Orientierungssatz

Dem Bestehen einer Unterhaltspflicht nach dem EheG steht nicht schon entgegen, daß ein Anspruch einer in der SBZ wohnhaften Klägerin gegen einen in England lebenden Versicherten wegen fehlender staatsrechtlicher Anerkennung der SBZ und der diplomatischen Beziehungen nicht realisiert werden konnte.

 

Normenkette

RVO § 1265 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. November 1961 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als geschiedene Frau aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes, Erich Sch, eine Hinterbliebenenrente beanspruchen kann.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist der Versicherte als deutscher Soldat im 2. Weltkrieg in britische Kriegsgefangenschaft geraten und nach der Entlassung in England verblieben; er hat dort mit einer Frau zusammen gelebt und von England aus die Scheidung seiner Ehe gegen die in Leipzig wohnhafte Klägerin betrieben. Mit dem am 20. Januar 1955 ergangenen und am 31. Januar 1955 verkündeten Urteil des Kreisgerichts Leipzig ist die Ehe nach § 48 des Ehegesetzes von 1946 geschieden worden mit dem Ausspruch, daß den Versicherten ein Verschulden treffe. Dieser ist am 30. Mai 1956 in England an Bronchialkrebs verstorben. Die Klägerin ist später in die Bundesrepublik verzogen.

Die Beklagte lehnte den im Oktober 1958 gestellten Rentenantrag ab, weil die Voraussetzungen des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht gegeben seien (Bescheid vom 19. Januar 1959). Die Klägerin hatte zuvor in einer eidesstattlichen Erklärung angegeben, der Versicherte habe zu keiner Zeit Unterhalt geleistet, es sei ihr in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) unmöglich gewesen, einen Unterhaltsanspruch durchzusetzen, so daß sie habe arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch hatte die Beklagte von dem Rechtsanwalt, der den Versicherten im Ehescheidungsprozeß vertreten hatte, eine Auskunft über dessen (ungünstige) gesundheitliche und Einkommensverhältnisse vor und während des Scheidungsverfahrens erhalten.

Mit der Klage machte die Klägerin u. a. geltend, der Versicherte habe ihr durch regelmäßige Übersendung von Paketen mit Lebensmitteln, Kleidung und Wäsche (monatlich ein bis zwei Pakete) tatsächlich Unterhalt geleistet. Das Sozialgericht (SG) München hörte hierzu die Tochter und den Sohn der Klägerin als Zeugen. Es hob den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte sie, der Klägerin die Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG vom 1. Oktober 1958 an zu zahlen (Urteil vom 4. November 1960). Auf die Berufung der Beklagten hob das Bayerische LSG das Urteil des SG auf und wies die Klage - unter Zulassung der Revision - ab: Der Versicherte habe z. Zt. seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten gehabt. Als Zeit des Todes im Sinne von § 42 AVG komme ein Zeitraum von der Dauer etwa eines Vierteljahres, hier also die Zeit von März 1956 bis Ende Mai 1956, in Betracht. In dieser Zeit - wie auch in der Zeit vorher - sei der damals 57-jährigen Klägerin die Verwertung ihrer Arbeitskraft zuzumuten gewesen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Tatsächlich habe die Klägerin im März 1956 eine Arbeit aufgenommen. Deshalb sei eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach § 58 des Ehegesetzes entfallen, weil er nur insoweit verpflichtet gewesen sei, als die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit der Klägerin für ihren Lebensunterhalt nicht ausreichten. Danach erübrige sich der Versuch, festzustellen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes überhaupt unterhaltsfähig gewesen sei. Ein sonstiger Grund für die Unterhaltspflicht sei nicht ersichtlich. Ebensowenig habe der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet. Ob die - an sich wenig wahrscheinliche - Behauptung der Klägerin zutreffe, der Versicherte habe ihr regelmäßig alle Monate ein bis zwei Pakete zukommen lassen, brauche nicht weiter geklärt zu werden. Denn dies sei nach den eigenen Angaben der Klägerin jedenfalls nur bis Dezember 1955 geschehen, im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten (Juni 1955 bis Mai 1956) also nur während der ersten 7 Monate. Danach sei aber der maßgebliche Jahreszeitraum nicht im wesentlichen durch Unterhaltsleistungen gedeckt gewesen, wie das in der letzten Alternative des § 42 AVG verlangt werde. Die Klägerin könne aus diesen Gründen keine Rente nach § 42 AVG beanspruchen (Urteil vom 14. November 1961).

Die Klägerin legte Revision ein mit dem Antrag (sinngemäß),

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen;

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie machte geltend, das angefochtene Urteil sei unter Verletzung der §§ 103, 106 Abs. 1, 153 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), der §§ 58 und 59 des Ehegesetzes und des § 42 AVG ergangen. Das LSG habe weder ihre Unterhaltsbedürftigkeit noch die Unterhaltsfähigkeit des Versicherten z. Zt. seines Todes richtig geprüft. Es sei nicht darauf eingegangen, ob die Erträgnisse der - ihr nach ihrem Gesundheitszustand und ihrer bisherigen Lebensführung unzumutbaren - Erwerbstätigkeit in Leipzig für ihren Unterhalt ausgereicht hätten und ob der Versicherte - wenn er hätte belangt werden können - zu dem Arbeitsverdienst noch einen Unterhaltsbeitrag hätte leisten müssen. Über seine finanziellen Verhältnisse in den letzten Monaten vor seinem Tode sei nichts ermittelt worden. Unzutreffend und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zuwider habe das LSG angenommen, als Zeit des Todes des Versicherten sei ein Zeitraum von der Dauer eines Vierteljahres anzusehen und es sei während dieser Zeitspanne insgesamt - also auch noch am Todestag selbst - die Unterhaltspflicht des Mannes zu verlangen. Es müsse genügen, daß der Versicherte nach der Scheidung 11 Monate lang und bis 5 Monate vor seinem Tode laufend regelmäßig Unterhalt geleistet habe, um eine Unterhaltspflicht im Zeitpunkt des Todes anzunehmen. Jedenfalls hätte aber die Rente nach der letzten Alternative des § 42 AVG zugesprochen werden müssen. Wenn das LSG Zweifel an der Tatsache der regelmäßigen Paketsendungen hatte, hätte es die Zeugen nochmals vernehmen müssen. Das Gesetz verlange keine kontinuierlichen Zahlungen in dem maßgeblichen Jahreszeitraum. Der vorliegende Streitfall unterscheide sich nicht wesentlich von dem mit Urteil vom 20. Juli 1960 (BSG 12, 279) entschiedenen Streitfall, in dem die Unterhaltsleistung nur 4 Monate gedauert habe. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, daß das letzte Jahr vollständig oder im wesentlichen durch Unterhaltsleistungen gedeckt ist, hätte er dies ohne Schwierigkeiten im Gesetzestext ausdrücken können.

Die Beklagte beantragte

die Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist zulässig und begründet. Die Annahme des LSG, die Voraussetzungen des § 42 AVG seien bei der Klägerin nicht gegeben, hält nicht in allen Teilen einer rechtlichen Nachprüfung stand.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten ist im Jahre 1955 in ihrem Wohnort Leipzig geschieden worden.

Scheidungsurteile der Gerichte der SBZ sind regelmäßig auch in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wirksam; Gründe, aus denen dem Urteil des Kreisgerichts Leipzig vom Januar 1955 ausnahmsweise die Anerkennung zu versagen wäre, sind weder aus dem Vortrag der Klägerin noch sonst in ausreichendem Maße ersichtlich. Auch könnte die Unwirksamkeit des Scheidungsurteils im vorliegenden Rechtsstreit erst geltend gemacht werden, wenn durch Urteil eines Gerichts in der BRD im Verfahren nach §§ 606 ff der Zivilprozeßordnung (ZPO) festgestellt wäre, daß die Ehe über den Scheidungszeitpunkt hinaus bis zum Tode des Versicherten fortbestanden hat. Der Senat schließt sich damit nach eigener Prüfung der Rechtslage der Auffassung im Urteil des 11. Senats vom 16. April 1964 - 11/1 RA 26/61 - abgedruckt in NJW 1964 S. 1589 - an. Daß ein Gericht in der BRD die Unwirksamkeit des genannten Scheidungsurteils ausgesprochen hätte, ist weder von der Klägerin behauptet, noch vom LSG festgestellt worden. Die Klägerin kann daher keine Witwenrente, sondern nur die Rente als frühere Ehefrau des Versicherten beanspruchen. Dieser ist zwar schon im Jahre 1956 verstorben. Der Anspruch der Klägerin auf die im Jahre 1958 beantragte Rente beurteilt sich aber, wie das LSG mit Recht aus Artikel 2 § 18 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) entnommen hat, nach § 42 AVG.

Die Klägerin stützt den Rentenanspruch zunächst auf die in § 42 AVG an erster Stelle genannte Voraussetzung. Danach kommt es - da "sonstige Gründe" nicht ersichtlich sind - darauf an, ob ihr der Versicherte z. Zt. seines Todes nach den Vorschriften des Ehegesetzes Unterhalt zu leisten hatte. Dem Bestehen einer solchen Unterhaltspflicht steht nicht schon entgegen, daß ein Anspruch der in Leipzig wohnhaften Klägerin gegen den in England lebenden Versicherten in der maßgeblichen Zeit wegen fehlender staatsrechtlicher Anerkennung der SBZ und der diplomatischen Beziehungen nicht realisiert werden konnte. Das Gesetz verlangt zwar eine konkrete Pflicht des geschiedenen Mannes zur Unterhaltsleistung (BSG 3, 197, 199); dies bedeutet aber nicht, daß der konkret gegebene Anspruch der geschiedenen Frau auch zu verwirklichen gewesen sein oder gar zu einer tatsächlichen Zahlung des Mannes geführt haben muß. Der Berücksichtigung des deutschen Rechts steht auch nicht entgegen, daß der Versicherte in der maßgeblichen Zeit in England gewohnt hat. Er ist bis zu seinem Tode deutscher Staatsangehöriger geblieben (das Gegenteil ist weder behauptet noch festgestellt worden), und seine Ehe ist von einem deutschen Gericht nach deutschem Recht geschieden worden. Deshalb richten sich auch die Rechtsfolgen der Ehescheidung, insbesondere die Unterhaltspflicht, nach deutschem Recht (vgl. Palandt, EGBGB Art. 14 Anm. 4 e und Art. 17 Anm. 5). Das LSG hat daher das Bestehen einer solchen Unterhaltspflicht zutreffend nach den Vorschriften in § 61 Abs. 1 i. V. m. §§ 58, 59 des am 1. März 1946 einheitlich in allen Besatzungszonen Deutschlands in Kraft getretenen Ehegesetzes von 1946 geprüft. Zwar ist dieses Ehegesetz in der SBZ, wo die Klägerin z. Zt. des Todes des Versicherten gewohnt hat, inzwischen aufgehoben worden und an dessen Stelle die - inhaltlich wesentlich abweichende - Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955 (Gesetzblatt S. 849) getreten (vgl. Palandt, Einleitung 1 A zum Ehegesetz 1946 - Heinse in NJW 1956 S. 658). Nach den Bestimmungen dieser Verordnung ist in der SBZ vom 29. November 1955 an, also auch z. Zt. des Todes des Versicherten im Mai 1956, verfahren worden. Sie können indessen für die hier zu entscheidende Frage nicht maßgeblich sein, weil nach der in der BRD herrschenden Rechtsüberzeugung den gesetzgebenden Stellen in der SBZ die freiheitliche demokratische Legitimation zur wirksamen Gesetzgebung und damit auch zu einer Neuordnung des Ehescheidungsrechts fehlt. Es muß vielmehr auf das vor der Zonengesetzgebung geltende deutsche Recht zurückgegriffen werden, hier also auf das deutsche Ehegesetz in der Fassung, die ihm die Besatzungsmächte (Kontrollrat) gegeben haben. Der Rentenanspruch der Klägerin muß also so beurteilt werden, wie wenn z. Zt. des Todes des Versicherten an ihrem Wohnort Leipzig noch das Ehegesetz von 1946 gegolten hätte.

Nach § 42 AVG muß die Unterhaltspflicht des Versicherten "zur Zeit seines Todes" bestanden haben. Die Auffassung des LSG, daß hierfür regelmäßig ein Zeitraum bis zur Dauer eines Vierteljahres als maßgebend anzusehen sei, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Eine kalendermäßige Begrenzung der Zeit des Todes würde, wie schon der 11. Senat des BSG mit Urteil vom 23. Juni 1964 - 11/1 RA 39/61 - entschieden hat, dem sich der erkennende Senat anschließt, der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente nicht gerecht werden. Die neuere Rechtsprechung sieht - wie auch bei der inhaltlich ähnlichen Regelung in § 43 Abs. 1 AVG (vgl. Urteil des Senats vom 14. Februar 1964 - 1 RA 203/60 - abgedruckt im Sozialrecht Bl. Aa 5 Nr. 4 zu § 1266 RVO) - regelmäßig den letzten zwischen den früheren Ehegatten bestehenden wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten als maßgeblich an, d. h. den Zustand, der fortgedauert hätte, wenn nicht der Versicherte gestorben wäre. Er kann längere oder kürzere Zeit gedauert haben als das Vierteljahr, von dem das LSG ausgegangen ist. Von den Verhältnissen während dieses letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist daher auch für die Prüfung auszugehen, ob eine Unterhaltspflicht des Versicherten der Klägerin gegenüber bestanden hat. Nach den Feststellungen des LSG hat diese im März 1956 eine abhängige Arbeit aufgenommen und aus dem Arbeitslohn ihren Lebensunterhalt bestritten. Aber auch wenn man davon ausgeht, mit dieser Arbeitsaufnahme, die (zufällig) etwa ein Vierteljahr vor dem Tode des Versicherten erfolgte, sei der letzte wirtschaftliche Dauerzustand in den Verhältnissen zwischen den früheren Ehegatten eingeleitet worden, es komme daher - wenn auch aus anderen als den vom LSG angenommenen Gründen - auf diesen Zeitraum für die Entscheidung des Rechtsstreits an, so rechtfertigt sich damit noch nicht die weitere Annahme des LSG, die Klägerin sei während dieses Zeitraums nicht unterhaltsbedürftig gewesen.

Nach der Auffassung des LSG hat die Klägerin durch ihr zumutbare Arbeitsleistung ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen erzielt, weshalb ein Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten nach § 58 des Ehegesetzes nicht bestanden habe. Die Klägerin wendet ein, die tatsächlich verrichtete Arbeit sei ihr nicht zuzumuten gewesen und nur mit den besonderen Verhältnissen in der SBZ zu erklären; sie sei aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig, zumindest nicht imstande gewesen, einen ausreichenden Arbeitsverdienst zu erzielen. Das LSG habe es insoweit unterlassen, den Sachverhalt aufzuklären. Der Senat braucht auf diesen Einwand nicht näher einzugehen und nicht zu prüfen, ob der damals 57jährigen Klägerin nach den gegebenen gesundheitlichen und örtlichen Verhältnissen die Arbeit, die sie sich selbst ausgesucht hatte, oder eine sonstige Erwerbstätigkeit noch zuzumuten war. Denn jedenfalls wird die Meinung des LSG, ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten habe deshalb nicht bestanden, weil sie in dem maßgeblichen Zeitraum ein Arbeitseinkommen erzielt und für ihren Lebensunterhalt verwendet habe, dem Sinngehalt des § 58 des Ehegesetzes nicht gerecht. Danach hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehemann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Daß die Klägerin Vermögen gehabt habe, ist nicht erwiesen. Daraus allein, daß sie eine Arbeit aufgenommen hatte und ein Arbeitseinkommen erzielte, kann aber nicht schon auf ihren angemessenen Lebensunterhalt geschlossen werden. § 58 des Ehegesetzes befreit den Verpflichteten nicht schon deshalb von der Unterhaltspflicht, weil die Berechtigte in Arbeit steht; erforderlich ist vielmehr, daß die Erträgnisse der Arbeit für den angemessenen Unterhalt ausreichen. Was aber als angemessen anzusehen ist, beurteilt sich, wie das Gesetz ausdrücklich sagt, nach den Lebensverhältnissen beider Ehegatten. Auszugehen ist zunächst von dem Lebenszuschnitt zur Zeit der Ehescheidung, soweit er den Lebensverhältnissen der geschiedenen Gatten entsprach; späteren Änderungen kann im Rahmen des § 323 ZPO Rechnung getragen werden (vgl. Palandt Anm. 3 zu § 58 des Ehegesetzes). Das LSG ist aber, wie die Revision mit Recht rügt, weder darauf eingegangen, ob die Klägerin genügend verdient hat oder verdienen konnte, noch hat es Feststellungen darüber getroffen, ob der Versicherte zusätzlich zu dem Arbeitsverdienst der Klägerin noch einen Unterhaltsbeitrag hätte leisten können und müssen. Der Sachverhalt bietet auch keine Handhabe dafür, die Lebensverhältnisse des Versicherten in England auch nur annähernd zu beurteilen. Das nur mäßig bemessene Erwerbseinkommen der Klägerin (nach ihren Angaben 140,- DM bis 160,- DM Ost brutto im Monat) läßt es auch nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen, daß der Versicherte, wenn er dazu fähig gewesen wäre und wenn er hätte belangt werden können, noch zu einer zusätzlichen Leistung verpflichtet worden wäre, um den angemessenen Unterhalt der Klägerin sicherzustellen. Diese Frage kann aber nur bei Kenntnis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten und seiner sonstigen Verpflichtungen beurteilt werden. Die Feststellungen hierzu sind zwar schwierig, weil der Versicherte in England verstorben ist. Sie sind jedoch nicht unmöglich, weil sein Aufenthalt und die Anschrift der Frau, mit der er zusammen gelebt hat, aus der Sterbeurkunde bekannt sind. Für die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten kann vor allem auch der Umfang seines Nachlasses von Bedeutung sein, worüber - falls nicht amtliche Unterlagen englischer Behörden vorhanden sind - die Besitzerin des Hotels als Zeugin gehört werden kann, in dem der Versicherte zuletzt gewohnt hat. Diese Ermittlungen sind auch angebracht, um die Unterhaltsfähigkeit des Versicherten nach § 59 des Ehegesetzes zu beurteilen und damit ein abschließendes Bild über das Bestehen einer Unterhaltspflicht zu gewinnen. Sollte allerdings eine Klärung im vorstehenden Sinn nicht möglich sein, so würde die Nichterweislichkeit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zum Nachteil der Klägerin gereichen, die aus den behaupteten Lebensverhältnissen des Versicherten Rechte für sich herleiten will.

Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils genügen aber auch insoweit nicht für die Entscheidung des Rechtsstreits, als das LSG die letzte Voraussetzung des § 42 AVG beurteilt hat. Danach kommt es darauf an, ob der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode (Juni 1955 bis Mai 1956) der Klägerin tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Das LSG hat zwar nicht verkannt, daß die behaupteten Paketsendungen des Versicherten unter den gegebenen Verhältnissen (insbesondere wegen der Unmöglichkeit von Geldüberweisungen in die SBZ) Unterhalt im Sinne des Gesetzes gewesen sein konnten. Es hat auch zutreffend angenommen, die Worte "im letzten Jahr" im Gesetz könnten nicht schon bei einer nur einmaligen Zuwendung verhältnismäßig geringen Umfangs (z. B. einem Weihnachtspaket) erfüllt sein. Entsprechend dem Wesen der Unterhaltsleistung als einer auf gewisse Dauer und Beständigkeit angelegten Beziehung muß es sich vielmehr um Leistungen mit Unterhaltscharakter in einer bestimmten Höhe oder von einer gewissen Regelmäßigkeit handeln, durch die der ganze nach dem Gesetz maßgebliche Jahreszeitraum im wesentlichen gedeckt ist. Diese Betrachtung, von der die Rechtsprechung des BSG schon bisher ausgegangen ist, zwingt aber dazu, Zahl, Umfang und Inhalt der behaupteten Pakete in dem maßgeblichen Zeitraum näher zu ermitteln (und aufzuklären, für wen sie bestimmt waren), weil der gesamte Jahreszeitraum überblickt werden muß. Auch hat die Rechtsprechung des BSG von dem genannten Grundsatz Ausnahmen für den Fall zugelassen, daß der Tod des Versicherten vor Ablauf eines Jahres seit der Scheidung oder andere außergewöhnliche und vom Versicherten nicht behebbare Umstände die Unterhaltsleistung für das volle Jahr verhindert haben; in solchen Fällen können ausnahmsweise auch Unterhaltsleistungen, die sich zeitlich auf weniger als ein Jahr erstrecken, als Unterhalt "im letzten Jahr" angesehen werden (BSG 5, 179, 185; 12, 279, 282; 14, 255, 258; BSG im SozR Bl. Aa 17 Nr. 18 zu § 1265 RVO). Das LSG hat jedoch im vorliegenden Rechtsstreit nicht näher geprüft, warum die Paketsendungen, die nach den Behauptungen der Klägerin und der Zeugen auch in der Zeit nach der Ehescheidung bis Weihnachten 1955 allmonatlich erfolgt sein sollen, von da an bis zum Tod des Versicherten im Mai 1956 gänzlich ausgeblieben sind, ob dieser Ausfall auf ein persönliches Unvermögen des Versicherten oder auf äußere, von ihm nicht behebbare Umstände, wie sie etwa in einer Paketsperre durch die sowjetzonale Post zu sehen wären, zurückzuführen ist. Das LSG wird dies noch aufzuklären haben. Auch hier müssen allerdings die Grundsätze über die objektive Beweislast Platz greifen und die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen die Klägerin Rechte für sich herleiten will, zu ihrem Nachteil ausschlagen.

Weil hiernach das Urteil des LSG auf unzureichenden Tatsachenfeststellungen beruht, muß es aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982598

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge