Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 27.03.1992) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. März 1992 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Ansonsten sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die ungekürzte Witwenrente nach dem Versicherten G. … Sch. ….
Die Klägerin ist die Witwe des 1916 geborenen Versicherten. Von 1938 bis 1973 war er mit der 1914 geborenen Beigeladenen verheiratet. Im Dezember 1973 wurde die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten geschieden. Zu dieser Zeit hatte der Versicherte ein monatliches Einkommen vor Steuern und vor Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 1.485,00 DM, die Beigeladene in Höhe von 1.400,00 DM. Der Versicherte heiratete 1975 die Klägerin. Im Februar 1985 verstarb der Versicherte. Sein Altersruhegeld betrug im Sterbemonat 1.556,60 DM. Von seinem früheren Arbeitgeber erhielt er ein monatliches Ruhegeld, das ab 1. Januar 1985 563,32 DM betrug. Die Klägerin hatte hinreichendes eigenes Einkommen. Die Beigeladene hatte zu dieser Zeit monatliche Einkünfte in Höhe von 778,10 DM (682,00 DM Rente und 96,10 DM S. … -Ruhegeld). Daneben hatte sie monatliche Einkünfte aus einer Tätigkeit als Putzfrau sowie nach der Behauptung der Klägerin als Hausmeisterin.
Sowohl die Beigeladene als auch die Klägerin stellten Antrag auf Hinterbliebenenrente. Die Beklagte ging davon aus, daß die Beigeladene gegen den Versicherten im Zeitpunkt seines Todes einen monatlichen Unterhaltsanspruch in Höhe von etwa 400,00 DM gehabt habe und gewährte ihr ab 1. Juli 1987 anteilige Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 805,10 DM (Bescheid vom 12. Februar 1988). Die Rente der Klägerin betrug wegen der dadurch eingetretenen Kürzung noch 222,70 DM (Bescheid vom 12. Februar 1988; Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1988).
Das Sozialgericht (SG) hat die von der Klägerin erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Dezember 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 27. März 1992) und im wesentlichen ausgeführt: 1973, im Zeitpunkt der Scheidung, habe die Beigeladene keinen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten gehabt. Die besseren Verhältnisse, in denen der Versicherte später vor seinem Tode gelebt habe, seien zur Zeit der Scheidung aber schon angelegt gewesen, so daß auch bei Projizierung der ehelichen Lebensverhältnisse zur Zeit der Scheidung auf den Zeitpunkt seines Todes es dabei bleibe, daß der Versicherte zum Todeszeitpunkt der Beigeladenen unterhaltspflichtig gewesen sei. Im Februar 1985 habe er über ausreichendes Einkommen verfügt, um der bedürftigen Beigeladenen monatlich 420,80 DM zahlen zu können. Der Regelsatz der Sozialhilfe habe 1985 in Berlin für einen Alleinstehenden 363,00 DM betragen. Der Unterhalt, den der Versicherte der Beigeladenen geschuldet habe, sei deshalb höher gewesen als 25 vom Hundert dieses Regelsatzes.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzungen des § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 103, 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das Berufungsgericht.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Berlin vom 21. Dezember 1989 aufzuheben sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ungekürzte Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann zu gewähren.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die ungekürzte Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann, dem Versicherten. Zu Recht hat die Beklagte die Hinterbliebenenrente der Klägerin deshalb gekürzt, weil der Beigeladenen anteilige Hinterbliebenenrente zu gewähren war.
Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten ist noch die RVO anzuwenden, obwohl bereits zum 1. Januar 1992 das Sechste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) die Vorschriften der RVO über die Rentenversicherung ersetzt hat. Denn der von der Klägerin erhobene Anspruch ist vor dem 1. Januar 1992 entstanden und vor dem 31. März 1992 geltend gemacht worden (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Zwischen den Beteiligten ist nicht zweifelhaft, daß die Beklagte die Errechnung der der Klägerin einerseits und der Beigeladenen andererseits zustehenden Anteile der Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten iS des § 1268 Abs 4 RVO richtig durchgeführt hat. Die Klägerin ist lediglich der Auffassung, daß die Beigeladene keine Rente beanspruchen kann und daß sie, die Klägerin, die nach dem Tode des Versicherten anfallende Hinterbliebenenrente deshalb allein und ungekürzt zu erhalten hat. Die Voraussetzungen, unter denen der geschiedenen Ehefrau (hier der Beigeladenen) Rente zu gewähren ist und unter denen damit die Rente der Witwe zu kürzen ist, liegen indessen zu Gunsten der Beigeladenen und zu Lasten der Klägerin vor.
Nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden wurde, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) zu leisten hatte. Sind mehrere Berechtigte vorhanden, also sowohl Witwe wie auch „Geschiedenen-Witwe”, so ist die nach dem Tode des Versicherten anfallende Witwenrente in dem Verhältnis zwischen Witwe und „Geschiedenen-Witwe” zu teilen, wie es der Dauer der Ehen entspricht, die die beiden Frauen mit dem Versicherten verbracht haben (§ 1268 Abs 4 RVO). Von den genannten Voraussetzungen kann hier nur der Unterhaltsanspruch der Beigeladenen gegen den Versicherten im Zeitpunkt des Todes fraglich sein. Er ist aber zu bejahen.
Bei der Frage, ob ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau gegen den Versicherten bestanden hat, ist abzustellen auf die „Zeit seines Todes” (§ 1265 Abs 1 Satz 1 RVO). Entscheidend ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR Nrn 22 und 67 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nr 79, S 266). Das ist in der Regel die Zeitspanne eines Jahres vor seinem Tode; sie kann aber auch kürzer sein, wenn sich in diesem Jahr wesentliche Änderungen in den Verhältnissen des Versicherten ergeben haben. Nach den Feststellungen des LSG hat der Versicherte vor seinem Tod von dem Bezug zweier Renten gelebt, einmal vom Bezug der Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung und zum anderen von dem Ruhegeld, das er von seinem früheren Arbeitgeber erhielt. Beide Einkunftsarten pflegen keinen stärkeren Schwankungen zu unterliegen, waren daher im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten annähernd gleich. Doch betrug, wie das LSG festgestellt hat, das Ruhegeld „ab 1. Januar 1985” 563,32 DM, war also gerade angehoben worden. Bei der Errechnung des Unterhaltsbetrages im einzelnen, den der Versicherte an die Beigeladene zu entrichten hatte, hat das LSG diesen Betrag zugrunde gelegt. Das ist nicht zu beanstanden, zumal es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommt, ob der vom Versicherten der Beigeladenen geschuldete Unterhalt um wenige Mark höher oder niedriger gelegen hat.
Die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestimmt sich nach den §§ 58, 59 EheG. Diese Vorschriften sind zwar mit Ablauf des 30. Juni 1977 außer Kraft getreten, aber hier noch anwendbar, da die Ehe des Versicherten und der Beigeladenen vorher geschieden wurde (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechtes vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421). Nach § 58 Abs 1 EheG ist der schuldig geschiedene Ehegatte verpflichtet, dem anderen den nach den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen des anderen Ehegatten und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Nach § 59 Abs 1 EheG hat er nur soviel zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens-und Einkommensverhältnisse des anderen Ehegatten der Billigkeit entspricht, wenn er durch die Gewährung des in § 58 EheG bestimmten Unterhaltes bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs ist somit, daß der Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes leistungsfähig und die Beigeladene unterhaltsbedürftig war. Beides ist der Fall.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Errechnung der Höhe des vom Unterhaltspflichtigen zu leistenden Unterhaltes für die Zwecke des § 1265 RVO von der Anrechnungsmethode und nicht von der mittlerweile im Zivilrecht herrschenden Differenzmethode auszugehen (BSG SozR 3-2200 § 1265 Nrn 4, 7). Diese Methode besagt, daß der Unterhaltsanspruch des Berechtigten ein Drittel bis drei Siebtel des Gesamtnettoeinkommens beträgt, abzüglich der eigenen Nettoeinkünfte des Unterhaltsberechtigten (BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 S 17; BSGE 32, 197 = SozR Nr 58 zu § 1265 RVO). Ausgehend von diesem Verteilungsschlüssel hat das LSG den Unterhaltsanspruch der Beigeladenen gegen den Versicherten im Zeitpunkt des Todes im wesentlichen richtig errechnet. Nach den Feststellungen des LSG hatte der Versicherte monatlich 1.156,60 DM plus 563,32 DM zur Verfügung. Das waren 1.719,92 DM. Die Beigeladene hatte monatlich 682,00 DM plus 96,10 DM Renteneinkünfte. Das waren 778,10 DM.
Die Beigeladene hatte zZ des Todes des Versicherten zwar außerdem noch Einkünfte aus einer Putzstelle oder einer Hausmeistertätigkeit. Sie befand sich nach den Feststellungen des LSG zum Todeszeitpunkt des Versicherten aber bereits im 72. Lebensjahr. In diesem Alter ist eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht mehr zuzumuten (so der erkennende Senat in SozR 2200 § 1265 Nr 76 im Anschluß an BSGE 46, 214 = SozR aaO Nr 33). Zu Recht hat somit das LSG die Einkünfte der Beigeladenen aus eigener Arbeitsleistung zZ des Todes des Versicherten nicht als rechtserheblich beurteilt. Die diesbezügliche Verfahrensrüge einer mangelnden Sachaufklärung (Verletzung der §§ 103, 106 SGG) geht deshalb schon deswegen fehl, was gemäß § 170 Abs 3 Satz 1 SGG keiner weiteren Begründung bedarf.
Das Gesamteinkommen des Versicherten und der Beigeladenen betrug damit im Zeitpunkt des Todes des Versicherten 1.719,92 DM plus 778,10 DM, also 2.498,02 DM. Daß das LSG von einer grundsätzlichen Unterhaltsverpflichtung von drei Siebtel ausgegangen ist, ist nicht zu beanstanden. Das macht 1.070,58 DM, auf die die 778,10 DM anzurechnen sind, die die Beigeladene selbst monatlich eingenommen hat. Der Unterhaltsanspruch der Beigeladenen betrug also 292,48 DM.
Diesen Betrag, den die Beigeladene zu der Zeit, als der Versicherte verstarb, also 1985, von dem Versicherten hätte beanspruchen können, entfällt auch nicht deshalb oder ist nicht deshalb zu kürzen, weil er das Maß des „nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen” Unterhaltes (§ 58 Abs 1 EheG) – wie die Klägerin meint – überschritten habe. Die Rechtsprechung des BSG hat dieses Erfordernis der Beschränkung des geschuldeten Unterhaltes auf ein Maß, das mit den letzten gemeinsamen ehelichen Verhältnissen verträglich ist, gelegentlich dahin umschrieben, der sich für den Zeitpunkt der Scheidung ergebende eheliche Lebensstandard sei unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Veränderungen der allgemeinen Lohn- und Preisverhältnisse auf die Zeit des Todes des Versicherten zu „projizieren” (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 30 S 88; Nr 42 S 142). Diese sogenannte „Projektion” kann indes entfallen, wenn die individuelle Einkommensentwicklung im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat (BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 56, 82 S 275). So war es hier. Sowohl der Versicherte als auch die Beigeladene blieben hinsichtlich ihrer sozialen Stellung im wesentlichen, was sie schon während der Ehe gewesen waren. Ihre Verhältnisse änderten sich nicht grundlegend. Entgegen der Auffassung der Klägerin war hier also eine besondere „Projektion” nicht veranlaßt (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 56).
Der Unterhalt, den der Versicherte der Beigeladenen zur Zeit seines Todes monatlich schuldete, war auch von einer Höhe, die im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO rechtserheblich ist. Als Unterhalt ist nur ein Betrag anzusehen, der 25 vom Hundert der zur Zeit des Todes des Versicherten örtlich gültigen Regelsätze der Sozialhilfe erreicht (BSGE 43, 221 = SozR 2200 § 1265 Nr 26; BSGE 53, 256 = SozR 2200 § 1265 Nr 63; SozR 2200 § 1265 Nrn 65, 79). Zugrunde zu legen ist nur der sozialhilferechtliche Regelsatz ohne einen etwaigen Mehrbedarf und ohne die Kosten der Unterkunft (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 65). Das LSG hat insoweit festgestellt, daß der Regelsatz der Sozialhilfe im Jahre 1985 (für die Zeit vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1985) für einen Alleinstehenden 363,00 DM betrug, 25% davon sind also 90,75 DM. Dieser Betrag wurde von dem Unterhaltsbetrag, den der Versicherte der Beigeladenen schuldete (292,48 DM), erreicht.
Die Beigeladene hatte auch weder gegenüber dem Versicherten auf Unterhalt verzichtet noch ihren Unterhaltsanspruch verwirkt. Das LSG hat richtig ausgeführt, daß allein aus dem jahrelangen Unterlassen der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches sich dies nicht herleiten läßt. Der Verzicht setzt einen entsprechenden Vertrag voraus, die Verwirkung mehr als das bloße Nichtgeltendmachen. Inwiefern die Beigeladene einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben könnte, sie werde keinen Unterhalt mehr fordern, ist zu Recht vom LSG aufgrund der von ihm festgestellten Umstände nicht gesehen worden.
Der Revision mußte nach alledem der Erfolg versagt bleiben; sie war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen