Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist die Verzinsung einer Rentennachzahlung.
Die 1917 geborene Klägerin wanderte als Verfolgte des Nationalsozialismus 1936 nach Argentinien aus und kehrte 1982 in die Bundesrepublik zurück. Im Mai 1975 beantragte sie die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen sowie Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit und bat um vorrangige Behandlung des Rentenantrags. Mit Bescheid vom 11. März 1977 bewilligte ihr die Beklagte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Mai 1975. Zur Nachentrichtung wurde sie im Verlaufe eines Rechtsstreits mit Bescheid der hierfür zuständigen Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz (LVA) vom 14. Februar 1978 zugelassen. Durch ein der Beklagten am 13. März 1978 zugegangenes Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin wurde sie davon unterrichtet, daß die Klägerin entsprechend der Zulassung den gesamten nachzuentrichtenden Betrag an die LVA Rheinprovinz überwiesen habe. Mit Schreiben vom 5. April 1978 forderte die Beklagte unter Übersendung einer Kopie dieses Schreibens bei der LVA Rheinprovinz den Nachweis über die Beitragsnachentrichtung an. Der Verwendungsnachweis der LVA Rheinprovinz vom 26. Juni 1978 ging bei der Beklagten am 10. Juli 1978 ein.
Mit Bescheid vom 13. November 1978 stellte die Beklagte die Rente der Klägerin unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge ab 1. Juli 1975 neu fest. Der Nachzahlungsbetrag wurde dem Anderkonto des Vertreters der Klägerin am 2. Januar 1979 gutgeschrieben.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, bei dem zur Zeit des Erlasses des Bescheides vom 13. November 1978 ein Berufungsverfahren der Klägerin schwebte, in dem es nur noch um die Vorverlegung des Rentenbeginns ging, hat den Bescheid vom 13. November 1978, der eine Regelung der Verzinsungsfrage nicht enthielt, als Gegenstand seines Verfahrens betrachtet, dazu wegen der Einlassung der Beklagten zur Verzinsung auch den Zinsanspruch gerechnet und diesen mit Urteil vom 28. Mai 1979 abgewiesen, weil der Leistungsantrag nicht früher als 6 Monate vor Auszahlung der Rentennachzahlung vollständig bei der Beklagten eingegangen sei. Auf die nur den Verzinsungsanspruch betreffende Revision der Klägerin hat der erkennende Senat mit Urteil vom 11. September 1980 das Urteil des LSG wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Durch Urteil vom 25. Januar 1982 hat das LSG die Klage gegen den Bescheid vom 13. November 1978 mit gleicher Begründung wiederum abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 44 Abs. 2 SGB 1 und der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs. Sie macht geltend, wegen der zersplitterten Zuständigkeiten für Rentengewährung und Beitragsnachentrichtung bei Verfolgten im Ausland, wegen des uneinsichtigen und unzutreffenden Verhaltens der LVA Rheinprovinz in der Nachentrichtungsfrage und wegen der mangelnden Zusammenarbeit der Beklagten mit der LVA Rheinprovinz habe sich ihre Nachentrichtung und die daraus folgende Neufeststellung ihrer Rente sowie die Auszahlung der Nachzahlung über Jahre verzögert. Deshalb müsse vom Inkrafttreten der Zinsregelung des § 44 SGB 1 an auch der Rentennachzahlungsbetrag verzinst werden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. Januar 1982 und das Urteil des SG Stuttgart vom 26. Oktober 1979 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 13. November 1978 zu verurteilen, die geschuldeten Rentenbeträge ab 1. Januar 1978 zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist begründet, soweit sie die Verzinsung der Rentennachzahlung für die Monate Oktober bis einschließlich Dezember 1978 betrifft. Im übrigen ist sie nicht begründet.
Zur verfahrensrechtlichen Klarstellung ist vorab auf folgendes hinzuweisen: Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 11. September 1978, das allerdings nach dem Tenor keine Beschränkungen der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung aufzuweisen scheint, ausdrücklich ausgeführt hat, war Gegenstand der Revision lediglich der Anspruch auf Zinsen für die geschuldeten Geldleistungen in der Zeit ab 1. Januar 1978, während im übrigen das damalige Berufungsurteil nicht angefochten worden war. In seiner Entscheidung über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 28. März 1978 ist das Urteil des LSG vom 28. Mai 1979 also rechtskräftig geworden. Aufgehoben hat der erkennende Senat im Urteil vom 11. September 1980 das Urteil des LSG vom 28. Mai 1979 nur, soweit es die Klage gegen den Bescheid vom 3. November 1978 (richtig: 13. November 1978) abgewiesen hatte und soweit davon die Kostenentscheidung berührt wurde. Nur insoweit - also hinsichtlich der Entscheidung über den Zinsanspruch - ist der Rechtsstreit auch an das LSG zurückverwiesen worden. Der Wiederholung und Ergänzung des rechtskräftigen Berufungsurteils vom 28. Mai 1979 hätte es daher nicht bedurft. Sachlich zu entscheiden ist allein über den Zinsanspruch.
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB 1 sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt gem. Abs. 2 der genannten Vorschrift jedoch frühestens nach Ablauf von 6 Kalendermonaten nach dem Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 9. September 1982 (5b RJ 68/81) entschieden hat, ist die Frage der Fälligkeit der durch die nachträgliche Beitragsentrichtung erhöhten Rente von der weiteren Frage zu unterscheiden, für welche Zeit - möglicherweise rückwirkend - der Klägerin eine erhöhte Rente zu errechnen und zu zahlen war. Nach Art. 4 § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1979 - WGSVG - (BGBl. I S. 1846) ist in den Fällen des Art. 1 § 10 (also des § 10 WGSVG) die höhere Rente frühestens vom Ersten des Monats an zu zahlen, der auf die Beitragsnachentrichtung folgt. Ob der Klägerin gleichwohl die höhere Rente, wie die Beklagte angenommen hat, tatsächlich bereits ab 1. Juli 1975 zusteht, kann hier offen bleiben. Denn durch den Bescheid der Beklagten vom 13. November 1978 ist der Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. Juli 1975 an bindend (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; vgl. nunmehr auch § 39 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - - SGB 10 -) festgestellt worden. An diesen Bescheid ist auch das Gericht gebunden. Daß der Bescheid eine bindende Bestimmung über die Fälligkeit getroffen haben könnte, ist jedoch nicht erkennbar. Fällig werden konnte die erhöhte Rente nicht vor der - im Februar 1978 erfolgten - Zahlung durch die Klägerin, mit der sie für zurückliegende Zeiten Versicherungsbeiträge erbrachte. Die Errechnung der Rentenhöhe der Klägerin richtet sich nach der Zahl der Versicherungsjahre und den in diesen Jahren erreichten Entgelten, die der Berechnung der Versicherungsbeiträge zugrunde lagen (§§ 1253, 1255, 1258 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Erst mit der Nachzahlung der ausnahmsweise für die Vergangenheit wirksamen Beiträge (§ 10 WGSVG) im Februar 1978 konnte somit die höhere Rente entstehen und damit fällig werden.
Vom Eintritt der Fälligkeit ist rechtssystematisch der Eingang des vollständigen Leistungsantrages zu unterscheiden, auf den § 44 Abs. 2 SGB 1 abstellt. Der vollständige Leistungsantrag in diesem Sinne ist nach dem genannten Urteil des erkennenden Senats gestellt, sobald die Beklagte in die Lage versetzt ist, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu prüfen. Ist der die Leistung erbringende Versicherungsträger mit dem über die Beitragsnachentrichtung entscheidenden Versicherungsträger identisch, wie in dem vom erkennenden Senat am 9. September 1982 entschiedenen Fall, so ist der Versicherungsträger zur Prüfung des geltend gemachten Anspruchs nach Grund und Höhe in der Lage, sobald die beabsichtigte Nachentrichtung nach Zeiträumen und Beitragsklassen spezifiziert ist, wenn im übrigen der Leistungsantrag vollständig i.S. von § 44 Abs. 2 SGB 1 ist.
Geht die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Leistung einerseits und die Beitragsnachentrichtung andererseits - wie im vorliegenden Fall - auseinander, so ändert dies nichts am Grundsatz, daß der vollständige Leistungsantrag i.S. des § 44 Abs. 2 SGB 1 gestellt ist, sobald der für die Leistungsfeststellung zuständige Versicherungsträger in die Lage versetzt ist, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu prüfen. Zu dieser Prüfung gehört auch die Feststellung, für welche Zeitabschnitte und in welcher Höhe Beiträge entrichtet oder nachentrichtet sind. Erfährt der für die Leistungsfeststellung zuständige Versicherungsträger also vom Versicherten, daß dieser durch einen anderen - für die Entscheidung über die Beitragsnachentrichtung zuständigen - Versicherungsträger zur Beitragsnachentrichtung zugelassen worden ist und entsprechend der Zulassung den gesamten nachzuentrichtenden Betrag an jenen Versicherungsträger überwiesen hat, so ist damit der für die Leistungsfeststellung zuständige Versicherungsträger in die Lage versetzt, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu prüfen. Es ist seine Aufgabe, bei dem für die Beitragsnachentrichtung zuständigen Versicherungsträger die dort bekannten Zeiträume und Beitragshöhen abzufragen und in die eigene Leistungsberechnung einzubringen, ebenso wie er dies mit den bei anderen Versicherungsträgern befindlichen Beitragsnachweisen zu tun hat, sobald er von ihrer Existenz erfährt.
Die vom Eingang der Mitteilung über die Beitragsnachentrichtung am 13. März 1978 bis zum Eingang des Verwendungsnachweises am 10. Juli 1978 bei der Beklagten verstrichene Zeit bewirkte deshalb unter dem Gesichtspunkt des Eingangs des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger nicht eine Verschiebung des Beginns der 6-Monats-Frist des § 44 Abs. 2 SGB 1 auf den 10. Juli 1978. Diese Frist begann vielmehr am 13. März 1978. Der Zinsanspruch besteht daher ab 1. Oktober 1978 und endet gem. § 44 Abs. 1 SGB 1 mit dem Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und daher gem. § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG zum Eingang der Rentennachzahlung auf dem Konto des Vertreters der Klägerin - "Wert 2. Januar 1979" - ist die Zahlung im Januar 1979 erfolgt, so daß der Zinsanspruch mit Ablauf des Monats Dezember 1978 endet.
Einen Zinsanspruch für die Zeit vor dem 1. Oktober 1978 hat die Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht. Abgesehen davon, daß ein solcher Anspruch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf die Herstellung eines Zustandes gerichtet ist, der ohne die in Betracht kommende Rechtsverletzung eingetreten wäre und der durch eine Amtshandlung im Rahmen der Sozialversicherungsgesetze möglich ist (BSGE 47, 194, 200 m.w.N.), wozu ein Schadensersatzanspruch im Wege der Amtshaftung, für den die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zuständig wären, nicht gehört, kann die im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches getroffene Zinsregelung, die sich nur auf Fälle bezieht, in denen die Verwaltung trotz vollständig vorliegenden Leistungsantrages eine Leistung nicht innerhalb von 6 Monaten ausgezahlt hat, nicht zum Zwecke der - anderweitig auszugleichenden - Verfolgungsschäden oder zum Ausgleich der - ebenfalls auf anderer Weise geregelten - Prozeßkostenerstattung ausgedehnt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.5b RJ 28/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
8. September 1983
Fundstellen