Leitsatz (redaktionell)
Eine Rückforderung nach KOV-VfG § 47 Abs 2 ist auch vor dem Inkrafttreten des 1. NOG KOV wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar gewesen, wenn dem zurückgeforderten Betrag eine noch höhere Nachzahlung aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge gegenübergestanden hat und die Rückforderung die laufenden Einkünfte und etwaige besondere Aufwendungen unberührt gelassen hat.
Normenkette
KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 21. August 1959 aufgehoben, soweit es die Rückforderung der nach dem KBLG gewährten Waisenrente betrifft. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Oberversicherungsamts München vom 10. November 1953 wird in vollem Umfange zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Kläger bezogen als Witwe bzw. Waisen des ... 1945 gefallenen Studienrats Rudolf R vom 1. Juni 1949 an auf Grund eines Bescheides des Versorgungsamts München vom 30. April 1951 Hinterbliebenenrente nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) und auf Grund eines weiteren Bescheides vom gleichen Tage auch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Nachdem die Oberfinanzdirektion (OFD) München den Klägern bereits durch "Auszahlungsanordnungen" aus dem Jahre 1949 rückwirkend ab 1. Juli 1948 die ihnen nach Art. 11 der Verordnung vom 14. Juli 1948 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt S. 118) zustehenden beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge zugesprochen hatte, wurden diese Versorgungsbezüge durch eine weitere Auszahlungsanordnung vom 15. März 1953 - wiederum mit Rückwirkung vom 1. Juli 1948 an - unter Einbeziehung einer nunmehr nach § 27 a des Einsatz-, Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes zusätzlich gewährten Unfallversorgung neu festgestellt. Das Versorgungsamt (VersorgA) erteilte daraufhin am 2. April 1953 einen "Berechnungsbescheid", in dem den Waisen für den in den Geltungsbereich des KBLG fallenden Zeitraum vom 1. Juni 1949 bis zum 30. September 1950 die zusätzlich bewilligten Bezüge aus der beamtenrechtlichen Unfallversorgung auf die Waisenrente angerechnet und eine Rückzahlung in Höhe von DM 1.728,- errechnet wurde. Mit einem weiteren am gleichen Tage erteilten Bescheid wurden die Versorgungsbezüge aller Kläger für den unter den Geltungsbereich des BVG fallenden Zeitraum neu festgestellt. Hierbei wurde eine Überzahlung in Höhe von DM 2.925,- festgestellt; gleichzeitig wurde die gesamte Überzahlung in Höhe von DM 4.653,- zurückgefordert. Gegen diesen Bescheid haben die Kläger beim Oberversicherungsamt (OVA) München Berufung eingelegt. Das OVA hat die Berufung durch Urteil vom 10. November 1953 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben die Kläger beim früheren Bayerischen Landesversicherungsamt Rekurs eingelegt, der als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht (LSG) übergegangen ist.
Das LSG hat durch Urteil vom 21. August 1959 das angefochtene Urteil sowie den "Berechnungsbescheid" nach dem KBLG aufgehoben. Den Neufeststellungsbescheid nach dem BVG hat es insoweit abgeändert, als der Rückforderungsanspruch des Beklagten den Betrag von DM 2.925,- übersteigt. Hinsichtlich des übersteigenden Betrages in Höhe von DM 1.728,- hat es den Beklagten verurteilt, von der Rückforderung Abstand zu nehmen. Im übrigen hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Das LSG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der "Berechnungsbescheid" vom 2. April 1953 sei rechtlich nicht haltbar. Auf die Vorschriften des KBLG in Verbindung mit § 608 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könne er schon deshalb nicht gestützt werden, weil das KBLG nach Inkrafttreten des BVG als Rechtsnorm zu bestehen aufgehört habe. Aber auch § 62 BVG könne auf noch unter die Geltungsdauer des KBLG fallende Vorgänge keine Anwendung finden. Art. 30 Abs. 4 KBLG decke den Bescheid nicht als Berichtigungsbescheid, weil der frühere Bescheid nicht, wie es diese Vorschrift voraussetze, schon im Zeitpunkt seiner Erteilung offenbar und ohne jeden Zweifel unrichtig gewesen sei. Der auf Grund des BVG ergangene Bescheid habe dagegen in § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG eine Rechtsgrundlage, auch wenn er formularmäßig unzutreffend nur auf § 62 BVG gestützt sei. Soweit eine Überzahlung nach dem BVG erfolgt sei, müsse auch ein Rückforderungsrecht bejaht werden; dieses ergebe sich aus § 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) der Kriegsopferversorgung. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte beim Bundessozialgericht (BSG) Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 21. August 1959 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des OVA München vom 10. November 1953 als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beklagte rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 62 BVG und meint, auch die Rückforderung der für den Geltungsbereich des KBLG zuviel gezahlten Versorgungsbezüge in Höhe von DM 1.728,- sei rechtmäßig.
Die Kläger sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG); sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Die Berufung der Kläger hat vor dem LSG zu einem teilweisen Erfolg geführt; das Berufungsgericht hat einen Rückforderungsanspruch insoweit verneint, als die Versorgungsrente für den zeitlichen Geltungsbereich des KBLG in Höhe von DM 1.728,- überzahlt worden ist. Hiergegen wendet sich die Revision des Beklagten. Wenn diese sich auch gegen das gesamte Urteil richtet, so daß grundsätzlich auch der Streit über die Rückzahlung der nach dem BVG zuviel gezahlten Bezüge in die Revision gelangt ist, so verbietet insoweit doch schon der Grundsatz, daß der Rechtsmittelkläger gegenüber dem Urteil der Vorinstanz nicht schlechter gestellt werden darf (Verbot der reformatio in peius), eine neue, dem Beklagten nachteiligere Entscheidung. Der Senat hatte daher nur über die Rückforderung in Höhe von 1.728,- DM zu befinden. Er konnte der Begründung, mit der das Berufungsgericht den Rückforderungsanspruch in diesem Umfange verneint hat, nicht folgen. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Rückforderungsanspruch ist auch für die nach dem KBLG überzahlten Bezüge § 47 VerwVG, da diese Vorschrift nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auf alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (das ist der 1.4.1955) anhängigen Fälle anzuwenden ist (vgl. BSG 3 S. 234 ff., 6 S. 290). Erste Voraussetzung des Rückforderungsanspruchs ist, daß die Versorgungsbezüge "zu Unrecht" empfangen worden sind. Das ist hier der Fall. Zwar wurden die Bezüge auf Grund des bindend gewordenen KBLG-Bescheides vom 30. April 1951 und damit zunächst zu Recht gezahlt. Dieser Bescheid ist aber später durch den "Berechnungsbescheid" vom 2. April 1953 mit Rückwirkung vom 1. Juni 1949 beseitigt und durch ihn ersetzt worden. Hierzu war die Versorgungsverwaltung zwar nicht nach Art. 30 Abs. 4 KBLG - diese Vorschrift setzt voraus, daß die Anwendung der Rechtsnormen auf die angenommenen Tatsachen z. Zt. der Bescheiderteilung unzutreffend gewesen ist (BSG 1 S. 56 (60)) - berechtigt, wohl aber nach Art. 1 des KBLG in Verbindung mit § 608 RVO. Das LSG hat zwar die Anwendung dieser Vorschriften nach dem Inkrafttreten des BVG für unzulässig gehalten; diese Auffassung ist aber unzutreffend. Das KBLG bildet für die Versorgungsansprüche, die für den Zeitraum seiner Gültigkeit, d. h. bis zum Inkrafttreten des BVG, geltend gemacht werden, auch nach dem Inkrafttreten des BVG grundsätzlich weiterhin die Rechtsgrundlage. Das gilt auch für die sich auf den zeitlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes beziehenden Neufeststellungen (vgl. auch Urteil des 10. Senats vom 24. August 1960 - 10 RV 660/57). § 62 Abs. 1 BVG hierfür heranzuziehen, wie es die Revision für richtig hält, verbietet sich, weil diese Vorschrift lediglich für Neufeststellungen nach dem BVG gilt und eine Erstfeststellung nach diesem Gesetz voraussetzt. Das ist bereits daraus ersichtlich, daß die mit § 62 Abs. 1 BVG in Zusammenhang stehenden Vorschriften über den Beginn der Minderung, Entziehung und Erhöhung der Rente bei einer Neufeststellung (§§ 60, 61, 62 Abs. 2 und 3 BVG) von der Unterscheidung zwischen Grund- und Ausgleichsrente ausgehen und eine Anwendung dieser Vorschriften auf nach früherem Recht zu zahlende Renten schon deshalb nicht möglich sein würde. Nach § 608 RVO kann eine Neufeststellung getroffen werden, wenn in den Verhältnissen, die für die frühere Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Erstfeststellung nach dem KBLG beruhte hinsichtlich des auszuzahlenden Betrages der Rente darauf, daß den Klägern keine auf die Rente anzurechnenden anderweitigen Bezüge gezahlt würden. Durch die Auszahlungsanordnung der OFD München vom 15. März 1953 haben sich die Verhältnisse der Kläger wesentlich geändert. Denn ihnen wurden nunmehr rückwirkend Bezüge aus der beamtenrechtlichen Unfallversorgung gezahlt, und diese waren nach Art. 14 KBLG auf die Rente anzurechnen. Die Neufeststellung konnte nach § 613 RVO, der hier entsprechend anzuwenden ist (§ 27 Abs. 3 der Durchführungsverordnung vom 1.5.1949 - Bay. GVBl. S. 113 ff. -) auch für die Zeitspanne erfolgen, während der die Leistungen auf Grund des KBLG und außerdem die beamtenrechtliche Versorgung tatsächlich gewährt worden waren, also mit Rückwirkung vom 1. Juni 1949 an. War die Versorgungsverwaltung somit zu der rückwirkenden Entziehung der Rente berechtigt, so haben die Kläger die nach der Neufeststellung überzahlten Beträge "zu Unrecht" empfangen.
Diese überzahlten Beträge kann die Versorgungsverwaltung zurückfordern, da es wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger vertretbar ist (§ 47 Abs. 2 VerwVG). Den zurückgeforderten Beträgen steht eine noch höhere Nachzahlung gegenüber, denn den Klägern wurden die Bezüge aus der beamtenrechtlichen Unfallversorgung rückwirkend vom 1. Juli 1948 gewährt, während die Verrechnung mit den Versorgungsbezügen erst vom 1. Juli 1949 an erfolgte. Der laufende Unterhalt ist für die Kläger als Hinterbliebene eines Beamten des höheren Dienstes in einer Weise gesichert, daß die Rückzahlung, die praktisch nur die Einbehaltung des größten Teiles der Nachzahlung bedeutet und die laufenden Einkünfte nicht belastet, durchaus vertretbar ist und auch etwaige besondere Aufwendungen für Berufsausbildung usw. die grundsätzliche Berechtigung zur Rückforderung in diesem Falle nicht berühren. Ist die Rückforderung somit schon wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger vertretbar, so erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob § 47 Abs. 2 VerwVG in der alten Fassung oder aber in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453) anzuwenden ist, nach der die Rückforderung ausdrücklich auch wegen der Höhe einer von einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn oder einer öffentlich-rechtlichen Kasse gewährten Nachzahlung vertretbar sein kann.
Die Revision ist demnach begründet, so daß das Urteil des LSG - soweit es das Urteil des OVA abgeändert hat - aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des OVA in vollem Umfange zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen