Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.05.1959) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1902 geborene Kläger, von Beruf Gedingehauer im Steinkohlenbergbau, wird seit dem 1. Februar 1954 als Ausbauhelfer beschäftigt; er bezieht seit dem 1. September 1952 den Knappschaftssold.
Seinen Antrag vom 5. November 1954 auf Gewährung der Knappschaftsrente lehnte die Beklagte – auch in ihrem Widerspruchsbescheid – ab. Der Kläger könne wegen seines Gesundheitszustandes (Silikose 2. Grades und Folgeerscheinungen) nach den ärztlichen Gutachten nur noch Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage verrichten; für die Zeit bis zum 31. März 1955 entfalle ein Anspruch auf Knappschaftsrente bereits deshalb, weil nach der damals geltenden Lohnordnung vom 1. September 1954 auch diese Arbeiten den Hauerarbeiten noch als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen seien. Auch für die spätere Zeit sei Berufsunfähigkeit zu verneinen. Der Kläger sei Betriebsratsmitglied und beziehe als solches den Hauerdurchschnittslohn für seine Ausbauhelfertätigkeit; diese Lohnzahlung sei bei der Prüfung der Frage der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit maßgeblich zu berücksichtigen; nach den Vereinbarungen der Deutschen Kohlenbergbauleitung und der Industriegewerkschaft Bergbau habe lediglich die nach einer Zusatzvereinbarung zum Betriebsrätegesetz den Betriebsratsmitgliedern zu zahlende Aufwandsentschädigung in Höhe des 1 1/2-fachen Hauerdurchschnittslohns bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit außer Betracht zu bleiben.
Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht (SG) in Dortmund – er beschränkte seinen Anspruch auf die Zeit vom 1. April 1955 ab – hatte der Kläger Erfolg. Das SG vertrat die Auffassung, der Kläger könne als höchstgelohnte Arbeiten nur noch Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage verrichten; diese seien aber der Hauerarbeit nicht mehr im wesentlichen gleichwertig. Der dem Kläger gewährte – höhere – Hauerdurchschnittslohn werde ihm nicht für seine Tätigkeit als Ausbauhelfer, sondern wegen seiner Beschäftigung als Betriebsratsmitglied gezahlt und müsse daher außer Ansatz bleiben, weil diese Tätigkeit dem Hauerberuf nicht im wesentlichen gleichwertig sei; § 37 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vermöge die Rentenablehnung ebenfalls nicht zu begründen, weil diese Bestimmung nur arbeitsrechtliche Bedeutung habe.
Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil hatte die Beklagte keinen Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 1959, auf deren Niederschrift das Landessozialgericht (LSG) in seinem Tatbestand ausdrücklich Bezug nimmt, bekundete der Kläger, daß er nach seiner Erinnerung den Hauerdurchschnittslohn für die Ausbauhelfertätigkeit bis etwa Februar 1955 bezogen habe. Das LSG stellte in seinem Urteil auf Grund der mündlichen Verhandlung weiter fest, daß der Kläger dem Betriebsrat bis zum 1. April 1959 angehört habe; ferner besagt der Urteilstatbestand, daß der Kläger in jener Verhandlung über die protokollierten Erklärungen hinaus noch vorgetragen hat, die ihm gewährte Sondervergütung habe einen Entgelt für seine außerhalb der Schichtzeit geleistete zusätzliche Tätigkeit bei der Jugendbetreuung dargestellt.
Das LSG begründet sein die Berufung zurückweisendes Urteil von demselben Tage (21. Mai 1959) im wesentlichen folgendermaßen: Mit dem SG sei davon auszugehen, daß der Kläger – auch über Tage – keine dem früheren Hauerberuf gleichartige Tätigkeiten mehr verrichten könne, die höherbezahlt seien als die Tätigkeit als Ausbauhelfer (Lohngruppe III unter Tage), die als solche nicht mehr als dem Hauerberuf im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen sei.
Der Kläger habe daher, da er alle gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, Anspruch auf die Knappschaftsrente alten Rechts, wenn dieser Anspruch nicht etwa seines höheren Einkommens wegen entfalle. Dies sei jedoch nicht der Fall. Übertarifliche Bezahlung – gleichgültig aus welchem Grunde – verhindere grundsätzlich eine an sich gerechtfertigte Rentenzahlung nicht; entscheidend sei vielmehr auch dann, ob der Versicherte noch die bisher verrichtete oder diese im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten ausüben könne, was hier nicht der Fall sei. Dies gelte auch dann, wenn der Versicherte aus besonderem Grunde einen Rechtsanspruch auf höhere Bezüge habe. Nach den in der Berufungsverhandlung erhobenen Beweisen sei der Kläger kein freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen und habe daher auch keinen Anspruch nach § 7 Abs. 1 des Tarifvertrags auf den Lohn seiner „Tarifgruppe” gehabt. Selbst wenn er jedoch „freigestellt” gewesen sei, könne er nach jener Bestimmung, die die Beklagte insoweit falsch auslege, stets nur einen Anspruch auf den Tariflohn als Ausbauhelfer gehabt haben, da er alsdann von dieser Tätigkeit freigestellt worden wäre; Die Erwähnung des Hauerdurchschnittslohns beziehe sich nur auf Betriebsratsmitglieder, die an sich noch Hauerarbeiten verrichteten.
Man könne den Kläger auch nicht versicherungsrechtlich so betrachten, als ob er Hauerarbeit verrichtete. Die Ausübung der Funktionen eines Betriebsratsmitglieds sei überhaupt keine Tätigkeit im Sinne des § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF, sondern grundsätzlich ein unentgeltliches Ehrenamt. Die Zugehörigkeit zum Betriebsrat sei auch keine einer versicherten Berufstätigkeit im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit. Demgegenüber versagten die wirtschaftlichen und die Billigkeitserwägungen der Beklagten; daß die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des der Risikosphäre der Beklagten zuzurechnenden Versicherungsfalles (Berufsunfähigkeit) in gewissem Umfang durch die von der Arbeitgeberin wegen der Betriebsratstätigkeit oder aus anderen Gründen gezahlten Mehrleistungen ausgeglichen würden, bringe den Rentenanspruch nicht zum erlöschen.
Die Beklagte hat gegen dieses am 14. Oktober 1959 zugestellte Urteil am 7. November 1959 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und diese am 4. Dezember 1959 begründet. Sie rügt die Verletzung des § 35 RKG aF. Nach ihrer Auffassung müsse man einen Versicherten, der als Betriebsratsmitglied nach Aufgabe der Hauertätigkeit den jeweiligen Hauerdurchschnittslohn erhalte, während dieser Zeit” den Berufstätigen seiner alten Berufsgruppe völlig gleichstellen. Diese Gleichstellung wolle auch § 7 Abs. 1 des Tarifvertrags erreichen. Die Gleichstellung bedinge, daß das Betriebsratsmitglied ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand wie das arbeitende Belegschaftsmitglied behandelt würde. Anderenfalls würde die Rentengewährung sogar einen sozialen Aufstieg herbeiführen, was nicht Wille des Gesetzgebers sei; die Knappschaftsrente solle vielmehr einen sozialen Abstieg verhindern. Der Kläger habe somit allenfalls vom 1. April 1959 an einen Anspruch auf Bergmannsrente.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des LSG und SG die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt demgegenüber Zurückweisung der Revision.
Er beruft sich auf die Gründe des von ihm für zutreffend gehaltenen Urteils; er sei seit der Antragstellung stets berufsunfähig gewesen und habe die zusätzliche Vergütung nicht für die Ausbauhelfertätigkeit, sondern für Tätigkeiten erhalten, die er, außerhalb der vertraglichen Arbeitszeit verrichtet habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist nicht begründet.
Da der Versicherungsfall nach dem Vorbringen des Klägers bereits im Jahre 1954 bezw. 1955 eingetreten sein soll, ist noch das RKG in seiner alten Fassung anzuwenden.
Ein Eingehen auf die vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 25. August 1960 – 5 RKn 20/59 – bereits entschiedene Frage nach der Bewertung der Ausbauhelfertätigkeit während der Gültigkeit der Lohnordnung vom 1. September 1954 erübrigt sich, da der Kläger seinen Anspruch auf die Zeit vom 1. April 1955 an beschränkt hat.
Der Kläger kann gesundheitlich nach den Feststellungen des LSG, die sich mit der insoweit übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten decken, jedenfalls seit seiner Antragstellung im November 1954 als höchstgelohnte Arbeiten nur die eines Ausbauhelfers in Lohngruppe III unter Tage verrichten und hat diese auch fortlaufend verrichtet. Nach der von den Beteiligten nicht angegriffenen und auch vom erkennenden Senat für zutreffend gehaltenen Ansicht des LSG ist die Arbeit eines Ausbauhelfers der Arbeit eines Gedingehauers im wesentlichen wirtschaftlich nicht gleichwertig. Zu entscheiden ist daher allein die zwischen den Beteiligten noch streitige Frage nach dem Einfluß finanzieller, auf Grund der Betriebsratszugehörigkeit dem Kläger gewährter Vorteile auf die Annahme von Berufsunfähigkeit. Da die Betriebsratstätigkeit nach der mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellung des LSG am 31. März 1959 ihr Ende gefunden hat, ist der Antrag der Beklagten auf Klageabweisung nach ihrem eigenen Vortrag jedenfalls insoweit unberechtigt, als es sich um die Zeit vom 1. April 1959 an handelt, mit der Maßgabe allerdings, daß für diesen Zeitraum – falls er allein in Frage käme – Bergmannsrente neuen Rechts zu gewähren wäre.
Bei den auf Grund der Betriebsratsmitgliedschaft gewährten Vorteilen handelt es sich um zwei verschiedene Beträge. Einmal ist dem Kläger während seiner Ausbauhelfertätigkeit von seinem Betrieb der Hauerdurchschnittslohn gezahlt worden. Nach den vom LSG insoweit getroffenen, im wesentlichen auf den Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung beruhenden Feststellungen hat dieser bis ungefähr Februar 1955, einem Zeitpunkt, der demnach wohl noch vor dem für das Urteil in Frage kommenden Zeitraum liegt, den Hauerdurchschnittslohn als vergönnungsweises Entgelt für seine Ausbauhelfertätigkeit bekommen; von jenem Zeitpunkt ab aber ist diese Mehrleistung als Entgelt für die vom Kläger außerhalb der Arbeitszeit geleistete zusätzliche Arbeit in der Jugendbetreuung gezahlt worden.
Weiterhin hat der Kläger für seine Betriebsratstätigkeit zusätzlich eine Aufwandsentschädigung in Höhe des 1 1/2fachen Hauerdurchschnittslohnes erhalten.
Bei der Prüfung der Frage, ob Berufsunfähigkeit im alten Sinne gegeben ist, kommt es nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut nur darauf an, ob der Versicherte, wenn er, wie im vorliegenden Fall, die von ihm bisher verrichtete Hauertätigkeit unzweifelhaft nicht mehr verrichten kann, noch fähig ist, im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten zu verrichten. Jede Verweisung auf die „Tätigkeit” als Betriebsratsmitglied scheitert, wie das LSG
zutreffend ausgeführt hat, bereits daran, daß es sich bei diesem Tun überhaupt nicht um eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit im Sinne des § 35 RKG aF handelt, sondern um die Ausübung eines Ehrenamtes, das geschaffen ist, um der Belegschaft eine Mitwirkung an dem Betriebsgeschehen ihres Betriebes durch ihre gewählten Vertreter einzuräumen, das daher wesensmäßig durchaus der Tätigkeit gewählter Vertreter anderer Organe unseres politischen, kommunalen oder sozialen Lebensraumes entspricht und das deshalb nicht mit einer auf Verdienst gerichteten Tätigkeit gleichgesetzt werden kann. Aus dem Wesen jener Tätigkeit ergibt sich somit, daß sie keiner Erwerbstätigkeit gegenüber irgendwie als gleichartig angesehen werden kann.
Da die bei ihrer Verrichtung gewährten Mittel auch niemals als Entgelt für die Tätigkeit, sondern stets nur als Entschädigung für Zeit und Arbeitsaufwand gezahlt werden, entfälltrechtlich auch jede Möglichkeit, das Amt eines Betriebsratsmitgliedes seines Einkommens wegen als eine wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit zu werten.
Es bleibt weiter zu prüfen, ob der Kläger solange nicht als berufsunfähig anzusehen ist, als er etwa für seine Ausbauhelfertätigkeit den höheren Hauerlohn bezogen hat. Nach der zutreffenden Rechtsauffassung des LSG hätte der Kläger während jener Zeit, selbst wenn er – was nach den getroffenen Feststellungen nicht in Frage kommt – ein freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen wäre, einen Rechtsanspruch nur auf den Tariflohn eines Ausbauhelfers gehabt, da er alsdann von dieser Arbeit freigestellt worden wäre. Wenn dem Kläger, sei es auch immer aus welchem Grunde, vergönnungsweise ein übertariflicher Lohn gewahrt worden ist, vermag dies die Annahme seiner Berufsunfähigkeit nicht auszuschalten, da sich daraus keineswegs der Schluß ziehen läßt, er sei noch in der Lage, im wesentlichen gleichwertige Tätigkeiten zu verrichten. Auch wegen dieser übertariflichen Bezahlung ist die Beklagte daher, selbst wenn sie – was immerhin fraglich ist – nach dem 1. April erfolgt sein sollte, nicht befugt, die Knappschaftsrente zu versagen.
Nicht zu entscheiden ist dagegen hier die Frage, wie der Fall zu behandeln wäre, wenn ein Versicherter, der von seiner bisher tatsächlich ausgeübten Hauertätigkeit freigestellt ist, als Betriebsratsmitglied weiterhin den Hauerlohn bezieht, obwohl sich sein Gesundheitszustand zwischenzeitlich so verschlechtert hat, daß er nunmehr nicht mehr zur Verrichtung von Hauer- oder diesen gleichgestellten Arbeiten in der Lage wäre.
Schließlich kann es dahingestellt bleiben, ob dem Kläger während der letzten Jahre seiner Betriebsratstätigkeit von der Zeche der Differenzbetrag zwischen dem Ausbauhelfer- und dem Hauerdurchschnittslohn für die außerhalb der Schichtzeit erfolgte Jugendbetreuung als weitere Entschädigung für eine zum Aufgabenkreis des Amtes als Betriebsratsmitglied gehörende Tätigkeit oder als eine Entlohnung für eine echte, neben der Ausbauhelfertätigkeit ausgeübte zweite (Neben-)Beschäftigung belehrender Art gezahlt worden ist. Selbst im zweiten Fall würde durch jene Tätigkeit die Annahme von Berufsunfähigkeit nicht ausgeschlossen, da diese Lehrtätigkeit der Hauertätigkeit nicht gleichartig ist.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Brockhoff, Dr. Dapprich, Fechner
Fundstellen