Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Abtretung von Kindergeldansprüchen im wohlverstandenen Interesse der (beigeladenen) Berechtigten liegt.
Der Kläger vertritt als Rechtsanwalt den in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen beigeladenen Bauunternehmer J. W. (JW) bei der Schuldenabwicklung gegenüber mehr als 40 Gläubigern sowie bei der Geltendmachung noch ausstehender Forderungen. Dessen (beigeladene) Ehefrau G. W. (GW), die von der Beklagten Kindergeld für zwei Kinder bezogen hatte, bzw. seit August 1990 nur noch für ein Kind bezieht, haftet nach dem Vorbringen des Klägers ebenfalls für einen Teil der Verbindlichkeiten. Den Zahlungsverpflichtungen von anfänglich 300.000,-- DM hätten bestrittene Forderungen in Höhe von ca 80.000,-- DM als Aktiva gegenübergestanden. Durch die Tätigkeit des Klägers seien weitergehende Forderungen der Gläubiger abgewehrt und Zwangsvollstrekungsmaßnahmen gegen die Beigeladenen verhindert worden. Auch habe er den Abschluß eines Generalvergleichs versucht.
Am 18. Juli 1989 traten die Beigeladenen ihre Ansprüche auf Kindergeld und sonstige Sozialleistungen an den Kläger zur Erfüllung seiner gegenwärtigen und zukünftigen Honoraransprüche ab, soweit diese im Zusammenhang mit der Tilgung von Verbindlichkeiten der in Vermögensverfall geratenen Bauunternehmung JW stehen.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1989 lehnte die Beklagte die beantragte Feststellung ab, daß die Übertragung der Kindergeldansprüche im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt: Es reiche nicht aus, wenn einem durch Übertragung des Kindergeldanspruchs entstehendem Rechts- oder Vermögensverlust zwar ein gleichwertiger, in der Zukunft noch zu erbringender Vorteil gegenüberstehe, der auch den Kindern des Berechtigten zugute komme, aber dadurch die je nach den Bedürfnissen des Alltags notwendige Dispositionsfreiheit über die Leistung auf Dauer eingeschränkt werde. Das Kindergeld könne auch nicht gem § 53 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) wirksam übertragen werden, selbst wenn es ausnahmsweise den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteige.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Reutlingen [SG] vom 13. März 1990, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 14. November 1991).
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das LSG aus, Kindergeld müsse nach seinem Zweck zwar nicht unmittelbar für das Kind, aber doch für den notwendigen Lebensunterhalt der Familie verwendet werden. Es liege damit grundsätzlich im wohlverstandenen Interesse des Kindergeldberechtigten, wenn das Kindergeld zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts der Familie in vertretbarem Umfang abgetreten wird. Allerdings müsse die Abtretung unmittelbar die Sicherung des Lebensunterhalts bezwecken, und die mit der Abtretung bezweckte Sicherung müsse formal gewährleistet sein. Hier liege jedoch nur eine mittelbare Sicherung des Familienunterhalts vor, die nicht genüge. Denn die Beigeladenen hätten das Kindergeld nicht an einen Gläubiger als Gegenleistung für einen Verzicht auf das Betreiben der Zwangsvollstreckung, sondern an den Kläger zur Sicherung seines Vergütungsanspruchs abgetreten, wobei die zu vergütende Tätigkeit Gläubiger davon abhalten solle, durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen den Familienunterhalt der Beigeladenen zu beeinträchtigen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I. Seine anwaltliche Tätigkeit habe mehr als ein Äquivalent zur abgetretenen Sozialleistung gebildet. Die Abtretung habe unmittelbar die Sicherung des Lebensunterhalts bezweckt. Denn Gegenstand seiner Tätigkeit sei ein Stillhalteabkommen mit den Gläubigern gewesen, um nachfolgend durch einen Generalvergleich den Schuldenstand auf ein tilgbares Maß zu mindern. Durch das Stillhalteabkommen hätten die Gläubiger auf Maßnahmen der Zwangsvollstrekkung gegen die Beigeladenen verzichtet. Dadurch sei deren Familieneinkommen geschont worden. Der mit der Abtretung verfolgte Sicherungszweck sei durch den Anwaltsvertrag formal gewährleistet gewesen. Falls die Sicherung ausgefallen wäre, hätte die Abtretung widerrufen werden können. Er hätte als bevollmächtigter Vertreter das Gegenleistungsversprechen der Gläubiger für die Zedenten entgegennehmen können. Die mit der Abtretung bezweckte Sicherung habe nur aufgrund seiner Anwaltstätigkeit erfolgen können. Für die Dauer seiner Tätigkeit seien auch Vollstreckungsmaßnahmen ausgeblieben, die eine weitere Schmälerung des Lebensunterhalts der Familie der Beigeladenen bedeutet hätten.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. März 1990 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. November 1991 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1989 zu verpflichten, festzustellen, daß die Abtretung der Ansprüche auf Kindergeld der Beigeladenen vom 18. Juli 1989 an den Kläger im wohlverstandenen Interesse der Berechtigten liegt. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Die von ihm erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage war die zulässige Klageart (BSG SozR 1200 § 53 Nr. 2), denn er wollte die Verpflichtung der Beklagten herbeiführen, die abgelehnte Feststellung nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I zu treffen. Diese ist nicht lediglich eine verwaltungsinterne Vorentscheidung für die Zahlung. Vielmehr stellt die Feststellung des Leistungsträgers als Voraussetzung der Wirksamkeit der Abtretung eine gesonderte Entscheidung in Form eines Verwaltungsaktes mit privatrechtsgestaltender Wirkung dar (BSG, a.a.O.; KassKomm - Seewald, § 53 SGB I, RdNr 24). Der Kläger hätte keine unmittelbare Verurteilung zur Zahlung verlangen können, weil es dazu zunächst der Feststellung der Beklagten bedurfte, daß die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es an einem Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage dann fehlt, wenn die Abtretung bereits aus anderen Gründen des § 53 SGB I - ohne Feststellung des wohlverstandenen Interesses - wirksam ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Wirksamkeit der Abtretung nach dem hier dazu in Betracht kommenden § 53 Abs. 3 SGB I ungewiß ist und der zuständige Leistungsträger sie im angefochtenen Bescheid verneint hat. In derartigen Fällen kann sich der Zessionar auf den Weg des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I beschränken, ohne daß es einer Prüfung der Zulässigkeit der Abtretung nach § 53 Abs. 3 SGB I bedarf (BSG, a.a.O.).
Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I. Nach dieser Vorschrift können vom Berechtigten Ansprüche auf ihm zustehende Geldleistungen übertragen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß die Übertragung in seinem wohlverstandenen Interesse liegt. Die Beklagte hat das wohlverstandene Interesse des Berechtigten an der Abtretung von Kindergeld gem § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I wegen der Honoraransprüche des Klägers zutreffend verneint. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Beklagten, daß die Übertragung der Ansprüche auf Kindergeld vom 18. Juli 1989 im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Bei der Abtretung nach § 53 Abs. 2 SGB I handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (BSG SozR 3-1200 § 53 Nr. 2), so daß die §§ 398ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechende Anwendung finden. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Übertragung/Abtretung derartiger Ansprüche ist in entsprechender Anwendung des § 398 BGB außer einem rechtlich wirksamen Abtretungsvertrag, der also nicht bereits gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt (BSG SozR 1200 § 53 Nr. 8; KassKomm - Seewald, § 53 SGB I, RdNr 22; Zweng/Scheerer/Buschmann, Rentenversicherung, § 53 SGB I Anm. V), die Feststellung des zuständigen Leistungsträgers, daß die Abtretung im wohlverstandenen Interesse des abtretenden Berechtigten liegt.
Dieser Begriff des wohlverstandenen Interesses des Berechtigten knüpft an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 119 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. (BSG SozR Nr. 5 zu § 119 RVO) an und unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff voller gerichtlicher Überprüfung (BSG SozR 1200 § 53 Nr. 2). Eine Übertragung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten setzt nicht nur voraus, daß durch den übertragenen Leistungsanspruch als Gegenleistung ein zumindest gleichwertiger Vermögensvorteil erworben wird (BSG SozR Nr. 5 zu § 119 RVO, Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 738t; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, § 53 SGB I, RdNr 8; Casselmann in Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, § 53 SGB I, RdNr 25; Wannagat, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, § 53 SGB I, Anm. RdNr 11); die Auslegung des Begriffs "wohlverstandenes Interesse" hängt auch vom Zweck der konkreten Sozialleistung, um den es sich handelt, ab.
Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß die Abtretung des Anspruchs auf Kindergeld im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegen kann, jedenfalls dann, wenn sie beispielsweise zur Deckung der laufenden Miet-und/oder Energiekosten erfolgt und dadurch der Erhalt oder die Benutzung der Familienwohnung sowie deren Energiezufuhr gesichert wird (BSG SozR 1200 § 53 Nrn 2, 8; BSG, Urteil vom 14. August 1984 - 10 RKg 7/83 -, Urteil vom 14. März 1989 - 10 RKg 10/88 -, Urteil vom 3. Oktober 1989 - 10 RKg 8/88 -[FEVS 39, 383]). Denn das Kindergeld muß als primär dem Familienlastenausgleich dienende Leistung nicht unmittelbar für das Kind, sondern kann auch für den notwendigen Lebensunterhalt der Familie verwendet werden. Deshalb liegt es grundsätzlich im wohlverstandenen Interesse des Kindergeldberechtigten, wenn das Kindergeld zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts der Familie, zu welchem auch Unterkunft und Energiebedarf gehören, in vertretbarem Umfang abgetreten wird.
Die Wirksamkeit der Abtretung des Kindergeldanspruches an den Kläger scheitert nach der zitierten Rechtsprechung des BSG jedoch daran, daß die mit der Abtretung bezweckte Sicherheit nicht gewährleistet ist. Denn maßgebend für die Beurteilung des wohlverstandenen Interesses ist der Abtretungszweck und das Ausmaß der Sicherheit, mit der dieser Zweck erreicht werden kann und soll (BSG SozR 1200 § 53 Nrn 2, 8; BSG Urteil vom 14. März 1989, a.a.O., Urteil vom 3. Oktober 1989, a.a.O.).
Die Abtretung des Kindergeldes erfolgte zur Sicherung der Honoraransprüche des Klägers. Durch seine Tätigkeit sollten u.a. Gläubiger von der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abgehalten werden, durch die der Familienunterhalt der Beigeladenen hätte geschmälert werden können. Auch versuchte er den Abschluß eines Vergleichs mit den Gläubigern. Selbst wenn man unterstellt, daß die Tätigkeit des Klägers dem Familienunterhalt der Beigeladenen zugute kommen sollte, so war doch die mit der Abtretung bezweckte Sicherung nicht gewährleistet. Denn die Beigeladenen haben den Anspruch auf Kindergeld nicht etwa an einen Gläubiger abgetreten, damit dieser verbindlich für die Dauer des Abtretungsverhältnisses auf Zwangsmaßnahmen verzichte. Sogar ein solcher Verzicht hätte nach der Rechtsprechung des BSG - als Äquivalent für den mit der Abtretung verbundenen Verlust des freien Zugriffs auf das laufende Kindergeld -mindestens in der Weise verbindlich erklärt werden müssen, daß sich die Abtretenden hierauf im Falle eines Prozesses wirksam hätten berufen können. Eine derartige Sicherung als Ausgleich für die Übertragung der Kindergeldansprüche an den Kläger war - wie das LSG überzeugend ausführt - im vorliegenden Fall durch den Anwaltsvertrag nicht gewährleistet. Die Beigeladenen waren trotz der Abtretung des Kindergeldanspruches vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ihrer Gläubiger nicht verbindlich gesichert. Die Abtretung des Kindergeldes lag demgemäß wegen des Fehlens eines gleichgewichtigen direkten Vorteils nicht im wohlverstandenen Interesse der Beigeladenen. Der Kläger hat daher auch keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte verurteilt wird, ein entsprechendes Interesse festzustellen.
Bei dieser Ausgangslage kann der Senat offenlassen, ob ein wohlverstandenes Interesse für die Übertragung des Anspruchs auf Kindergeld aufgrund der Neuregelung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches (1. SGBÄndG) vom 20. Juli 1988 (BGBl. I, S. 1046) nur unter noch weitergehenden Einschränkungen bejaht werden kann als nach seiner bisherigen Rechtsprechung. In der Neuregelung hat zwar der Gesetzgeber für die Pfändung nach § 54 Abs. 4 SGB I festgelegt, daß das Kindergeld des Unterhaltsverpflichteten nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche solcher Kinder des Leistungsberechtigten, die bei der Bemessung der Geldleistungen berücksichtigt werden, gepfändet werden kann. Daraus wird zum Teil eine seitdem festgeschriebene strenge Zweckbindung des Kindergeldes abgeleitet, die auch bei der Abtretung im Rahmen des § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I bei der Ausfüllung des Begriffs "wohlverstandenes Interesse des Berechtigten" Berücksichtigung zu finden habe: Ein wohlverstandenes Interesse an der Abtretung des Kindergeldes könne dann nur bejaht werden, wenn sie zur Gewährung des Unterhalts für das Kind beitrage (vgl. Wickenhagen-Krebs, Komm zum Bundeskindergeldgesetz, Stand Juli 1992, § 12 RdNrn 143, 144, 148). Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, daß der Gesetzgeber hat mit dem 1. SGBÄndG eine dem § 54 Abs. 4 SGB I entsprechende Änderung in § 53 SGB I (in dessen Regelung er bei dieser Gelegenheit durch Anfügung des § 53 Abs. 5 SGB I durchaus eingegriffen hat) gerade nicht vorgesehen hat. Schließlich hat das 1. SGBÄndG an der allgemeinen Zweckbestimmung des Kindergeldes nichts geändert, insbesonders auch nichts daran, daß kindergeldberechtigt auch Personen sein können, die nicht unterhaltspflichtig sind.
Unter diesen Umständen hat der Senat auch nicht mehr zu prüfen, ob die Abtretung von Kindergeldansprüchen seitens des Beigeladenen JW bereits deshalb unwirksam war, weil nicht ihm ein Anspruch auf Kindergeld zustand sondern seiner Ehefrau. Besteht die Forderung nicht oder steht sie dem Zedenten nicht zu, ist die Abtretung unwirksam (Münchener Komm zum BGB, 2. Auflage 1985, § 398 BGB, Anm. RdNr 19).
Die Beklagte hat somit zu Recht die beantragte Feststellung gem § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I abgelehnt.
Hiernach erwies sich die Revision des Klägers als unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.10 RKg 1/92
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
NJW 1994, 2310 |
Breith. 1994, 768 |