Leitsatz (redaktionell)
1. Nur wenn die im Zusammenhang mit einem streitbefangenen Anspruch sich ergebenden Beweisfragen rechtserheblich sind, muß im sozialgerichtlichen Verfahren, dessen Durchführung dem Zwecke der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit eines - abgelehnten - Zugunstenbescheides (KOV-VfG § 40 Abs 1) dient, hinsichtlich der Feststellung dessen Unrichtigkeit antragsgemäß auch weiterer Beweis gemäß SGG § 109 erhoben werden.
2. KOV-VfG § 40 Abs 1 gliedert sich einerseits in ein Tatbestandsmerkmal (Unrichtigkeit), das als Voraussetzung für das weiterhin eingeräumte Handlungsermessen vorliegen muß, und andererseits in die Einräumung des Handlungsermessens selbst, das in den Worten "kann die Verwaltung jederzeit einen neuen Bescheid erteilen", zum Ausdruck kommt.
3. Bei der gerichtlichen Nachprüfung eines Zugunstenbescheides nach KOV-VfG § 40 Abs 1 ist zwischen der Feststellung der Unrichtigkeit als Tatbestandsmerkmal und der alsdann zu treffenden Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu unterscheiden. Erstreckt sich die unbeschränkte gerichtliche Nachprüfung nur auf die Feststellung der Unrichtigkeit und wird die Frage der Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung nur im Rahmen des SGG § 54 Abs 2 S 2 geprüft, so wird der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verletzt.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1968 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin stellte im August 1948 erstmalig einen Antrag auf Versorgung nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) wegen "Versteifung des linken Beines"; sie gab dabei an, daß sie während der Flucht aus Ostpreußen auf dem Schiff "P" eine Treppe hinuntergestoßen worden sei. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen - KB-Abteilung - holte ein Gutachten von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B ein und lehnte den Antrag durch Bescheid vom 10. Februar 1950 mit der Begründung ab, bei der geltend gemachten Gesundheitsstörung handele es sich um eine unspezifische Coxitis. Die Berufung der Klägerin wurde durch Urteil des Oberversicherungsamtes (OVA) Wiesbaden vom 27. August 1951 zurückgewiesen. Im September 1955 erhob die Klägerin Wiederaufnahmeklage, die durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Frankfurt/Main vom 11. November 1955 abgewiesen wurde; Berufung und Revision der Klägerin waren erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 15. April 1958, Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 11. Juli 1958).
Im Oktober 1959 stellte die Klägerin erneut einen Versorgungsantrag und beantragte, die Versteifung des linken Hüftgelenkes und des linken Beines als Schädigungsfolge anzuerkennen. Der Antrag der Klägerin wurde durch Bescheid vom 21. September 1960 mit der Begründung abgelehnt, an dem rechtskräftigen Bescheid vom 10. Februar 1950 werde festgehalten. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Bescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - Hessen vom 28. Dezember 1960). Ihre Klage nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. November 1961 zurück.
Im Oktober 1964 stellte die Klägerin den Antrag auf Erteilung eines Bescheides gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Sie fügte ein ärztliches Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. P bei. Das Versorgungsamt (VersogA) holte Gutachten von den Fachärzten für Röntgenologie Dr. K und Dr. K und von dem Chirurgen Dr. B ein. Durch Bescheid vom 5. Mai 1966 wurde der Antrag auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 VerwVG abgelehnt. In dem Bescheid heißt es ua wörtlich: "An der Bindung des Bescheides vom 21.9.1960 wird ausdrücklich festgehalten". Auch im Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1967 wurde auf die Bindungswirkung der früheren Bescheide hingewiesen, da die Unrichtigkeit der früheren Entscheidungen nicht festgestellt werden könne.
Im Klageverfahren brachte die Klägerin mehrere eidesstattliche Versicherungen bei und stellte den Antrag, ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) von Prof. Dr. L (L.), Hess. L, einzuholen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 3. September 1968 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihren Antrag auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. L. wiederholt. Das LSG hat - ohne das beantragte Gutachten einzuholen - die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 4. Dezember 1968 zurückgewiesen und in den Gründen ausgeführt, bei dem Bescheid vom 5. Mai 1966 handele es sich um eine Ermessensentscheidung des Beklagten, nämlich die Ablehnung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG. Aufgrund der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten habe der Beklagte nicht feststellen können, daß die früheren bindend gewordenen Bescheide unrichtig seien. Bei der nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG vorzunehmenden gerichtlichen Nachprüfung einer Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung habe es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft; diese Nachprüfung sei allein auf den Sachverhalt ausgerichtet, wie er im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide für die Verwaltung bestanden habe. Gutachten, die der Verwaltung in diesem Zeitpunkt noch nicht hätten vorliegen können, müßten deshalb bei der Prüfung ihrer Ermessenshandhabung unberücksichtigt bleiben. Der Verwaltung könne nicht nachträglich ein Ermessensfehler angelastet werden. Der angefochtene Bescheid sei daher von dem Gesichtspunkt des § 40 VerwVG aus nicht zu beanstanden. Im übrigen sei ein Sturz als schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen oder auch nur hinreichend wahrscheinlich gemacht, so daß es schon aus diesem Grunde der angestellten Prüfung bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs nicht bedurft habe. Das Gericht sei deshalb auch nicht verpflichtet gewesen, auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Prof. Dr. L. einzuholen. Die Beurteilung werde keine andere, wenn der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen würde, daß durch den Bescheid vom 5. Mai 1966 eine neue sachliche Entscheidung getroffen sei. Auch dann wäre die Feststellung des Hüftgelenksleidens als Schädigungsfolge nicht vertretbar, weil das schädigende Ereignis weder nachgewiesen noch hinreichend wahrscheinlich gemacht sei. Der Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG habe es daher keinesfalls bedurft.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Dieses Urteil wurde der Klägerin am 17. Januar 1969 zugestellt, die dagegen mit Schriftsatz vom 29. Januar 1969, beim BSG eingegangen am gleichen Tage, Revision eingelegt und diese in demselben Schriftsatz begründet hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 4. Dezember 1968 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen, sowie die Kostenentscheidung dem abschließenden Urteil vorzubehalten.
In ihrer Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 54 Abs. 2, 109 SGG. Sie trägt dazu vor, das LSG habe ihren Antrag nach § 109 SGG auf gutachtliche Anhörung des Prof. Dr. L. zu Unrecht abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des BSG sei davon auszugehen, daß der Versorgungsberechtigte auch bei der gerichtlichen Überprüfung einer Ermessensentscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG einen Antrag nach § 109 SGG stellen könne, wenn die Beweisfrage erheblich sei. Diese Voraussetzung sei hier gegeben, denn sie habe mit ihrem Antrag nach § 109 SGG nachweisen wollen, daß der Beklagte sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe, wenn er den ursächlichen Zusammenhang unter Berufung auf bereits vorliegende medizinische Gutachten abgelehnt habe. Der von ihr benannte Sachverständige hätte zwar keine Ausführungen zur Frage des Ermessensfehlgebrauchs durch den Beklagten machen können; er wäre aufgrund seiner Fachkenntnisse aber in der Lage gewesen, sich dazu zu äußern, ob die geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf das von ihr angeschuldigte Ereignis im Februar 1945 (Treppensturz während eines Fliegeralarms) ursächlich zurückzuführen seien, zumal die vorliegenden medizinischen Beurteilungen der Dres. B, von K, B und K einerseits und der Dres. P und K andererseits gerade in dieser Frage zu gegensätzlichen Feststellungen gelangt seien. Der Antrag auf Anhörung des Prof. Dr. L. sei also vielleicht möglicherweise für den Nachweis geeignet, daß die früheren bindend gewordenen Bescheide unrichtig sind. Die statthafte Revision sei auch begründet, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, daß das LSG bei Einholung des beantragten Gutachtens zu einem für sie günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er meint, es sei von Bedeutung, daß der angebliche Sturz als schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen sei und daß das LSG mit Recht auf die unvollständigen und widersprechenden Angaben der Klägerin zu diesem Ereignis hingewiesen habe. Damit komme den ärztlichen Gutachten zur Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu. Die von der Klägerin beantragte Begutachtung nach § 109 SGG sei daher rechtsunerheblich, denn sie könne mit diesem Gutachten niemals den erforderlichen Nachweis des schädigenden Ereignisses erbringen.
Die Klägerin führt demgegenüber in einem weiteren Schriftsatz vom 2. April 1969 aus, das Vorliegen eines Sturzes sei niemals streitig gewesen. Die Frage der Beweiserheblichkeit der von ihr nach § 109 SGG beantragten Begutachtung orientiere sich allein an der Begründung der Ablehnung der begehrten Zugunstenregelung im Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 1966. Danach sei aber die Erteilung eines Zugunstenbescheides nicht wegen eines unbewiesenen schädigenden Ereignisses im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), sondern nur aus medizinischen Gründen abgelehnt worden, weil die aufgrund des Antrages neu vorgenommenen fachchirurgischen und röntgenologischen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen seien, daß zwischen dem Unfall und der von ihr geltend gemachten Gesundheitsstörung kein Zusammenhang bestehe.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs, 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist von der Klägerin frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 5. Mai 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1967, dessen Rechtmäßigkeit in diesem Verfahren streitig ist, um die Ablehnung eines beantragten Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG handelt (vgl. zur Frage der Abgrenzung zwischen einem - abgelehnten - Zugunstenbescheid und einem sogenannten "Zweitbescheid" Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juni 1969 in BSG 29, 278). Bedenken sind insoweit von den Beteiligten auch nicht erhoben. Wenn das LSG am Schluß seines Urteils den Bescheid vom 5. Mai 1966 auch unter dem Gesichtspunkt eines "Zweitbescheides" geprüft hat, so handelt es sich dabei ersichtlich um eine Hilfserwägung, die das LSG offenbar nur angestellt hat, um sein Urteil auch für den Fall "revisionssicher" zu machen, daß seine Beurteilung über die Rechtsnatur des Bescheides vom 5. Mai 1966 als Zugunstenbescheid nicht zutreffen sollte.
Der Auffassung des LSG, daß bei der gerichtlichen Nachprüfung der mit dem Bescheid vom 5. Mai 1966 getroffenen "Ermessensentscheidung" für die Einholung weiterer Gutachten und demnach auch für die Einholung des von der Klägerin nach § 109 SGG beantragten Gutachtens von Prof. Dr. L. kein Raum sei, kann jedoch nicht gefolgt werden. Auch zu dieser Frage hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 24. Juni 1969 (BSG 29, 278), die dem LSG allerdings bei der Fällung des hier streitigen Urteils vom 4. Dezember 1968 noch nicht vorliegen konnte, eingehend Stellung genommen. Die Ausführungen des LSG geben dem Senat jedoch keinen Anlaß, von seiner Auffassung abzugehen, daß auch im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung eines abgelehnten Zugunstenbescheides Beweiserhebungen aller Art - auch die Einholung von Gutachten nach § 109 SGG - erforderlich sein können. Das der Verwaltungsbehörde in § 40 Abs. 1 VerwVG eingeräumte Ermessen ist ein Handlungsermessen, nach welchem die Verwaltungsbehörde "einen neuen Bescheid erteilen kann". Dieses Handlungsermessen ist der Verwaltungsbehörde aber nicht voraussetzungslos eingeräumt worden, wie überhaupt - jedenfalls auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung - die Gewährung oder Ablehnung von Leistungen niemals voraussetzungslos in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist. In § 40 Abs. 1 VerwVG ist allerdings - anders als z.B. in § 41 Abs. 1 VerwVG, § 1 Abs. 3 Satz 2 und § 89 BVG - eine besondere Voraussetzung für die Ausübung des der Verwaltungsbehörde eingeräumten Handlungsermessens im Wortlaut der Vorschrift nicht zum Ausdruck gekommen. Gleichwohl ist Voraussetzung für eine zugunsten des Berechtigten zu treffende Regelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG, daß der frühere Bescheid unrichtig ist. Dies geht aus dem Sinngehalt dieser Vorschrift und aus der Überschrift des Abschnitts XI vor § 40 VerwVG hervor, welche "Berichtigung von Bescheiden" lautet. Berichtigt zugunsten des Berechtigten durch Erteilung eines neuen Bescheides können aber nur solche Bescheide werden, die selbst unrichtig sind. Bestätigt wird diese Auffassung auch durch die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 2 zu § 40 VerwVG, nach der gefordert ist - wie auch nach den älteren Fassungen dieser Verwaltungsvorschrift stets gefordert war -, daß die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig ist (vgl. auch Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1967). In Auslegung des § 40 Abs. 1 VerwVG sind dieser Vorschrift also - sinngemäß zu den in § 41 VerwVG gebrauchten Worten - die Worte ergänzend hinzuzufügen: "wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen ist" (vgl. BSG 29, 278, 282). Die Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG gliedert sich also einerseits in ein Tatbestandsmerkmal (Unrichtigkeit), das als Voraussetzung für das weiterhin eingeräumte Handlungsermessen vorliegen muß, und andererseits in die Einräumung des Handlungsermessens selbst, das in den Worten "... kann die Verwaltung jederzeit einen neuen Bescheid erteilen", zum Ausdruck kommt.
Im vorliegenden Fall ist die Versorgungsverwaltung aufgrund des von der Klägerin beigebrachten fachorthopädischen Gutachtens des Dr. P in eine Nachprüfung eingetreten und hat die fachärztlichen Gutachten des Dr. K Dr. K und Dr. B eingeholt, um die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der früheren Bescheide beurteilen zu können. Alsdann hat die Versorgungsverwaltung in dem Bescheid vom 5. Mai 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1967 ausdrücklich ausgesprochen, daß "die Unrichtigkeit der früheren Entscheidung nicht festgestellt werden kann". Bei der Nachprüfung dieses Bescheides muß auch das Gericht prüfen, ob die zur Unrichtigkeit der früheren Bescheide getroffene Entscheidung der Verwaltungsbehörde zutrifft oder nicht (vgl. BSG aaO; BSG vom 26. Februar 1965 - 9 RV 806/62; s. auch BSG vom 20. August 1963 - 8 RV 1005/62 und 8 RV 901/60). Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich insoweit aber nicht um die Prüfung des Ermessens der Verwaltung ("Ermessensentscheidung"), sondern um die Prüfung eines Tatbestandsmerkmals des § 40 Abs. 1 VerwVG, das erst die Voraussetzung für das Ermessenshandeln der Verwaltungsbehörde bildet und dessen Vorliegen wie bei jedem anderen Tatbestandsmerkmal einer Gesetzesvorschrift im gerichtlichen Verfahren zu überprüfen ist (vgl. BSG vom 26. November 1968 - 9 RV 610/66 - und vom 28. April 1965 - 9 RV 470/62 -). Ist aber das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "Unrichtigkeit des Erstbescheides" im gerichtlichen Verfahren zu überprüfen, so müssen für diese Überprüfung auch, soweit es sich um tatsächliche Feststellungen handelt, alle Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens gelten, welche die Feststellung von Tatsachen betreffen. Dazu gehören in erster Linie die §§ 103 und 128 SGG (vgl. BSG vom 26. Februar 1965 - 9 RV 806/62 -), aber auch in gleicher Weise § 109 SGG, der dem Versorgungsberechtigten ein besonderes Recht bei der Beweiserhebung zur Ermittlung von Tatsachen durch die Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen gibt, sofern es auf diese Tatsachen zur Beurteilung der Unrichtigkeit der früheren Bescheide ankommt (vgl. BSG 29, 279, 284; Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juni 1967 - 10 RV 972/65 -).
Durch diese Nachprüfung wird auch nicht, wie das LSG glaubt folgern zu müssen (vgl. Seite 12 Mitte des Urteilsabzuges), der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt. Wird nämlich, was nach den obigen Ausführungen erforderlich ist, zwischen der Feststellung der Unrichtigkeit als Tatbestandsmerkmal und der alsdann zu treffenden Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde unterschieden und erstreckt sich die unbeschränkte gerichtliche Nachprüfung - einschließlich der Erhebung etwa notwendig werdender Beweise - nur auf die Feststellung der Unrichtigkeit, während die Frage der Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG geprüft wird, dann ist nicht zu erkennen, inwiefern insoweit der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt sein soll (vgl. auch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -).
Der Ansicht, daß auch bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG ggf. Beweise erhoben und insbesondere Gutachten auf einen gemäß § 109 SGG gestellten Antrag hin eingeholt werden müssen, steht auch nicht das Urteil des 8. Senats des BSG vom 29. Oktober 1964 - 8 RV 789/62 - (in BVBl 1965, S. 43) entgegen, auf welches das LSG seine gegenteilige Ansicht stützen will. Wie aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. Juni 1969 (BSG 29, 278, insbesondere S. 284) hervorgeht, hat der 8. Senat auf Anfrage des erkennenden Senats bereits damals mitgeteilt, daß er - unbeschadet der Entscheidung in jenem besonders gelagerten Einzelfall - in Übereinstimmung mit dem erkennenden Senat die Auffassung vertritt, daß in einem Gerichtsverfahren über eine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG Beweis erhoben werden kann, und zwar auch durch Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG. Somit findet auch im Verfahren über die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG der § 109 SGG Anwendung, so daß der vom Kläger benannte Arzt gutachtlich zu hören ist, sofern die Beweisfrage rechtserheblich ist (vgl. BSG 29, 278, 285 mit weiteren Hinweisen).
Die von der Klägerin gerügte Verletzung des § 109 SGG liegt jedoch deshalb nicht vor, weil es im vorliegenden Fall auf die Beurteilung medizinischer Fragen nicht ankam und somit die von der Klägerin beantragte Begutachtung durch Prof. Dr. L. für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht rechtserheblich war. Das LSG hat nämlich seine Entscheidung nicht nur damit begründet, daß im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 40 Abs. 1 VerwVG grundsätzlich keine Beweiserhebung, also auch keine Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG, zulässig ist, sondern das LSG hat weiter ausgesprochen, daß es einer weiteren Sachaufklärung und Prüfung bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs schon aus dem Grunde nicht bedurft habe, weil ein Sturz als schädigendes Ereignis nicht nachgewiesen oder auch nur hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. Blatt 9 des Urteilsabzuges). Insoweit handelt es sich nicht nur um eine bedeutungslose Hilfserwägung des LSG; vielmehr lassen insbesondere die Ausführungen auf den Seiten 13 und 14 des Urteils, in denen sich das LSG eingehend mit den eigenen Angaben der Klägerin und den Zeugenaussagen auseinandergesetzt hat, erkennen, daß das LSG eine weitergehende Prüfung der medizinischen Fragen auch und gerade deshalb als rechtsunerheblich angesehen hat, weil ein schädigender Vorgang nicht nachgewiesen ist. Diese Auffassung des LSG trifft auch zu.
Das LSG hat darüber zu entscheiden gehabt, ob die früher ausgesprochenen und bindend gewordenen Ablehnungen eines Versorgungsanspruchs der Klägerin unrichtig sind (§ 40 Abs. 1 VerwVG), oder - positiv ausgedrückt -, ob die Gesundheitsstörungen der Klägerin mit einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand ursächlich zusammenhängen. Es hat damit prüfen müssen, ob drei Anspruchsvoraussetzungen zu einer "Ursachenkette" verknüpft sind, nämlich ein versorgungsrechtlich geschützter Tatbestand im Sinne der §§ 1 - 5 BVG, eine Schädigung - das sogenannte "schädigende Ereignis", der sogenannte "schädigende Vorgang" - und die Gesundheitsstörungen der Klägerin (vgl. BSG 6, 120; 7, 180; BSG in SozR SGG § 109 Nr. 30). Dabei kann, wie das BSG insbesondere in der letztgenannten Entscheidung ausgesprochen hat, eine medizinische Beurteilung im Einzelfall sowohl im Hinblick auf die zweite als auch im Hinblick auf die dritte Anspruchsvoraussetzung erforderlich sein (s. auch BSG in SozR BVG § 85 Nr. 10). Für die zweite Anspruchsvoraussetzung trifft das aber nur dann zu, wenn zweifelhaft ist, ob das schädigende Ereignis tatsächlich zu einer gesundheitlichen Schädigung (vgl. § 1 Abs. 1 BVG) geführt hat. Kann dagegen ein Sachverhalt, der einen versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand erfüllt, überhaupt nicht festgestellt werden, oder kann nicht festgestellt werden, daß von diesem Sachverhalt die Person "betroffen" worden ist, kann also nicht festgestellt werden, daß diese Person einem bestimmten Ereignis oder einem bestimmten Vorgang ausgesetzt gewesen ist, dann ist die weitgehend auf medizinischem Gebiet liegende Frage, welche gesundheitliche Schädigung durch dieses Ereignis eingetreten ist, nicht beweiserheblich dafür, ob ein Anspruch auf Versorgung besteht (vgl. BSG in SozR SGG § 109 Nr. 30). So liegt der Fall aber hier. Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, daß "ein Sturz als schädigendes Ereignis" nicht nachgewiesen oder auch nur hinreichend wahrscheinlich gemacht ist. Insoweit handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, die die Klägerin mit Verfahrensrügen nicht angegriffen hat; sie ist daher für das Revisionsgericht bindend (vgl. § 163 SGG). Kann aber nicht festgestellt werden, daß die Klägerin überhaupt einem bestimmten Vorgang ausgesetzt gewesen, also im Jahre 1945 auf der "Potsdam" von einer Treppe gestürzt ist, dann konnte es auf die Klärung der medizinischen Fragen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr ankommen. Die Einholung von weiteren Gutachten, insbesondere des von der Klägerin nach § 109 SGG beantragten Gutachtens, war also rechtsunerheblich und ist von dem LSG zu Recht "schon aus diesem Grunde" abgelehnt worden.
Die Auffassung der Klägerin, die Frage der Beweiserheblichkeit der von ihr nach § 109 SGG beantragten Begutachtung habe sich allein an der Begründung der Ablehnung der begehrten Zugunstenregelung im Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 1966 zu orientieren, trifft nicht zu. Das LSG war im Rahmen des § 40 Abs. 1 VerwVG verpflichtet, die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der früheren Entscheidungen unter allen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu prüfen (s. auch § 157 SGG). Ausgangspunkt für das vorliegende Zugunstenverfahren war dabei der Bescheid vom 28. Dezember 1960, der seinerseits wiederum auf den Bescheid vom 10. Februar 1950 verweist. In diesem Bescheid ist der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgung abgelehnt worden. In Bindung erwachsen ist nur der Verfügungssatz dieses Bescheides, nicht jedoch die für die Ablehnung gegebene Begründung (vgl. BSG 9, 80; BSG in SozR § 77 Nr. 24 und Nr. 59). Der Verfügungssatz in dem angefochtenen Bescheid vom 5. Mai 1966 geht eindeutig dahin, daß "an der Bindung des Bescheides vom 21. September 1960 ausdrücklich festgehalten wird", mit anderen Worten, daß die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt wird. Die von der Versorgungsverwaltung gegebene Begründung für diese Ablehnung stellt nur einen Ansatzpunkt für die gerichtliche Nachprüfung dar; mit ihr hat der Beklagte jedoch keinesfalls das Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Versorgungsanspruch bzw. für die Erteilung eines Zugunstenbescheides "anerkannt" oder "festgestellt" (vgl. BSG in SozR SGG § 77 Nr. 20). Das LSG war somit im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) befugt und verpflichtet zu prüfen, ob die eine Tatbestandsvoraussetzung für eine Ermessensentscheidung des Beklagten nach § 40 Abs. 1 VerwVG, nämlich die Unrichtigkeit der früheren Bescheide, gegeben ist. Diese Prüfung erstreckte sich aber auf alle rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte. Das LSG hat dabei in Ausübung seines freien richterlichen Beweiswürdigungsrechts (§ 128 SGG) die Feststellung getroffen, daß eine Unrichtigkeit "schon aus dem Grunde" ausscheidet, weil ein schädigender Vorgang - Sturz von der Schiffstreppe - nicht erwiesen ist. Insoweit hat das LSG jedoch weder in die Bindungs- oder Rechtskraftwirkung früherer Entscheidungen eingegriffen (vgl. §§ 24 VerwVG, 77 SGG), noch hat es sich über ein Zugeständnis - von Tatsachen (vgl. § 288 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) - des Beklagten hinweggesetzt (vgl. BSG aaO). Dem angefochtenen Bescheid und ebenso den früheren Bescheiden kann auch nicht andeutungsweise entnommen werden, daß die Versorgungsverwaltung ein Anerkenntnis abgeben oder ein Zugeständnis dahin machen wollte, daß die Klägerin auf dem Flüchtlingsschiff eine Treppensturz erlitten und sich dabei eine schwere Hüftverletzung zugezogen hat, ganz abgesehen davon, daß die Annahme des Vorliegens eines derartigen Zugeständnisses im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG rechtlich nicht unbedenklich wäre.
Das LSG war demnach nicht nur nicht gehindert, sondern sogar verpflichtet, die früheren, bindend gewordenen Bescheide unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt, also auch unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob die Klägerin überhaupt von einem schädigenden Ereignis betroffen worden ist. Durch diese Prüfung ist auch nicht, wie die Klägerin meint, ihr Vorbringen in den Tatsacheninstanzen unzulässig verkürzt worden. Die Klägerin hat selbst wiederholt vorgetragen, daß sie Zeugen für ihren Unfall nicht beibringen könne (vgl. z.B. Schriftsatz der Klägerin vom 8. März 1950 an das OVA Wiesbaden); ihr war also die Zweifelhaftigkeit der Anspruchsgrundlage durchaus bekannt. Im übrigen hätte die Klägerin noch im Revisionsverfahren die Möglichkeit gehabt, die entsprechenden Tatsachenfeststellungen des LSG - über das Nichterwiesensein eines schädigenden Ereignisses - mit Verfahrensrügen anzugreifen. Das hat sie jedoch nicht einmal andeutungsweise getan. Ist aber nach den nicht angegriffenen und für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG ein schädigender Vorgang, von dem die Klägerin betroffen sein will, nicht erwiesen, dann ist schon aus diesem Grunde ein Versorgungsanspruch nicht gegeben; die früheren Ablehnungsbescheid sind daher nicht unrichtig. Die Entscheidung des LSG, mit der die Berufung der Klägerin zurückgewiesen worden ist, stellt sich daher im Ergebnis als richtig dar; die Revision der Klägerin war zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen