Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeit. militärischer Dienst. militärähnlicher Dienst. Waffen-SS. Kriegseinsatz. Fürsorge- und Versorgungswesen
Orientierungssatz
Der Dienst eines Angehörigen der Waffen-SS in Fürsorge- und Versorgungsdienststellen der SS im Kriege geschah nicht "für Zwecke der Wehrmacht" iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG; er stellt keinen nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG (= § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO) als Ersatzzeit anzurechnenden militärähnlichen Dienst dar (vgl BSG 1983-06-30 11 RA 44/82 = SozR 2200 § 1251 Nr 104).
Normenkette
AVG § 28 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 3 Abs 1 Buchst b
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.06.1983; Aktenzeichen L 13 An 247/81) |
SG Augsburg (Entscheidung vom 30.09.1981; Aktenzeichen S 6 An 48/81) |
Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung einer Dienstzeit in der Waffen-SS als Ersatzzeit.
Der 1920 in Jugoslawien geborene volksdeutsche Kläger trat im Juni 1941 freiwillig in eine SS-Totenkopf-Einheit ein. Im Februar 1942 wurde er im Rußlandfeldzug verwundet. Nach Lazarettaufenthalt und Besuch der Waffen-SS-Berufsschule wurde er ab 17. Dezember 1942 als frontdienstuntauglich zum Hauptfürsorge- und Versorgungsamt-SS in Berlin - Abteilung Ausland - versetzt und ab Anfang Januar 1943 zunächst dem Fürsorgeoffizier der Waffen-SS in Serbien, später in Kroatien zugeteilt. Bei Kriegsende geriet er in Zagreb in jugoslawische Gefangenschaft, aus der er nach seinen Angaben im Oktober 1947 nach Österreich entlassen wurde.
Die Beklagte merkte die Zeiten bis zum 16. Dezember 1942 sowie ab 9. Mai 1945 bis zum 4. April 1948 als Ersatzzeit des "militärischen" Dienstes (§ 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) und die Zeit vom 1. Januar 1945 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit der Vertreibung bzw Flucht (§ 28 Abs 1 Nr 6 AVG) vor; die Zeit vom 17. Dezember 1942 bis zum 31. Dezember 1944 komme als Ersatzzeit nicht in Betracht, weil insoweit weder militärischer noch militärähnlicher Dienst gegeben sei (Bescheid vom 8. Mai 1980; Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1981).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) dagegen die Beklagte verpflichtet, die Zeit vom 17. Dezember 1942 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG vorzumerken. Im Urteil vom 22. Juni 1983 hat es ausgeführt, die Zeit des Fronteinsatzes und der Genesung des Klägers sei von der Beklagten zutreffend als militärähnlicher Dienst angesehen worden. Daß nur wegen der anderweitigen Verwendung infolge einer Kriegsbeschädigung ein militärähnlicher Dienst nicht mehr in Frage kommen solle, werde dem Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung nicht gerecht. Zum einen habe den Kläger auch die Tätigkeit im Fürsorge- und Versorgungswesen an einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gehindert, zum anderen habe er damit für die im Kriegseinsatz kämpfenden Einheiten der Waffen-SS und der Wehrmacht Dienste geleistet. Er habe auch unmittelbar Aufgaben der Wehrmacht wahrgenommen, denn er habe Versorgungsleistungen, Feldpost und Nachlaßgegenstände an Angehörige von Soldaten auszuhändigen gehabt. Unter wessen Oberbefehl er gestanden habe, sei nicht entscheidend; die Grenzen der tatsächlichen Befehlsgewalt zwischen dem SS-Führungshauptamt, dem SS-Hauptamt und dem Oberkommando des Heeres seien fließend gewesen, so daß die Befehlsgewalt als Unterscheidungsmerkmal für die Art des Dienstes ungeeignet sei. Im übrigen gebiete es die Gleichbehandlung, im Wege der Analogie den Dienst als Ersatzzeit zu berücksichtigen (Hinweis auf BSGE 53, 281).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Zur Begründung meint sie, die Entscheidung des LSG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in vergleichbaren Fällen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat über die Revision der Beklagten auf Grund der Beratung vom 9. Februar 1984 entschieden; die erst am 10. Februar 1984 eingegangene Revisionserwiderung hat ihm zu einer erneuten Beratung auch im Hinblick auf ihren Inhalt keinen Anlaß gegeben. Der Senat hält die Revision der Beklagten für begründet.
Soweit es sich um das Begehren des Klägers handelt, die Zeit vom 1. Januar bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit vorzumerken, ist das schon deswegen der Fall, weil die Zeit im angefochtenen Bescheid von der Beklagten als Ersatzzeit - der Flucht bzw Vertreibung (§ 28 Abs 1 Nr 6 AVG) - bereits vorgemerkt worden ist. Das LSG hätte daher eine Verurteilung insoweit nicht aussprechen dürfen. Die Klage ist in diesem Umfang unzulässig, weil es am Rechtsschutzbedürfnis fehlt; daran, die Zeit anstatt als Ersatzzeit der Flucht oder Vertreibung als Ersatzzeit aufgrund eines anderen der in § 28 Abs 1 AVG bezeichneten Tatbestände vorgemerkt zu erhalten, kann sinnvollerweise kein zu schützendes Bedürfnis des Klägers bestehen.
Im übrigen ist die Revision in der Sache begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die restliche Zeit vom 17. Dezember 1942 bis zum 31. Dezember 1944 als weitere Ersatzzeit zu berücksichtigen, denn diese Zeit stellt keine Ersatzzeit dar. In Betracht kommen kann hierfür ausschließlich § 28 Abs 1 Nr 1 AVG (idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes -RVÄndG- vom 9. Juni 1965, BGBl I 476), soweit er Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes iS der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) während eines Krieges aufführt; weder den einen noch den anderen Dienst hat der Kläger damals indes geleistet.
Militärischer Dienst, den nach § 2 Abs 1 Buchst a BVG jeder "nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat" darstellt, kann für die streitige Zeit deshalb nicht angenommen werden, weil § 2 BVG hinsichtlich des "deutschen Wehrrechts" auf das damals geltende Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl I 609) abhebt, in dem die bewaffneten Verbände der SS nicht erwähnt sind. Das hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 - dargelegt, wobei er sich der Rechtsprechung des BSG auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung zu § 2 BVG angeschlossen hat (vgl Urteil aaO mit Hinweisen); hierin ist ihm der 1. Senat im Urteil vom 11. August 1983 (1 RA 63/82) gefolgt. Soweit im Falle des Kriegseinsatzes von Waffen-SS-Verbänden für das Kriegsopferrecht in der Vergangenheit eine Gleichstellung mit dem militärischen Dienst erwogen worden ist (BSGE 12, 172, 174; SozR Nr 8 zu § 2 BVG; SozR 3100 § 2 Nr 6), bedarf das im Rahmen von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG keiner Vertiefung; für eine analoge Anwendung von § 2 BVG besteht insoweit keine Veranlassung, da die Gleichstellung im Falle des Kriegseinsatzes schon durch unmittelbare Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG zu erreichen ist, eine Gesetzeslücke sonach nicht vorliegt (11. und 1. Senat aaO).
Militärähnlicher Dienst iS von § 3 Abs 1 Buchst b BVG, als der ein auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleisteter Dienst gilt, kommt für die noch offene Zeit während des Krieges indes auch nicht in Frage. Das BSG hat zwar insbesondere mit Rücksicht auf die enge Befehlsverbindung von Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten im Kriege den Dienst von Angehörigen der bewaffneten SS im Kriegseinsatz als auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht geleistet angesehen (BSGE 49, 170, 172 = SozR 2200 § 1251 Nr 73; BSGE 53, 281, 282 = SozR 2200 § 1251 Nr 96; Urteil vom 29. November 1979 - 4 RJ 113/78 -; Urteil vom 26. Januar 1983 - 1 RA 31/82 -; Urteile vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 und 67/82 -; Urteil vom 11. August 1983 - 1 RA 63/82 -), wobei unter Kriegseinsatz für Zwecke der Wehrmacht der Dienst eines Waffen-SS-Angehörigen verstanden wird, der wie der Dienst eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg verrichtet worden ist, dh sonst, wenn es die Waffen-SS-Verbände nicht gegeben hätte, von einem Soldaten der Wehrmacht geleistet worden wäre (BSGE 49 aaO).
Wird diese bei Angehörigen der Waffen-SS für die Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst b BVG grundsätzlich als brauchbar zu bezeichnende Formel (so der erkennende Senat im Urteil vom 30. Juni 1983 - 11 RA 44/82 -) vorliegend angewandt, dann zeigt sich jedoch, daß sie zu keinem für den Kläger günstigen Ergebnis zu führen vermag. Die von ihm ab 17. Dezember 1942 geleisteten Dienste beim Hauptfürsorge- und Versorgungsamt SS in Berlin sowie beim Fürsorgeoffizier in Serbien bzw Kroatien dienten nicht Zwecken der Wehrmacht, sondern Zwecken der Waffen-SS; sie wären, wenn es die Verbände der Waffen-SS nicht gegeben hätte, nicht von Soldaten der Wehrmacht geleistet worden. Wie der Senat am 30. Juni 1983 aaO schon dargelegt hat, entsprachen die Aufgaben der Fürsorge- und Versorgungsdienststellen der SS zwar denen der Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsämter, doch läßt sich aus einer solchen Vergleichbarkeit die Anwendung von § 3 Abs 1 Buchst b BVG nicht rechtfertigen. Denn den SS-Dienststellen oblagen nach § 201 des Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetzes (WFVG) vom 26. August 1938 (RGBl I 1077) iVm den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen vom 10. November 1938 (RGBl I 1607) für die Angehörigen der Waffen-SS und deren Hinterbliebene auch die in Abschnitt II des WFVG geregelte Dienstzeitfürsorge und -versorgung. Hierbei handelte es sich um einen Dienstbereich, der angesichts des Personenkreises zu keinem Zeitpunkt Aufgabe der Wehrmacht sein konnte und darum ohne die SS-Dienststellen nicht von Angehörigen der Wehrmacht wahrzunehmen gewesen wäre. Überdies konnte es ohne die SS-Dienststellen auch nicht Sache der Wehrmacht sein, die in Abschnitt III vorgesehene Beschädigtenfürsorge und -versorgung für sämtliche Angehörigen der Waffen-SS zu übernehmen, gleichviel, bei welchem Dienst die Beschädigung entstanden sein mochte.
Angesichts dieser gesetzlich geregelten Hauptaufgaben, die den Dienstleistungen im Fürsorge- und Versorgungswesen das Gepräge gaben, vermag die vom Kläger dort verrichtete Tätigkeit - im Gegensatz zu dem vorangegangenen Fronteinsatz mit anschließender Genesungszeit - keinen für Zwecke der Wehrmacht geleisteten Dienst darzustellen. Abgesehen davon, daß es an einem militärischen Einsatz mangelte, kam die Tätigkeit als solche der Wehrmacht in jedem Fall nicht unmittelbar zugute; soweit der Kläger auch beauftragt gewesen sein soll, an Angehörige von Wehrmachtsmitgliedern Versorgungsleistungen, Post und Nachlaßgegenstände auszuhändigen, kann sich allenfalls ein mittelbarer Nutzen für die Wehrmacht ergeben haben. Darauf, ob der Einsatz insoweit "wehrmachtsdienlich" war, wie das LSG es nennt, braucht der Senat nicht näher einzugehen. Ein so umschriebener abgeleiteter Begriff ist mit dem in § 3 Abs 1 Buchst b BVG verwendeten Begriff "für Zwecke der Wehrmacht" nicht gleichzusetzen; mit seiner Hilfe ist der - hier nicht gegebene - Tatbestand des Gesetzes nicht zu erfüllen.
Eine analoge Anwendung von § 3 Abs 1 Buchst b BVG muß ebenfalls daran scheitern, daß nach dem Gesetz als militärähnlich ausschließlich ein für Zwecke der Wehrmacht geleisteter Dienst zu gelten hat. Hierfür kann es entgegen dem LSG nicht genügen, daß der Kläger trotz der eine weitere Frontverwendung hindernden Kriegsbeschädigung nicht aus den Diensten der Waffen-SS entlassen, sondern - vergleichbar einem verwundeten Wehrmachtsangehörigen - mit Verwaltungsaufgaben weiterverwendet worden ist. Ein gleichgelagerter Fall, der eine Gleichbehandlung erforderte, ist damit nicht gegeben. Denn ein Angehöriger der Waffen-SS kann eben nicht in jeglicher Hinsicht und im Hinblick auf jeden Dienst einem Angehörigen der Wehrmacht gleichgestellt werden, der mit dem Status des Soldaten ausgestattet war.
Soweit das LSG an das speziell zur Dienstleistung in einer Ausbildungseinheit der Waffen-SS ergangene Urteil des 1. Senats in BSGE 53, 281 anknüpft, steht keine analoge Anwendung von § 3 Abs 1 Buchst b BVG in Frage, sondern von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG. Hierauf bedarf es indes schon aus Gründen des Sachverhalts eines näheren Eingehens nicht. Denn bei der Dienstleistung des Klägers handelte es sich um keine, die wie die vom 1. Senat beurteilte Ausbildung nur für einen anschließend durchweg geleisteten Fronteinsatz von Bedeutung war. Allein von der Natur der Sache her kann ein nach einem Fronteinsatz verrichteter Dienst, hier ein Verwaltungsdienst im Fürsorge- und Versorgungswesen, nicht derart eng mit dem vorangegangenen Dienst an der Front als Einheit gesehen werden, als daß ausnahmsweise auch er im Wege der analogen Anwendung von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG als militärähnlicher Dienst behandelt werden müßte.
Nach alledem sind die eine Vormerkung der Zeit ab 17. Dezember 1942 als Ersatzzeit ablehnenden Bescheide nicht zu beanstanden. Damit war der Revision der Beklagten mit der aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entnommenen Kostenfolge stattzugeben.
Fundstellen