Entscheidungsstichwort (Thema)

Bisheriger Beruf. Baumaschinenführer. Ausbildungsberuf

 

Orientierungssatz

1. Die Tatsache allein, daß die Tätigkeit des Baumaschinenführers zZt der Ausübung nicht zu den anerkannten Lehrberufen mit einer Ausbildungszeit mit mindestens zwei Jahren gehörte, schließt die Zuordnung dieses Berufes zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters ebensowenig aus wie der Umstand, daß die notwendige Ausbildung oder Anlernung weniger als zwei Jahre betrug.

2. Auch solche Tätigkeiten sind ohne Rücksicht auf die Dauer der Ausbildung der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildung von mindestens zwei Jahren) zuzuordnen, die wegen ihrer Qualität tariflich etwa gleich hoch eingestuft sind (vgl BSG vom 1982-07-15 5b RJ 86/81).

3. Wird ein Beruf als Ausbildungsberuf anerkannt, nachdem der Versicherte ihn bereits aufgegeben hat, so ist die Qualität dieser Tätigkeit für die Zeit der Ausübung durch den Versicherten unabhängig von der späteren Anerkennung als Ausbildungsberuf zu bewerten. Dabei kann die spätere Anerkennung uU ein positives oder negatives Indiz sein.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 04.02.1981; Aktenzeichen L 6 J 9/80)

SG Berlin (Entscheidung vom 07.12.1979; Aktenzeichen S 27 J 415/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat.

Der Kläger war nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter von 1956 bis 1977 als Baumaschinenführer versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte lehnte den im Juli 1978 gestellten Rentenantrag mit Bescheid vom 24. Oktober 1978 ab, weil der Kläger weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Dezember 1979 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 4. Februar 1981 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit. Wegen des ihm gewährten Heilverfahrens vom 24. November 1980 bis zum 22. Dezember 1980 bestehe nach § 1241d RVO für die Zeit seit der Rentenantragstellung bis zur Beendigung des Heilverfahrens gewährten Übergangsgeldes kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit. Insoweit komme lediglich ein weiterer Anspruch auf Übergangsgeld in Betracht, der jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens sei. Für die Zeit nach Beendigung des Heilverfahrens bzw nach Einstellung des Übergangsgeldes stehe dem Kläger die Rente nicht zu, weil er weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig sei. Auszugehen sei von der Tätigkeit eines Baumaschinenführers, die zu den sonstigen Ausbildungsberufen (angelernte Berufe) gehöre. Die Tätigkeit des Baumaschinisten oder Baumaschinenführers im Straßenbau sei kein Lehrberuf. Vielmehr handele es sich um eine Spezialfacharbeitertätigkeit, die entweder ein entsprechendes Befähigungszeugnis oder eine Einarbeitungszeit von 1 1/2 Jahren nach Erlangung der Bescheinigung als Baumaschinist voraussetze. Die Einarbeitungszeit von 1 1/2 Jahren und die Vorbereitungszeit für die Erlangung der Bescheinigung als Baumaschinist umfaßten zusammen nur eine Ausbildungszeit von weniger als zwei Jahren, da Baumaschinistenlehrgänge lediglich einige Wochen dauerten. Auch für den seit 1977 anerkannten Abschluß geprüfter Baumaschinenführer sei keine Regelungsausbildungszeit von zwei Jahren und mehr vorgeschrieben bzw vorgesehen. Der Kläger könne daher auf die Gruppe der ungelernten Arbiter mit Ausnahme derjenigen mit geringem qualitativen Wert (zB Reiniger, Platzarbeiter oder Parkplatzwächter) verwiesen werden. Die bestehenden Gesundheitsstörungen hinderten ihn nicht, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Insbesondere könne er noch als Pförtner arbeiten oder einfache Aufsichts- und Kontrolltätigkeiten in Industrie und Gewerbe verrichten. Ebenso könne er Arbeiten an leicht zu bedienenden Maschinen ausführen. Diese Fähigkeit schließe die Annahme sowohl von Erwerbsunfähigkeit als auch von Berufsunfähigkeit aus.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom erkennenden Senat durch Beschluß zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, seine frühere Tätigkeit als Baumaschinenführer sei mindestens der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Das ergebe sich daraus, daß der Beruf des geprüften Baumaschinenführers seit dem 1. Januar 1978 zu den staatlich anerkannten Fortbildungsberufen gehöre. Die Ablegung der Prüfung setze grundsätzlich die erfolgreich abgelegte Abschlußprüfung in einem anerkannten Ausbildungsberuf und eine entsprechende einschlägige Berufspraxis voraus. Der Kläger habe zwar keine staatlich anerkannte Prüfung als Baumaschinenführer abgelegt; jedoch habe der Baumaschinenführer schon vor der Regelung durch die Verordnung vom 12. Dezember 1977 (BGBl I, 2539) eine hervorgehobene Stellung gegenüber den üblichen Lehrberufen des Baugewerbes eingenommen. Er habe nach dem Anhang 3 zum Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe zur Gruppe IIIa der Berufe mit zusätzlicher Sonderausbildung (Spezialfacharbeiter) gehört. Die vom Berufungsgericht genannten Verweisungstätigkeiten seien ihm daher nicht zumutbar.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom

7. Dezember 1979 sowie den Rentenablehnungsbescheid vom

24. Oktober 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem

Kläger auf seinen Antrag vom 25. Juli 1978 Versichertenrente wegen

Berufsunfähigkeit zu leisten,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und

Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und die Revision des Klägers für unbegründet.

Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß die Frage der etwaigen Gewährung vorgezogenen Übergangsgeldes nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist und die Beklagte gegebenenfalls darüber einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid erteilen wird.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, schließt die Fähigkeit des Klägers zur Verrichtung der im Berufungsurteil genannten Verweisungstätigkeiten die Berufsunfähigkeit des Klägers dann nicht aus, wenn die frühere Tätigkeit des Klägers als Baumaschinenführer mindestens der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen ist. Das Berufungsgericht hat das mit unzutreffender Begründung verneint. Die Tatsache allein, daß die Tätigkeit des Baumaschinenführers z Zt der Ausübung durch den Kläger nicht zu den anerkannten Lehrberufen mit einer Ausbildungszeit mit mindestens zwei Jahren gehörte, schließt die Zuordnung dieses Berufes zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters ebensowenig aus wie der Umstand, daß die notwendige Ausbildung oder Anlernung weniger als zwei Jahre betrug. Neben den anerkannten Ausbildungsberufen gibt es eine Anzahl qualitativ hochwertiger Berufe, für die eine bestimmte Ausbildung oder Anlernung nicht vorgeschrieben ist. Das gilt insbesondere für solche Berufe, die wegen ihrer besonderen Eigenart (Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit und geistige Reife, Gefährlichkeit) nicht schon nach Abschluß der Hauptschule erlernt, sondern erst im Erwachsenenalter begonnen werden können. Bei Beginn einer solchen Tätigkeit wird der Arbeitnehmer im allgemeinen schon eine gewisse Berufserfahrung in anderen Berufen besitzen, jedenfalls aber aufgrund der fortgeschrittenen körperlichen und geistigen Reife andere Voraussetzungen mitbringen als ein Jugendlicher nach Abschluß der Hauptschule. Deshalb können solche Berufe uU auch dann den anerkannten Ausbildungsberufen qualitativ gleichstehen, wenn die erforderliche Ausbildung oder Anlernung eine geringere Zeit erfordert. Die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO erwähnte Dauer der Ausbildung hat keine selbständige Bedeutung, sondern kennzeichnet nur den üblichen Weg, auf dem die für die Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 16, 29). Der 5. Senat des BSG hat daher bereits entschieden, daß auch solche Tätigkeiten ohne Rücksicht auf die Dauer der Ausbildung der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildung von mindestens zwei Jahren) zuzuordnen sind, die wegen ihrer Qualität tariflich etwa gleich hoch eingestuft sind (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 86/81 -). Ob das im vorliegenden Fall zutrifft, läßt sich nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilen.

Daraus, daß der Beruf des geprüften Baumaschinenführers seit dem 1. Januar 1978 zu den staatlich anerkannten Fortbildungsberufen gehört, läßt sich für den vorliegenden Fall weder für noch gegen seine Zuordnung zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters Entscheidende gewinnen. Die Zugehörigkeit eines Berufes zu einer bestimmten Gruppe des sogenannten Mehrstufenschemas richtet sich nach der Qualität dieser Tätigkeit z Zt der Ausübung durch den Versicherten. Nachträgliche Änderungen der Bewertungsmaßstäbe müssen außer Betracht bleiben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 41, 67). Wird ein Beruf als Ausbildungsberuf anerkannt, nachdem der Versicherte ihn bereits aufgegeben hat, so ist die Qualität dieser Tätigkeit für die Zeit der Ausübung durch den Versicherten unabhängig von der späteren Anerkennung als Ausbildungsberuf zu bewerten. Dabei kann die spätere Anerkennung uU ein positives oder negatives Indiz sein. In der Anerkennung kann eine Bestätigung der bisher schon der Tätigkeit innewohnenden Qualität sein. Sie kann aber auch darauf beruhen, das die Tätigkeit sich in ihrem Inhalt verändert hat und höhere Qualitätsanforderungen stellt als das bisher der Fall war. Nach der ständigen Rechtsprechung insbesondere des erkennenden Senats ist ein wichtiges Indiz für die Qualität einer bestimmten Tätigkeit in ihrer tariflichen Eingruppierung zu finden (vgl das bereits zitierte Urteil des erkennenden Senats vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 86/81 -). Die Bewertung solcher Indizien obliegt allerdings nicht dem Revisionsgericht, sondern ist dem Tatsachengericht vorbehalten, zumal die tarifliche Eingruppierung einer bestimmten Tätigkeit uU auch auf qualitätsfremden Merkmalen beruhen kann. Das Berufungsgericht wird daher unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erneut zu prüfen haben, welcher Gruppe des Mehrstufenschemas die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit des Baumaschinenführers bis zur Aufgabe dieser Tätigkeit durch den Kläger zuzuordnen war.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das LSG zu Recht angenommen hat, der Anspruch auf Übergangsgeld nach § 1241d RVO für die Zeit bis zur Beendigung des Heilverfahrens sei nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 10. März 1982 -5b/5 RJ 160/80 -). Der Kläger hat seinen Revisionsantrag bewußt auf die Rente wegen Berufsunfähigkeit beschränkt und in Übereinstimmung mit der Beklagten erklärt, der Anspruch auf Übergangsgeld sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Darin liegt nicht eine - möglicherweise unrichtige und dann unbeachtliche - Rechtsansicht, sondern eine zulässige Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs, so daß der Senat über den Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld nicht entscheiden kann.

Der Senat hat auf die begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660878

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