Leitsatz (amtlich)
Ist vor dem 1945-05-01 rechtskräftig festgestellt worden, daß die Reichsknappschaft zur Rentengewährung verpflichtet ist, wurde die Rente aber in der Zeit vom 1945-05-01 bis zum 1946-02-28 wegen fehlender finanzieller Mittel auf mündliche Anordnung der Besatzungsbehörden nicht oder nicht voll ausgezahlt, ohne daß ein Abänderungsbescheid ergangen ist, so ist die Ruhrknappschaft zur Nachzahlung der nicht ausgezahlten Reichsmarkbeträge in Deutscher Mark im Verhältnis 10: 1 verpflichtet, wenn für die Rentenfeststellung die die Bezirksknappschaft Ruhr der Reichsknappschaft zuständig war. Auf diesen Anspruch findet das FAG SV keine Anwendung.
Normenkette
RKG § 7 Fassung: 1942-10-04, § 8 Fassung: 1942-10-04, § 9 Fassung: 1942-10-04; SVD 13; SVFAG § 1 Fassung: 1953-08-07; KnVNG § 6 Fassung: 1949-07-30, § 12 Fassung: 1949-07-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts in Münster (Westfalen) vom 18. Dezember 1956 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger in Deutscher Mark ein Zehntel des Reichsmarkbetrages zu zahlen, um den die dem Kläger nach dem Bescheid der Reichsknappschaft vom 1. März 1944 für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 28. Februar 1946 zustehende Knappschaftsvollrente den ihm für diese Zeit tatsächlich gezahlten Rentenbetrag übersteigt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte erkannte dem Kläger durch Bescheid vom 1. März 1944 die Knappschaftsvollrente zu. Der Bescheid wurde rechtskräftig. Im Mai 1945 zahlte die Beklagte die zuerkannte Rente, ebenso wie alle übrigen von ihr zu zahlenden Renten, nicht aus, weil ihr die erforderlichen finanziellen Mittel fehlten. Anschließend ordnete die britische Besatzungsbehörde mündlich an, die Renten dürften nur insoweit ausgezahlt werden, als der Bilanzausgleich der Beklagten nicht gefährdet werde. Die Beklagte mußte der Besatzungsbehörde Auszahlungsvorschläge machen und durfte die Renten in der vorgesehenen Höhe erst nach Genehmigung auszahlen. Dementsprechend zahlte sie für die Monate Juni und Juli 1945 nur 50 v.H. und für die Monate August 1945 bis Februar 1946 nur 70 v.H. der dem Kläger durch Bescheid zuerkannten Rente aus. Gemäß der inzwischen ergangenen Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 13 vom 26. Januar 1946 (ArbBl. für die brit. Zone 1947 S. 17) zahlte sie für die Monate März bis November 1946 70 v.H. und gemäß der SVD Nr. 23 vom 14. November 1946 (ArbBl. für die brit. Zone 1947 S. 21) für die Monate Dezember 1946 bis Februar 1947 80 v.H. der festgestellten Rente aus. Über die Kürzungen erhielt der Kläger keinen Bescheid.
Am 2. September 1952 beantragte der Kläger die Nachzahlung der in den Jahren 1945 bis 1947 nicht ausgezahlten Rentenbeträge. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 10. Oktober 1952 mit der Begründung ab, die Kürzung der Renten sei wegen der fehlenden Deckungsmittel notwendig gewesen; die mündlichen Anordnungen der Besatzungsbehörde und die SVD en Nr. 13 und Nr. 23 hätten sie zu diesen Kürzungen ermächtigt. Durch die SVD Nr. 13 sei insbesondere die vorhergehende mündlich angeordnete Kürzung sanktioniert worden.
Gegen diesen Bescheid rief der Kläger die Entscheidung des Geschäftsausschusses der Beklagten an. Dieser wies den Einspruch am 30. Dezember 1952 als unbegründet zurück. Hiergegen legte der Kläger beim Knappschaftsoberversicherungsamt in Dortmund Berufung ein, die mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht in Münster überging. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte durch Urteil vom 24. September 1954 - unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide - dem Kläger die gesamte Knappschaftsvollrente für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 28. Februar 1946 zu zahlen, Auf die dagegen eingelegte Sprungrevision der Beklagten hob der erkennende Senat durch Urteil vom 14. April 1955 das Urteil des Sozialgerichts wegen Verstoßes gegen das Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission (AHK.) über die Gerichtsbarkeit auf den vorbehaltenen Gebieten vom 25. November 1949 (AHK. ABl. S. 54) auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht in Münster zurück. Der Kläger beantragte nunmehr, unter Beschränkung seines ursprünglichen Antrages, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 11. Oktober 1952 und 30. Dezember 1952 zu verurteilen, ihm die Rente in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 28. Februar 1946 zu gewähren.
Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte nach erneuter Verhandlung durch Urteil vom 18. Dezember 1956 - unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide - dem Kläger die Rente in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 28. Februar 1946 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Es ließ die Berufung zu. Die Beklagte sei aus dem Rentenfeststellungsbescheid vom 1. März 1944 verpflichtet, die darin festgestellte Rente in voller Höhe zu zahlen. Für den Monat Mai 1945 fehle es überhaupt an einer Anordnung der Militärregierung über die Nichtauszahlung der Renten. Die später ergangene mündliche Anordnung, die Bilanz müsse ausgeglichen sein, habe keine Kürzung der Renten bewirkt. Der Genehmigungsvorbehalt der Militärregierung habe vielmehr lediglich der Kontrolle gedient, ob die Ruhrknappschaft der Anordnung Folge leiste, die Bilanz ausgeglichen zu gestalten. Selbst wenn die Anordnung eine Kürzung der Rentenansprüche zum Ziele gehabt haben sollte, sei sie rechtlich nicht geeignet gewesen, die gesetzliche Rentenhöhe zu beeinträchtigen; denn sie sei kein Gesetz gewesen, weil die sie erlassenden Stellen zur Gesetzgebung nicht ermächtigt gewesen seien. Die SVD Nr. 13 habe sich keine rückwirkende Kraft beigemessen und habe deshalb die Rentenhöhe für die Zeit bis zum 1. März 1946 nicht betroffen. Die Leistungsfähigkeit habe im übrigen auf die Leistungspflicht keinen Einfluß.
Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 13. Februar 1957 zugestellt wurde, legte der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften der Bundesrepublik Deutschland im Namen der Beklagten am 27. Februar 1957 wiederum Sprungrevision ein und reichte am 1. März 1957 eine schriftliche Erklärung des Klägers ein, daß er mit diesem Weg der Urteilsüberprüfung einverstanden sei. Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 13. Mai 1957 begründete die Beklagte die Sprungrevision am 3. Mai 1957.
Sie ist der Ansicht, daß sie zur Nachzahlung nicht verpflichtet sei. Einmal sei sie nicht passiv legitimiert, weil der Anspruch des Klägers aus dem Rentenfeststellungsbescheid sich gegen die Reichsknappschaft, die im Jahre 1945 stillgelegt und unter treuhänderische Verwaltung gestellt worden sei, richte; sie sei erst im Jahre 1949 rechtsfähige Trägerin der knappschaftlichen Versicherung geworden und habe daher die alte Verpflichtung der Reichsknappschaft nicht übernommen. Im übrigen sei sie aber auch deshalb nicht zur Zahlung verpflichtet, weil sie durch die Anordnung der Besatzungsmacht zur Kürzung der Renten verpflichtet gewesen sei. Diese Anordnung binde nach Art. 2 Abs. 1 des Überleitungsvertrages (BGBl. 1955 T. II, S. 405) auch heute noch Verwaltung und Rechtsprechung, weil nach dieser Vorschrift alle Rechte und Verpflichtungen, die durch gesetzgeberische, gerichtliche oder Verwaltungsmaßnahmen der Besatzungsbehörden oder auf Grund solcher Maßnahmen begründet oder festgestellt sind, in jeder Hinsicht nach deutschem Recht in Kraft geblieben seien. Schließlich sei in § 3 Abs. 2a des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts bestimmt, daß die SVD Nr. 13 nicht aufgehoben sei. Es müsse deshalb angenommen werden, daß auch die mündliche Anordnung, an die die SVD Nr. 13 anschließe, nicht aufgehoben sei. Die Kürzung der Rentenzahlung sei auch im Hinblick auf die veränderten Verhältnisse nach der Kapitulation unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigt gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts in Münster vom 18. Dezember 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, daß die Beklagte für den Kreis der ihr unterstellten Versicherten Rechtsnachfolgerin der früheren Reichsknappschaft sei und deshalb auch deren Verpflichtungen übernommen habe. Er nimmt mit dem angefochtenen Urteil an, daß die mündliche Anordnung der Militärregierung keine Kürzung der Renten zum Ziele hatte, daß dies vielmehr erst durch die SVD Nr. 13 für die Zeit ab 1. März 1946 der Fall sei. Die nicht ausreichende Zahlungsfähigkeit entbinde die Beklagte nicht von der Verpflichtung, die Rentenschuld in gesetzlicher Höhe zu erfüllen.
Entscheidungsgründe
Der zulässigen Sprungrevision mußte der Erfolg versagt bleiben.
Wie das Sozialgericht nicht verkannt hat, steht dem Kläger auf Grund des rechtskräftig gewordenen Bescheides der Reichsknappschaft vom 1. März 1944 die Knappschaftsvollrente für die strittige Zeit in vollem Umfang und nicht nur in der zur Auszahlung gekommenen Höhe zu. Die Rechtskraft dieses Bescheides erfaßt nicht nur die zur Zeit des Erlasses dieses Bescheides bereits fälligen, sondern auch alle von diesem Zeitpunkt bis zum Tode des Klägers zukünftig fällig werdenden Einzelleistungen. Eine Entziehung oder Herabsetzung der zuerkannten Rente ist weder durch Bescheid der Reichsknappschaft noch der Beklagten erfolgt. Insbesondere ist durch den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 1952 keine Rentenentziehung oder -herabsetzung vorgenommen worden; denn durch diesen Bescheid wurde lediglich der Antrag des Klägers auf Nachzahlung der nicht ausgezahlten Rententeile abgelehnt. Der Tenor dieses Bescheides steht der Annahme einer konstitutiven Wirkung entgegen; darüber hinaus ergeben aber auch die Gründe, daß die Beklagte nicht an eine konstitutive Wirkung des Bescheides gedacht hat, da sie ja gerade davon ausging, daß die Kürzung bereits kraft Gesetzes eingetreten sei, daß es also eines besonderen Entziehungs- oder Herabsetzungsbescheides nicht mehr bedürfe. Auch durch die mündliche Anordnung der Besatzungsbehörde ist die Rechtskraftwirkung des Bescheides nicht eingeschränkt worden. Ob überhaupt ohne Erlaß eines abändernden Bescheides im Einzelfall durch eine solche mündliche Anordnung gegenüber dem Versicherungsträger unter Durchbrechung der Rechtskraft eines erlassenen Bescheides dem Versicherten gegenüber eine Neufeststellung der Rente als wirksam vorgenommen angesehen werden könnte, kann dahingestellt bleiben, da die Besatzungsbehörde bei dieser Anordnung jedenfalls einen dahingehenden Willen nicht gehabt hat. Voraussetzung für die Unterstellung eines solchen Willens wäre, daß zumindest der Wille zur Änderung des materiellen Rechts bestanden hätte. Schon dies aber war nicht der Fall. Die Besatzungsbehörde wollte vielmehr nur ein vorläufiges Auszahlungsverbot erlassen; denn diese Anordnung verfolgte lediglich den Zweck, sicherzustellen, daß die Bilanz der Knappschaft ausgeglichen war. Es war ihr also gleichgültig, ob die nicht ausgezahlten Rententeile nachgezahlt wurden, sobald die finanzielle Lage der Knappschaft dies erlaubte; sie hatte nur den Willen, mit dieser Anordnung auf die Auszahlungen der Knappschaft solange einzuwirken, wie die finanziellen Schwierigkeiten dies erforderten. Es spricht vieles dafür, daß die SVD___AMPX_’_SEMIKOLONX___X en Nr. 13 und 23 eine weitergehende Wirkung hatten, daß durch sie insbesondere eine materielle Rechtsänderung bewirkt werden sollte. Einer Entscheidung dieser Frage bedurfte es allerdings nicht, weil die Rente für die von den SVD___AMPX_’_SEMIKOLONX___X en Nr. 13 und 23 erfaßten Zeiträume nicht mehr im Streit befangen ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die SVD Nr. 13 keine rückwirkende Kraft. Es kann heute zwar nicht mehr festgestellt werden, welchen Willen der Gesetzgeber der SVD Nr. 13 in dieser Hinsicht gehabt hat, jedenfalls hat er seinem Willen keinen irgendwie erkennbaren Ausdruck verliehen. Wenn aber ein Gesetz sich entgegen allgemeiner Regel rückwirkende Kraft beilegen will, muß es dies eindeutig, wenn auch nicht notwendigerweise ausdrücklich erkennen lassen (Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil des bürgerlichen Rechts, 14. Aufl., § 61 II 1). Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Die Vorschrift erfaßt nach ihrem Wortlaut nur die Zeit nach dem 28. Februar 1946 und enthält keine ausdrückliche Rückwirkungsanordnung. Aber auch mittelbar ist ein solcher Wille des Gesetzgebers nicht zu erkennen. Aus der Präambel in Nr. 1 der Vorschrift kann insbesondere ein solcher Schluß nicht gezogen werden, weil in dieser nur die bloße Feststellung getroffen ist, daß die Knappschaften bisher die Kürzungen in verschiedener Höhe vorgenommen haben. Dies ist eine rein tatsächliche Feststellung, aus welcher der Schluß auf einen Willen, den Rechtscharakter dieser mündlichen Anordnung zu ändern, nicht möglich ist, zumal noch nicht einmal angedeutet ist, welchen Rechtscharakter diese Kürzungen nach Ansicht des Gesetzgebers der SVD Nr. 13 hatten. Wenn später in Nr. 1 der SVD Nr. 23 von den seit dem 1. März 1946 vorgenommenen Kürzungen gesprochen wird, könnte man sogar annehmen, daß der Gesetzgeber der SVD Nr. 23 die vorhergehenden Minderleistungen in ihrem Rechtscharakter anders bewertete als die auf Grund der SVD Nr. 13 erfolgten Kürzungen. Dies mag aber dahingestellt bleiben; jedenfalls ist ein Wille, den Rechtscharakter der mündlichen Anordnungen rückwirkend zu ändern, in keiner Weise erkennbar. Der Auslegung dieser Anordnungen und Vorschriften der Besatzungsbehörden durch deutsche Gerichte steht kein Hindernis mehr im Wege, nachdem das Gesetz Nr. 13 AHK. durch Art. 3 des Gesetzes Nr. A - 37 vom 5. Mai 1955 (Amtsbl. AHK. S. 3267) aufgehoben worden ist. Auch Art. 2 Abs. 1 des Überleitungsvertrages (BGBl. 1955 II S. 405) steht entgegen der Ansicht der Beklagten der Entscheidung nicht im Wege, da hier nicht über die Rechtsgültigkeit dieser Maßnahmen entschieden wird.
Die Rechtskraft des Bescheides der Reichsknappschaft vom 1. März 1944 wirkt nach dem auf Bescheide alter Art entsprechend anwendbaren § 325 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gegen die Beklagte, da diese nach der Antragstellung, nämlich am 1. Juni 1949, dem Tag des Inkrafttretens des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes (KnVAG) vom 30. Juli 1949 (WiGBl. 202), hinsichtlich des im Streit befangenen Anspruchs Rechtsnachfolgerin der Reichsknappschaft geworden ist. Die Reichsknappschaft (§§ 7 und 8 Reichsknappschaftsgesetz - RKG -) besteht zwar auch heute noch, da sie bisher nicht aufgelöst worden ist. Sie ist in den westlichen Besatzungszonen bis zur Inkrafttreten des KnVAG Träger der knappschaftlichen Versicherung gewesen. Zwar wurden im Jahre 1945 die zentralen Organe der Reichsknappschaft durch Anordnung der Besatzungsmacht stillgelegt, dafür aber durch Anordnungen der westlichen Besatzungsmächte in den jeweiligen Bezirksknappschaften der Reichsknappschaft (§ 9 RKG) neue bezirklich zuständige Organe eingesetzt. Wenn auch die Reichsknappschaft seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 (RGBl. I S. 577) nur noch ein zentrales Organ, also nicht mehr wie bis zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig zentrale und bezirkliche Organe hatte, so waren doch die alten Verwaltungsbezirke mit eigenen, wenn auch nur noch von dem Zentralorgan abhängigen Bezirksverwaltungen bestehen geblieben. Diese wurden im Jahre 1945 durch Anordnungen der Besatzungsmacht eigenständige Organe. Sie unterschieden sich zwar von den vor 1934 bestehenden bezirklichen Organen in ihrem Aufbau und in ihren Befugnissen. Die Reichsknappschaft aber blieb, wenn auch bezirklich begrenzt, handlungsfähig. Ein neuer Versicherungsträger ist bis zum Jahre 1949 nicht entstanden; es sind keine Umstände zu erkennen, aus welchen auf eine Neugründung geschlossen werden könnte. Von diesem Rechtszustand ist auch der Gesetzgeber des KnVAG ausgegangen, da er in § 12 die bisherigen Bezirksknappschaften zu Trägern der Knappschaftsversicherung machte und ihnen die Rechtsfähigkeit verlieh, damit also neue, von der Reichsknappschaft verschiedene Versicherungsträger gründete. Dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn bereits im Jahre 1945 oder später neue, von der Reichsknappschaft verschiedene Versicherungsträger entstanden wären. Das Gesetz bezeichnet zwar die bisherigen Bezirksknappschaften als "ehemalige" Bezirksknappschaften der Reichsknappschaft. Daraus könnte geschlossen werden, daß er diese Bezirksknappschaften bereits zur Zeit des Erlasses dieses Gesetzes nicht mehr als Teile der Reichsknappschaft angesehen hätte. Diese Auslegung ist jedoch nicht möglich; denn sie würde bedeuten, daß er sie auch bereits als selbständige Versicherungsträger angesehen hätte. Dies aber wäre unverständlich, da er sie ja erst durch dieses Gesetz zu Trägern der Knappschaftsversicherung machte und ihnen die Rechtsfähigkeit verlieh, sie also erst durch dieses Gesetz gründete. Man wird diese Bezeichnung daher sinnvoll nur so verstehen können, daß der Gesetzgeber damit dem tatsächlichen Umstand Rechnung tragen wollte, daß die Knappschaften - wenn auch rechtlich nicht begründet - sich schon vor Erlaß des KnVAG nicht mehr als Bezirksknappschaften der Reichsknappschaft bezeichnet hatten.
Der Gesetzgeber hat zwar keine ausdrücklichen, den Übergang der Rechte und Verbindlichkeiten sowie des Vermögens betreffenden Vorschriften erlassen. Aus den §§ 6 und 12 KnVAG ergibt sich aber immerhin mit genügender Deutlichkeit, daß der Übergang der Anwartschaften und Ansprüche aus den jeweiligen Versicherungsverhältnissen von der Reichsknappschaft auf die neugegründeten Knappschaften erfolgen sollte. In § 12 a.a.O. geht der Gesetzgeber von der Kontinuität der Bezirksknappschaften und der ihnen gebietlich entsprechenden heutigen Knappschaften aus; denn er ordnet an, daß die bisherigen Bezirksknappschaften der Reichsknappschaft Träger der Knappschaftsversicherung sind. Wenn auch bereits klargestellt worden ist, daß rechtlich in Wirklichkeit neue Versicherungsträger entstanden sind, so ist doch aus dieser Wortfassung deutlich zu entnehmen, daß der Gesetzgeber eine Kontinuität zwischen den Bezirksknappschaften und den jeweiligen neuen Knappschaften sicherstellen wollte. Wenn er daher in § 6 a.a.O. anordnet, daß die Knappschaften "an Stelle" der Reichsknappschaft die knappschaftliche Versicherungspflicht durchzuführen haben, so ist damit nicht nur die Übertragung der Durchführung der knappschaftlichen Versicherung an sich, sondern darüber hinaus auch angeordnet, daß die Knappschaften die Anwartschaften und Ansprüche aus den bisherigen Versicherungsverhältnissen an Stelle der Reichsknappschaft übernehmen sollen.
Der Übergang der Versicherungsverhältnisse ist, da nach diesem Willen des Gesetzgebers nur der Übergang von den ehemaligen Bezirksknappschaften auf die ihnen jeweils gebietlich entsprechenden neuen Knappschaften angeordnet ist, auf die Anwartschaften und Ansprüche aus denjenigen Versicherungsverhältnissen beschränkt, zu deren geschäftsmäßiger Erledigung die der jeweiligen neuen Knappschaft gebietlich entsprechende Bezirksknappschaft der Reichsknappschaft zuständig gewesen ist. Inwieweit sonstige Verpflichtungen und Forderungen übergegangen sind, bedarf hier keiner Untersuchung. Jedenfalls ist der Anspruch des Klägers auf die Beklagte übergegangen, da es sich um einen Anspruch aus dem Versicherungsverhältnis handelt und die Bezirksknappschaft Ruhr der Reichsknappschaft für die Feststellung dieses Anspruchs zuständig war. Dies darf daraus geschlossen werden, daß sie die Feststellung der Knappschaftsvollrente des Klägers tatsächlich vorgenommen hat. Dem Kläger steht also aus dem Bescheid vom 1. März 1944 ein Anspruch in Höhe der noch nicht ausgezahlten Rententeile gegen die Beklagte zu.
Dieser Anspruch wird entgegen der Ansicht der Beklagten nicht von dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG) erfaßt. Der Zweck des FremdRG ist lediglich subsidiärer Natur. Es will nur ersatzweise Leistungen aus Versicherungsverhältnissen bei nicht mehr bestehenden, stillgelegten oder außerhalb des Bundesgebietes oder des Landes Berlin befindlichen Trägern der gesetzlichen Unfall und Rentenversicherung (vgl. dazu Überschrift zu Abschnitt I und § 1 Abs. 2 Nr. 1) gewähren, und zwar nur dann, wenn der an sich verpflichtete Versicherungsträger keine Leistungen gewährt (vgl. dazu § 1 Abs. 1 Nr. 2 a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da der Kläger schon seit dem Inkrafttreten des KnVAG, also schon vor Inkrafttreten des FremdRG in einem Versicherungsverhältnis zu der Beklagten stand und diese zweifelsohne kein Versicherungsträger im Sinne des FremdRG ist, er von dieser auch seine Rentenleistungen erhält. Bedenken könnten allenfalls aus der Wortfassung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 a.a.O. insofern hergeleitet werden, als man sich auf den Standpunkt stellen könnte, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 a.a.O. seien erfüllt, weil der Kläger von der inzwischen stillgelegten Reichsknappschaft, bei der das Versicherungsverhältnis vor der Stillegung bestanden hat, keine Leistungen erhält, und die des Abs. 2 Nr. 1 seien erfüllt, weil der Kläger bei einem stillgelegten Versicherungsträger der Reichsknappschaft versichert gewesen sei. Dieser Auslegung kann jedoch nicht zugestimmt werden. Der Gesetzgeber hat bei Erlaß dieser Vorschriften nur an den Regelfall gedacht, daß der Versicherungsträger stillgelegt worden ist und Leistungen seitdem nicht mehr gewährt werden, nicht aber an den außergewöhnlichen Fall, daß vor Inkrafttreten des FremdRG bei Stillegung des Versicherungsträgers das Versicherungsverhältnis auf einen im Bundesgebiet liegenden, handlungsfähigen Versicherungsträger übergegangen ist, dieser daher zur Leistung aus dem Versicherungsverhältnis selbst in vollem Umfang verpflichtet ist und diese Leistungen auch erbringt. Dieser Sonderfall wird daher von dem FremdRG nicht erfaßt, so daß Leistungen aus dem FremdRG nicht gewährt werden. Diese Auslegung entspricht allein dem Sinn und Zweck des FremdRG, welches Ansprüche nur dann gewähren will, wenn die eigentlichen Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis durch die Folgen des Zusammenbruchs nicht realisierbar sind. Der Kläger aber hat aus seinem Versicherungsverhältnis einen originären Rechtsanspruch auf die Rentenleistungen gegen einen im Bundesgebiet belegenen, handlungsfähigen Versicherungsträger, der den Anspruch auch voll erfüllt. Es wäre auch nicht verständlich, warum in einem solchen Falle eine Leistung aus dem FremdRG gewährt werden sollte. Dieses Ergebnis findet auch seine Bestätigung in der Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 a.a.O.; denn nach dieser Vorschrift ist die Ruhrknappschaft für die Feststellung und Gewährung aller Leistungen nach dem FremdRG im Bundesgebiet zuständig. Würde man alle Ansprüche von Versicherten, für deren Betreuung ausschließlich die westdeutschen Bezirksknappschaften zuständig gewesen sind, als unter das FremdRG fallend ansehen, so würde die Ruhrknappschaft für alle derartigen Ansprüche auch dann leistungspflichtig sein, wenn nicht sie, sondern eine andere westdeutsche Bezirksknappschaft der Reichsknappschaft zuständig gewesen ist. Dies wird weder praktisch so gehandhabt noch kann es der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, die anderen Knappschaften der Bundesrepublik von dieser Leistungspflicht zu befreien.
Zu Recht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid vom 10. Oktober 1952 aufgehoben; denn er widerspricht dem rechtskräftigen Bescheid vom 1. März 1944. Es fragte sich nur, ob das Sozialgericht die Beklagte auch zur Leistung verurteilen durfte, da insoweit ja bereits in dem Bescheid vom 1. März 1944 eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Grundsätzlich ist die Verurteilung zu einer Leistung, über die bereits rechtskräftig entschieden worden ist, unzulässig. Ausnahmsweise muß in dem zu entscheidenden Fall aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Verurteilung bejaht werden. Da die Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung und damit auch § 727 ZPO auf die Bescheide alter Art - nur über diese ist hier zu befinden - nicht entsprechend anwendbar sind, ist die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils gegen die Beklagte nicht möglich. Damit aber würde dem Kläger die ihm an sich zustehende Möglichkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 1. März 1944 - nach §§ 30, 31 der Reichsversicherungsordnung - verschlossen sein, da die Aufsichtsbehörde gegen die Beklagte nicht vorgehen könnte, weil der Bescheid nicht gegen diese, sondern gegen die Reichsknappschaft gerichtet ist. Der Kläger hat also ein Rechtsschutzinteresse an einer wiederholten Verurteilung zur Leistung. Die Beklagte war daher - im Rahmen des Antrags des Klägers - zu verurteilen, die bisher nicht geleisteten Beträge für die Zeit vom 1. März 1945 bis zum 28. Februar 1946 zu zahlen. Auf Grund von § 16 des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Geldwesens (Umstellungsgesetzes) vom 20. Juni 1948 (WiGBl. 1948 Beilage 5 S. 13) stehen ihm allerdings nur 1/10 der Reichsmarkbeträge in DM zu.
Der Einwand der Beklagten, sie sei zur Zahlung dieser Rententeile nicht verpflichtet, weil die Geschäftsgrundlage infolge des Zusammenbruchs weggefallen sei, greift nicht durch. Es bedarf keiner Untersuchung, ob und inwieweit dieser Einwand gegenüber einem Rentenanspruch aus der Sozialversicherung überhaupt wirksam sein könnte, zumal wenn der Anspruch bereits rechtskräftig festgestellt ist, jedenfalls kann die vorübergehende Verschlechterung der finanziellen Lage des Versicherungsträgers nicht mit dieser Begründung als Grund für eine Minderung des versicherungsrechtlichen Anspruchs anerkannt werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2336684 |
BSGE, 245 |