Leitsatz (amtlich)
Wer andere versicherte Personen gemeinsam in einem Fahrzeug zur Arbeit fährt, selbst jedoch eine Tätigkeit nicht aufnehmen will, ist auch dann nicht nach § 550 Abs 1 und Abs 2 Nr 2 RVO versichert, wenn er gewöhnlich Mitglied der Fahrgemeinschaft ist.
Normenkette
RVO § 550 Abs 1 Fassung: 1974-04-01, § 550 Abs 2 Nr 2 Fassung: 1974-04-01, § 539 Abs 2
Verfahrensgang
SG Schleswig (Entscheidung vom 30.08.1982; Aktenzeichen S 8 U 105/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin wegen des Todes ihres Ehemannes (S.) Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat, obwohl er im Unfallzeitpunkt nicht seine Arbeit aufnehmen, sondern vielmehr Arbeitskollegen von der Arbeit abholen wollte.
S. pflegte zusammen mit drei anderen versicherten Personen in einem Pkw zur Arbeit zu fahren, wobei er und einer der anderen Versicherten im Wochenrhythmus abwechselnd das eigene Fahrzeug zur Verfügung stellten. Am Unfalltage (23. Februar 1981) hatte S. arbeitsfrei. Er brachte, weil er in der fraglichen Woche mit seinem Fahrzeug fuhr, die anderen zur Arbeit. Nachdem er zurückgefahren war und sich in seinem Wohnort aufgehalten hatte, begab er sich am frühen Nachmittag erneut auf den Weg zur Arbeitsstätte, um die anderen abzuholen. Auf dieser Fahrt verunglückte er so schwer, daß er nach einigen Tagen den Folgen des Unfalles erlag.
Die Beklagte lehnte es durch Bescheid vom 9. November 1981 ab, wegen des Todes des S. Leistungen zu erbringen, weil die Zurücklegung des Weges nicht in innerem Zusammenhang mit seiner eigenen beruflichen Tätigkeit gestanden habe; er habe lediglich den Arbeitskollegen eine Gefälligkeit erwiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat den Unfall des S. als Arbeitsunfall bewertet und die Beklagte durch Urteil vom 30. August 1982 zur Entschädigung verurteilt. S. sei auf der Wegestrecke verunglückt, die er üblicherweise von seiner Wohnung aus zurücklegte. Als Fahrer einer Fahrgemeinschaft sei er deshalb versichert gewesen, weil er die anderen Arbeitskollegen wegen seiner eigenen Tätigkeit in demselben Unternehmen habe abholen wollen. Wenn schon die Mitnahme von nichtversicherten berufstätigen Personen durch § 550 Abs 2 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Schutz gestellt sei, so müsse der Fahrer von Versicherten auch dann geschützt werden, wenn er selbst am Unfalltage nicht arbeiten wolle. Nur so werde die vom Gesetz beabsichtigte Förderung der Bildung von Fahrgemeinschaften erreicht. Jedenfalls sei S. nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen, weil er wie ein Arbeitnehmer, der Berufstätige befördert, tätig geworden sei. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel mit Einwilligung der Klägerin eingelegt. Nach ihrer Auffassung waren keine betrieblichen Gründe für das Verhalten des S. maßgebend. Die vom SG vorgenommene Gesetzesauslegung sei nicht haltbar, weil dadurch bis zu vier Fahrten des S. am Unfalltage unter Versicherungsschutz gestellt würden, ohne daß er überhaupt habe arbeiten wollen. Allein das Fahren anderer Berufstätiger begründe keinen Unfallversicherungsschutz des Fahrers einer Fahrgemeinschaft. Auch nach § 539 Abs 2 RVO sei S. nicht versichert gewesen; denn er sei nicht wie ein Berufstätiger tätig geworden, sondern eher wie ein freiberuflicher Taxifahrer.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 30. August 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Bildung der Fahrgemeinschaft sei Voraussetzung für die Ausübung der Berufstätigkeit gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision ist begründet. S. hat am 23. Februar 1981 keinen Arbeitsunfall erlitten, so daß die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Leistung hat.
Gemäß § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall ua auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg zum Ort der Tätigkeit. Soweit das SG in dem angefochtenen Urteil davon ausgeht, daß diese Voraussetzungen gegeben seien, weil S. im Unfallzeitpunkt zum Ort seiner Tätigkeit fuhr und dabei auf der von seiner Wohnung dorthin führenden Strecke verunglückte, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dadurch, daß der Gesetzgeber einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Weg zur Arbeitsstätte verlangt, erfordert er eine feststellbare innere Verknüpfung, die dem Weg ein rechtlich wesentliches Gepräge gibt. Fehlt es an einem solchen Zusammenhang, scheidet die Annahme eines versicherten Unfalles von vornherein selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg zur Arbeit benutzen muß (BSG SozR 2200 § 550 Nr 34; Urteil vom 30. März 1982 - 2 RU 5/81 -).
Der in diesem Rechtsstreit in erster Linie umstrittene innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des S. und dem im Unfallzeitpunkt zurückgelegten Weg war nicht gegeben. S. bezweckte mit der Fahrt am Unfalltage nicht, seine Arbeit aufzunehmen. Da er freigenommen hatte, stand seine Fahrt nicht im Zusammenhang mit der Erfüllung von Verpflichtungen aus seinem Arbeitsverhältnis. Zu ihnen gehörte der Transport anderer Betriebsangehöriger nicht. Dieser zählte vielmehr zu Pflichten, welche er nicht gegenüber seinem Arbeitgeber, sondern vielmehr gegenüber anderen Versicherten durch Absprache übernommen hatte. Demzufolge vermochte, worauf die Revision zutreffend hinweist, das Bestehen einer Fahrgemeinschaft für sich allein noch nicht den inneren Zusammenhang des Weges des S. mit seiner versicherten Tätigkeit herzustellen. Dabei kann nicht von ausschlaggebendem Gewicht sein, daß die anderen Mitglieder der Fahrgemeinschaft in demselben Unternehmen tätig waren wie S. Diese Besonderheit des vorliegenden Falles ist rechtlich nicht erheblich; der beim Vorhandensein einer Fahrgemeinschaft erweiterte Versicherungsschutz nach § 550 Abs 2 Nr 2 RVO ist unabhängig davon, ob die Mitfahrer bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sind. Infolgedessen hängt der Versicherungsschutz des einzelnen Fahrtteilnehmers hiervon nicht ab.
Die gegenteilige Auffassung des SG beachtet die systematische Stellung des § 550 Abs 2 RVO gegenüber Abs 1 dieser Vorschrift nicht genügend. Während § 550 Abs 1 RVO die grundlegende Norm für das Bestehen von Versicherungsschutz auf dem Wege "nach und von dem Ort der Tätigkeit" ist, stellt § 550 Abs 2 RVO eine Erweiterung dar. Diese erschöpft sich allerdings in einem einzigen Punkt. Er betrifft die Abweichung von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit. Die aus Gründen des gemeinsamen Fahrens gewählte Erweiterung der Wegestrecke beseitigt nach § 550 Abs 2 RVO den Versicherungsschutz nicht. Demgegenüber wird vorausgesetzt, daß alle sonstigen Bedingungen, an welche dieser Schutz nach § 550 Abs 1 RVO geknüpft ist, vorliegen. Dies zeigt schon der Wortlaut des Abs 2, wonach beim Abweichen vom unmittelbaren Weg "die Versicherung... nicht ausgeschlossen" ist. Damit ist klargestellt, daß das Vorhandensein einer Fahrgemeinschaft aus sich heraus keinen neuen Versicherungsschutz begründet. Vielmehr gewährt § 550 Abs 2 Nr 2 RVO den durch § 550 Abs 1 RVO zugestandenen Schutz über diese Norm hinaus auf bestimmten Um- oder Abwegen. Infolgedessen müssen, wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Juli 1982 (BSGE 54, 46, 49) bereits entschieden hat, bei dem verunglückten Angehörigen einer Fahrgemeinschaft die sonstigen Voraussetzungen des § 550 Abs 1 RVO gegeben sein. Dazu genügt nicht, daß andere Versicherte mitfahren (Urteil vom 28. Juli 1982 aaO). Der Anwendung des § 550 Abs 2 Nr 2 RVO bedarf es überhaupt nur, wenn eine versicherte Person sich zwar auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit befindet, aber nicht auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit verunglückt und Abs 1 dieser Vorschrift aus diesem Grunde nicht anwendbar ist. S. ist jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht von dem direkten Weg abgewichen, weil er seine versicherte Tätigkeit gar nicht aufzunehmen gedachte, sondern sich vielmehr auf einer Fahrt befand, zu welcher er sich gerade ohne Rücksicht auf seine Verpflichtungen aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber anderen Personen aus freien Stücken verpflichtet hatte. Ein Fall des § 550 Abs 2 RVO ist folglich gar nicht gegeben (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 486 q; Huster/Kellndorfer, SozVers 1982, 127).
S. war auch nicht wie ein Beschäftigter nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG, an die das Bundessozialgericht (BSG) gebunden ist (§ 161 Abs 4 SGG), hat S. den Weg als Fahrer einer Fahrgemeinschaft (Seite 6) unternommen, um den Transport der Mitglieder vereinbarungsgemäß zu sichern (Seite 7). Dieser Gemeinschaft gehörte S. selbst an. Letzteres ist vom SG nicht genügend beachtet worden.
Als Mitglied der Fahrgemeinschaft, welcher die Fahrt am Unfalltage diente, war S. deren (Mit-)Unternehmer. Eine nach § 539 Abs 2 RVO bestehende Versicherung setzt indes voraus, daß die Tätigkeit unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnelt. Zwar kann auch ein Unternehmer wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Verrichtet jedoch ein Unternehmer Tätigkeiten für sein eigenes Unternehmen, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmen gehören, so wird er ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig, auch wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient (BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 197; 27, 233, 235; SozR 2200 § 539 Nr 2; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 93/80 -; Brackmann, aaO, S 476h; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 100 Buchst b; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 302 S 1). Daher ist im vorliegenden Fall unerheblich, daß die Fahrt des S. auch dem Betriebe des Arbeitgebers der anderen Mitfahrer dienen sollte; denn S. hat, wie dargelegt, Verpflichtungen des Unternehmens Fahrgemeinschaft, welcher er selbst als Unternehmer angehörte, erfüllt.
Das erstinstanzliche Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen