Leitsatz (redaktionell)

Der VV BVG § 30 Nr 4 idF vom 1965-01-23 kommt die die rechtliche Bedeutung einer Rechtsnorm zu.

Die darin enthaltene Erhöhung der Mindesthundertsätze stellt eine Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 Abs 1 dar.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21; BVGVwV § 30 Nr. 4 Fassung: 1965-01-23

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1968 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger bezog ursprünglich mit Bescheid vom 15. Oktober 1947 nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und mit Bescheid vom 15. Dezember 1951 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) (Umanerkennungsbescheid) wegen "Verlust des linken Unterschenkels" Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. Mit weiterem Bescheid vom 28. Februar 1958 beschrieb das Versorgungsamt (VersorgA) Aachen die Schädigungsfolge unter Beibehaltung des MdE-Grades als "fast völliger Verlust des linken Unterschenkels mit nur kurzem und empfindlichem Stumpf". Zur Begründung führte es aus, daß die MdE bei der Kürze des Stumpfes, dem starken Vorragen des Wadenbeinknochens, der Neigung zu Druckgeschwüren und der erheblichen Muskelverschmächtigung am Oberschenkel weiter wie bisher auf 50 v.H. einzuschätzen sei.

Der Kläger stellte am 21. Januar und 6. März 1965 Verschlimmerungsanträge. Nach Untersuchungen durch Dr. K. am 29. Januar und 8. März 1963 wurde der Antrag vom 21. Januar 1963 mit Bescheid vom 14. August 1963 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, in den anerkannten Schädigungsfolgen sei keine Verschlimmerung eingetreten, die geklagten Herzbeschwerden seien Ausdruck einer Übererregbarkeit des unwillkürlichen Nervensystems und könnten mit der Amputation in keinen Zusammenhang gebracht werden. Die Rückenschmerzen seien auf eine Bandscheibenschädigung zurückzuführen, die aus innerer Ursache entstanden sei. Mehrere am Unterschenkelstumpf nachweisbare Druckgeschwüre seien bei einer MdE um 50 v.H. berücksichtigt. Auf den Widerspruch des Klägers erging nach einer versorgungsärztlichen Untersuchung durch Dr. H. der Abhilfebescheid vom 26. November 1963 gemäß § 85 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), mit dem die Schädigungsfolge wie bisher bezeichnet, jedoch ab 1. Januar 1963 Rente nach einer MdE um 60 v.H. gewährt wurde. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, daß durch die schlechten Stumpfverhältnisse ein verändertes Gangbild entstanden sei; die außerdem bestehenden Veränderungen an der Wirbelsäule seien teilweise durch die Amputation hervorgerufen worden. Der in Bad König erlittene Handbruch (Antrag vom 6. März 1963) sei folgenlos ausgeheilt. Der auch hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1964 zurückgewiesen. Zwar habe der Gutachter eine wesentliche Änderung i.S. des § 62 BVG nicht feststellen können; da aber die bisherige MdE um 50 v.H. nur die schlechten Stumpfverhältnisse berücksichtigt habe, sei eine Erhöhung der MdE auf 60 v.H. vorgenommen worden, weil durch die Stumpfverhältnisse ein verändertes Gangbild entstanden sei und außerdem an der Wirbelsäule Veränderungen bestünden, die durch die Amputation wenigstens teilweise hervorgerufen worden seien. Die Veränderungen an der Wirbelsäule könnten - weil aus innerer Ursache kommend - nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden.

Das Sozialgericht (SG) hat Gutachten der Orthopäden Dr. H. und Dr. D. vom 29. November 1965 und 19. Juli 1966 eingeholt und den Beklagten mit Urteil vom 25. November 1966 unter Klageabweisung im übrigen zur Rentengewährung nach einer MdE um 70 v.H. ab 1. Februar 1965 - anstatt wie beantragt ab 1. Januar 1964 - verurteilt; die Berufung hat es zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten die Entscheidung des SG mit Urteil vom 24. Oktober 1968 abgeändert, die Klage in vollem Umfang abgewiesen und die Revision zugelassen. Auszugehen sei vom Bescheid des VersorgA Aachen vom 28. Februar 1958. Die Begründung des Abhilfebescheides vom 26. November 1963, daß die Veränderungen an der Wirbelsäule teilweise durch die Amputation hervorgerufen worden seien, widerspreche der Beurteilung durch Dr. H., auf dessen Gutachten vom 14. November 1963 der Bescheid gestützt sei. Die Bindungswirkung eines Bescheides erstrecke sich grundsätzlich nur auf dessen Verfügungssatz. Nur bei Unklarheit des Verfügungssatzes könne auf dessen Begründung zurückgegriffen werden, und nur dann könne gegebenenfalls die Begründung eines Bescheides eine Bindungswirkung äußern. Die "Veränderungen an der Wirbelsäule, teilweise durch Amputation hervorgerufen", seien entgegen der Auffassung des Klägers nicht als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG anerkannt. Der Auffassung des SG, wonach die Änderung des Mindesthundertsatzes für den Verlust eines Unterschenkels durch die neuen, am 1. Februar 1965 in Kraft getretenen Verwaltungsvorschriften (VerwV) - Nr. 4 - eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstelle und automatisch zu einer Erhöhung der MdE von 60 auf 70 v.H. führen müsse, könne nicht gefolgt werden. Es sei zwar in der Rechtsprechung anerkannt, daß eine Gesetzesänderung eine wesentliche Änderung i.S. des § 62 BVG darstellen könne. Eine Änderung der VerwV könne aber einer Gesetzesänderung nicht gleichgestellt werden, weil es sich bei den VerwV um allgemeine Richtlinien für die Verwaltung handle, die für die Gerichte nicht bindend seien. Wenn das VersorgA Aachen die MdE des Klägers mit Bescheid vom 26. November 1963 schon ab 1. Januar 1963 auf 60 v.H. erhöht, also eine um 10 v.H. höhere MdE bewilligt habe, als sie nach den bei zum 31. Januar 1965 geltenden VerwV für den Verlust eines Unterschenkels mit ungünstigen Stumpfverhältnissen in der Regel bewilligt worden sei, dann trete in dieser Bewertung durch das Inkrafttreten der neuen VerwV an 1. Februar 1965 keine automatische Änderung ein. Das VersorgA sei nur gehalten, die MdE des Klägers auch unter Berücksichtigung der neuen VerwV den medizinischen Befunden entsprechend festzusetzen. Die vom SG geholten Gutachter Dr. H. und Dr. D. hätten aber die MdE des Klägers übereinstimmend auf 60 v.H. geschätzte Dr. H. habe zwar ausgeführt, daß der Kläger schlechter daran sei als ein Unterschenkelamputierter mit schlechten Stumpfverhältnissen (50 v.H.), aber weiter gesagt, daß er wesentlich besser daran sei als ein Oberschenkelamputierter (70 v.H.). Auch Dr. D. habe angesichts der Geringfügigkeit der Veränderungen an der vierten und fünften Lendenbandscheibe betont, daß hierdurch jedenfalls keine meßbare, auf keinen Fall eine zusätzliche MdE bedingt werde. Da der Bescheid vom 26. November 1965 mithin - abgesehen von seiner Begründung - der Rechtslage entspreche, müsse die Klage in vollem Umfang abgewiesen werden.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 1, 30, 62 BVG und der VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG idF vom 23. Januar 1965. Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 28. Februar 1958 Rente nach einer MdE um 50 v.H. gewährt habe, entspreche dies nach den VerwV vom 9. August 1956 dem Verlust eines Unterschenkels mit ungünstigem Stumpf oder Störung der Funktion des Knie- oder Hüftgelenks Unstreitig hätten die VerwV zu § 30 BVG vom 23. Januar 1965 nach ihrer Nr. 4 den für diese Schädigungsfolge zustehenden Hundertsatz um 10 v.H. erhöht, so daß er ab 1. Februar 1965 60 v.H. betrage. Die Heraufsetzung der MdE sei unabhängig von einer Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen vorzunehmen. Daraus folge, daß der Beklagte schon allein den beim Kläger anerkannten Unterschenkelverlust ohne die Voraussetzung einer eingetretenen weiteren medizinischen Befundverschlimmerung ab 1. Februar 1965 nach einer MdE um 60 v.H. hätte berenten müssen. Die Erhöhung der MdE von 50 auf 60 v.H. ab 10 Januar 1963 stelle keinen Vorgriff auf die ab 1. Februar 1965 erfolgte Änderung des Hundertsatzes für den Verlust eines Beines im Bereich des Unterschenkels bei ungenügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke dar. Sie sei vielmehr die reale Folge des Untersuchungsergebnisses des Dr. H. vom 14. November 1963 gewesen, der neben den bestehenden schlechten Stumpfverhältnissen (MdE um 50 v.H.) noch ein verändertes Gangbild und Veränderungen an der Wirbelsäule festgestellt habe, die eine zusätzliche MdE um wenigstens 10 v.H. bedingten. Wenn auch der Verfügungssatz des Abhilfebescheides die bisherige Leidensbezeichnung unverändert beibehalten habe, so müsse doch zur Erläuterung und zum Verständnis der in diesem Bescheid festgestellten höheren MdE ohne Zweifel die Begründung des Bescheides herangezogen werden; denn ohne die Begründung bleibe der Bescheid insbesondere hinsichtlich der vorgenommenen Erhöhung der MdE unbegreifliche. Aus dieser Veranlassung heraus müsse daher die Begründung des Bescheides eine gewisse Bindungswirkung äußern, weshalb im Gegensatz zur Rechtsauffassung des LSG davon ausgegangen werden müsse, daß der Beklagte die von Dr. H. festgestellte Leidensverschlimmerung als zusätzliche Schädigungsfolge anerkannt habe, was im übrigen auch ausdrücklich durch den Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1964 bestätigt worden sei. Andernfalls wäre es unverständlich, weshalb der Beklagte bei gleichem Verfügungssatz die nach den seinerzeitigen VerwV nur mit einer MdE um höchstens 50 v.H. zu beurteilende Schädigungsfolge bereits ab 1. Januar 1963 auf 60 v.H. erhöht habe. Sei aber davon auszugehen, daß die vorgenommene Erhöhung der MdE von 50 auf 60 v.H. durch zusätzliche Schädigungsfolgen bedingt gewesen sei, dann müsse der Beklagte auch verpflichtet sein, die MdE des Klägers ab 1. Februar 1965 entsprechend der Erhöhung der Mindesthundertsätze um weitere 10 v.H. zu erhöhen und Rente nach einer MdE um 70 v.H. zu gewähren. Bei der Änderung der Hundertsätze handle es sich um eine von Amts wegen zu berücksichtigende wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. des § 62 BVG, wie dies vom SG zutreffend und in Übereinstimmung mit dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 1. Juni 1965 (BVBl 1965 S. 91 Nr. 55) ausgeführt worden sei. Die gegenteilige Ansicht des LSG sei unzutreffend. Durch die bindende Änderung der VerwV sei die Versorgungsbehörde verpflichtet gewesen, die MdE des Klägers unter Beachtung der neuen Mindesthundertsätze zu erhöhen, ohne daß es hierzu der Anhörung des versorgungsärztlichen Dienstes oder anderer Ärzte bedurft hätte. Deren Äußerungen müßten rechtlich unbeachtlich bleiben, zumal Dr. H... offensichtlich noch von den alten Mindesthundertsätzen ausgegangen sei und Dr. D. den Stumpfschaden allein mit einer MdE um 60 v.H. bewertet habe, ohne das Vorliegen der darüber hinaus anerkannten Schädigungsfolgen grundsätzlich zu bestreiten. Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1968 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Aachen vom 25. November 1966 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revisionsbegründung lasse zunächst nicht mit der noch § 164 Abs. 2 SGG gebotenen Deutlichkeit erkennen, ob und inwieweit das LSG die versorgungsrechtliche Grundnorm des § 1 BVG verletzt habe. Trotz der substantiierten Rüge einer Verletzung des § 30 Abs. 1 Satz 1 und 3 BVG idF des Ersten und Zweiten Neuordnungsgesetzes (NOG) sei auch ein Ermessensverstoß des Berufungsgerichts bei Überprüfung der MdE-Höhe nicht zu erkennen. Der Kläger habe nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG wegen "Verlust des linken Unterschenkels" nach der SVD Nr. 27 und nach dem BVG Rente nach einer MdE um 50 v.H. bezogen, wobei offenbar hinreichend berücksichtigt worden sei, daß es sich um den Verlust des Unterschenkels "mit ungünstigem (weil nicht genügend langem) Stumpf" handele, wofür ein Mindest(regel)satz von 50 v.H. festgesetzt gewesen sei. Die Rentenerhöhung im angefochtenen Abhilfebescheid vom 26. November 1963 habe auf dem Gutachten des Dr. H. vom 14. November 1963 beruht und sei darin begründet gewesen, daß die schädigungsbedingte veränderte Gangstatik des Klägers die auf anlagebedingten geringen Wirbelsäulenveränderungen beruhenden schmerzhaften Beschwerden verstärke. Entgegen dem Vorbringen der Revision, wonach der Sachverständige u.a. "Veränderungen an der Wirbelsäule" als weitere Schädigungsfolge festgestellt haben solle, habe das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 260 Mai 1964 - 9 RV 1330/60) den Inhalt des angefochtenen Abhilfebescheides durch Heranziehung des diesem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens ermittelt und zutreffend gewürdigt. Dabei habe es beachtet, daß der Verfügungssatz des Abhilfebescheides hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen ebenso wie der Umfang dieser Anerkennung unverändert geblieben sei und dem bisher verbindlich geregelten Versorgungsrechtsverhältnis entsprochen habe. Er habe ferner ohne Tatsachenirrtum festgestellt, daß lediglich die Rente aus den in dem genannten Gutachten erwähnten Gründen erhöht worden sei. Ohne Rechtsirrtum habe es schließlich zutreffend erkannt, daß insbesondere "die Veränderungen an der Wirbelsäule, teilweise durch die Amputation hervorgerufen", nicht als weitere Schädigungsfolge anerkannt worden seien und auch erkennbar nicht als solche hätten anerkannt werden sollen. Dies folge auch daraus, daß in dem ebenfalls angefochten gewesenen Bescheid vom 14. August 1965 u.a. die zusätzliche Anerkennung einer Bandscheibenschädigung ausdrücklich abgelehnt worden sei. Wenn die Revision vortrage, daß die VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG idF vom 23. Januar 1965 den bisher zustehenden Hundertsatz um 10 v.H. erhöht habe, weshalb die MdE ab 1. Februar 1965 70 v.H. betragen müsse, so stehe dies nicht mit dem geänderten Wortlaut der VerwV in Übereinstimmung, weil eine ungenügende Funktionstüchtigkeit der Gelenke, die nun bei einer MdE um 60 v.H. gegeben sein müsse, vom LSG nicht habe festgestellt werden können. Bei dieser Sachlage könne die Frage, ob die Änderung der Mindesthundertsätze ab 1. Februar 1965 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. des § 62 BVG darstelle, dahinstehen. Die Änderung der VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG bezwecke überdies keineswegs, daß ungeachtet des jeweiligen ärztlichen Befundes im Einzelfall eine bisher schon über dem Mindesthundertsatz liegende MdE automatisch um weitere 10 v.H. erhöht werden solle. Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und daher zulässig; sie ist auch sachlich i.S. einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.

Streitig ist, ob dem Kläger ab 1. Februar 1965 für die anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 70 v.H. zusteht, wie es das SG mit Urteil vom 25. November 1966 ausgesprochen hat. Ob der Kläger eine Verletzung des § 1 BVG ausreichend substantiiert dargetan hat, kann dahinstehen, da jedenfalls die sonstigen Rügen der Revision durchgreifen. Das LSG hat zunächst ohne Rechtsirrtum festgestellt, daß bei der Beurteilung des streitigen Anspruchs auf höhere Rente von dem rechtsverbindlichen Bescheid des VersorgA vom 28. Februar 1958 auszugehen sei. In diesem Bescheid hatte die Versorgungsbehörde für "fast völligen Verlust des linken Unterschenkels mit nur kurzem und empfindlichem Stumpf" als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG dem Kläger Rente nach einer MdE um 50 v.H. wie bisher gewährt, obwohl eine ergänzende Leidensbezeichnung vorgenommen worden war. Damit war verbindlich festgestellt, daß der Kläger allein wegen der damals anerkannten Schädigungsfolge - entsprechend der VerwV Nr. 7 zu §§ 29, 30 BVG idF vom 9. August 1956 - Anspruch auf Rente nach einer MdE um 50 v.H. wie ein Unterschenkelamputierter mit ungünstigem Stumpf oder Störung der Funktion des Knie- oder Hüftgelenks gehabt hat. Hiervon ausgehend mußte das LSG im Hinblick auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 21. Januar 1963 prüfen, ob bei einem Vergleich der Befunde eine wesentliche Änderung in den für die Feststellung vom 28. Februar 1958 maßgebend gewesenen Verhältnisse eingetreten war. Die Verwaltungsbehörde hat zwar als Ergebnis dieser Prüfung zunächst die Anerkennung zusätzlicher Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen wie auch die Gewährung höherer Rente nach § 62 BVG mit Bescheid vom 14. August 1963 abgelehnt, jedoch ist dem Widerspruch des Klägers mit Abhilfebescheid vom 26. November 1963 insoweit stattgegeben worden, als die Rente ab 1. Januar 1963 auf eine solche nach einer MdE um 60 v.H. erhöht worden ist. In diesem Bescheid ist im einzelnen ausgeführt, durch die schlechten Stumpfverhältnisse sei ein verändertes Gangbild entstanden, außerdem bestünden Veränderungen an der Wirbelsäule, die teilweise durch die Amputation hervorgerufen worden seien. Da die dem Bescheid vom 28. Februar 1958 vorausgegangene Untersuchung durch Dr. R. solche Befunde noch nicht ergeben hatte, war damit eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzunehmen; der Bescheid vom 26. November 1963 hat eine solche demgemäß auch unter Ziff. III ausdrücklich festgestellt. Zwar wurde der Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1964, der den Widerspruch gegen die Bescheide vom 14. August 1963 und 26. November 1963 als unbegründet - soweit nicht abgeholfen - zurückwies, damit begründet, daß die Begutachtung vom 14. November 1963 (Dr. H.) eine wesentliche Änderung i.S. des § 62 Abs. 1 BVG nicht habe feststellen können, jedoch eine Erhöhung der MdE auf 60 v.H. habe vorgenommen werden müssen, weil durch die Stumpfverhältnisse ein verändertes Gangbild "entstanden" sei und außerdem an der Wirbelsäule Veränderungen bestünden, die durch die Amputation wenigstens teilweise hervorgerufen worden seien. Im vorliegenden Fall kann unerörtert bleiben, ob damit die eindeutige Feststellung im Bescheid vom 26. November 1963, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, beseitigt worden ist; denn sowohl dieser Bescheid als auch der Widerspruchsbescheid sind mit der Klage angefochten und daher vom Gericht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Dabei ergibt sich aber, daß die fragliche Feststellung des Widerspruchsbescheides, wonach Dr. H. eine wesentliche Änderung der Verhältnisse verneint haben soll, nicht zutrifft, er hat im Gegenteil ausgeführt: Die bisher gewährte MdE von 50 % geht alleine von schlechten Stumpfverhältnissen aus, sie berücksichtigt aber nicht die ohne Frage als wesentliche Verschlimmerung anzusehenden statischen Rückenbeschwerden. Die MdE wird deshalb von 50 auf 60 % erhöht." Da Dr. H. in seinem Gutachten ferner festgehalten hat, der Rentenerhöhungsantrag von Januar 1963 sei u.a. damit begründet worden, daß sich "Wirbelsäulenveränderungen eingestellt" hätten, bestehen keine begründeten Zweifel, daß Dr. H. gegenüber 1958 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. des § 62 Abs. 1 BVG festgestellt und der Bescheid vom 26. November 1963 das Gutachten insoweit nicht mißverstanden hat. Soweit das LSG im Hinblick auf die der Bescheidbegründung angeblich entgegenstehende Beurteilung des Dr. H. geschlossen hat, daß die Veränderungen an der Wirbelsäule nicht teilweise als Schädigungsfolge anerkannt worden seien, hat es dem Abhilfebescheid einen Inhalt gegeben, der der Rechtslage nicht entspricht. Das LSG hat zwar zutreffend ausgeführt, daß sich die Bindungswirkung eines Bescheides grundsätzlich nur auf dessen Verfügungssatz erstrecke. Es hat jedoch selbst Ausnahmen von diesem Grundsatz eingeräumt. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 26. Mai 1964 - 9 RV 1330/60 - dargelegt hat, handelt es sich, soweit es darauf ankommt, welcher Sinngehalt und welche Tragweite den in einem Bescheid getroffenen Feststellungen beizumessen ist, nicht um die Feststellung von Tatsachen - an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG) sondern um die rechtliche Würdigung einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde. Das Revisionsgericht ist daher befugt, darüber zu befinden, ob die Auslegung, die der Bescheid durch das Berufungsgericht gefunden hat, einer rechtlichen Prüfung standhält (BSG 7, 56). In der Regel kommt hiernach zwar für die Auslegung des Inhalts eines Bescheides nicht die MdE, sondern nur die Feststellung der Schädigungsfolge in Betracht, ausnahmsweise ist aber auch die Feststellung über die Höhe der MdE auslegungsbedürftig, nämlich dann, wenn zweifelhaft sein kann, welche Schädigungsfolgen bei der Bemessung des MdE-Grades berücksichtigt wurden. Diese müssen nicht mit den im Bescheid ausdrücklich festgestellten Schädigungsfolgen übereinstimmen. Dies ist besonders dann nicht der Fall, wenn der Versorgungsberechtigte - wie hier der Kläger im Antrag vom 21. Januar 1963 - nur die Erhöhung der MdE, nicht aber die Feststellung dieser neuen Schädigungsfolge begehrt hat. Welcher Inhalt einem Bescheid beizumessen ist, muß darüber hinaus notfalls unter Heranziehung der Unterlagen und medizinischen Beurteilungen aus der Zeit vor der Anerkennung ermittelt werden (vgl. BSG, aaO sowie Urteil vom 29. Oktober 1963 - 9 RV 934/62). Insoweit ergibt sich aber - wie oben bereits erwähnt - gerade aus dem Gutachten von Dr. H. auf dessen Beurteilung sich das LSG bezogen hat, daß die Rentenerhöhung von 50 auf 60 v.H. wegen der "ohne Frage als wesentliche Verschlimmerung anzusehenden statischen Rückenbeschwerden" erfolgte. Der Gutachter hat diese Feststellung auch näher damit begründet, daß durch die veränderte Gangstatik sonst anlagebedingte Bandscheibenveränderungen an der Lendenwirbelsäule stärker in Erscheinung getreten seien, als es bei normalem Gang der Fall wäre. Wenn die Versorgungsbehörde hieraus entnommen hat, daß die MdE um 10 v.H. zu erhöhen sei, weil durch die schlechten Stumpfverhältnisse ein verändertes Gangbild entstanden sei und außerdem Veränderungen an der Wirbelsäule bestünden, die teilweise durch die Amputation hervorgerufen worden seien, so steht dies einerseits im Einklang mit den Feststellungen des Dr. H... und ist damit andererseits zweifelsfrei dar getan, welche zusätzlichen - mittelbaren - Schädigungsfolgen bei der Erhöhung des Grades der MdE um 10 v.H. berücksichtigt worden sind. Dabei ist klar erkennbar, daß das veränderte Gangbild als eine Schädigungsfolge i.S. der Entstehung angesehen wurde und daß die Veränderungen an der Wirbelsäule - weil sie nur teilweise durch die Amputation "hervorgerufen" werden, im übrigen aber aus "innerer Ursache" kommen (vgl. Widerspruchsbescheid) - als Schädigungsfolge i.S. der Verschlimmerung gewertet worden sind. Diese in der Begründung enthaltenen Feststellungen nehmen ausnahmsweise - auch ohne eine im Verfügungssatz über die Leidensbezeichnung ausgesprochene Anerkennung dieser Schädigungsfolgen - an der Bindungswirkung teil, weil andernfalls die im Bescheid ausgesprochene Erhöhung der MdE unverständlich wäre und eines Rechtsgrundes entbehrte. Das LSG hat somit den Inhalt des Abhilfebescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides unzutreffend ausgelegt und ist damit, weil es nicht alle Schädigungsfolgen beachtet und bei der Ermittlung der schädigungsbedingten MdE berücksichtigt hat, zu einer unrichtigen Anwendung des § 30 BVG gelangt. Das angefochtene Urteil beruht auch auf der unrichtigen Anwendung der genannten Bestimmung, da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das LSG zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es alle anerkannten Schädigungsfolgen bei seiner Entscheidung berücksichtigt hätte. Demgemäß war das LSG-Urteil aufzuheben.

Das LSG hat aber auch zu Unrecht angenommen, daß der Änderung der Mindesthundertsätze in VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG idF vom 23. Januar 1965 (BAnz Nr. 19 vom 29. Januar 1965) keine rechtliche Bedeutung zukomme, weil die VerwV für die Gerichte nicht bindend seien. Der erkennende Senat hat hierzu im Urteil vom 26. November 1968 - 9 SV 262/66 - auf dessen Gründe im einzelnen verwiesen wird - entschieden, daß es sich bei der VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG um den Ausfluß einer gesetzlichen Ermächtigung für die Festsetzung der MdE mit Rechtssatzcharakter und Allgemeinverbindlichkeitswirkung handelt, weshalb ihr - ausnahmsweise - die rechtliche Bedeutung einer Rechtsnorm zukommt. Das hat zur Folge, daß eine in ihr enthaltene MdE-Erhöhung - wie im Rundschreiben des BMA vom 1. Juni 1965 zutreffend betont worden ist - eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG darstellt (wie bei einer Änderung des Gesetzes - vgl. BVBl 1965 S. 91 Nr. 55). Dies hat das LSG verkannt, wenn es auf den vorliegenden Fall die für allgemeine Verwaltungsvorschriften geltenden Regeln angewandt und schon deshalb die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung i.S. des § 62 (Abs. 1) BVG nicht für gegeben erachtet hat. Damit hat es auch diese Vorschrift verletzt und die VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG unrichtig angewandt. - Auf die ab 1. Februar 1965 in Kraft getretene Erhöhung der Mindesthundertsätze in VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. November 1968) kann der Kläger seinen Anspruch jedoch nicht unmittelbar stützen. Diese Vorschrift sieht u.a. für den Verlust eines Beines im Bereich des Unterschenkels bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke eine MdE um 50 v.H. (früher 40 v.H.) vor. Der Kläger wäre demnach, wenn man von der Feststellung einer MdE um 60 v.H. ab I. Januar 1963 ausgeht (davon etwa 10 v.H. für veränderte Gangstatik und teilweise durch die Amputation hervorgerufene Wirbelsäulenveränderungen), bei Belassung einer Gesamt-MdE um 60 v.H. ab 1. Februar 1965 nur einem Unterschenkelamputierten mit genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes gleichgestellt, obwohl bei ihm ein kurzer und empfindlicher Stumpf besteht. Die Neufassung der VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG sieht jedoch einen Mindesthundertsatz der MdE von 60 v.H. nur dann vor, wenn sowohl der Stumpf als auch die Gelenke nicht genügend funktionstüchtig sind. Im Gegensatz zu der früher geltenden Fassung der VerwV Nr. 6 zu § 30 BVG, wo für den Unterschenkelverlust mit ungünstigem Stumpf oder Störung der Funktion des Knie- oder Hüftgelenks eine - damals höhere - MdE um 50 v.H. vorgesehen war (vgl. VerwV idF vom 14. August 1961 - BAnz Nr. 161 vom 23. August 1961), müssen nun also beide erschwerenden Umstände nebeneinander vorliegen. Dies hat zur Folge, daß die MdE bei Unterschenkelamputierten mit Komplikationen am Stumpf oder an den Gelenken im Ergebnis auf der Grundlage der für Amputierte ohne Komplikationen vorgesehenen MdE um 50 v.H. zu ermitteln ist. Die neue VerwV Nr. 4 zu § 30 BVG bringt für den Kläger also nur insoweit eine Änderung, als er nach deren Wortlaut nicht unter die Unterschenkelamputierten ohne Komplikationen (50 v.H.), aber auch nicht mehr unter die Amputierten mit Komplikationen einzureihen ist. Die Auffassung der Revision, es handle sich bei dem hier verwendeten Wort "und" anstelle von "oder" um ein Versehen, stellt eine Auslegung dar, die durch den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt wird. Von den Gerichten kann nur festgestellt werden, daß die nunmehrige VerwV Nr. 4 zu 5 50 BVG eine den vorliegenden Fall erfassende Zwischeneinstufung und einen dafür geltenden Mindesthundertsatz nicht mehr vorsieht. Demzufolge muß unter Würdigung des Umstandes, daß hier eine MdE um 60 v.H. bereits vor Inkrafttreten der VerwV Kr, 4 zu § 30 BVG bescheidmäßig zugestanden worden ist, die ab 1. Februar 1965 bei ungünstigen Stumpfverhältnissen anzunehmende MdE nach ärztlicher Prüfung und Beurteilung neu festgestellt werden. Die in verwV Nr. 4 zu § 30 BVG aufgeführten Sätze sind damit für den vorliegenden Fall nicht bedeutungslos; vielmehr werden die ärztlichen Sachverständigen - und das LSG - dabei zu beachten haben, daß ab 1. Februar 1965 bereits für den Unterschenkelverlust mit funktionstüchtigem Stumpf ein Mindesthundertsatz von 50 v.H. verbindlich festgesetzt ist. Danach ist unter Berücksichtigung der sonstigen - mittelbaren - Schädigungsfolgen die Gesamt-MdE festzusetzen. Die Feststellungen des LSG reichen hierfür nicht aus.

Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die fehlenden Feststellungen von ihm nicht getroffen werden können. Die Sache war daher nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dem LSG obliegt es nun, anhand ärztlicher Begutachtung unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats darüber zu entscheiden, ob dem Kläger ab 1. Februar 1965 Rente nach einer höheren MdE als 60 v.H. zusteht.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944744

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