Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilflosigkeit (Merkmal H) wegen Heimdialyse

 

Orientierungssatz

1. Hilflosigkeit iS des Schwerbehindertenrechts bestimmt sich ebenso wie nach § 33 Buchst b EStG und nach § 35 Abs 1 S 1 BVG durch das Erfordernis, daß der Behinderte "für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf". Ein solcher Zustand wird allein durch eine dreimal in der Woche notwendige Heimdialyse nicht bedingt (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 23.2.1987 9a RVs 6/85).

2. Im Schwerbehinderten- und sozialen Entschädigungsrecht ist die Hilflosigkeit nach gleichem Rechtsmaßstab wie in der Unfallversicherung zu beurteilen.

 

Normenkette

SchwbG § 3 Abs 4 Fassung: 1979-10-08, § 4 Abs 4 Fassung: 1986-08-26; BVG § 35 Abs 1 S 1; EStG § 33 Buchst b

 

Verfahrensgang

SG Konstanz (Entscheidung vom 19.11.1985; Aktenzeichen S 6 Vs 928/84)

 

Tatbestand

Der Kläger ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (jetzt: Behinderung) um 100 vH wegen "Nierenerkrankung (Dialyse)" anerkannt (Bescheid vom 27. Januar 1978). 1984 beantragte er, die Voraussetzungen für das Merkmal "H" = Hilflosigkeit festzustellen. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 19. Januar 1984, Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1984). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, das Merkmal der Hilflosigkeit festzustellen (Urteil vom 19. November 1985). Der Kläger sei hilflos, weil er dreimal in der Woche zu Hause für je 5,5 Stunden an ein Dialysegerät angeschlossen werden müsse, außerdem jeweils zwei Stunden für Vor- und Nachsorge benötige und weil seine Ehefrau ihm bei vielen der erforderlichen Maßnahmen helfen und sich im übrigen während der Dialyse bereithalten müsse.

Der Beklagte rügt mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision, die Beurteilung des Vordergerichts, die sich auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1983 - L 17 U 141/82 - stützt, sei mit dem einschlägigen Maßstab der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" ("Anhaltspunkte") nicht vereinbar.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er betont, daß die Hilflosigkeit im Recht der sozialen Entschädigung und damit im Schwerbehindertenrecht ebenso wie in der Unfallversicherung beurteilt werden müsse.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Beklagten ist erfolgreich.

Das SG hat zu Unrecht der Klage stattgegeben.

Hilflosigkeit iS des Schwerbehindertenrechts, die beim Kläger durch das Merkmal "H" anerkannt werden soll (§ 3 Abs 4 Schwerbehindertengesetz -SchwbG- idF vom 8. Oktober 1979 -BGBl I 1649-, § 4 Abs 4 SchwbG idF vom 26. August 1986 -BGBl I 1421-, § 3 Abs 1 Nr 2 Ausweisverordnung SchwbG vom 15. Mai 1981 -BGBl I 431-), bestimmt sich ebenso wie nach § 33 Buchstabe b Einkommensteuergesetz und nach § 35 Abs 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz durch das Erfordernis, daß der Behinderte "für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf". Ein solcher Zustand wird allein durch eine dreimal in der Woche notwendige Heimdialyse nicht bedingt, falls - wie beim Kläger - besondere Komplikationen fehlen. Das hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden (BSGE 59, 103 = SozR 3875 § 3 Nr 2; SozR 3100 § 35 Nr 16; Urteil vom 23. Februar 1987 - 9a RVs 6/85 -). Wenn das LSG Nordrhein-Westfalen in dem nicht vom Revisionsgericht überprüften Urteil vom 19. Januar 1983 - L 17 U 141/82 - (Medizin im Sozialrecht B 180/18), auf das sich das SG stützt, für die Unfallversicherung zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, so veranlaßt dies den Senat nicht, seine Rechtsprechung zu ändern. Diese Entscheidung hat er bereits in seinem ersten einschlägigen Urteil berücksichtigt (BSGE 59, 103, 105). Die Hilflosigkeit ist zwar im Schwerbehinderten- wie im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nach gleichem Rechtsmaßstab wie in der Unfallversicherung zu beurteilen. Jedoch ist eine Einzelentscheidung eines Unfallversicherungs-Senates eines LSG nicht maßgebend für den Rechtsstreit des Klägers. Auf die Rechtsqualität der "Anhaltspunkte", die mit der Judikatur des Senats übereinstimmen, kommt es nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657553

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