Leitsatz (redaktionell)

Ein schuldhaftes Verhalten des gesetzlichen Vertreters muß der Vertretene als Empfänger der Leistung iS des KOV-VfG § 47 Abs 3 Buchst a gegen sich gelten lassen.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Abs. 3 Buchst. a Hs. a Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1967 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der am 18. April 1944 geborene Kläger bezog gemäß Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) vom 27. September 1951 als Kind seines im Kriege gefallenen Vaters Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Als 1958 seine Mutter verstarb, wurde Frau H B zu seinem Vormund bestellt. Im Jahre 1962 leitete das VersorgA eine Prüfung ein, ob dem Kläger die Rente nach Vollendung des 18. Lebensjahres weiter gewährt werden könne. Aus diesem Anlaß bezog sich der Vormund auf eine Bescheinigung der Kaufmännischen Privatschule A. M vom 2. März 1962, in der bescheinigt wurde, daß der Kläger sich zu einem am 31. März 1963 endenden Jahreslehrgang zur Vorbereitung für den kaufmännischen Beruf (24 Wochenstunden) angemeldet habe. Frau B gab hierzu an, daß der Kläger weiterhin in Berufsausbildung bis 31. März 1963 sei. Darauf gewährte das VersorgA mit Bescheid vom 2. Mai 1962 Waisenrente über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus unter Hinweis auf die Verpflichtung, jede Änderung in den Verhältnissen des Kindes, insbesondere die vorzeitige Beendigung oder eine Unterbrechung der Ausbildung, unverzüglich mitzuteilen. In einer weiteren Bescheinigung vom 7. Februar 1963 bestätigte die Kaufmännische Privatschule A. M die Erweiterung der Ausbildung des Klägers zu einem Zweijahreslehrgang, der erst am 31. März 1964 ende. Die 1963 angestellten Ermittlungen ergaben, insbesondere auf Grund einer von der Kaufmännischen Privatschule angeforderten Auskunft vom 27. September 1963, daß der Kläger zu einem am 17. April 1961 begonnenen Kursus von drei Monaten in Kurzschrift und Maschinenschreiben angemeldet worden sei, den Unterricht aber nur einen Monat lang besucht habe, daß er am 2. März 1962 zu dem am 10. April 1962 beginnenden Jahreslehrgang angemeldet worden sei, aber diesen Kursus ebensowenig wie den am 7. Februar 1963 um ein Jahr verlängerten Kursus, der am 31. März 1964 enden sollte, besucht habe. Gemäß dieser Auskunft waren wiederholte an Frau R gerichtete Aufforderungen, den Kläger zum Unterricht zu schicken, erfolglos geblieben. Die Zahlung der Rente wurde vorsorglich mit dem 30. September 1963 eingestellt. In einem an das VersorgA gerichteten Schreiben vom 6/7. November 1963, das als Antrag auf Wiedergewährung der Rente angesehen wurde, gab der Bevollmächtigte des Klägers im Auftrage des Vormundes an, daß dieser die Schule wegen Krankheit nicht habe besuchen können, doch sei das Schulgeld gezahlt worden. Er legte aus der Zeit von 1958 bis 1963 Fotokopien von ärztlichen Bescheinigungen und sonstigen Nachweisen vor, aus denen zu entnehmen war, daß der Kläger wegen eines Blasenleidens und Anämie in ärztlicher Behandlung gewesen sei, sich in einem allgemein reduzierten Gesundheitszustand befinde, auch wiederholt Kreislaufschwäche eingetreten sei, es sich bei ihm um einen äußerst labilen entwicklungsschwachen Menschen handele und daß sich trotz jährlicher Kuren an seiner Gesamtverfassung (bis Oktober 1963) kaum etwas geändert habe; 1963 habe er noch auf dem Entwicklungsstand eines 14-bis 15jährigen gestanden. In dem Gutachten des Gesundheitsamts der Stadt Wiesbaden vom 12. Dezember 1963 ist ausgeführt, der Kläger sei erstmals im Februar 1960 zur Begutachtung seiner Berufsschulfähigkeit vorgestellt worden. Bei der Untersuchung seien vor allem Zeichen einer angeborenen neurovegetativen Labilität sowie Störungen von seiten des Kreislaufs gefunden worden. Das Ergebnis der Kreislauffunktionsprüfung habe die angegebenen Beschwerden (Kopfschmerzen, Brechneigung, Vergeßlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Neigung zu Ohnmachten) glaubhaft gemacht. Es sei eine Befreiung von der Berufsschulpflicht bis Ostern 1960 ausgesprochen worden. Bei der erneuten Untersuchung am 14. November 1963 hätten die Symptome der angeborenen nervlichen Labilität mit der funktionellen Kreislaufschwäche weiterhin im Vordergrund gestanden. Wegen seelischer Verhaltensstörungen sei der Kläger auch psychiatrisch begutachtet worden. Es sei beabsichtigt, ihm eine Ausbildung zum Hotelfachmann in einer Hotelfachschule mit Internatsbetrieb in M zu verschaffen. In dem von Frau Dr. T-K eingeholten versorgungsärztlichen Gutachten vom 14. Februar 1964 kam diese auf Grund einer eingehenden Untersuchung des Klägers unter Berücksichtigung eines EKG-Befundes, einer Kreislaufprüfung, des Blutbildes und anderer Laborbefunde sowie einer Herzfernaufnahme zu dem Ergebnis, daß sich keine Hinweise auf eine organische Erkrankung ergeben hätten. Eine gewisse vegetative Labilität beziehe sich auf die Entwicklungsjahre der Waise, die wohl jeder Mensch in diesen Lebensjahren durchzustehen habe. Mit dem auf § 42 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Anfechtungsbescheid vom 9. März 1964 wurde festgestellt, daß die Bewilligung der Rente über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus zu Unrecht erfolgt sei, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG nicht vorgelegen hätten, nämlich eine Schul- oder Berufsausbildung nicht stattgefunden habe und auch eine Gebrechlichkeit des Klägers nicht vorgelegen habe (§ 45 Abs. 4 Buchst. b BVG). Ferner wurden der Antrag des Klägers vom 6./7. November 1963 auf Weitergewährung der Rente abgelehnt und gemäß § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG die für die Zeit vom 1. Mai 1962 bis 30. September 1963 überhobenen Bezüge von 1.020,- DM zurückgefordert, weil Tatsachen, die für die Weiterbewilligung der Rente von wesentlicher Bedeutung waren, verschwiegen worden seien. Der Widerspruch war erfolglos. Nachdem die Handels- und Wirtschaftsoberschule Dr. O im April 1964 mitgeteilt hatte, daß der Kläger vom 1. April 1964 an (bis zum 31. März 1966) die private Handelsschule der staatlich genehmigten Berufsfachschule besuche, gewährte das VersorgA Waisenrente ab 1. April 1964.

Mit Urteil vom 11. November 1965 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers, mit der er Aufhebung der angefochtenen Bescheide insoweit beantragt hat, als sie einen Rückforderungsanspruch für zuviel gezahlte Waisenrente beträfen, durch Urteil vom 27. Juni 1967 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die von Frau B als Vormund ausgestellte Vollmacht habe gemäß § 73 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 86 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ihre Wirkung nicht durch die mit der Volljährigkeit des Klägers erlangte Prozeßfähigkeit verloren. Deshalb seien die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem SG, die Zustellung des Urteils und die Einlegung der Berufung wirksam erfolgt. Die nur gegen die Rückforderung gerichtete und insoweit zulässige Berufung sei nicht begründet. Die gesetzliche Vertreterin des Klägers habe dem Beklagten keine Mitteilung davon gemacht, daß er den von der Privatschule A. M bescheinigten Jahreslehrgang und auch den auf zwei Jahre erweiterten Lehrgang nicht besucht habe. Sie habe behauptet, daß der Kläger die Schule wegen Krankheit nicht habe besuchen können. Er habe Frau Dr. T K gegenüber angegeben, daß er sich in der Schule so beengt gefühlt habe, auch sei ihm öfter "schlecht" geworden, so daß er gemeint habe, es habe doch keinen Sinn. Die Ärztin habe jedoch keinerlei Hinweise auf eine organische Erkrankung finden können. Die vorhandene gewisse Labilität beziehe sich auf die Entwicklungsjahre, die wohl jeder in diesem Alter durchzumachen habe. Der Kläger sei sehr wohl in der Lage, einen Beruf zu erlernen und die dazu gehörige Schule zu besuchen. Da die gesetzliche Vertreterin des Klägers in dem Bescheid, in dem die Weiterzahlung der Waisenrente bewilligt worden sei, ausdrücklich auf ihre Verpflichtung hingewiesen worden sei, jede Änderung der Verhältnisse dem VersorgA anzuzeigen, habe sie durch Nichtanzeige der Tatsache, daß der Kläger die Schule tatsächlich nicht besuchte - gleichgültig aus welchen Gründen -, auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Buchst. b VerwVG erfüllt, da sie Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich verschwiegen habe. Als gesetzliche Vertreterin des Klägers sei sie während des hier streitigen Zeitraumes auch "Empfängerin" der Leistungen gewesen. Der von dem Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 26. November 1965 - 8 RV 801/62 - (KOV 1966 S. 74) vertretenen Auffassung, daß bei einem Verschweigen des gesetzlichen Vertreters der Vertretene nicht in jedem Falle zur Rückzahlung verpflichtet sei, könne nicht zugestimmt werden. Die Tatsache, daß der Entwurf des § 47 Abs. 3 VerwVG zum Ersten Neuordnungsgesetz (1. NOG) vorgesehen habe, die Rückerstattungspflicht davon abhängig zu machen, ob der Empfänger "oder sein Vertreter" Tatsachen wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen habe, und daß diese Fassung nicht Gesetz geworden sei, zwinge nicht, wie das BSG angenommen habe, zu der Folgerung, daß der Gesetzgeber diese Frage absichtlich der Rechtsprechung habe überlassen wollen. Mit höherer Überzeugungskraft sei vielmehr der Schluß gerechtfertigt, daß der Gesetzgeber diese Frage nicht ausdrücklich geregelt habe, weil sie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bereits geregelt sei und dessen Grundsätze auch im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden seien. Dann aber könne kein Zweifel darüber bestehen, daß der Vertretene das Verhalten des Vertreters gegen sich gelten lassen müsse (§ 166 Abs. 1 BGB), was im übrigen auch in § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG für die Prozeßvertretung ausdrücklich bestimmt sei. § 47 Abs. 3 VerwVG setze keine strafrechtliche Schuld im Sinne des § 263 des Strafgesetzbuches (StGB) voraus, wie das BSG annehme. Es gehe nicht darum, ob eine solche Schuld nicht auf dritte Personen übertragbar sei, sondern darum, ob der Vertretene vermögensrechtlich für die Folgen einer Handlungsweise des Vertreters einzustehen habe. Ein Unterschied hinsichtlich der Haftung des Vertretenen könne auch nicht etwa um deswillen gemacht werden, weil der Minderjährige seinem gesetzlichen Vertreter keine Weisungen erteilen und die Auswahl des Vertreters nicht beeinflussen könne. Das BGB habe in Kauf genommen, daß der minderjährige Vertretene auch für unrechtmäßiges Verhalten des gesetzlichen Vertreters zu haften habe. Der Ausgleich dafür finde sich in § 1664 BGB hinsichtlich der Haftung der Eltern und in § 1833 BGB hinsichtlich der Haftung des Vormundes. Wäre bei einem bösgläubigen Verhalten des Vertreters der Vertretene nicht haftbar, wäre jede Möglichkeit für ein Zusammenwirken von Vertretenem und Vertreter eröffnet. Auch hier liege ein solches Zusammenwirken des bereits "strafmündigen" Klägers, dem nicht unbekannt habe sein können, daß für ihn weiterhin Waisenrente gezahlt worden sei, mit dem Vertreter sehr nahe. Da die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG erfüllt seien, sei der Kläger zur Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Waisenrente verpflichtet.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 41, 42, 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG und - verfahrensrechtlich - des § 103 SGG. Das LSG habe sich zu Unrecht bei der Anwendung des § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG nur mit der Kenntnis des Empfängers befaßt, ohne zu prüfen, ob auch die Berichtigung rechtmäßig gewesen sei. Wenn der Kläger den Anfechtungs-, Ablehnungs- und Rückforderungsbescheid selbst nicht angegriffen habe, so sei damit noch nicht gesagt, daß er ihn anerkenne. Deshalb hätte das LSG prüfen müssen, ob der frühere Bescheid unrichtig gewesen sei, denn § 47 VerwVG mache die Rückforderung von einer zu Unrecht empfangenen Leistung abhängig. Die Voraussetzungen der §§ 41, 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG lägen nicht vor; der frühere Bescheid sei keineswegs unzweifelhaft tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen; auch seien keine für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen worden. Dem Beklagten sei immer die gewünschte Auskunft gegeben worden; auch sei hinreichend dargetan, daß der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die Schule zu besuchen, deshalb könne ihm der durch Krankheit bedingte Schulausfall nicht angelastet werden. Die gutachtlichen Äußerungen der Frau Dr. T-K und des Gesundheitsamts entbehrten der ausreichenden Klarheit. Deshalb hätte ein Obergutachten eingeholt werden müssen. Nach § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG komme es auf die wissentlich falsche Angabe oder das Verschweigen des Empfängers der Leistung an. Wenn dieser oder sein Vertreter dem VersorgA keine Mitteilung von den Gründen gemacht habe, die den Kläger veranlaßt hätten, von dem Schulbesuch Abstand zu nehmen, so bedeute dies noch kein Verschweigen solcher Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung seien. Das wäre nur dann der Fall, wenn es sich um solche Tatsachen gehandelt hätte, die für jeden durchschnittlichen objektiven Dritten den Schluß zugelassen hätten, daß jeglicher Anspruch auf Versorgungsleistungen ausgeschlossen sei. Das treffe hier nicht zu, vielmehr habe der Kläger bzw. sein Vertreter wie jeder Laie hier annehmen können, daß im Krankheitsfalle die Entgelte weitergezahlt oder Ersatzleistungen gewährt würden, um den Betroffenen vor einem wirtschaftlichen Niedergang zu bewahren und sein berufliches Fortkommen zu sichern. Von einem Verschweigen, um dem Kläger die Rente rechtswidrig zu erhalten, könne keine Rede sein. Dem LSG könne deshalb auch nicht darin gefolgt werden, daß es gleichgültig sei, aus welchen Gründen der unterbliebene Schulbesuch nicht angezeigt worden sei. Im übrigen müsse sich - im Gegensatz zu der Auffassung des LSG - der Kläger auch nicht das Verhalten seines Vertreters entgegenhalten lassen. Die im bürgerlichen Recht bestimmte Haftung des Vertretenen für Vorsatz und Fahrlässigkeit des Vertreters lasse sich im öffentlichen Recht nicht vertreten; denn dort stehe die Eigenart der nach sozialen Gesichtspunkten gewährten Leistungen der Anwendung dieses Grundsatzes entgegen. Der soziale Charakter der Leistungen würde verfälscht, wenn der Vertretene, der sich gegen das Verhalten des Vertreters nicht wehren könne, für dessen Verhalten einstehen müsse. § 278 BGB sei auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts nur anwendbar, wenn nicht die Eigenart der Verhältnisse seine Anwendung ausschließe, z. B. in den Fällen, in denen der öffentliche Rechtsträger, etwa der Staat, wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht oder die Krankenkasse wegen unrichtiger vertrauensärztlicher Beurteilung hafte, nicht aber, wenn der einzelne Bürger der Empfänger einer Leistung sei. Die Haftung der Eltern oder des Vormundes (§§ 1664, 1833 BGB) sei kein gerechter Ausgleich, weil damit das Problem in das privatrechtliche Vermögensrecht geschoben werde und der soziale Charakter des Leistungsempfangs vollkommen verschwinde. Im übrigen sei eine Haftung jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Vertreter arglistig oder sonst unerlaubt gehandelt habe. Dies sei selbst für den Bereich des Zivilrechts anerkannt, sofern der Vertretene keine wirtschaftlichen Vorteile erlangt habe. Das sei hier aber nicht der Fall, da der Kläger ohne die Waisenrente Fürsorgeleistungen erhalten hätte.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 1964 (richtig 9. März 1964) idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 1964 (richtig 9. Juli 1964) insoweit aufzuheben, als diese Bescheide einen Rückforderungsanspruch für zuviel gezahlte Waisenrente betreffen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Gegenstand des Berufungsantrages sei nur der Rückforderungsanspruch gewesen. In tatsächlicher Hinsicht habe das LSG auf Grund des vorliegenden ärztlichen Gutachtens davon ausgehen können, daß der Kläger in der Lage gewesen sei, eine Schul- oder Berufsschulausbildung durchzuführen. Da feststehe, daß er die Schule nicht besucht habe, sei ein verfahrensmäßig unrichtiges Verhalten des Gerichts nicht ersichtlich.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sachlich ist sie nicht begründet.

Das LSG hat geprüft, ob der mit Bescheid vom 9. März 1964 geltend gemachte, der Höhe nach nicht streitige Rückforderungsanspruch begründet ist. Es hat dies gemäß § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG in der seit dem Inkrafttreten des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) geltenden Fassung dieser Vorschrift bejaht, weil die gesetzliche Vertreterin des Klägers Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich verschwiegen habe. Sie habe dem VersorgA keine Mitteilung davon gemacht, daß der Kläger nach Vollendung des 18. Lebensjahres den am 10. April 1962 eröffneten Jahreslehrgang und auch den auf zwei Jahre verlängerten Lehrgang nicht, jedenfalls nicht bis zum 24. September 1963 besucht habe (die Zahlung wurde mit dem 30. September 1963 eingestellt). Soweit die Revision bemängelt, daß das LSG nicht geprüft habe, ob die Berichtigung des früheren Bescheides rechtmäßig gewesen sei, ist dieser Revisionsangriff unbegründet. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 27. Juni 1967 beantragt, die angefochtenen Bescheide "insoweit aufzuheben, als sie einen Rückforderungsanspruch für zuviel gezahlte Waisenrente betreffen". Damit war die Berufung auf diesen Streitgegenstand beschränkt worden und der Bescheid vom 9. März 1964 im übrigen nicht mehr angefochten, ohne daß es insoweit, wie die Revision meint, eines Anerkenntnisses bedurft hätte.

Deswegen hatte das LSG weder zu prüfen, ob die Voraussetzungen zu erneuter Entscheidung der Versorgungsbehörde nach den §§ 42 Abs. 1 Nr. 3, 43 VerwVG gegeben waren, noch ob in dem Bescheid vom 9. März 1964 der Anspruch des Klägers auf Waisenrente nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG idF des 1. NOG und nach § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG in der seit dem 1. Januar 1964 geltenden Fassung des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) mit Recht verneint worden war. Vielmehr war, da der Kläger im Berufungsverfahren den Anspruch auf Rente fallengelassen hatte, von der Rechtsverbindlichkeit dieser ablehnenden Entscheidung auszugehen, ohne Rücksicht darauf, ob die in dem Bescheid angeführten Gründe der Überzahlung zutrafen oder nicht (BSG in SozR Nr. 17 zu § 47 VerwVG). Dasselbe gilt auch für den mit Bescheid vom 9. März 1964 abgelehnten Anspruch des Klägers nach § 45 Abs. 4 Buchst. b BVG idF des 1. NOG und § 45 Abs. 3 Buchst. c BVG idF des 2. NOG; denn in diesem Bescheid war festgestellt worden, daß der Kläger bei Vollendung des 18. Lebensjahres und später nicht infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande war, sich selbst zu unterhalten, und daß er an einem geregelten Schulbesuch hätte teilnehmen können. Auch diese Entscheidung war auf Grund der Einschränkung des Berufungsantrages bindend geworden. § 47 Abs. 3 VerwVG setzt einen rechtmäßigen oder wenigstens verbindlich gewordenen Bescheid nach § 41 oder § 42 VerwVG voraus. Da der insoweit nicht mehr anfechtbare, auf § 42 Nr. 3 VerwVG gestützte Bescheid vom 9. März 1964 einen Anspruch des Klägers auf Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres abgelehnt hatte, stand fest, daß die gewährten Bezüge im Sinne des § 47 Abs. 1 VerwVG "zu Unrecht" empfangen worden waren. Im übrigen war die Berufung, worauf das SG in der Rechtsmittelbelehrung und auch das LSG in dem angefochtenen Urteil zutreffend hingewiesen haben, nur noch zulässig, soweit der Kläger durch die Rückforderung beschwert war, denn das Urteil des SG vom 11. November 1965 betraf, nachdem dem Kläger mit Bescheid vom 30. September 1964 wieder Waisenrente ab 1. April 1964 zuerkannt worden war, nur noch einen Versorgungsanspruch für bereits abgelaufene Zeiträume. Deshalb war die Berufung wegen dieses Anspruchs nach § 148 Nr. 2 SGG unzulässig. Das LSG hatte somit, ohne auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 9. März 1964 im übrigen eingehen zu dürfen, nur zu prüfen, ob die Voraussetzungen, an die in § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG die Pflicht zur Rückerstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen geknüpft ist, vorgelegen haben. Es hat dies ohne Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften bejaht. Soweit die Revision ausgeführt hat, der Beklagte habe immer die gewünschte Auskunft erhalten, hat sie, wenn damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß das VersorgA von der Erkrankung des Klägers gewußt und damit die Gründe gekannt habe, die einem Besuch des Lehrganges entgegengestanden hätten, nicht ausreichend bestimmte Tatsachen bezeichnet, die einen Verfahrensmangel des LSG ergeben könnten (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Im übrigen ergibt sich aus den Akten der Versorgungsverwaltung, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erst nach Einstellung der Waisenrentenbezüge, nämlich im November 1963, als Grund für den Nichtbesuch des Lehrganges die Krankheit des Klägers angegeben hat. Verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Feststellung der Tatsachen, aus denen das LSG gefolgert hat, die Unrichtigkeit des berichtigten Bescheides sei darauf zurückzuführen, daß der Vormund des Klägers Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, verschwiegen habe (§ 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG). Diese Feststellung konnte das LSG schon deshalb treffen, weil der Kläger den Jahreslehrgang und den sodann um ein weiteres Jahr verlängerten Kursus bei der Kaufmännischen Privatschule A. M nicht besucht hatte, Frau B als Vormund des Klägers aber auf Grund des ihr im Februar 1962 zugesandten Formulars nicht im Zweifel darüber sein konnte, daß für die Bewilligung der Rente über das vollendete 18. Lebensjahr der Besuch des Lehrganges, den sie ausdrücklich bestätigt hatte, von Bedeutung war. Insbesondere ergab sich aber auch aus dem Bescheid vom 2. Mai 1962 mit aller Deutlichkeit, daß die Rente über das vollendete 18. Lebensjahr nur bewilligt werde, weil sich der Kläger noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde, und daß die Rente mit Abschluß des Lehrganges oder bei vorzeitiger Beendigung der Ausbildung wegfallen werde. Die in diesem Bescheid enthaltene Belehrung über die Verpflichtung, die vorzeitige Beendigung oder eine Unterbrechung der Ausbildung unverzüglich mitzuteilen, und der darin enthaltene Hinweis, daß zu Unrecht empfangene Versorgungsbezüge grundsätzlich zurückzuzahlen seien, waren eindeutig und konnten von dem Vormund nicht mißverstanden werden. Frau B hat auch auf die erneute Anfrage des VersorgA vom 1. Februar 1963 von einer Erkrankung des Klägers oder einer Unterbrechung der Ausbildung nichts mitgeteilt, vielmehr durch die Schulbescheinigung vom 7. Februar 1963 den unrichtigen Eindruck erweckt, als wolle der Kläger nach Absolvierung des ersten Jahreslehrgangs noch einen zweiten Jahreslehrgang besuchen. Das LSG durfte daher davon überzeugt sein, daß die gesetzliche Vertreterin des Klägers mit der Nichterfüllung der Anzeigepflicht über den unterbliebenen Schulbesuch eine Tatsache verschwiegen hat, von der sie wußte, daß sie für die Entscheidung über die Bewilligung der Rente erheblich war. Die innere Tatseite des Verschweigens ist erfüllt, wenn der Betreffende wesentliche Tatsachen in dem Bewußtsein nicht mitgeteilt hat, etwas zu verschweigen, was zu offenbaren seine Pflicht gewesen wäre (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1960 - 10 RV 405/57 - Breith. 1961 S. 461). Bei dieser Sachlage ist es, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, gleichgültig gewesen, aus welchen Gründen die Anzeige unterblieb, daß der Kläger die Schule tatsächlich nicht besuche. Denn aus der der Frau B mitgeteilten Anzeigepflicht ergab sich auch für sie als Laie, daß die Versorgungsbehörde allein darüber zu befinden hatte, ob die Erkrankung des Klägers der Weitergewährung der Rente entgegenstand oder nicht, ob insbesondere die 1962 nicht einmal begonnene Ausbildung etwa nur unterbrochen oder nach Art der Erkrankung als abgebrochen anzusehen war (BSG 26, 186, 189, 190 = SozR Nr. 10 zu § 45 BVG) oder ob ihm gegebenenfalls die Rente deswegen weiter gewährt werden konnte, weil er infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande war, sich selbst zu unterhalten (§ 45 Abs. 4 Buchst. b BVG idF des 1. NOG, § 45 Abs. 3 Buchst. c BVG idF des 2. NOG). Da das LSG auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhalts davon ausgehen konnte, daß der Vormund seine Anzeigepflicht wissentlich verletzt und dabei eine Beeinträchtigung der vermögensrechtlichen Interessen des Beklagten in Kauf genommen hatte, bedurfte es auch nicht mehr der Einholung eines weiteren Gutachtens über den Gesundheitszustand des Klägers, zumal bindend festgestellt war, daß er keinen Anspruch nach § 45 Abs. 4 Buchst. b bzw. Abs. 3 Buchst. c BVG idF des 1. und 2. NOG hatte. Das LSG konnte somit auch den subjektiven Tatbestand des § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG als erfüllt ansehen.

Das angefochtene Urteil ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als es sich entgegen der in dem Urteil des BSG vom 26. November 1965 - 8 RV 801/62 - (KOV 1966 S. 74) vertretenen Meinung die Auffassung zu eigen gemacht hat, daß der Vertretene die aus § 47 Abs. 3 VerwVG sich ergebenden Folgen wissentlich unwahrer Angaben oder des Verschweigens wesentlicher Umstände auch dann gegen sich gelten lassen muß, wenn diese Voraussetzungen nur in der Person des Vertreters erfüllt sind. Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 22. Oktober 1968 - 9 RV 418/65 - (BSG 28, 258 = BSG in SozR Nr. 24 zu § 47 VerwVG) diese Auffassung eingehend begründet. Der 8. Senat des BSG hat, wie in diesem Urteil hervorgehoben ist, auf Anfrage erklärt, daß er an seiner früheren gegenteiligen Auffassung nicht mehr festhalte. In dem Urteil vom 22. Oktober 1968 ist dargelegt, daß Empfänger der Leistung im Sinne des § 47 Abs. 3 VerwVG nicht der gesetzliche Vertreter, sondern der Versorgungsempfänger selbst ist. In diesem Urteil ist weiter ausgeführt, daß der aus § 278 BGB abgeleitete Grundgedanke des Eintretenmüssens des Vertretenen für schuldhaftes Verhalten des Vertreters bei Begründung eines Rechtsverhältnisses (culpa in contrahendo) entsprechende Anwendung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts finden kann, da die Interessenlage, aus der die Verpflichtung des Vertretenen hergeleitet wird, sich von der entsprechenden Sachlage im bürgerlichen Recht nicht wesentlich unterscheide. Auch hier dürfe der auf Grund der Vorschriften des öffentlichen Rechts Begünstigte nach Treu und Glauben das Vertrauen, das er im Zusammenhang mit einem entstehenden oder bereits begründeten öffentlich-rechtlichen Verhältnis in Anspruch nehme, redlicherweise nicht enttäuschen. Dies gelte besonders auch für das Versorgungsrecht (§§ 10 Abs. 3 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 2, 13, 16 VerwVG). Das pflichtwidrige Verhalten des Vertreters, das zur Bewilligung oder Weitergewährung der Rente geführt habe, wende sich bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund der Vertauschung von Gläubiger- und Schuldnerrolle gegen den Vertretenen selbst, wenn das Tatbestandsmerkmal des Verschweigens oder der wissentlich falschen Angabe wesentlicher Tatsachen in der Person des Vertreters erfüllt sei. Dabei handele es sich nicht um eine deliktische oder quasi deliktische Haftung, sondern um subjektive Voraussetzungen, die im Rahmen des Erstattungsrechtsverhältnisses als Tatbestandsmerkmale an die Verpflichtung zur Rückerstattung zu Unrecht erlangter Leistungen geknüpft seien. - Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ist auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in der jüngeren Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) auch nicht bei Arglist des Vertreters gemacht worden. Nach dieser Rechtsprechung kommt es darauf an, ob auch der Schuldner bei eigenem Handeln dieser Art gegen eine Vertragspflicht verstoßen (positive Vertragsverletzung) und nicht lediglich eine unerlaubte Handlung begangen haben würde (RGZ 160, 314, 315, sowie BGH Urteil vom 10. Juni 1964 in Lindenmaier-Möhring § 278 BGB Nr. 40). In dem Urteil des Senats vom 22. Oktober 1968 ist auch näher dargelegt, daß auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung die von dem Senat vertretene Auffassung über das Einstehenmüssen des Vertretenen für das Verhalten des Vertreters bei Eingehung des Rechtsverhältnisses im Rahmen der Verpflichtung zur Erstattung zu Unrecht gewährter Leistungen auch in Literatur und Rechtsprechung sich durchgesetzt hat und daß auch auf anderen Gebieten des öffentlichen Rechts der BGH und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu diesem Ergebnis gekommen sind (vgl. z. B. BGH Urteil vom 30. November 1962 in Rechtspr. z. Wiedergutmachungsrecht 1963 S. 222; BVerwG Urteil vom 14. Juni 1967 - BVerwG VC 102.66 in Fürsorgerechtl. Entsch. der Verwaltungs- und Sozialgerichte Bd. 15 S. 205, 210).

Für einen billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Versorgungsverwaltung und denen des Versorgungsberechtigten ist, soweit die Geltendmachung des Erstattungsanspruches in Betracht kommt, deshalb nach § 47 Abs. 3 VerwVG kein Raum. Dagegen gestattet die Anwendung des § 47 Abs. 4 VerwVG im Wege der Härteregelung nicht nur die Berücksichtigung einer bedrängten wirtschaftlichen Lage des Schuldners, sondern auch der Tatsache, daß die Umstände, die zur Entstehung des Rückerstattungsanspruches geführt haben, nicht in der Person des Schuldners selbst liegen und die Einziehung für diesen eine besondere Härte darstellen würde (vgl. VerwV Nr. 16 zu § 47 VerwVG), z. B. wegen notwendiger Aufwendungen zur Familiengründung, zum Existenzaufbau oder zur beruflichen Aus- und Fortbildung (vgl. auch Gens in KOV-Mitteilungen 1967 S. 28 und Schmid-Burgk, SGb 1961 S. 174, 175). Das LSG hat jedoch mit Recht nicht geprüft, ob solche Billigkeitsgründe hier anzuerkennen sind, da die Versorgungsbehörde darüber noch nicht entschieden hat (BSG Urteil vom 19. April 1966 - 10 RV 33/64 - BVBl 1966 S. 138 Nr. 38).

Da nach alledem der Kläger zur Rückerstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen nach § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG verpflichtet ist, hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 11. November 1965 mit Recht zurückgewiesen. Deshalb war auch die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982515

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