gewähren, weil sie sich sonst auch gegen Treu und Glauben mit dem von ihr im Mai 1971 entgegengenommenen Antrag in Widerspruch setzen würde.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Sie trägt vor: Das LSG sei zutreffend davon ausgegangen, daß zwischen den Beteiligten kein Streit mehr darüber bestehe, daß sie dem Kläger für die Zeit vom 7. Oktober 1971 bis zum 13. Februar 1972 Verletztengeld zu zahlen habe. Sie sei aber nur verpflichtet, Verletztengeld nach einem JAV von 10.000,- DM zu zahlen, der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles als Versicherungssumme festgesetzt gewesen sei. Bei dem Unfall am 7. Oktober 1971 habe es sich nur um eine Verschlimmerung der Folgen des Unfalles im Jahre 1969 gehandelt. Selbst wenn man aber die - das werde nur vorsorglich ausgeführt - danach eingetretene Erhöhung der Versicherungssumme beachten würde, dürfte man dies für das Jahr vor dem Unfall am 7. Oktober 1971 nur jeweils zeitlich beschränkt mit unterschiedlichen Versicherungssummen beachten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des 3. Senats des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 24. November 1976 aufzuheben und in insoweitiger Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Januar 1974 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 1972 mit der Maßgabe abzuweisen, daß dem Kläger für die Zeit vom 7. Oktober 1971 bis zum 13. Februar 1972 statt der ihm im Bescheid zugesprochenen Verletztenrente das Verletztengeld zu gewähren ist, und zwar ... nach dem JAV in dem Jahr vor seinem Unfall vom 3. Juli 1969 in Höhe von 10.000,- DM, höchstens aber ... nach einem JAV, der für das Jahr vor seiner Wiedererkrankung am 7. Oktober 1971 unter Zugrundelegung eines Jahreseinkommens für die Zeit vom 7. Oktober 1970 bis zum 31. Dezember 1970 in Höhe von 10.000,- DM, für die Zeit vom 1. Januar 1971 bis zum 3. Mai 1971 in Höhe von 12.600,- DM und für die Zeit vom 4. Mai 1971 bis zum 7. Oktober 1971 in Höhe von 48.000,- DM, jeweils auf die Monate und Tage der vorangeführten Zeiträume umgelegt, insgesamt also unter Zugrundelegung einer Summe von allenfalls rund 28.000,- DM berechnet wird,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Der Kläger ist als Unternehmer bei der Beklagten aufgrund der Satzung pflichtversichert (s. § 40 der Satzung). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG steht dem Kläger, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, Verletztengeld (seit dem 1. Oktober 1974: Übergangsgeld) für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit vom Unfalltag bis zum 13. Februar 1972 zu (s. § 560 der Reichsversicherungsordnung - RVO - i. d. F. bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 - RVO a. F.; vgl. BSGE 19, 161, 162; 36, 98, 99; 36, 133, 134; 39, 63, 67; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl., S. 562 u und Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 560 Anm. 17 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch die Beklagte wendet sich, wie schon in ihrem Schlußantrag im Berufungsverfahren, nicht mehr gegen ihre Verpflichtung, dem Kläger für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld zu zahlen.
Das SG und das LSG sind auch zutreffend davon ausgegangen, daß für den Kläger als Unternehmer das Verletztengeld nach dem JAV zu berechnen ist (s. § 561 Abs. 3 RVO a. F.; vgl. Brackmann aaO S. 563 h). Der JAV des Klägers ist allerdings nicht nach seinen tatsächlichen Einkünften zu bestimmen. Als JAV gilt vielmehr gemäß § 571 Abs. 2 RVO a. F. und § 671 Nr. 9 RVO der nach der Satzung der Beklagten bestimmte fiktive Betrag. An die Stelle des in § 41 Abs. 1 der Satzung festgelegten JAV tritt dabei beim Kläger die sich aus der Zusatzversicherung ergebende Versicherungssumme (s. § 42 Abs. 1 und 3 der Satzung). Diese ist seit dem Arbeitsunfall des Klägers im Jahre 1969 zweimal erhöht worden. Für die Berechnung des Verletztengeldes kann es dahinstehen, ob die Verletzung des Klägers am 7. Oktober 1971 eine mittelbare Folge des Arbeitsunfalles vom 3. Juli 1969, wovon die Vorinstanzen ausgehen, oder Folge eines neuen Arbeitsunfalles ist. Im letzteren Fall würde gemäß § 561 Abs. 3 und § 571 Abs. 2 RVO a. F. der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles am 7. Oktober 1971 nach der Satzung der Beklagten bestimmte JAV maßgebend sein. Ist die Verletzung vom 7. Oktober 1971 nur eine Folge des Arbeitsunfalles vom 3. Juli 1969, gilt für die Berechnung des Verletztengeldes gemäß § 574 RVO a. F. die gleiche Regelung, da es sich in diesem Fall um eine Wiedererkrankung an den Folgen des Arbeitsunfalles vom 3. Juli 1969 handelt. § 574 RVO ist nicht auf die Bestimmung des JAV für Beschäftigte beschränkt; er gilt auch für die Feststellung der Leistungen für Unternehmer aufgrund eines in der Satzung bestimmten JAV (s. BSG Urteil vom 28. April 1977 - 2 RU 27/75; Brackmann aaO S. 564 o; Lauterbach aaO § 574 Anm. 4; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 415, S. 15). Auch für die Zusatzversicherung gilt jedenfalls grundsätzlich nichts anderes. Die aus dem Urteil des Hessischen LSG vom 22. Mai 1968 (L 3 U 1055/67; vgl. auch Lauterbach aaO § 632 Anm. 7) ersichtliche gegenteilige Ansicht beruht noch auf der vom Senat nicht geteilten Auffassung, § 574 RVO gelte nur für einen "berechneten" und damit nicht für einen nach der Satzung fiktiv bestimmten JAV. Ob die Satzung für die freiwillige Zusatzversicherung eine von § 574 RVO abweichende Regelung treffen darf (vgl. Lauterbach aaO § 571 Anm. 6, § 632 Anm. 7), kann dahinstehen, da die Satzung der Beklagten insoweit keine vom Gesetz abweichende Bestimmung enthält, vielmehr grundsätzlich auf die Vorschriften der §§ 546 ff. RVO verweist (s. § 43 Abs. 1 der Satzung). Somit richtet sich die Berechnung des Verletztengeldes des Klägers nach dem im Zeitpunkt der Wiedererkrankung durch die Satzung festgelegten JAV (s. Lauterbach aaO § 574 Anm. 4; Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Rundschreiben VB 98/63 vom 20. Juli 1963, S. 11). Der durch die Satzung bestimmte JAV hat im Zeitpunkt des Unfalles vom 7. Oktober 1971 aufgrund des Antrags des Klägers vom Mai 1971 48.000,- DM betragen. Entgegen der Auffassung der Beklagten errechnet sich der JAV auch nicht für das Jahr vor dem Unfall am 7. Oktober 1971 aus unterschiedlichen Versicherungssummen für Teilabschnitte dieses Jahres. Die Satzung enthält keine entsprechende Bestimmung. Vielmehr tritt die nach § 42 der Satzung bestimmte Versicherungssumme an die Stelle des in § 41 der Satzung angeführten Betrages. Der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles bzw. der Wiedererkrankung nach der Satzung bestimmte Betrag gilt als der JAV, d. h. als das Arbeitseinkommen im Jahr vor dem maßgebenden Ereignis.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen